FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

Heulsuse der Woche: Til Schweiger vs. sächsisches Sozialministerium

Til Schweiger rastet aus, weil die Zuschauer seinen „Tatort" nicht mochten, und jemand „hackt" den Twitter-Account des sächsischen Sozialministeriums.

Und wieder ist es an der Zeit, sich über ein paar Menschen zu wundern, die mit der Welt nicht fertigwerden.

Heulsuse #1: Til Schweiger

Titelfoto: imago | Future Image

Der Vorfall: Am Neujahrswochenende werden zwei Tatort-Folgen mit Til Schweiger ausgestrahlt. Das Echo ist eher durchwachsen.

Die angemessene Reaktion: Verstehen, dass Tatort-Kritisieren des Deutschen liebstes Hobby ist und die Reaktionen mit Würde ertragen. Wie alle anderen Tatort-Beteiligten.

Anzeige

Die tatsächliche Reaktion: In einem Facebook-Post komplett ausrasten und das Publikum (sowie andere Tatort-Teams) angreifen.

Sollte das Ausrufezeichen irgendwann aus dem deutschen Sprach- und Schreibgebrauch verschwinden, Til Schweiger dürfte einer der Ersten sein, die eine Protestpetition unterschreiben. Der Schauspieler Schrägstrich Regisseur Schrägstrich Wunderwaffe des deutschen Kinos ballerte sich am vergangenen Wochenende einmal mehr als LKA-Beamter Nick Tschiller durch ein kriminalitäts- und intrigenverseuchtes Hamburg, schaffte es allerdings trotz Bazooka, Natursekt-Fetischisten und mehreren Plotlines nicht, das kritische Publikum für sich zu gewinnen—was sich auch ziemlich deutlich in der Quote niederschlug. Das hat Til Schweiger wütend gemacht, richtig wütend, schließlich war er zwar noch nie der Liebling des anspruchsvollen Konsumenten oder der kritischen Presse, hatte bisher aber zumindest rein zahlenmäßig das Publikum auf seiner Seite.

Wie das so ist, wenn man eine sehr große Reichweite hat und sehr, wirklich sehr wütend ist, wandte sich Schweiger in einem Facebook-Post an die Öffentlichkeit und machte sich mal so richtig Luft. Unter dem Bild des für die beiden Tatort-Folgen verantwortlichen Regisseurs (Christian Alvart) lobte er nicht nur alle, die an diesem „Stück deutscher Fernsehgeschichte" beteiligt waren, sondern teilte auch kräftig gegen alle anderen aus. Da wurden andere Tatort-Kommissare als „moppelig" bezeichnet und anderen Tatort-Folgen unterstellt, dass in ihnen sowieso nur „dummes Zeug" geredet werden würde, bevor er sich endgültig den Internet-Hatern und der Presse zuwandte. Weil: „ich als Filmemacher/Schauspieler/Produzent/Writer/Cutter/Composer…. viel mehr Ahnung…. ich habe viiiieel mehr Ahnung von der Craft( Materie)….KUNST…. als die meisten von diesen Trotteln, die darüber schreiben!!!!" (Ja, das hat er wirklich genau so auf seine Tastatur gehämmert.)

Anzeige

Aber was will man auch vom nicht mit der „Craft( Materie)" gesegneten Pöbel erwarten, der nichts anderes ist als „schwach und klein"? Deutschland bleibt eben „das Land der Neider". Wir sind schon gespannt auf den nächsten Tschiller-Tatort aus Hamburg. Wie wir den letzten fanden, erfahrt ihr hier.

Heulsuse #2: das sächsische Sozialministerium

Foto: imago | Dehli-News

Der Vorfall: Über den Twitter-Account des Ministeriums wird ein ziemlich fragwürdiger Tweet zu Flüchtlingen abgesendet.

Die angemessene Reaktion: Klarstellen, dass die Aussage unvertretbar ist und versuchen herauszufinden, wer für den Tweet verantwortlich war.

Die tatsächliche Reaktion: Sich zwar von dem Post distanzieren, gleichzeitig aber suggerieren, dass man „gehackt" worden sein könnte und somit die Schuld erst einmal von sich weisen.

Der Winter ist über Deutschland hereingebrochen und es ist kalt geworden. Je nach Region sogar in die zweistelligen Minusgrade. Wenn die Situation vor Aufnahme- und Registrierungsstellen für Flüchtlinge also schon im Sommer untragbar war, wird es nun richtig ungemütlich. Deswegen kam es laut dem Tagesspiegel zu Beginn der Woche vor dem Landratsamt im sächsischen Meißen zu Tumulten, weil die Wartenden nicht mehr stundenlang in der Kälte stehen wollten—ein Fakt, der Grünen-Politiker Martin Oehmichen sauer aufstieß. Der Meißener Kreisrat äußerte, dass es „vollkommen nachvollziebar ist, dass bei diesen niedrigen Temperaturen, sobald das Amt öffnet, jeder der Erste sein möchte, um so schnell wie möglich wieder in seine warme Unterkunft zu kommen."

Anzeige

Hat eigentlich mal jemand überprüft, ob der Account von Hitler vielleicht auch gehackt war?! — Hauch von Frühling (@forsythia2020)8. Januar 2016

Nicht ganz so überraschend ist es, dass der Landtagsabgeordnete der CDU, Sebastian Fischer, das etwas anders sah („Hier gelten unsere Regeln. Niemand wird gezwungen, das Geld zu nehmen. Mehr ist dazu nicht zu sagen."). Tatsächlich unvorhersehbar war allerdings, wie sich das Sozialministerium Sachsen auf Twitter zu dem Vorfall äußerte. „Wenn man das Geld geschenkt bekommt und wissentlich in ein kälteres Land auswandert, muss man auch in der Kälte warten können", twitterte der offizielle Account des Amtes am heutigen Freitag um 6.30 Uhr an Martin Oehmichen—und sorgte damit für erwartbar irritierte Reaktionen.

Das Sozialministerium ruderte mehrere Stunden später zurück, löschte den „falschen Tweet" und bekräftigte, sich „ausdrücklich von diesem Inhalt" zu distanzieren. Außerdem kündigte man an, prüfen zu wollen, wie es überhaupt zu der Aussage kommen konnte. So weit, so gut. Hätte man in einer weiteren direkten Antwort an Oehmichen, die Hamburger Morgenpost und die Süddeutsche Zeitung nicht die ultimative Alibi-Entschuldigung des Internetzeitalters aus dem Ärmel gezogen: „Wir prüfen, ob unser Account gehackt wurde."

Wir verstehen, dass es ein PR-technischer Albtraum ist, wenn über einen offiziellen Account, der laut Twitter-Bio von exakt zwei namentlich benannten Personen betreut wird, derartige Äußerungen verbreitet werden. Es ist natürlich auch möglich, dass sich irgendjemand in den Twitter-Account des sächsischen Sozialamts „gehackt" hat, um diesen einen fragwürdigen Tweet zu posten. Unabhängig davon, wie genau es dazu kommen konnte, wäre die erste und richtige Reaktion aber zu erklären, warum dieser Tweet so „falsch" ist, warum diese Aussage in sich nicht OK ist und weshalb man Verständnis dafür haben muss, dass wirklich keiner stundenlang in arktischer Kälte vor einem Amt warten möchte.

Gegenüber dem Tagesspiegel erklärte Ministeriumssprecherin Annett Hofmann, eine der Verantwortlichen für den Account: „Wir ändern jetzt alle Pass- und Kennwörter" und wollte auch nicht ausschließen, dass sich jemand innerhalb der Behörde das Passwort besorgt hätte. In einem weiteren Tweet verkündeten die Verantwortlichen außerdem, Strafanzeige gegen Unbekannt zu stellen. Was auch immer bei der Untersuchung herauskommen wird: die rechtspopulistische Facebook-Fraktion wird sich für dieses neue Argument gegen Beschwerden über die Situation für Flüchtlinge bei Minusgraden sicherlich bedanken.

In der letzten Ausgabe der Heulsuse haben wir euch die Heulsuse des Jahres wählen lassen. Der Gewinner: die besorgten Asylkritiker!