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Clubkultur

Clubmarken—die Gästeliste auf Lebenszeit

Nur ein kleiner Kreis von Stammgästen bekam sie: Bis heute erzählen Clubmarken die Geschichte des Nachtlebens.
Die Clubmarke der Bar25
Alle Fotos: Grey Hutton

„Der Zeitpunkt war einfach perfekt", erinnert sich Iris. „Ich war gerade erst zwei Monate in Berlin und dann machte auf einmal der Dschungel auf. So etwas hatte es davor einfach nicht gegeben." Schnell wird die junge Studentin ein Teil der Szene. Im Dschungel tanzen die Coolen und Schönen, Jalousien verdecken von außen den Blick auf die entrückte Stimmung im Inneren.

Längst ist der Dschungel geschlossen, aber wenn Clubgänger wie Iris heute auf ihren Schlüsselbund blicken, erinnern sie sich sofort an die Zeit. Denn dort hängen Clubmarken, kleine Schlüsselanhänger, die die geheime Schlüssel vorbei an jedem Türsteher hinein in dem Club waren—und sind. Eine in Form gegossene Gästeliste auf Lebenszeit, die vom Clubpersonal an die Stammgäste und DJs verteilt wird—oder aber an neue Gäste, die die Stimmung heben und einfach ein Geschenk für jede Party sind. Also vielleicht auch an dich.

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Clubmarken sind nicht in allen Städten der Welt Usus, aber sie sind doch weit verbreitet. Wenngleich sie nicht sehr bekannt sind. Dabei muss es sich nicht immer um einen Schlüsselanhänger handeln. Manchmal ist es sogar ein richtiger Schlüssel für einen Hintereingang. Oder ein RFID-Chip, den du unter die Haut spritzen lassen musst. Oder einfach nur eine Plastikkarte. Obendrein drücken Clubmarken immer auch den Stil des zugehörigen Hauses aus. Für einen kleinen, geheimen Zirkel innerhalb der Clubgemeinschaft sind sie die Club-Ästhetik zum Mitnehmen. Und ein bisschen sind sie auch der unsichtbare Schwanzvergleich der Clubs. Denn je mehr ein Laden eigentlich sagen möchte: Sie mal, was für ein toller Club wir doch sind!, desto größer ist meist die dazugehörige Marke.

Aber diese Stücke sind nicht für jeden. Bei Clubmarken gibt es deshalb nur zwei Regeln:

1. Frag niemals nie selbst nach einer Marke! Sie wird dir angeboten, wenn es passt. Sonst nicht. Sorry.

2. Verleih die Marke nicht weiter! Das gibt Ärger und sie wird dir weggenommen.

Was besonders toll an diesen Dingern ist, dass sie auch noch weiterleben, selbst dann, wenn die Clubs selbst geschlossen und abgerissen—oder schlimmer: in ein Parkhaus verwandelt—wurden. So erzählen sie still und heimlich die Geschichte der Clubbingszene weiter. Es wäre also ziemlich schade, wenn wir in irgendeiner fernen Zukunft alles nur noch per Fingerwisch- oder Abdruck öffnen müssten, denn damit würden auch die Schlüsselbünde und mit ihnen die Clubmarken verschwinden. Bis es aber so weit ist, haben wir uns auf die Suche nach den Marken einiger der legendärsten Clubs Berlins begeben—vom Dschungel zum Casino, Cookies und WMF bis hin zur Bar25:

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Alle Fotos: Grey Hutton

Selbst wenn du 14 bist, hast du vielleicht schon einmal vom Dschungel gehört. Der Dschungel war das Westberliner Berghain der 80er. Liza Minelli, Prince, Bowie und Iggy Pop waren hier. Nick Cave auch. Außerdem: die Hagen, Malaria, Ben Becker, Romy Haag, und, und, und. Marc Brandenburg, vor dessen namenlosen Kunstwerk du wohl jeden Sonntag links der Panorama Bar entspannst, jobbte hier. Draußen verrieten bereits die verschlossenen Jalousien, die die Sicht auf Aquarium, Wendeltreppe und Sofas mit Cordsamt nicht freigegeben wollten, dass es im Dschungel exklusiver zuging. An der Tür stand kein Name, das Personal davor bzw. dahinter war überaus streng bei der Auswahl aus dem wartenden Traube vor dem Club. Jahrelang funktionierte das ohne zusätzliche Hilfsmittel. Nach einiger Zeit wurden dann allerdings eine Clubmarke für Stammgäste eingeführt, um diesem Kreis stets Einlass ohne Gedränke zu gewähren. Die Marken waren stets in der typischen Rautenform gehalten, anfangs jedoch noch aus buntem durchsichtigen Plastik, später dann aus stabilerem Messing. Da konntest du sie dann allerdings bereits käuflich erwerben, was nicht unbedingt positiv zum Ruf des Dschungels beitrug. 1993 war Schluss. Heute befinden sich an der Adresse in der Nürnberger Str. ein paar Blumenläden. Die Clubmarken, ob aus Plaste oder Metall, sind hingegen bis dato nicht verwelkt.

Als die „drei Kammern der heiligen Dreifaltigkeit" hat Westbam mal das Orfeo, Cha Cha und Dschungel beschrieben, als er sich an die 80er erinnern musste. Ins Cha Cha zog man vom Dschungel weiter, wenn die Party noch länger gehen sollte, oder schon früher—wenn man an der Tür abgewiesen wurde. Vielleicht bot sich ja hier eine zweite Chance. Das Cha Cha war dabei so gut, dass es in Kiel sogar eine Bar gibt, die eine mehr als offensichtliche Hommage an das alte Berliner Original ist.

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Clubmarken müssen nicht immer Schlüsselanhänger sein. Im Fall des E-Werks, das zusammen mit dem Tresor Mitte der 90er die wohl wichtigste Techno-Institution Berlins war, wurde eine rückseitig mit Namen versehene Plastikkarte ausgegeben. Damit konnte das Stammpublikum dann von 1993 bis 1997 zu DJ Clé, Paul van Dyk, Laurent Garnier, The Prodigy oder Juan Atkins tanzen. Auch Galadinner von Versace oder Opern waren hier hin und wieder zu erleben. Der Club war damit einer der Vorreiter für die multidimensionale Bespielung solcher Orte, die heute gang und gäbe ist. Seit 2005 gibt es das E-Werk wieder, allerdings finden dort nun Preisverleihungen und andere Events im ausgebügelten Ambiente statt.

Beim WMF konntest du schnell den Überblick verlieren, denn es zog gerne mal um. Insgesamt acht Stationen in 17 Jahren gab es. Das WMF war wesentlich an der Wiederbelebung von Berlin-Mitte beteiligt und fiel auch schon mal durch einen eher unkonventionellen, sprich: von Bauschutt umzingelten Zugang zum Club auf. Irgendwo gab es dann auch mal das Stück Holz, dem die Clubmarke nachempfunden wurde. Musikalisch war das WMF sehr aufgeschlossen, u.a. bat Peaches hier zur sexualrevolutionären Predigt.

„Im Cookies war Sex immer möglich", rief Ulf Poschardt seinem Lieblingsclub vor zwei Jahren nach. Wie du schon am Autor erkennen kannst, war das Cookies bisweilen etwas schicker. Das Tolle: Das Cookies rettete dich durch die Woche, denn hier wurde auch am Dienstag oder Donnerstag gefeiert. Dann stand man auch plötzlich schon mal neben einem russischen Geschäftsmann aus einem der Friedrichstraßen-Nobelhotels um die Ecke, samt zweier hochgewachsener Damen. Und obwohl das Cookies, das nach dem Spitznamen von Betreiber Heinz Gindullis benannt war, wenig mit Keksen zu tun hatte, wurde die Optik seiner Clubmarke doch leicht diesem Gebäck nachempfunden. Berühmt wurde das Cookies auch durch sein (bis heute existierendes) vegetarisches Restaurant, das Cookies Cream, dessen schlemmenden Gäste sich dann oft leicht angetrunken hinab in den Club wagten und den Laden so schnell nicht mehr verließen.

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Wie das Ostgut, der Vorgänger des Berghains, stand auch der Techno-Club Casino auf dem Gelände der heutigen Mehrzweckhalle, in der jetzt Beyoncé und die Eisbären Berlin auftreten bzw. spielen. Davor war das Casino allerdings noch in Mitte, erst in der Weinmeisterstraße, dann in der Saarbrücker. 1998 bis 2004 hielt man durch. Das Publikum war eher jung und kam zum Tanzen, nicht zum Spielen. Betreiber Ralf Brendeler hat noch ein weiteres Ass im Ärmel: Er steckt auch hinter dem Suicide Circus.

Nicht nur für Clubs gibt es Marken, sondern auch für einzelne Partyreihen wie die Labradorbar, die eben nicht eine feste Bar war. Stattdessen wurde u.a. in der Pfefferbank im Prenzlauer Berg die Nacht zum Tag gemacht. Benannt wurde die Veranstaltung nach dem Hund einer der Organisatorinnen. Dreimal darfst du raten, um welche Rasse es sich handelte. Zum DJ-Inventar gehörten Nick Höppner und Dirty Doering, von denen vielleicht schon einmal gehört hast.

Das Eschschloraque, mit vollem Namen: Eschschloraque rümschrümp, hat wohl die kleinste und unscheinbarste Clubmarke. Ein wenig unscheinbar wie die Lage des dunklen Ladens in einem Mitte-Hinterhof—währen da nicht die auffälligen Metallfiguren der Künstlergruppe Dead Chickens. Im Eschschloraque gibt man sich gerne experimentell. Die Macher von raster-noton haben hier etwa ihr Signing Kyoka entdeckt. Der US-Amerikaner Walter E. Potts, genannt „Wally", war im Eschschloraque Koch, bis er …

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… das White Trash Fastfood mit eröffnete. Erst war man ein illegales Restaurant, dann ging es ganz legal weiter, auch mit Clubbetrieb unten drunter und spontanen Konzerten. Die Eagles of Death Metal oder der damals noch junge Dagobert standen oben auf der kleinen Bühne des Burgerrestaurants an der Schönhauser Allee, in dem auch Promis wie Lemmy Kilmister und die Autoschrauberjungs von „West Coast Costums" ihre Buletten aßen. Unten gab es einen zur Höhle umgestylten Kellerclub samt Aquarium. Die Hosen waren schwarz und eng, man trug Streifenshirts und Lederjacken. Dark Wave, Postpunk und Hair Metal liefen. Hin und wieder auch elektronische Sachen. Insgesamt war der Laden ziemlich kitschig (Denk nur an die vielen Asien-Applikationen!), weshalb die Clubmarke des White Trash auch gleich wieder eine Ansage war: Sie ist breit, lang und schwer und die auffälligste, umständlichste Marke ihrer Zeit. Trash eben. Mittlerweile findest du den Laden in Treptow, zusammen mit der Arena, dem Club der Visionäre, dem Chalet und so weiter, und so fort.

Schon vor dem White Trash Fastfood-Umzug hatte das Icon aufgegeben. Noch eine verlässliche Adresse für den einst so dynamischen Prenzlauer Berg weniger. Dabei war der Club mit der Backsteinoptik eine kleine Bastion für Bassmusik, Techno und andere Spielarten. Von Actress bis Zombie Nation haben hier einige gute Leute in den 15 Jahren bis 2012 aufgelegt. Die Clubmarke repräsentiert entsprechend geschmackssicher und mit hohem Wiedererkennungswert diese künstlerische Strategie. Heute lebt das Icon im Gretchen in Kreuzberg weiter.

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Wie du vielleicht mittlerweile gemerkt hast, haben Clubmarken viele unterschiedliche Formen. Meistens sind sie aber aus Metall oder Plaste. Anders die Leder-Marke von Josis Tanzbar. Der Club verfolgte in seiner kurzen Lebenszeit das Projekt, wieder etwas Schwung auf die Köpenicker Str. im abgelegen Spree-Osten Kreuzbergs zu bringen. Den gerne mal tropischen Temperaturen im Inneren des ehemaligen Strip-Lokals nach zu urteilen, war dieses Bestreben auch von Erfolg gekrönt. Dennoch war das Josis eher eine Geheimadresse für einen eingeweihten Zirkel, abseits aller Partymeilen, und nur durch das charakteristische Herz zu erkennen.

Ein kleines Versteckspiel am Schlüsselbund betreibt das Prince Charles. Die alte Marke des Kreuzberger Clubs würde man wohl nicht sofort als solche identifizieren. Eher passt sie zum Schwimmbadlook der gekachelten Bar, die eben in genau einem solchen ehemaligen Becken steht. Seit fünf Jahren gibt es das Prince Charles nun schon. Und da kommen sicherlich noch einige Jahre hinzu.

In Berlin tragen Orte gerne Nummern im Namen, Currywurstbuden etwa. Aber auch Clubs. So die Bar25 etwa. Die legendäre Institution hat die Zahl quasi für immer besetzt. Und ihre Marke bringt den Gestus dahinter ohne großes Theater perfekt zum Ausdruck. Alles was jetzt hier über die Bar stehen könnte, kann dir der Film Tage außerhalb der Zeit ohnehin viel besser erklären. Schön war's.

Mit Dank an Iris, Olga, Michel, Tom und Arno.

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