Techno-Hörer müssen aufhören, elitäre Musik-Nazis zu sein
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Techno-Hörer müssen aufhören, elitäre Musik-Nazis zu sein

Wir brauchen wieder mehr Liebe in der Szene.

"Was, du hörst Caribbean House? Das ist doch der größte Scheiß. Tropical House ist viel besser." Wer sich noch nie über eine andere elektronische Musikrichtung als das eigene Lieblings-Genre aufgeregt hat, der werfe die erste Torte. Auch ich stelle da keine Ausnahme dar. Wenn ich auf eine Veranstaltung gehe und von Techno die Rede ist, erwarte ich auch Techno und keine Mischung aus Deep House und Tech House. Was bleibt einem dann am Abend anderes übrig, als sich über diesen weichgespülten Kuschelklang aufzuregen? Musikalisch desinteressierte Freunde schüren das Feuer der Wut nur noch mehr an, wenn sie dann meinen, dass das doch sowieso alles ziemlich ähnlich ist. Wenn wir mal ehrlich sind, haben sie irgendwie Recht. Wann hat sich die Community der elektronischen Musik so aufgespalten, dass eine Rivalität der 4/4-Genres entstand? Sollten wir uns nicht gegenseitig lieb haben und andere Musikrichtungen nicht schlecht reden – vor allem, wenn alles auf denselben Schemata basiert?

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Sei kein elitäres Arschloch

Was Black Metal für Gitarrenmusik ist, ist für elektronische Musik Deep House. Und Techno. Und Minimal. Und eigentlich auch alles Andere. Eines der Probleme im Kampf der Stilrichtungen ist, dass die derzeitige Feiergeneration von Millenials so egozentrisch ist, dass sie sich für den Mittelpunkt der Erde hält – was natürlich auch für ihre Lieblingsmusik gilt. Da wird gerne mal das Set des DJs schlecht geredet, was fällt ihm aber auch ein, ein Lied aus der Beatport Top 100 zu spielen. Schließlich weiß doch jeder, dass Beatport die Genres nicht genug differenziert. "Ehm, mit der Clap auf 2 und 4 ist das aber dieser Kommerztechno. Die ganze Welt will Berlin sein, das ist doch kein echter Techno mehr." Na und? Wenn du dazu tanzen kannst, dann tanz und halt die Schnauze oder geh nach Hause. Oder du machst deine eigenen Veranstaltungen, zu denen nur Leute kommen dürfen, die vorher einen mehrseitigen Test über die Eigenarten deiner Lieblings-Musikrichtung bestanden haben. Aber geh nicht in andere Clubs und versau jedem in einem 15-Meter-Radius um dich herum den Abend, weil du dich lautstark darüber beschweren musst, dass 2 BPM schnellere Tracks besser sind.

Hör auf, neue Genres zu erfinden

Abgesehen davon kannst du inzwischen eh keine Genres mehr so richtig auseinanderhalten. Das fängt schon auf SoundCloud an, wo Produzenten ihren Künstlernamen als Genre eintragen. Fragst du deinen Lieblings-DJ, welche Musik er denn eigentlich auflegt, wird die Antwort in etwa so aussehen: "Nun, das ist eine sehr gute Frage. [rümpft die Nase und sieht verträumt nach oben] Natürlich sagen einige Leute, dass ich UK Garage mit Ghetto-Tech-inspirierten Dub-Beats mache, aber wenn du mich fragst, ist mein Genre eher wie das Gefühl, das du bekommst, wenn dir nach 80 Stunden Dauerparty einfällt, dass du den Herd angelassen hast. [sieht gedankenverloren aus dem Fenster seiner Präsidenten-Suite im 5-Sterne-Hotel] Traummusik eben." Ernsthaft jetzt? Es gibt jetzt schon mehr Unterkategorien der elektronischen Musik als Pokémon und du erfindest einfach noch eine, deren Wort weniger Aussagekraft hat, als Helen Keller im Zeugenstand bei einer Gerichtsverhandlung?

Verbreite und respektiere PLUR

Jaja, ich weiß, PLUR (Peace, Love, Unity, Respect) sagen deiner Meinung nach alle "amerikanisierten EDM-Idioten", die darauf stehen, wenn der DJ sein Set durchgehend mit abgedroschenen Phrasen moderiert und ein Drop den Anderen jagt. Aber, so schwer es zuzugeben fällt: Auch Großraum-EDM hat seine Daseinsberechtigung. Jeder sollte das hören dürfen, was er möchte. Und wenn jemand etwas Anderes hört, dann ist das kein Grund ihn oder die Musik anzufeinden. Lass dich doch einfach mal darauf ein. Du kannst nicht von Friede, Liebe, Zusammenhalt und Respekt sprechen, wenn du Leute ausgrenzt, die andere Musik hören als du. Hör auf, so ein kleiner Musik-Nazi zu sein und versuche, dich doch auch auf andere Musik einzulassen. Vielleicht gefällt dir ja, was du hörst. Irgendwann früher hast du als pickeliger Teenager doch auch zu deinem Lieblings-Genre gefunden, obwohl du es vorher nicht kanntest. Wenn wir alle an uns arbeiten, wirst du eines Tages ohne einen Anflug von Scham sagen können: "Ja, ich höre Minimal, aber Hardhouse finde ich eigentlich auch ganz geil."

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