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Drogen

Babysitting für Druffies

Die Fusion ist ein einziger hedonistischer Exzess—wie gut, dass es jemanden gibt, der sich um diejenigen kümmert, die es etwas übertrieben haben.
Symbolbild imago/ITAR-TASS

Wer kennt das Problem nicht? Man hat sich mal wieder eine Ladung LSD reingefahren und plötzlich fängt der Teppich vor dir an, sich zu bewegen und eine kleine Fee erzählt dir was von Geopolitik und Wagner. Sobald man realisiert hat, wer da gerade mit einem redet, kommt die Angst auf. So etwas passiert jetzt vielleicht nicht tagtäglich, aber wenn ihr schon mal auf der Fusion wart, dann wisst ihr: Alles ist möglich. Alltag quasi. Die Organisation eclipse leistet die psychedelische Ambulanz auf Festivals und hilft eben genau in solchen Festival-Alltagssituationen weiter. Joe Schraube ist ein so genannter Tripsitter bei eclipse und fährt jedes Jahr mit auf die Fusion, um Leute auf ihren Trips zu begleiten.

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Dieses Jahr sind wir auch auf die Fusion gefahren, um uns mit Joe zu unterhalten und um uns eine kleine Tripsitting-Ausbildung geben zu lassen. Da diese nicht sehr lange dauert, konnten wir auch gleich loslegen. Der erste Fall war Etienne (Namen von der Redaktion). Mit seinem hinreißenden französischen Akzent erzählte uns, wie er 50 Stunden vorher LSD genommen hatte und daraufhin in sein Auto gestiegen ist, um vom Festival-Gelände raus in die Natur zu fahren. Nach stundenlanger Autofahrt ist Etienne wieder eingefallen, dass er Drogen konsumiert hatte und überhaupt nicht Auto fahren kann, bzw. darf. Also ist er als verantwortungsbewusster Bürger ausgestiegen und wollte den stundenlangen Weg zum Festivalgelände zu Fuß zurücklegen. Doch dann ist ihm aufgefallen, dass er vielleicht nie wieder sein Auto findet, wenn er jetzt losläuft. Es sei denn, er meldet es als gestohlen. Also hat Etienne sein Auto verwüstet, den Schlüssel weggeworfen und seinen Rucksack mit all seinen Sachen zur Sicherheit auf irgendein Feld geworfen. Danach ist er stundenlang durch die Wälder gelaufen, bis er das Festivalgelände wieder gefunden hatte, um sich dann von uns tripsitten zu lassen. Etienne war sehr aufgelöst und hatte Sorgen, weil er nicht nur sein Auto, seine Sachen und seine Orientierung verloren, sondern auch all seine Drogen im Handschuhfach hatte liegen gelassen hatte. Wir haben ihm dann eine Banane gegeben und Joe hat ihm gut zugeredet. Denn in der Ausbildung haben wir gelernt: Leute auf Trips stehen auf nette Menschen und Bananen. Jedenfalls ist das ein Resümee, das man aus unserem Gespräch mit Profi-Tripsitter Joe ziehen kann, der uns die wichtigsten Grundlagen, seine Erfahrungen und ein paar Geschichten erzählte.

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THUMP: Kannst du erstmal kurz erklären, was Tripsitting genau ist und was du machst?
Joe Schraube: Das Problem bei psychedelischen Drogen ist nicht unbedingt ein medizinisches, sie können aber psychisch nicht ganz einfach sein. Es können Ängste auftauchen und man kann mit dem völlig veränderten Erleben schlichtweg überfordert sein. Ich kann mich auch noch an meinen ersten Trip erinnern. Auf so einem Festival findet man oft keinen geeigneten Platz, um zu erleben, wie alles anfängt.

Deswegen seid ihr hier vor Ort, damit man zu euch kommen kann, wenn man Probleme auf dem Trip hat?
Ja genau. Nebenbei gibt es dann auch noch Chill-Out, Obst und Drogeninformation. Viele kommen auch vorbei, um sich zu informieren, was sie mischen können. Meiner Erfahrung nach ist es wichtig, geschickt zu mischen, ein bisschen so wie beim Essen kochen. Ein bisschen Gewürz hier und da, aber nicht einfach alle Zutaten, die ich in der Küche finde, hintereinander in einen großen Topf werfen und umrühren. Aber die Kernidee ist, dass manchmal nur wenig notwendig ist, um einen unangenehmen Trip in einen guten zu wandeln. Dann fragen wir, ob sie sich hinsetzen wollen, ob sie eine Banane essen wollen und dann ist plötzlich wieder alles gut und die Leute wuseln davon.

Fotos mit freundlicher Genehmigung von eclipse

Und das nennt sich dann Tripsitting.
Ja genau. Das Sitten ist im Prinzip ein ganz netter und passender Begriff, weil sich die Probanden dann oft auch ein bisschen kindlich benehmen.

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Wahrscheinlich kommen viele auch, wenn sie einen Horrortrip haben.
In der Regel kriegen wir die problematischen Fälle, klar. Oft werden Leute von ihren Freunden gebracht, weil es jemandem nicht gut geht, was das dann auch immer ist.

Wie läuft das dann ab?
Unser erster Job ist es abzuklären, ob es überhaupt ein Fall für uns ist. Wenn das Leben bedroht wird, ist es ein Fall für die Sanitäter. Wenn es psychische Probleme sind, können die Sanis nicht viel mit ihnen anfangen, weil sie massiv stören, desorientiert sind und alles anfassen wollen.

Was war dein längster Tripsitting Einsatz?
Wir hatten hier mal jemanden, der wirklich eine absurde Menge von Speed und Ketamin im Wechsel eingenommen hat und immer mehr, mehr, mehr. Ich dachte ja, da stirbt man dran. Und der war dann die ganze Fusion über hier und war in einem komplett psychedelischen Zustand. Er hat sich immer mehr verkrochen, wollte niemanden sehen, hatte Angstzustände. Er war dann am Sonntagmorgen soweit, dass er seinen Rucksack genommen hat und dann nach Hause zu seinen Eltern gegangen ist. Das fand ich total süß. Er hat sich dann wirklich wie ein kleiner Junge geschämt, dass er Mist gebaut hat. (lacht)

Noisey: Warum geht es dir nach einem Festivalwochenende so beschissen? Wir haben einen Arzt befragt

Wie alt war er denn?
Keine Ahnung, 17 oder 16. Eine Regel ist, nicht auf Trip Drogen nachzukonsumieren. Du weißt einfach nicht, was ein Gramm ist. Er hatte einfach zum Schluss irgendwie drei Gramm Speed verschluckt. Völlig absurd. Da erlebt man dann schon eine Menge Leid.

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Was braucht es, um gut tripzusitten? Muss ich vorher selber schon mal ein Trip gehabt haben?
Das ist von Vorteil. Wenn du die Erfahrung selbst nicht hast, braucht es wirklich ein gutes Maß an Empathie. Die Leute sind auf einer Alltagslogik nicht mehr erreichbar. Wenn für ihn Zeit nicht existiert, dann braucht man ihm auch nichts von sechs Stunden erzählen. Man sagt lieber „Ach ja, guck mal jetzt ist es hell. Und wenn es dunkel wird, dann wird es schon weniger." Das funktioniert dann. Wenn du das nicht kennst, kannst du einfach ruhig, nett und sympathisch sein und ihnen eine Banane oder eine Decke bringen.

Muss man beim Sitten nicht auch ständig das Gleiche sagen?
Da müssten wir jetzt grob differenzieren. Bei nicht so klassischen Psychedelika müssen wir oft eine Überdosis sitten, weil die Leute extrem unruhig sind. Also sie wissen, wer sie sind und wo sie wohnen, aber sie sind motorisch so überaktiv, dass es problematisch wird. Aber denen geben wir dann eine Banane. Oder man setzt zwei Amphetamin-jojojojojoÜberdosierte zusammen und dann labern sie sich gegenseitig zu.

Ist man nicht vielleicht ein total guter Tripsitter, wenn man selber auf einem Trip ist?
Jein. Es kann funktionieren. Aber es kann auch total schief gehen. Die Einschätzungen, die man unter Drogen trifft, sind nicht unbedingt sehr zutreffend. Es kann also zum Beispiel sein, der eine hat gerade ein Kuschelbedürfnis und das Gegenüber ist ein auf der Mann-Frau-Ebene gestörtes Wesen und dann ist es überhaupt nicht angemessen, was du da machst.

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Ihr setzt dann also zwei Druffies unter Betreuung gegenüber und lasst sie aufeinander los?
Es gibt echt so nette Stunden, in denen drei Amphetamin-Überdosierte auf einmal kommen und wir sie zusammen setzen. Man hört dann die Gespräche und für jeden Normalen wären schon fünf Minuten super anstrengend. Die erzählen ihr Leben in zehn Minuten, aber drei davon finden es spannend. (lacht)

Du warst gerade auf einem Einsatz. Kannst du mir davon erzählen?
Das war ganz nett. Das war quasi der Klassiker. Jemand hat zum ersten Mal in seinem Leben LSD genommen und hat dann seine Freunde verloren. Er hat dann auf dem Dancefloor eine Fremde angesprochen, ob sie ihm helfen kann. Er war ein ganz sonniges Gemüt und sie hat ihn dann hierher gebracht. Wir haben ihn erstmal liegen gelassen. Irgendwann haben wir mitbekommen, dass er schon noch weiß, wo sein Zelt ist und dass da möglicherweise noch Freunde von ihm sind. Und das hat funktioniert. Der Zeltplatz stimmte und ich hab ihn bei seiner Crew abgegeben und das machte einen guten Eindruck.

Man hat das Gefühl, wenn du über deine Einsätze sprichst, dass du die ganz niedlich und lustig findest. Darf man dann auch lachen?
Ja. Ich glaube, es ist sogar gut, dass man keine Angst davor hat. Man kennt das ja auch. Ich habe auch richtig Spaß dabei.

Fühlen die sich dann nicht verarscht?
Nein, das ist dann wieder der Punkt, dass die gut in dich reingucken können. Ich glaube, dass das wirklich nicht schlimm ist.

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Was machst du, wenn dein Tripsitting-Baby tanzen gehen will?
Wenn wir es uns personell leisten können, dann gehen wir auch gerne mal mit. Der Einsatz beschränkt sich nicht nur auf die 200 qm hier.

Du nimmst selber auch Drogen. Nimmst du auch immer gleich ein Tripsitter mit, so als alter Profi?
Es kommt auf den Kontext drauf an. Wenn ich Psychedlika hochdosiert nutze, dann gehe ich in eine Erfahrung, wo ich meine Kontrolle komplett abgebe. Dann ist es schon gut, dass jemand sicher stellt, dass ich nicht in die Küche gehe und das Gas andrehe oder anderes dummes Zeug mache. Für mich ist ein Tripsitter Luxus.

Mehr Infos gibt es bei www.eclipse-online.de

Dieser Artikel erschien ursprünglich bei VICE.

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