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Alkohol

“Deutschland ist da nicht besser als Entwicklungsländer” – Wer ist der Mann aus der ZDF-Alkohol-Doku?

“Volksdroge Alkohol – der legale Rausch” beschäftigte sich mit dem Einfluss der Alkohollobby auf die Politik. Dabei kam auch Maik Dünnbier zu Wort.
Maik Dünnbier ist der strategische Direktor der Guttempler. Screenshot aus der ZDF-Doku "Volksdroge Alkohol - der legale Rausch"

"Volksdroge Alkohol – der legale Rausch", so heißt eine neue Doku des ZDF. Der Film der Wissenschaftsjournalistin Sanaz Saleh-Ebrahimi geht laut Senderwebseite dem "Alltagsphänomen Alkohol" nach und fragt: "Wird uns das Trinken zu einfach gemacht?" Es geht um den Einfluss der Alkoholindustrie in Deutschland und wie diese strengere Gesetze zur Regulation des Konsums unterbinde.

Saleh-Ebrahimi geht dabei der Frage nach, ob eine restriktivere Alkoholpolitik wie in Schweden, wo Alkohol nur zu bestimmten Zeiten in extra Geschäften zu einem vergleichsweise hohen Preis verkauft werden darf, in Deutschland sinnvoll wäre. Dafür spricht sie auch mit dem strategischen Direktor der "International Organization of Good Templars", besser bekannt als Guttempler. Maik Dünnbier, so ironischerweise sein Name, ist Deutscher und lebt seit zehn Jahren in Schweden. Er stellte im Beitrag die steile These auf, dass "die Alkoholpolitik in Deutschland nicht besser (ist) als die Alkoholpolitik in Entwicklungsländern."

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Was ist das für eine Vereinigung, in deren Namen Dünnbier diese Behauptung aufstellt?

Abstinente Politikarbeit

Die Guttempler gehen auf einen Orden zurück, der Mitte des 19. Jahrhunderts in den USA gegründet wurde. Seine Mitglieder verstehen sich als gemeinnützige Organisation, die für ein drogen- und alkoholfreies Leben plädiert. 1889 wurde auch ein deutscher Ableger dieser Abstinenzbewegung gegründet. In den folgenden Jahren gab es diverse Bewegungen aus dem Bereich Lebensform, die eine deutliche anti-alkoholische Haltung einnahmen.

Ein bekannter Guttempler ist Otto Buchinger, Miltärarzt im Ersten Weltkrieg und später Verfasser des Buches Das Heilfasten und seine Hilfsmethoden, das 1935 erschien. Bis heute ist seine Fastendiät in Abwandlungen weit verbreitet. Dir sind bestimmt schon mal Leute über den Weg gelaufen, die davon erzählt haben, dass sie grad ihren Körper "entschlacken". Damit ist gemeint, dass sich der Körper durch Fasten über einen bestimmten Zeitraum komplett "reinigen" könne und dann wieder wie neu ist. Medizinisch ist diese Methode heftig umstritten, denn dein Körper entgiftet ohnehin die ganze Zeit und produziert keine "Schlacke". Radikales Fasten kann außerdem zu diversen Mangelerscheinungen führen.

Heute sind die Guttempler immer noch international stark vernetzt, in über 45 Ländern mit 4,5 Millionen Mitgliedern. In Deutschland verfügen sie über 11 Landesverbände und werden vom Gesundheitsministerium und mehreren Krankenkassen gefördert. Auch wenn sie mit anderen Organisationen zusammenarbeiten, die eine eher gemäßigte Alkoholpolitik mit stärkeren Jugendschutz fordern, ist ihr Kurs klar: "Die Guttempler sind davon überzeugt, dass Alkohol und andere Drogen eine ernste Bedrohung für die Würde und Freiheit vieler Menschen bedeuten."

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Nicht AfD, Islamismus oder die kapitalistische Verwertungsmaschine, sondern bewusstseinsverändernde Substanzen bedrohen uns in erster Linie. Was soll dagegen getan werden? Nun: "Zur Lösung der Alkohol- und anderer Drogenprobleme tragen Guttempler unter anderem durch ihre bewusste Konsumentscheidung bei, frei von diesen Substanzen zu leben." Es geht um Enthaltsamkeit als "ein Zeichen des Boykotts einer Ware, welche mehr Schaden verursacht als Nutzen stiftet."

Kein Alkohol an Weihnachten und am Vormittag

Das Ziel des Ordens ist eine Welt, "in der sich Menschen ohne Beeinträchtigung durch Alkohol und andere Drogen entwickeln und in Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und Gesundheit leben können."Die Guttempler sind dabei allerdings nicht einfach ein Verein für Menschen, die sich individuell für Abstinenz entschieden haben und darüber austauschen oder andere Menschen bei Suchtproblemen beraten. Sie verfolgen ausdrücklich ein (alkohol-)politisches Programm und wollen die Einstellung und das Verhalten zu Drogen im großen Maße umwälzen. Der Staat und die Politik müssen die Bürger vor dem Alkohol schützen, weil diese für die Guttempler offenbar keine mündigen Menschen, sondern willenlose Anhängsel der Industrie sind.

Konkret besteht das politische Programm der Templer zunächst aus dem, was in Schweden bereits Praxis ist: hohe Steuern auf Alkohol und keine Werbung. Die Forderungen gehen aber weit darüber hinaus. So wollen sie die sogenannte "Punktnüchternheit" etablieren, was unter anderem beinhaltet: kein Alkohol auf Großveranstaltungen, im öffentlichen Nahverkehr, am Vormittag, zu Weihnachten und an jedem 25. Tag des Monats, dem "'Orange Day', der Tag gegen häusliche Gewalt."

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Gesundheitliche Schäden durch Passivtrinken

In ihrer Lobbyarbeit verwenden die Guttempler dann auch gerne den irreführenden Begriff des "Passivtrinkens". So bezeichnen sie eine Broschüre des skandinavischen Forschungsnetzes H2O über "Alkoholschäden bei Passivtrinkern" als "Pionierarbeit". Aber was soll Passivtrinken sein? Die Analogie zum Passivrauchen geht nicht auf, denn wenn deine Freunde in einer Bar neben dir Bier trinken, haben sie vielleicht eine Fahne, aber du nimmst weder nennbar viel Alkohol dadurch auf, noch hast du mit den Folgeschäden dieses Konsums zu rechnen.

Eine kurze Suche nach "Passivtrinken" bei Google spuckt zunächst einen Postillon-Artikel zu dem Thema aus. Dann tauchen ein paar Wortverwendungen auf, die alle dieselbe Stoßrichtung haben. Fährt ein betrunkener Autofahrer jemanden an, dann ist die Person nicht nur Opfer eines Verkehrsunfalls, sondern auch von Passivtrinken. Haut dir jemand alkoholisiert eine rein, bist du Opfer von Passivtrinken. Ein sicherlich einleuchtenderes Beispiel sind derweil die Folgeschäden für ein Kind durch den Alkoholkonsum während der Schwangerschaft.

Wie wir leben wollen

Die Alkoholpolitik in Deutschland muss sicherlich kritisiert werden. Zum einen, weil sie Beispiel einer großen Heuchelei ist, wenn man den rigoroseren Umgang mit anderen Drogen sieht, die deutlich weniger Schaden anrichten. Dennoch ist nicht jeder Kritiker der Drogenpolitik gleich unverdächtig. Die Guttempler wollen die Freiheit des Einzelnen angeblich verteidigen, in Wahrheit aber beschneiden. Ihre Haltung läuft damit dem "Recht auf Rausch" entgegen, wie es etwa der Kriminologe Lorenz Böllinger aus dem Grundgesetz ableitet.

Das menschliche Bedürfnis nach einem Rausch, einem veränderten Bewusstseinszustand, ist historisch zu jedem Zeitpunkt vorhanden gewesen und an sich auch nicht problematisch. Die Frage ist zum einen, wo die Grenze ist und – was wenig beachtet wird – welche Rolle die gesellschaftlichen Imperative beim Konsum spielen. Die tägliche Plackerei im Job oder die eigene Überflüssigkeit auf dem Arbeitsmarkt mit Alkohol temporär zu vergessen, ist sicherlich nicht die beste Lösung aber dennoch nachvollziehbar. Um diesen psychischen Leidensdruck zu lindern und vernünftig zu lösen, müsste ma eher die Frage stellen, wie wir leben wollen.

Das alles spricht trotzdem nicht gegen Aufklärung und einen Jugendschutz, der auch wirklich durchgesetzt wird. Aber zu sagen, dass 16-Jährige keinen Zugang zu Alkohol haben sollten, ist etwas anderes als die Forderung nach einem Quasi-Verbot.

Die Doku kannst du dir in der ZDF-Mediathek ansehen.

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