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Clubkultur

6,50 Stundensatz — in der DDR war sogar DJing streng geregelt

Wie es war, in der DDR als „Kulturpolitischer Mitarbeiter" aus dem „Fachbereich Tanzmusik und Diskotheken" zu arbeiten.

Als DJ kannst du mit einer falschen Platte den ganzen Abend versauen, manchmal sogar dein ganzes Leben—zumindest in der DDR … Damals musstest du dir schon um deine Karriere Sorgen machen, wenn du zum Beispiel im falschen Moment eine Heino-Platte aufgelegt hast. Peter Kommnick erinnert sich noch heute gut an den folgenschweren Musikwunsch eines Partygastes zu DDR-Zeiten. An einem lauen Sommerabend in einem Vorpommerschen Hinterhofgarten trug der Wind die Textzeile „Schwarzbraun ist die Haselnuss, schwarzbraun bist auch du…" des westdeutschen Volksmusik-Albinos über die Hecke hinweg in die falschen Ohren. Gleich am nächsten Morgen wurde der beliebte Plattenunterhalter „Musikwolke", so hieß Peter damals, zur Staatssicherheit zitiert: Meldung machen. „Ich hab vorher die Stones gespielt und keinen hat's gejuckt", sagt Kommnick und lacht. Von da an überlegte er zwei Mal, bevor er einen Wunsch erfüllte, obwohl dies damals gang und gäbe war.

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Wenn Peter heute in Youtube-Videos einem verschwitzten Sven Väth, dem überdosierten Ricardo Villalobos oder David Guetta beim „Mixen" zuschaut, schüttelt er nur den Kopf. „In der DDR hätte es so ein peinliches Verhalten nicht gegeben", sagt er und kramt seine „Staatliche Spielerlaubnis für Schallplattenunterhalter" aus dem Aktenordner. Wer in der DDR hinter die Turntables wollte, musste sich für einen einwöchigen Kurs des „Kreis Kabinett für Kulturarbeit" bewerben. „Wenn einer zum Gespräch in Blaumann, Gummistiefeln und ohne Zähne im Maul kam, wurde dem gesagt: ‚Das wird nichts, kannst wieder gehen'", erzählt Peter. Korrektes „Bühnenverhalten" zählte zu den elementaren Inhalten des staatlich verordneten Lehrplans, die ein „Kulturpolitischer Mitarbeiter" aus dem „Fachbereich Tanzmusik und Diskotheken" am Ende dieser Seminarwoche abfragte. Die Mentoren begannen ihren Unterricht mit Aufforderungen wie „Zeigt mir mal euren Kamm", oder „Jetzt holt mal eure Taschentücher raus", um die unvorbereiteten Möchtegern-Discjockeys sofort im Anschluss aufzuklären: „Wer als Plattenunterhalter im Jugendklubhaus spielen will, hat seine Frisur stets akkurat zu halten, die Schweißperlen von der Stirn zu wischen und mindestens ein Ersatzhemd im Koffer mitzuführen!"

Die Vergütung eines DJs war festgeschrieben auf 6,50 bis 8,50 Mark pro Stunde. Wiedergabetechnik und Tonträger zählten zum Eigenbestand des DJs und schlugen mit 25 Mark Miete zu Buche. Die Regelsätze dafür konnten Veranstalter der „Pappe", so hieß die Spiellizenz im Jargon, entnehmen. Weil in der Planwirtschaft jedoch ein eklatanter Mangel an Plattenspielern, Mixern und Verstärkeranlagen herrschte, mussten Peter und seine Kollegen den Markt selbst organisieren. Er veranstaltete eine Tauschbörse für Gebrauchtgeräte und trommelte dafür Musiker aus allen Bezirken des Landes zusammen. „Einer hatte von Gott weiß woher ein Sennheiser-Mikrofon, jemand anderes einen Phillips-Plattenspieler und dann wurde eben getauscht", erzählt Peter stolz, denn vor ihm hatte keiner diese goldene Idee gehabt. Später vermittelte Kommnick als Leiter des Jugendklubhauses in Löcknitz sogar Kredite an DJs, was ein großes Privileg war.

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Nicht nur die Beschaffung von Equipment erforderte Kreativität, auch der Kauf von Schallplatten war denkbar schwierig. Die örtlichen Plattenhändler erhielten meist nur zehn der heißbegehrten Lizenzplatten, so hießen die unter dem Ostlabel „Amiga" produzierten Westplatten von den Beatles oder den Rolling Stones. Nach Prüfung der amtlichen Lizenz konnten DJs binnen einer Frist von 14 Tagen diese Neuveröffentlichungen erwerben. Vinyl, das den Test der staatlichen Prüfstellen nicht bestanden hatte, musste Kommnick auf Besuchsfahrten in Polen organisieren und in die DDR schmuggeln. „Ich hab am liebsten Singles gekauft, weil die sich leichter verstecken ließen" sagt er und zeigt auf seine breite Brust, die sich wunderbar als Versteck eignete. Später, als statt der Schallplatten vermehrt Tonbänder in den Klubs zum Einsatz kamen, traf man sich in so genannten „Mittschnittwerkstätten". Für diese Anlässe kam ein Mann vom Rundfunk aus Berlin in die Provinz und platzierte sich mit seinem Tonbandgerät im Raum. An einer U-förmigen Tischreihe saßen die DJs mit ihren Tonbandgeräten und konnten sich über eine kleine Buchse mit dem Gerät des Radiomenschen verbinden. Gefiel Peter ein Stück, drückte er die Aufnahmetaste und sammelte so sein Material für die Auftritte im Club. Überhaupt erforderte ein Gig in der DDR andere Fähigkeiten und Vorbereitungsmaßnahmen als ein Set in der Panoramabar heute: Die Plattenunterhalter mussten auch verschiedene Programme für „Weinabende" oder „Sportveranstaltungen" in petto haben. Denn im DJ-Kurs hatten sie nicht nur gelernt, die passende Musik auszuwählen, sondern auch kleine Showeinlagen wie Gesang oder Spiele einstudiert, um das Publikum zu amüsieren.

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Entgegen des Klischees unterlag die Musikauswahl keiner gesetzlichen Regulierung. Die ausdrückliche „Empfehlung", 60 Prozent Ost-Musik und höchstens 40 Prozent Musik aus dem kapitalistischen Ausland aufzulegen, beherzigte man allerdings besser. Als „kulturpolitischer künstlerischer Mitarbeiter" musste Peter an Wochenenden in Begleitung einer Dame vom Jugendamt und einem Polizisten durch die Jugendklubs ziehen und Kontrollen durchführen. „Ich war nie in der Partei, aber weil ich mich mit Diskotheken auskannte, sollte ich die DJs auf ihre Lizenzen prüfen. Das lief aber kollegial und auf Augenhöhe ab", erklärt er.

Wie dann unangemeldete Kontrollen aussehen können, merkte Peter, als er bei einer Open-Air-Party auf dem Alexanderplatz in Berlin der Menge einheizte – bis ihm plötzlich ein Herr in einem beigen Mantel auf die Schulter tippte und ihn aufforderte, ruhigere Stücke anzuspielen, weil man Randale befürchtete. Das war bereits kurz vor den Leipziger Montagsdemonstrationen.

In jenem Jahr 1989, als im November die Mauer fiel, brach Peter im September zu seiner letzten Tournee auf. Acht Wochen lang tourte er in einem klapprigen Sowjetbus durch Sibirien, um bei Minus 40 Grad die Brigaden beim Trassenbau zu unterhalten. „Das lief im Schichtbetrieb von 19.00 bis 23.00 Uhr für die Spätschicht, dann bis 6.00 schlafen und ab 07.00 Uhr für die Frühschicht auflegen", erinnert sich Peter und denkt mit Graus an die Trassenbowle, ein Mischgetränk aus hochprozentigen Spuckschlücken, das man aus Milchkannen trank.

Heute, über ein Vierteljahrhundert später, spielt Peter als „DJ Peet" auf Hochzeiten und Silvesterfeten im Raum Hamburg. Er hört gerne Reggae, legt aber auf den jeweiligen Veranstaltungen so ziemlich jedes Genre auf. Er erfüllt auch wieder Musikwünsche, doch ein bisschen Nostalgie klebt auch heute noch an seiner Plattentasche, die mittlerweile nur noch einen Laptop enthält: Ein zweites Hemd und einen Kamm hat er in seinem Köfferchen immer dabei.