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Clubkultur

Welche Ausreden Veranstalter anführen, um viel weniger Frauen als Männer zu buchen

Zwei Jahre ohne eine einzige Frau an den Decks? Das ist auch 2016 noch möglich, wie die DJ Hannah Christ herausgefunden hat.
Grafik von Therese Kaiser. Dieser Artikel ist zuerst bei Noisey Alps erschienen

Hannah Christ lebt seit 2008 in Wien und ist unter dem Namen Minou Oram Resident DJ von Pomeranze und Scheitern. Dadurch hat sie Zugang zu einem Thema, mit dem auch wir uns auseinandersetzen: Das Sexismus-Problem im Clubbereich. In einem Artikel, den sie für PW-Magazine verfasst hat, zeigt sie anhand von 29 Wiener-Veranstaltungsreihen, wie viele weibliche im Verhältnis zu männlichen Acts in Wien gebucht werden.

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Das Ergebnis zeigt dabei, dass beinahe keine der untersuchten Veranstaltungsreihen ein nur ansatzweise ausgewogenes Booking aufweisen kann. Der so aufgedeckte Nachholbedarf war zwar kein Geheimnis, dass die Zahlen einzelner Reihen sogar gegen Null gehen, ist dann aber doch erschreckend. Jeder, der sich auch nur ein bisschen für Clubkultur interessiert, sollte deshalb Hannahs Artikel lesen. Aber nicht nur das: Die Auseinandersetzung muss auch aufgegriffen werden.

Denn lediglich die Veranstaltungsreihe Bliss schaffte es in der untersuchten Zeit von Juli 2014 bis Juli 2016, ausgewogen zu buchen. Scheitern und Struma + Iodine waren immerhin mit 40 Prozent gut dabei. Laut Marlene Engel, der Frau hinter Bliss, wurde nicht bewusst darauf geachtet, wie viele Frauen und Männer gebucht werden. Wenn man sich mit zeitgenössischer elektronischer Musik beschäftige, komme man schließlich gar nicht darum herum, weibliche Künstler zu buchen, sagt Engel dazu und schießt damit die weit verbreitete Meinung ab, dass es schlicht zu schwierig sei, genug weibliche DJs zu finden.

Gehört zu den bekanntesten DJs der Welt: Nina Kraviz. Foto: Imago

Mathias Markovits von Wechselstrom hat auf Nachfrage zwar gute Worte für Hannahs Artikel, erklärt den geringen Frauenanteil bei seinen Veranstaltungen aber so: „Als Veranstalter in einem größeren Club mit immensen Nebenkosten überlegst du dir zwei Mal, ob du einen Act holst, den niemand kennt und der dich möglicherweise ins Minus treibt, nur damit du gleich viele Frauen wie Männer buchst."

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Das würden auch die Kollegen, mit denen er sich darüber unterhält, so sehen. Es sei auf jeden Fall ein Problem und man müsse darauf eingehen, sagt Mathias. „Bei härterer elektronischer Musik ist die Auswahl an Acts, die du als externer Veranstalter in einen größeren Club buchen kannst, gering." Das findet auch Gerald Wenschitz von F*cken Plus und Meat Market: „Ich suche seit fünf Jahren weibliche DJs und Residents, die unsere Musik machen. Und zwar bewusst. Ich habe keine gefunden, außer wenige, die zu viel Geld wollten. Das ist eine klaffende Wunde."

Auf diese klaffende Wunde geht Hannah Christ auch in ihrem Artikel ein. Sie sieht in der „Ausrede" keine Logik. Im Schnitt müssten lediglich zehn Frauen in zwei Jahren als Main Act gebucht werden, um ein ausgeglichenes Booking zu garantieren. Sie ging für ihren Artikel dann so weit, eine Liste mit weiblichen DJs anzufertigen, um sich selber davon zu überzeugen, wie einfach man in den verschiedenen Genres Frauen finden kann. Daraus entstand schließlich die Plattform Femdex, auf der sich Booker über weibliche DJs informieren und diese kontaktieren können. Die Seite femalepressure.net bietet eine ähnliche Datenbank und hilft ebenfalls beim ausgewogenen Buchen.

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels hier wiederum haben sich leider noch nicht mehr Veranstalter zu Wort gemeldet (oder melden wollen). Mathias Markovits ergänzt aber noch, dass er auch unabhängig von Hannah Christs Artikel weibliche DJs, die der neuen Technowelle zuzuschreiben sind, buchen will: „Mir ist aber sehr wichtig zu betonen, dass es mir scheißegal ist, wessen Geschlechts unsere Acts sind. Ich buche diejenigen, die zu uns passen und es sich verdient haben. That's it. Und momentan sind auch einige Frauen dabei, die meine Aufmerksamkeit haben."

Wir haben zudem auch mit Hannah Christ selbst gesprochen. Sie sagte: „Wichtig ist mir zu erwähnen, dass es nicht meine Intention war, irgendwen oder Wien schlecht darzustellen. Im Artikel erwähne ich deshalb auch, dass zu Beginn dieses Projekts meine eigenen Playlists, MP3s und Platten deutlich männlich dominiert waren. Ich finde es OK, Fehler zu machen. Ich glaube, vielen ist das Problem einfach nicht bewusst; es geht daher vor allem um ein 'Bewusst-Machen'."

Es ist also nach wie vor wichtig—nicht nur in der Clubkultur, auch im Musikbusiness allgemein—, Bewusstsein für ausgewogene Geschlechterverhältnisse zu schaffen und aktiv dafür zu sorgen, dass diese auch umgesetzt werden. Es braucht Vorbilder, um sich schneller an eine Sache heranzuwagen, die vom anderen Geschlecht beherrscht wird. Vor allem in einem Bereich, in dem es keinen Unterschied machen sollte, ob man einen Penis oder eine Vagina oder sonst was hat.

Solche Barrieren aufzubrechen, benötigt viel Arbeit. Texte, wie der von Hannah, treiben den Diskurs voran und sind somit wichtige Bausteine für die Baustelle Gleichstellung. Auch wir werden weiterhin versuchen, das allen bewusst zu machen.

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