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Videospiele

Videospiele sind Nahrung für dein Gehirn

Videospiele verraten uns mehr über unseren kollektiven Appetit und unsere Haltung gegenüber Essen, als wir denken.
Photo via Flickr user Meng He

Videospiele sind eine differenzierte Kunstform, in der Essen schon seit Higinbothams Tennis for Two (ein Spiel, das kein Essen im eigentlichen Sinne beinhaltet, logisch, weil es nur aus ein paar Linien auf einem Bildschirm besteht) die Besucher des Brookhaven National Laboratory in Begeisterung versetzte, eine komplexe Rolle spielt.

Die Versuchung ist groß, eine lange Liste von der Dokumentierung von Essen in Videospielen im Hinblick auf Dauer oder Thema anzuführen und aufzuzeigen, dass diese Spiele—wie zum Beispiel Pac-Man und seine Kügelchen, wo du nur das nächste Level erreichen kannst, wenn der gefräßige gelbe Typ alles verschlungen hat, was es zu verschlingen gibt (ein bisschen wie ich bei einem Frühstücksbuffet) oder die Mario-Spiele (oder Donkey Kong oder Banjo-Kazooie [RIP] oder Kirby oder eigentlich fast alle, die in die Kategorie Jump'n'Run fallen) ein weniger abstraktes Bild von Essen und unserer Beziehung dazu zeichnen, als du denkst.

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In Videospielen hat bestimmtes Essen einen Nutzen, anderes wiederum schadet dir. Genauso verhält es sich auch in der echten Welt. Avocados machen deine Haut schön, während du vom Verzehr der Styropor-Box deines Kebabs definitiv nichts hast.

Die traurige Realität ist aber, dass Pilze uns nicht doppelt so groß oder stark werden lassen wie Mario (ich hab's versucht und bin um 6 Uhr morgens an der Endstation im Nachtbus aufgewacht) und der Italiener, der 15 streunende Katzen gegessen hat, ist auch nicht plötzlich um ein vierfaches anmutiger geworden oder konnte besser balancieren. Wenn er Kirby wäre, schon.

Möglicherweise hat Resident Evil die traditionelle Formel von Spielen wie Pac-Man umgedreht, indem es den Spieler zum Kügelchen gemacht hat, in Anlehnung an George Romeros Living Dead-Filme, in denen Menschen die Ware waren, die verschlungen wurde. Von da an konntest du, wortwörtlich, das Essen sein.

Die Geschichte von Essen ist aber vielschichtiger und geht über die physischen Aspekte hinaus und ins konzeptionelle über. Essen als Spiel und Spiele als Essen.

Im Hinblick auf letzteres sollten wir einen Blick auf die wundersame Welt des Produktplatzierung werfen. Kool-Aid beispielsweise hat ein eigenes Videospiel, mit dem sie dich dazu zwingen, ihre Scheiße im wahren Leben zu konsumieren. In Shenmue kannst du der streunenden Katze im Spiel Thunfisch verfüttern, einfach nur, weil du ein guter Mensch bist (was dann der perfekte Moment ist, einen charmanten, aber grottenschlechten Dialog einzuschieben). Und dann gibt es noch die ziemlich beeindruckenden Food Blogs, die Gerichte oder Drinks aus Videospielen, wie Rock Sirloin, Gorons Nahrung in Zelda, oder Estus, das Elixier aus Dark Souls, in akribischer Sorgfalt nachkochen.

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Rock Sirloin (1)

Rock Sirloin. Foto von www.geekychef.com

Wenn du in Persona 4 scharfe Ramen isst, wird sich der Mut deines Charakters um eine bestimmte Zahl in einer Tabelle erhöhen oder wenn dir danach ist, kannst du eines der zahlreichen Cooking Mama-Spiele spielen, die sich voll und ganz dem Zubereitungsprozess in all seiner Pracht widmen und auf die anstrengende Tätigkeit des Essens verzichten. Aber es gibt eine tiefere, neurologische Begründung, warum Essen und Spiele so eng miteinander verbunden sind, warum Spiele Essen sind.

Ich erkläre euch das anhand zwei der berühmtesten Spiele der Welt. Metal Gear Solid mit seinem fantastischen schwarzen Humor und seiner philosophischen Seite steht Snake, dem Commodore 64-Spiel, das es später auch fürs Handys gab und uns allen Ende der 90er Sehnenscheidenentzündung bescherte, in keiner Hinsicht nach. Die beiden Spiele haben zwar auf den ersten Blick außer dem Namen (Snake ist einer der Hauptcharaktere in MSG) nicht viel gemeinsam, sind aber durch das Konzept des Konsums als Teil des Spiels verbunden.

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Snake: die glorreichen Jahre. Foto: Arvid Rudling via Flickr.

In Snake kontrollierst du eine Linie, die sich auf einer Fläche bewegt, die auf allen vier Seiten abgegrenzt ist. Die einzige Mission ist es, so viele Punkte wie möglich aufzufressen, die nach dem Zufallsprinzip auf der Fläche erscheinen. Du kennst das schon.

Mit jedem gefressenen Punkt wird die Schlange immer genau um einen Punkt größer, was dem Spieler ein klares Erfolgserlebnis bietet—schau, meine Schlange ist doppelt so groß wie deine!—aber gleichzeitig wird es auch immer schwieriger, größer zu werden, ohne dabei in sich selbst zu krachen und zu sterben. Das ist doch eine tolle Metapher dafür, dass du, wenn du zu viel isst, so fett wirst, dass du dich nicht mehr bewegen kannst, ohne dass deine Körperteile aneinander reiben.

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Aber der Wettbewerbsaspekt des Spiels füttert unser Gehirn durch chemische Reaktionen mit einem Gefühl der Befriedigung und vermittelt den Eindruck der Endlichkeit, während wir insgeheim genauso einfach schlagbar sind, wie Arsenal in der Premier League-Saison 2003/04. Ich kenn keinen, der das Spiel jemals gewonnen hat, aber ich kenne zahlreiche, die es als Gehirnnahrung verwendeten, um ihre kognitiven Fähigkeiten, ihre Hand-Augen-Koordination und ihre Orientierungsfähigkeiten zu verbessern.

Letztes Jahr stellte ein Russe, der behauptete, das beinahe Unmögliche erreicht zu haben, ein GIF ins Internet, das sowohl dich, als auch die Geschwindigkeit deines Computers ruinieren wird und wahrscheinlich 99% aller, die das Spiel jemals gespielt haben, verrät, dass die Belohnung für den allerletzten Punkt ein Screen ist, auf dem steht: „Und jetzt zeigen wir dir einen Cartoon. Verbindung zum Server. Keine Verbindung. Danke. Du kannst jetzt gehen."

Das mag aufs erste ein bisschen dreist erscheinen. Kein Cartoon, keine Verbindung. Nur eine passiv-aggressive Art dir zu sagen, „Danke und jetzt verpiss dich", als ob es deine Schuld wäre, dass keine Verbindung zum Server hergestellt werden kann und nicht weil er wahrscheinlich vor zehn Jahren zu einem Toaster recycled wurde. Ich würde aber trotzdem wetten, dass jeder, der ein Spiel wie Snake bis zum Ende geschafft hat, sofort noch einmal von vorne beginnen würde und die Nachricht des Spiels, jetzt gehen zu dürfen, ignorieren würde, weil Snake es auf dem Weg dahin geschafft hat, die Nervenzellen der Spieler so umzuprogrammieren, dass sie von den Happen Erfolg zehren, genau wie die Schlange von den Punkten zehrt, bis sie mit ihrem immer länger werdenden Körper zusammenstoßt. Das ist ein langatmige Erklärung dafür, dass das Spiel die perfekte Metapher für Ouroboros—die Schlange, die ihren eigenen Schwanz frisst—ist.

Bei der Zyklizität der Spielsucht, das Nur-noch-ein-Mal-Syndrom, handelt es sich nicht um ein isoliertes Phänomen—du musst nur jemanden fragen, der Fußball spielt oder Chicken Nuggets mag—und genau dieses Thema des unersättlichen Konsums geht Metal Gear Solid an.

MGS ist eine eigenartige Wahl, weil nur ein einziges Spiel der Serie tatsächlich Essen beinhaltet. Wir sollten allerdings den Jagdteil von Metal Gear Solid 3 unter die Lupe nehmen: Snake Eater, bei dem—ja, genau—die Schlange in MGS Schlangen isst, ist wunderbar kohärent. Daraus folgt—nur noch ein kleines bisschen Geduld—, dass Naked Snake aka Big Boss, die ursprüngliche Schlange, geklont wird—wodurch drei weitere Schlangen geschaffen werden, die irgendwann versuchen werden, ihren Vater zu ersetzen. Es ist das gleiche simple Prinzip, wie wenn du das Nokia Snake-Spiel immer wieder von vorne beginnst mit verschiedenen, aber identischen Schlangen.

Es geht das recht überzeugende Argument um, dass Metal Gear Solid 2 von Kojima als eine Art „Fick dich, Konsumkultur" konzipiert wurde, was ihn dazu zwang, immer wieder mit dem gleichen Konzept aufzufahren: Statt der Schlange musst du als Raiden spielen, der ein Vollidiot ist und was deshalb nicht mal annähernd soviel Befriedigung bringt. MGS2 ist das Spiel, das bisher wohl mit dem regelmäßigen Durchbrechen der vierten Wand und den metafiktionalen Grübeleien Werken wie Fahles Feuer von Vladimir Nabokov am nächsten kommt.

Wie, fragt das Spiel, erfüllt dich diese immer gleiche Erfahrung immer noch?