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Achtung, wichtige Durchsage: “Y.M.C.A.” von den Village People ist richtig gut und bedeutend

Der Song läuft zwar auf jeder Firmenfeier, trotzdem hilft er dir als Mann, deine eigene Männlichkeit zu reflektieren.
Dieser Artikel ist zuerst bei THUMP UK erschienen. Foto: WikiCommons/Mario Casciano (CC BY SA 3.0)

Als ich noch jung, unreif und gefühllos war, war ich fest von drei Dingen überzeugt. Erstens: Jede Mahlzeit, die hauptsächlich aus Gemüse besteht, ist ungenießbar. Zweitens: Bier ist ein absolut widerliches Gesöff, das ich mir nie und nimmer einverleiben werde. Drittens und eigentlich am wichtigsten: Jener Lobgesang auf männliche Inklusion mit dem Titel "Y.M.C.A." von den Village People aus dem Jahr 1978 ist das wahrscheinlich furchtbarste Stück Musik, das je aufgenommen wurde.

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Heute gebe ich nicht selten zehn Euro für eine Schüssel gedämpfter Zucchini und roher Pak Choi aus, stürze ein herrlich-kühles Bier nach dem anderen runter und runde meinen Tag mit etwas "Y.M.C.A." in Dauerschleife ab—was noch ich vor zehn Jahren für so wahrscheinlich gehalten hätte wie Donald Trump als Präsidentschaftskandidaten. Ich bin der Mann geworden, der ich nie werden wollte. Und das fühlt sich, das muss ich mir an dieser Stelle eingestehen, einfach großartig an.

Der Grund, warum ich den Song damals so furchtbar fand, war recht simpel. In meinem Kopf—dem Kopf, in dem ich ein intellektuelles Genie, vorbestimmt für irgendeine Form der Weltherrschaft war; dem Kopf, der großzügig ignorierte, dass ich eigentlich ein sonderbarer und extrem unglücklicher Junge war, der sich nicht wohl in seiner Haut fühlte—war "Y.M.C.A." nämlich so grauenvoll, wie es nur ging. Es war der Sound von Disco-Abenden in der Schule, die ich nie besuchte, und von Geburtstagspartys, zu denen ich nicht eingeladen wurde. Es war ein Lied, das bis zum Himmel nach dem Parfüm-, Bier- und Kippengemisch eines Festzelts stank—ein verkrustetes Relikt aus einer Ära, die niemand zurück haben wollte. "Y.M.C.A." war Hans Meiser und Instant-Kartoffelpüree, Telefonkarten und ein verregnet-grauer Wochenendausflug nach Büsum. "Y.M.C.A." war eine Abscheulichkeit, ein eitriger Pickel auf dem breiten Rücken der Musik—und ich wollte absolut nichts damit zu tun haben.

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Ich bettelte förmlich darum, dass es aufhört. Aber das tat es nie, denn "Y.M.C.A." läuft immer irgendwo.

Und so habe ich das jahrelang auch gehalten. Als menschliches Wesen in der westlichen Welt ließ es sich aber natürlich auch nicht vermeiden, dass sich der alte Gassenhauer hier und da wie ein geschmackloser Witz in mein Leben schlich. Immer wenn das geschah, rollte ich mich in Embryonalstellung zusammen und wimmerte wie ein lahmendes Fohlen—ich bettelte förmlich darum, dass es aufhört. Aber das tat es nie, denn "Y.M.C.A." hat sich dermaßen in unsere Psyche eingebrannt, dass es immer irgendwo läuft.

Während du diese Zeilen liest, steht irgendwo in Deutschland ein Typ mit Perücke und kaputter Hüfte, lutscht ein Pfefferminzbonbon und wirft ungelenk seine steifen Arme in die Luft. An einem anderen Ort singt eine kleine Schwester das Lied Playback in ihre Haarbürste—noch weiß sie nicht, dass der Song später in ihrem Leben noch eine wichtige Rolle bei einem besonders peinlichen Vorfall während einer Übernachtungsparty spielen wird. Diese Dinge werden passieren, bis die Erde implodiert und die Menschheit mitsamt ihrer Geschichte und ihrer Kultur im kalten Nichts des Universums verpufft. Und selbst dann wird noch irgendwo im All zu hören sein: "It's fun to stay at the Y.M.C.A."

Mit den Jahren wurde ich älter, verstand immer weniger von der Welt, wurde weicher und weniger anfällig dafür, meine Umwelt mit den selbstgefälligen Aussagen zu behelligen, die meine Jugend so unschön entstellt hatten. Diese neue Version meines Selbst hatte begonnen, Disco zu akzeptieren, zu mögen und letztendlich sogar zu lieben. Und obwohl diese Version meines Selbst noch nicht wirklich bereit war, die Village People mit offenen Armen in mein Herz zu schließen, das ich bereits für Donald Byrd, GQ, The Gibson Brothers und sogar Alcazar geöffnet hatte, ich befand mich auf bestem Wege dorthin.

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Um zu verstehen, warum—und hier ist die große Offenbarung, auf die du so sehnlichst gewartet hast—"Y.M.C.A" einen Platz im großen Disco-Kanon verdient hat, musst du auch verstehen, dass hinter dieser furchtbar eingängigen Melodie, weit abseits der Junggesellinnenabschiede und Firmenfeiern, ein unglaublich ehrliches Lied über die Fragilität des männlichen Daseins wartet, das eine intensive Auseinandersetzung verdient hat. Jetzt denkst du vielleicht nicht ganz zu Unrecht: "Ach, super. Die Welt hat auf nichts anderes gewartet, als auf Musik, die sich dem Mühsal männlichen Daseins widmet." Vielleicht hast du auch recht, aber warte doch einen Moment. "Y.M.C.A." verfügt über eine derartige emotionale Tiefe, dass so mancher Künstler sich ein, ja, vielleicht sogar zwei Eier abschneiden würden, um nur irgendwo in die Nähe davon zu kommen.

Wie wir alle nur zu gut wissen, haben Männer so ihre Probleme mit direkter Kommunikation. Wir können die ganze Nacht in einer Bar sitzen, ohne auch nur ein Thema von emotionalem Belang anzusprechen. Wir können stundenlang mit unseren Vätern im Auto sitzen, ohne etwas zu sagen bis auf "Gott, Till Schweiger ist so ein Trottel." Wir können Trauzeuge bei der Hochzeit unseres besten Freundes sein und alles, was wir rauskriegen ist ein gestammeltes "Glückwunsch!"—nach neun Pils, drei Wodkas und einer Bratensoße-Absinth-Mische, die du aus dem Hut der Brautmutter zu dir nimmst, versteht sich. Die Vorstellung, sich tatsächlich mit jemandem über ein ernstes Thema zu unterhalten, erfüllt die meisten von uns mit dem gleichen Schrecken wie eine anstehende Wurzelbehandlung oder ein nüchterner Karaoke-Abend. Im besten Fall ist es uns bloß unangenehm und wir wissen nicht, wie wir uns ausdrücken sollen; im schlimmsten Fall sind wir kaputt und stumm. Indem wir uns hinter Statistiken oder fadenscheinigen Listen verstecken, kehren wir der Realität den Rücken zu—verängstigt von den Konsequenzen, die ein anderes Leben mit sich bringen würde.

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Kurz gesagt, wir sind einfach furchtbar.

Nun, ich jedenfalls. Und der Großteil meiner Freunde. Und der Großteil der Freunde meiner Freunde auch. Aber weißt du, wer nicht furchtbar war? Die Jungs, die wir als die Village People kennen. Die Village People—in all ihrer augenzwinkernden Macho-Herrlichkeit—haben ihre Tage und Nächte wahrscheinlich damit verbracht, sich gegenseitig über die großen Themen des Lebens die Ohren abzukauen: Sex, Religion, Tod und wo es den besten Burger gibt. Woher ich das weiß? Ich weiß das, weil ich mittlerweile jemand bin, der aktiv und aus freien Stücken "Y.M.C.A." hört.

Denk nur einmal kurz drüber nach: "Y.M.C.A." ist eine hemmungslose Ode an männliche Unterstützernetzwerke. "Young man, there's no need to feel down / I said, young man, pick yourself off the ground", singen sie aus voller Inbrunst. Es ist dieses direkte "young man", das mich immer wieder rumbekommt—wir alle sind mal dieser abgebrannte und deprimierte junge Mann gewesen, den sie hier ansprechen. Und wenn du ein junger Mann bist, ist es schwer nach Hilfe zu fragen. Die Village People wissen das. Sie verstehen das. Und weil sie das verstehen, reichen sie dir ihre helfende Hand. Im Gegenzug wollen sie aber nichts als deine Gesellschaft, denn sie wissen, dass auch du eigentlich nur Gesellschaft willst. "They have everything for you men to enjoy / You can hang out with all the boys." Kann irgendetwas einfacher, kann irgendetwas besser sein?

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Der Song galoppiert in einer derartig rasanten Geschwindigkeit voran, dass all seine Ernsthaftigkeit und unterschwellige Traurigkeit von der lebendigen Wildheit des Ganzen weggeblasen wird. Die Strophe—ein unermüdlich wirbelnder Derwisch von einer Melodie—trägt seinen Teil zur emotionalen Verblendung bei. Niemand hat Zeit, sich über Einsamkeit und Armut den Kopf zu zerbrechen, wenn er gerade "ISSSS FUN TO STÄÄYY AT THE WHYYYYYY ÄÄMMMM SIIIIIIIII ÄÄÄYYYY" singt und versucht, die Arm-Choreo auf die Reihe zu bekommen.

Und das hat dazu geführt, dass ich jetzt etwas wertzuschätzen weiß, dass ich früher einmal als eine Art totemistische Teufelsfigur gesehen hatte. Für mich repräsentierte es alles, was an der Popkultur falsch ist. Die versteckte Melancholie des Songs aber ist, sobald man sie einmal entdeckt hat, unfassbar ansprechend. Es ist ein Schrei nach Hilfe und Anerkennung, maskiert als kitschige Gute-Laune-Musik für angetüdelte Tanten und vollgefressene Onkels. Das ist die Macht von Disco—unter dem Glitz und Glamour, den seidigen Streichern und treibenden Bläsern, den butterweichen Strophen und den niemals enden wollenden Refrains, spielt sich etwas unfassbar Trauriges ab. Alle guten Dinge, alle guten Nächte, haben irgendwann ein Ende. Nichts behält seinen Glanz.

Ich wünschte mir nur, dass ich auch die Jahre davor schon so aufmerksam zugehört hätte. "Young man, young man, put your pride on the shelf", in der Tat.

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