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Der Soundtrack von ,Victoria' ist mindestens so gut wie der Film selbst

Ein Moment: Nicht nur der neue Film ist ein atemberaubender One-Take.

„Weißt du, was ich manchmal denke? Es müsste immer Musik da sein. Bei allem, was du machst. Und wenn's so richtig scheiße ist, dann ist wenigstens noch die Musik da. Und an der Stelle, wo es am allerschönsten ist, da müsste die Platte springen und du hörst immer nur diesen einen Moment."

Floyd in Absolute Giganten

Dieses Zitat kennt wohl jeder, der sich gerne mal in Musik verliert, wenigstens im entferntesten Sinne ein Liebhaber jener ist oder einen Facebook-Freund hat, der sich öffentlich als Musikerd darstellt. Es stammt aus dem Film Absolute Giganten, mit dem der Regisseur Sebastian Schipper 1999 debütierte und das im Film der junge Träumer Floyd in einem stillen, ganz unspektakulären Alltagsmoment von sich gibt. Dieser Moment wird für jeden, der von Musik Gänsehaut bekommt und sie hört, wenn's eben so richtig scheiße ist, zu einem wahrhaftigen Moment der Wertschätzung. Einen Moment lang.

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Vor Kurzem hat Sebastian Schipper einen neuen Film in die Kinos gebracht und ist damit in aller Munde und in haaraufsträubender Form auf aller Haut: Victoria. Das nächtliche Drama, das bereits mit dem Deutschen Filmpreis und auf der Berlinale ausgezeichnet wurde, ist einer der wenigen deutschen Filme, die tatsächlich so gut sind, dass sie dich nicht einen einzigen Moment lang in deutschem Fremdscham im Kinostuhl versinken lassen. Aber auch wenn man die Vorurteile gegenüber deutscher Filmkunst außen vor lässt, bleibt sang- und klanglos festzustellen, wie atemraubend dieser Film ist—wobei, nicht ganz klanglos.

Neben all den Lobeshymnen auf die Kameraführung, die Schauspieler, den Regisseur—die alle vollkommen angebracht sind—muss sich auch ein Moment Zeit genommen werden, um einen weiteren sehr wichtigen Teil des Films wertzuschätzen: die Filmmusik, die von dem Erased Tapes-Künstler Nils Frahm geschrieben wurde. Kennt man seine Alben und EPs könnte man denken, der Hamburger Pianist, der auf seinen Konzerten zwischen wildem Wahnsinn und kühler Beherrschung schwankt, sollte Scores schon längst zu seinem Hauptberuf gemacht haben, doch Victoria war tatsächlich sein erster Auftrag. Frahm wollte auf den richtigen Film warten. 2015 war er dann da.

Während bei dem Film gleich zu erkennen ist, was das besondere Merkmal ist, weißt du bei der Filmmusik erstmal gar nicht, woran du bist. Im besten Falle bemerkst du sie nicht einmal richtig, und vor allem bemerkst du nicht, wie viel tiefer dich der Sound gerade in die Szene, in den Moment, gezogen hat.

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Das beste Beispiel dafür ist „Lux aeterna" von Clint Mansell, der immer wiederkehrende Song aus dem Heroin-Klassiker Requiem for a dream, der so universell in die Geschichte passt, dass er jede dramaturgische Wendung in einen Bann wandelt, anstatt sie wie ein trauriges 30 Second To Mars-Video aussehen zu lassen. Ebenso bei den Kompositionen von American Beauty, die scheinbar jedes Mal ertönen, wenn irgendwo eine Plastiktüte durch den Wind weht. Wenn du dich vollkommen darauf einlässt, merkst du nicht einmal, wie hier Musik darunter gelegt wurde, sie gehört schlicht in den Moment.

Nils Frahm fragte sich vor Victoria, ob ein starker Film überhaupt Musik benötigt. Bestimmt nicht, siehe nur No Country for Old Men. Aber ein starker Film kann ein stärkerer Film werden, wenn die Musik die Szenen untermalt, statt sie zu beschreiben. In Sachen Filmmusik gilt sicherlich nicht Floyds Weisheit „Und wenn's so richtig scheiße ist, dann ist wenigstens noch die Musik da." So gibt es in Victoria unfassbar viele Momente, in denen komplette Stille herrscht. Das sind die Momente im Kino, in denen du dein Nachbar atmen hören kannst (und du keine Popcorn essen solltest).

Das wirklich Bemerkenswerte an dem Soundtrack sind aber nicht die Stellen, an denen Stille herrscht, sondern vor allem die Art, wie er entstanden ist. Wie der Film ist auch die Musik ein einziger One-Take.

Für die Aufnahmen stellte Nils Frahm in einem ehemaligen DDR-Rundfunk-Studio einen großen Bildschirm in die Mitte des Raumes und ließ den Film einfach laufen. Seine eingeladenen Gastmusiker, die Cellistin Anne Müller, der Violinist Viktor Orri Árnason sowie der Gitarrist Erik K. Skodvin, sahen den Film zum ersten Mal und improvisierten auf die Szenen los. Aus den Aufnahmen entstanden dann die einzelnen Parts, wie „Our Own Roof", „The Shooting" oder „In The Parkin Garage". Tatsächlich sind die Stücke also Momentaufnahmen, geführt von den Emotionen, die den Zuschauer im ersten Moment packen. Das Konzept des One-Takes wurde bei Victoria offenbar tapfer durchgezogen, genau wie das Abräumen beim deutschen Filmpreis. Auch für die Filmmusik wurden Schipper, Frahm und das Team belohnt.

Eine wichtige Frage der Filmmusik bleibt aber bestehen: Was ist, wenn die Momente nicht mehr vor dem Augen sind, und der Soundtrack für sich alleine steht? Kannst du ihn dann noch hören?

Ja, kannst du. Erstens ist auf Music for the Motion Picture Victoria ein einleitender DJ Koze-Song im „Victoria Edit" zu finden, zweitens sind zwei Bonustracks von Deichkind und nochmal Koze versteckt, und drittens, nun ja, wenn's mal wieder so richtig scheiße ist, dann ist ja wenigstens noch die Musik da, auch in diesem Moment.

Der Original-Soundtrack Music for the Motion Picture Victoria ist bei Erased Tapes als LP, CD und digital.