Unter der Woche hungern, am Wochenende Exzess – Dieses Verhalten hat nun einen Namen

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Unter der Woche hungern, am Wochenende Exzess – Dieses Verhalten hat nun einen Namen

Wir haben mit Menschen gesprochen, die den gefährlichen Bondi-Detox-Trend mitmachen.

Dieser Artikel ist zuerst bei Noisey Alps erschienen. Foto: Guian Bolisay/Flickr / CC-BY-SA 2.0, bearbeitet

"Ich mache unter der Woche viel Yoga und esse Superfoods – mein Körper ist mir sehr wichtig." Während mir Lisa*, eine 23-jährige Studentin, gegenüber sitzt, strahlt sie eine ziemliche Ruhe aus. Dünn ist sie, sehr sogar, aber sie versteckt ihren Körper nicht, anders als manch anderer mit Essstörungen. Lisa ist eine der drei Frauen, die ich seit der Entdeckung des Begriffs "Bondi-Detox" getroffen habe.

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Bondi-Detox beschreibt einen nicht ganz ungefährlichen Lebensstil.

Unter der Woche reguliert der Betroffene sein Essverhalten, trinkt – wie in Lisas Fall – Chia-Samen-Smoothies und macht Power-Yoga. Nur, um sich dann von Freitag bis Sonntag ohne schlechtes Gewissen die Kante zu geben. Lisa geht dazu meistens auf Goa-Partys.

"Amphetamine, Koks, manchmal auch MDMA, sind schon fast jedes Wochenende dabei. Und viel Wodka und Weißweinschorle. Alles, was zu einem ungesunden Lebensstil eben dazugehört. Um das wieder gutzumachen und mein Gewissen zu beruhigen, suche ich unter der Woche Ausgleich."** Während sie das sagt, lächelt sie mich an.

"Amphetamine, Koks, manchmal auch MDMA, sind schon fast jedes Wochenende dabei." – Lisa, 23

Lisa sieht darin keinen Fehler und findet, dass sie alles genau richtig macht. "Wenn man schon Drogen nimmt und viel Alkohol trinkt, dann ist das bestimmt der bessere Weg." Damit hat sie nicht unbedingt Recht. Wer am Wochenende Amphetamine zu sich nimmt, isst in der Regel während des Rausches und Runterkommens nicht viel. Denn Kokain, Amphetamine und Amphetaminderivate haben die Nebenwirkung, dass sie Hunger unterdrücken.

Lisa bestätigt mir das: "So ein Wochenende kann vorübergehen, ohne dass ich ein Pizza-Stück angefasst habe. Oder viel gegessen habe."

Als sie auflistet, was sie am Tag unter der Woche isst, fällt auf, dass sie auch da mindestens 500 kcal unter ihrem Tagesbedarf liegt. Im Ernährungsplan hat sie kaum Kohlenhydrate und wenige Protein-Quellen. Das meiste, was sie zu sich nimmt, ist flüssig: Smoothies, Suppen und Tees. Feste Nahrung isst sie nur einmal am Tag.

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Die Band Bondi Hipsters hat einen nicht ganz ernstgemeinten Song zum Lifestyle geschrieben

Frank Taeger ist Autor, Psychologe und Trainer. Als ich ihn nach Bondi-Detox frage, meint er: "Im Endeffekt ist das kein neues Phänomen. Besonders aus dem Bodybuilding-Bereich kennt man dieses Verhalten – mit entsprechenden Effekten." Er gibt zu bedenken, dass du Ernährung im Gesamtkontext betrachten musst und gerade bei dieser Ernährungsform die Details entscheidend sind: "Wie verhält sich der Betroffene wirklich am Wochenende? Ist es jedes Wochenende ein Vollsuff? Dann geht es in Richtung Alkoholismus am Wochenende und unter der Woche in Richtung Zwangsstörung."

Laut Taeger merken die Betroffenen das manchmal selbst, manchmal nicht. Sie leiden dann unter Müdigkeit, Antriebslosigkeit oder anderen klassischen Mangelerscheinungen. Ihre Blutwerte, insbesondere Cortisol und Schilddrüsenhormone, sprechen aber ihre eigene Sprache. "Das sehen manche von ihnen als normal oder als Nebeneffekt ihres Wochenendlifestyles an. Sie sagen: 'Es wird besser.' Überzeugt, mit ihrer Askese das Richtige zu tun, schaden sie sich oftmals noch mehr selbst und werden militant, wenn man ihren Lebensstil anzweifelt."

Wer Bondi-Detox macht, leidet unter Müdigkeit, Antriebslosigkeit oder anderen klassischen Mangelerscheinungen. Er sieht das aber als normal oder Nebeneffekt seines Wochenendlifestyles an.

"Ich habe eben nicht mehr Hunger" – erst an diesem Punkt des Gesprächs wirkt Lisa gereizt. Sie hat keine Essstörung, warum denn auch? Sie zählt beim Wodka Trinken keine Kalorien mit und lässt sich eine Pizza am Sonntag offen. Und auch wenn sie ihren Chia-Samen-Smoothie trinkt, zählt sie keine Kalorien. Auf meine Anmerkung, dass schlichtweg zu wenige Kalorien auch ungesund sein können, reagiert sie beleidigt.

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Bondi-Detox knüpft da an, wo Drunkorexie aufhört. Drunkoerxie beschreibt ein Essverhalten, dass sich nach dem Alkoholkonsum richtet. Wenn du am Abend erwartest, viel Bier zu trinken, lässt du dann den ganzen Tag Kalorien weg – um sie später flüssig zu dir nehmen zu können. Bondi-Detox kann aber viel gefährlicher sein: Es ist eine Ernährungsform, die sich mit dem Deckmantel eines gesunden Lebensstils schmückt. Orthorexie – der Zwang, sich gesund zu ernähren –, Anorexie, Bulimie, Alkoholismus und Sportsucht sind nur ein paar der unerwünschten "Nebeneffekte", die eintreten können.

"Wenn man sich unter der Woche wirklich stark kontrolliert – Montag nur grünes Zeug, Dienstag nur Smoothies, Mittwoch nur rohes Essen, wenig Kohlenhydrate und Zucker und so weiter zu sich nimmt – und am Wochenende komplett ausrastet, dann ist das hochgefährlich", gibt Frank Taeger zu bedenken. Vor allem das Zelebrieren des zwanghaft-gesunden Lifestyles in sozialen Medien wie Instagram findet er schwierig.

"Gesund leben zu wollen, ist etwas Gutes, solange es nicht zwanghaft wird. Wer 80 Prozent der Zeit gesund lebt und bei 20 Prozent der Zeit fünf gerade sein lässt, lebt gesünder als derjenige, der zwanghafte 100 Prozent zu erreichen versucht."

"Wir sind Frauen in der heutigen Welt. Natürlich sind wir alle essgestört." – Michaela, 26

Michaela* ist eine 26-jährige Angestellte, die zwar keine Chia-Samen-Smoothies trinkt, aber gerade besonders viel Sport treibt. Die ersten zwei Tage jeder Woche fastet sie. "In meinem Freundeskreis wird sowas die ganze Zeit betrieben. Wir versuchen doch alle auf unsere Art, unser Gewissen zu beruhigen." Als ich ihr sage, dass dieses Essverhalten auch eine Essstörung anzeigen oder begünstigen kann, lacht sie nur laut auf. "Wir sind Frauen in der heutigen Welt. Natürlich sind wir alle essgestört."

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Für Michaela ist der Fall klar: Ja, sie nimmt wenig Essen zu sich, aber das hat sie immer schon gemacht. "Ich kann vor Männern zum Beispiel nicht essen. Und wahrscheinlich würde ich auch ohne das Feiern oder das Label 'Bondi-Detox' zu wenig zu mir nehmen. Es ist das heutige Schönheitsideal und ich bin nun mal nicht so veranlagt, dass ich normal essen könnte."

Michaela geht mit ihren Freundinnen in Wiener Edeldiscos. Ohne Stöckelschuhe und knappe Kleider verlassen sie das Haus am Wochenende nicht. "Unter der Woche gehen wir in Läden, wo es gesundes Essen gibt, wir essen Low-Carb und trainieren zusammen in einer Fitness-Bude. Dass das jetzt Bondi-Detox heißt, finde ich lächerlich." Am Wochenende isst sie bestelltes Essen, geht manchmal in All-You-Can-Eat-Buffets und legt ihre "Cheat Days" ein.

"Wenn eine junge Dame nur von ihrem Lebensstil Stresshormonwerte eines Elite-Soldaten im Kampfeinsatz aufweist, dann ist etwas nicht Ordnung." – Frank Taeger, Psychologe

Und vielleicht hat Michaela recht, vielleicht betreiben wir alle in einer Form Bondi-Detox; entscheidend ist nur, in welcher. "Wenn die Gedanken nur ums Essen kreisen und man gewisse Läden wegen des Essens meidet, dann handelt es sich um eine Zwangsstörung. Ob eine Mangelernährung vorliegt, kommt auf die Ernährung an", sagt Frank Taeger.

Übrigens ist das kein rein weibliches Phänomen: An Drunkorexie beispielsweise leiden zumindest in Großbritannien mehr Männer als Frauen. Das Bondi-Detox-Verhalten kennt Frank Taeger – wie bereits erwähnt – aus der Bodybuilding-Szene und damit auch von Männern.

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Taeger warnt deshalb besonders vor Zwang: "Studien zeigen, dass, je zwanghafter man sich verhält, desto mehr Stress hat man und desto wahrscheinlicher ist es, dass man am Ende mit der eigenen Lebensweise versagt. Das erzeugt dann noch mehr Stress. Wenn eine junge Dame nur von ihrem Lebensstil Stresshormonwerte eines Elite-Soldaten im Kampfeinsatz aufweist, dann ist etwas nicht Ordnung. Der Unterschied ist, dass die Werte des Soldaten wieder sinken, die der jungen Dame machen ihr Leben zur Hölle."

Wenn es schon sein muss, dann vielleicht eher unter der Woche ein paar Bier trinken und Schokolade essen, als das alles auf ein oder zwei Tage zu verteilen. Ein Tipp von Frank Taeger um rauszukommen, ist ein Tagebuch: Am besten schreibt man auf, was man unter der Woche und vor allem am Wochenende zu sich nimmt und teilt die Extreme so gut wie es geht auf. Denn: Ein Extrem plus ein anderes Extrem ergibt fast nie die Mitte.

Frank Taeger betreibt eine eigene Seite mit weiteren Infos rund um Sport und Ernährung.

*Name von der Redaktion geändert

**Unbedarfter Drogenkonsum kann schwere körperliche und psychische Schäden verursachen. THUMP will dich nicht zum Konsum animieren, wohl aber dazu, dass du dich, solltest du Drogen nehmen, möglichst gut darüber informierst. Alle unsere Artikel zum Thema "Safer Use" findest du hier.

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