Fotos von Nikita Teryoshi aus seiner Serie Nothing Personal
Fotos: Nikita Teryoshin
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Fotos: Häppchen, Hightech und der Tod

Seit acht Jahren besucht der Fotograf Nikita Teryoshin Rüstungsmessen auf der ganzen Welt. Wir haben mit ihm über seine Eindrücke gesprochen.
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Dieser Artikel ist Teil von "The Final Issue", der letzten deutschen Printausgabe von VICE

Im Auftrag von VICE besuchte der Fotograf Nikita Teryoshin vor acht Jahren zum ersten Mal eine Rüstungsmesse. Seitdem ist er den Händlern des Todes auf der Spur. Über fünf Kontinente und 15 Länder hat er ihre Arbeit schon verfolgt. Mit seinen preisgekrönten Fotos zeigt er eine Welt, die nicht gezeigt werden will. 

VICE: Wie ist die Stimmung auf Rüstungsmessen?
Nikita Teryoshin:
Ein bisschen wie in schlechten Hollywoodfilmen.

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Was meinst du genau?
Man sieht dort viele Klischees. Zum Beispiel die typischen Bad Guys. Männer in schlecht sitzenden glänzend-grauen Anzügen. Aber auch Saudis in traditioneller Kleidung und uniformierte Militärs aus aller Welt. Eine interessante Mischung. Dazu gibt es Häppchen, Wein und Bier – beziehungsweise in Abu Dhabi viel Süßes.

Eine entspannte Atmosphäre.
Ja, tatsächlich. Man erlebt dort einen krassen Gegensatz zum Krieg.

Fotos von Nikita Teryoshi aus seiner Serie Nothing Personal

Deine Fotos zeigen vor allem Männer. Entspricht das dem Bild vor Ort?
Kürzlich habe ich ein Werbevideo einer Waffenmesse in Saudi-Arabien gesehen. Darin betonen die britischen Veranstalter, dass man durchaus darauf achte und sich freuen würde, mehr Frauen in diesem Business zu begrüßen. Das ist genauso absurd, wie für recycelbare Bomben zu werben.

Selbst die Waffenindustrie will diverser werden?
Diverser und klimagerechter. Da nimmt die Rüstungsindustrie auch kein Blatt vor den Mund. Zum ersten Mal ist mir das in Moskau bei einer Waffenmesse aufgefallen. Dort war ein Kalaschnikow-Sturmgewehr ausgestellt und dazu die Worte: "70 years defending peace." Ich fand das unglaublich. Mit der Kalaschnikow wurden weltweit wahrscheinlich die meisten Menschen erschossen. Auf einer Messe in den USA wurde wiederum ein Panzer mit den Worten "Engineered for life" angepriesen.

Zeigst du die Gesichter der Besucher deshalb nicht, weil die Rüstungsindustrie am liebsten unsichtbar bleibt?
Es war auch als Metapher dafür gedacht, dass diese Industrie am liebsten unter dem Radar der Medien agiert. Dadurch kommt es auch zu solch unglaublichen Slogans, zu Besäufnissen und anderen irrsinnigen Geschichten auf den Messen. Die sind nur für ein Fachpublikum zugänglich, aber ich finde, dass die Öffentlichkeit davon erfahren sollte. Denn während immer irgendwo Krieg herrscht, wird auf diesen Messen gefeiert. Der Tod lauert um die Ecke, aber er ist auch weit weg.

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Fotos von Nikita Teryoshi aus seiner Serie Nothing Personal

Welche irrsinnigen Geschichten hast du auf Rüstungsmessen erlebt?
Eine davon war sicher eine Torte, die in Abu Dhabi serviert wurde. Man sah darauf eine modellierte Explosion, um die Kampfjets flogen. Außerdem Panzer, ein Kriegsschiff und einen Soldaten. Irgendwelche Militärs haben sie dann mit kleinen Plastikgabeln verspeist. Ich fand das unfassbar. Man kennt solche Torten von Hochzeiten oder Firmenfeiern. Aber dort wurde damit komplett zynisch der Krieg abgefeiert. Zur gleichen Zeit führte eine Koalition aus Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten in Jemen einen Krieg gegen die Huthi, in dem sie auch Schulen und Krankenhäuser bombardierte. Nicht mal 1.000 Kilometer entfernt. Und dort essen sie diesen Kuchen. Das sind diese Momente, in denen du überlegst, wie du das überhaupt mit der Kamera einfangen sollst.

Wie erhältst du als Fotograf, der sich kritisch mit Rüstungsmessen befasst, dort überhaupt noch Zutritt?
Ich glaube nicht, dass sich die Veranstalter solcher Messen für Fotokunst interessieren. In den Jahren 2018 und 2019, als ich auf circa fünf Messen pro Jahr war, habe ich die Arbeit aber bewusst nicht auf meiner Homepage gezeigt. 2016 hatte ich die ersten Fotos auf VICE.com veröffentlicht, woraufhin sie um die Welt gingen und in vielen weiteren Publikationen landeten. Als ich eine Ausstellung in Straßburg hatte, sagte jemand, dass es auf den Fotos wie im „back office of war“ aussehe. Das fand ich sehr passend. Deshalb heißt die Serie und das Buch dazu auch Nothing Personal - the back office of war.

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Fotos von Nikita Teryoshi aus seiner Serie Nothing Personal

Wie haben die Menschen auf dich und deine Kamera reagiert?
Ich habe bei dieser Arbeit einen durch VICE inspirierten Gonzo-Ansatz verfolgt. Dabei kam ich mir oft wie ein Alien vor. Ich dachte, ich habe überhaupt keinen Plan von Waffen und wenn mich jemand fragen würde, was ich von diesem oder jenem halte, würde ich sofort auffallen. Außerdem kannst du nicht untertauchen, wenn du alle anblitzt. Aber ich hatte den Vorteil, dass ich die Leute ohnehin anonym fotografieren wollte. Und wenn jemand etwas vor dem Gesicht hat, fällt ihm auch nicht mehr so auf, dass er fotografiert wird. Oft denken die dann, dass ich nicht sie fotografiere, sondern eine Bombe oder so.

Es gibt ein Foto von einem Offizier in Minsk, der vor einer Satellitenschüssel steht. Deren Schrauben bilden einen Heiligenschein um seinen Kopf. Als ich ihn fotografiert habe, drehte er sich um und sagte: „Oh, Entschuldigung, ich gehe mal besser beiseite.“ Ich habe dann gesagt: „Nein danke, Sie haben das schon perfekt ergänzt.“ Aber das zeigt, dass die Leute da in einer Bubble sind.

Fotos von Nikita Teryoshi aus seiner Serie Nothing Personal

Wie denkst du über diese Leute?
Man weiß natürlich nie, in welcher Funktion die Leute vor Ort sind. Auch deshalb wollte ich keine Gesichter zeigen. Wahrscheinlich findet dort jeder seine eigene Rechtfertigung und redet sich das schön. Das gibt es auch, wenn man Fleisch isst, obwohl man die kleinen Ferkelchen süß findet. Jeder kennt das. Ich glaube zwar schon, dass es bei Waffenmessen auch wirklich bösartige Leute gibt. Aber es ging mir nicht darum, das personifizierte Böse abzubilden. Es ging mir eher um die Banalität. Diese Mischung aus neuester Technik, irgendwelchen Häppchen und dem Tod, der immer über allem schwebt.

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Was hast du in all den Jahren über die Rüstungsbranche gelernt?
Je schlechter es der Welt geht, desto besser geht es Rüstungsfirmen. Wahrscheinlich ist das die zynischste Industrie der Welt. Einmal wurden meine Fotos von einem Magazin abgelehnt, weil sie zu zynisch seien. Aber es sind nicht die Bilder, die zynisch sind, sondern das, was sie zeigen.

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Fotos von Nikita Teryoshi aus seiner Serie Nothing Personal
Ein Loch in einer Wand, durch das man Menschen in Anzügen sieht, der Fotograf Nikita Teryoshin hat viele Waffenmessen besucht.
Fotos von Nikita Teryoshi aus seiner Serie Nothing Personal
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