Feiern gehen mit Depressionen ist anders, als du denkst
Illustration by Sarah Schmitt

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Ausgehen

Feiern gehen mit Depressionen ist anders, als du denkst

Das Nachtleben kann dir ungeahnte Glücksgefühle verschaffen, doch die Routine lauert bereits um die Ecke.

Illustrationen: Sarah Schmitt

Jeder Clubgänger kennt das Gefühl am Tag danach. Du wahrscheinlich auch. Ein dumpfes Gefühl der Traurigkeit. Post-Party-Depression nennen das die einen. Das vergeht schon wieder. "Dann reiß dich halt mal zusammen oder geh nicht mehr feiern!", sagen wiederum andere, oft in einem genervten Ton. Was aber, wenn dieses Gefühl der Traurigkeit bleibt? Wenn man von Traurigkeit gar nicht mehr reden kann, weil es nichts unmittelbar Ersichtliches gibt, das zu betrauern wäre? Was also, wenn man Depressionen hat und immer wieder die Flucht in den Club sucht?

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Depressionen sind weit verbreitet, das weiß du genauso gut wie ich. Bei vielen dauert es Jahre bis sie eine Diagnose bekommen. Meine lautet in der Fachsprache Dysthymie. Dazu Wikipedia: "Dysthymie ist eine affektive Störung, die aus den gleichen kognitiven und physischen Mustern besteht wie die Depression, allerdings mit Symptomen, die weniger ernst sind und stattdessen weitaus länger andauern."

Weil die Symptome weniger stark ausgeprägt sind als bei einer klassischen Depression, die episodenhaft verläuft, ertragen viele diese Form der psychischen Erkrankung über Jahre hinweg, bis sie sich Hilfe suchen und eine Diagnose bekommen. Wenn sie diese überhaupt bekommen. Viele Menschen, die an dieser Form der Depression leiden, glauben daher auch, die Schwermütigkeit sei ein Teil ihrer Persönlichkeit. Freunde und Familie verstärken diese Einschätzung oft. Der Comedian Oliver Polak, der selbst an Depressionen leidet, beschreibt zum Beispiel die Haltung seiner Mutter, dass sein Zustand nur Attitüde sei, im Gespräch mit der Wochenzeitung "Die Zeit" so: "Für meine Mutter gibt es Depression nicht. Das ist eine Erfindung der Ärzte. Das ist ja genau das Kernproblem der Depression." Auch mir wurde mitunter das, was Symptom der Krankheit ist, als Charaktereigenschaft attestiert. Sensibel, empfindsam, überempfindsam, negativ, pessimistisch.

Sensibel, empfindsam, überempfindsam, negativ, pessimistisch—auch mir wurde mitunter das, was Symptom der Krankheit ist, als Charaktereigenschaft attestiert.

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Die Entstehung meiner Depression reicht vermutlich bis in meine Kindheit zurück, liegt in vielen Erlebnissen in meinem Elternhaus begründet. Geschehnisse, die zu erzählen mir schwer fällt, weil sie die fundamentale Strukturierung meiner Persönlichkeit betreffen. Die kindliche Leichtigkeit, die auf Sorglosigkeit basiert, habe ich jedenfalls früh verloren. Ab einem bestimmten Alter, ich war ca. 15 Jahre, setzte die Reflexion über mein permanentes Gefühl der Melancholie ein, wie ich es in Ermangelung anderer Begriffe nannte. Woher kam sie, warum bin ich unglücklich? In den folgenden Jahren öffneten sich viele Erklärungsebenen. Die Kindheit, die Eltern, der Wohnort, die Schulkameraden, irgendwann auch die gesellschaftlichen Imperative, der Zwang sich für den Arbeitsmarkt zuzurichten. Und immer wieder auch die eigene Unfähigkeit, der individuelle Anteil an meinem Zustand. Dieses Puzzle lösen zu wollen, vertiefte mein Unglück. Die Anforderungen der Umwelt lähmten mich. Ich schaffte zwar immer das, was ich sollte, es erschien mir aber als sinnlos und trivial.

Freunde aus meinem Umfeld sagten mir, dass mich doch dieses oder jenes interessiere und ich doch dies und das könne. Allein, es half nicht. Ebenso wenig haben mir Allgemeinplätze wie "Jeden geht es mal so" geholfen. Ganz im Gegenteil. Auch wenn hinter Sätzen wie diesem keine bösen Absichten steckten, verfestigten sie bei mir den Impuls, dass es mir liegt, ich nicht so rumheulen sollte, denn es sei ganz normal, mal down zu sein. Das führte dazu, dass ich mir selbst gegenüber einen massiven Druck aufbaute, endlich voran zu kommen. Ich steckte mir die höchsten Ziele, verglich mit anderen, weil ich dachte: diese Menschen schaffen es doch auch, obwohl es ihnen auch manchmal schlecht geht, warum kriege ich das nicht hin? Andere Menschen waren meinem Empfinden nach viel weiter, entschlossener und glücklicher als ich. Ich entwickelte einen inneren Kritiker, der mir gnadenlos alle Unzulänglichkeiten meines Handelns und Denken vorhielt.

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Im Studium konnten dann selbst die besten Noten diesen inneren Kritiker nicht zufrieden stellen. Ich war unfähig zum Glück, hasste mich auf der nächsten Ebene genau dafür, nur mich auf der wiederum nächsten auch dafür zu hassen. Ein Kreislauf ohne Möglichkeit auszubrechen.Bereits in dieser Zeit habe ich immer wieder die Flucht in den Alkohol gesucht, was ab einem gewissen Pegel wahlweise zu Aggressionen und emotionalen Zusammenbrüchen mit stundenlangem Weinen geführt hat. Am nächsten Tag setze die Scham über dieses Verhalten ein und der Kreislauf aus Selbsthass und Kritik setzte sich fort. Während dieser Phase studierte ich in einer kleineren Stadt. Die dortigen Studentenpartys vermied ich weitestgehend, weil sie einen dörflichen Charakter hatten und alle nur über ihr Studium redeten.

Beim Feiern kannst du anfangs aus der Depression ausbrechen

Studiumsbedingt wechselte ich die Stadt und landete in Berlin, dem Zentrum der Clubkultur. Mein Hang zum destruktiven Eskapismus fand hier neue Möglichkeiten. Tagelang konnte ich mich in einen Zustand begeben, der mir ein anderes, besseres Gefühl gab als das des beklemmenden Alltages. Ich begann Drogen zu nehmen. Nicht immer, aber wenn doch dazu kam, hatte ich ein noch stärkeres positives Gefühl. Du kennst es vielleicht: Man ist außer sich und zugleich doch ganz bei sich. In diesen Stunden waren meine belastenden und lähmenden psychischen Mechanismen scheinbar außer Kraft gesetzt.

Am Tag nach meiner ersten Nacht mit MDMA merkte ich, dass die alten lähmenden Mechanismen wieder wirkten. Stärker als zuvor sogar. Nahestehende Freunde führten dieses Gefühl auf den Drogen-Konsum zurück, der, wie naturwissenschaftlich belegt, ja oft zu einem niedrigen Serotonin-Spiegel führt. Und es war durchaus einleuchtend. Alles wird schon wieder, dachte ich mir daher. Es dauerte mehrere Tage, bis sich wieder das gewöhnliche Gefühl einstellte und das heißt: die Symptome der Depression. Die Erfahrung des Wochenendes blieb jedoch präsent und denkst dir: Das ist eine reale Möglichkeit, deinen Zustand zu verbessern. Nicht wie unter Alkohol, bei dem ich mich selbst in Gefahr brachte.

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In Berlin fand mein Hang zum destruktiven Eskapismus neue Möglichkeiten.

Ich fing an, regelmäßig zu konsumieren, suchte schon Montags die passende Party für das kommende Wochenende raus, weil der Effekt umso besser war, wenn mich die Musik ohnehin begeistern konnte. Immer wieder stellte sich das neue Gefühl ein, immer wieder aber auch die Niedergeschlagenheit am nächsten Tag. Tagelang kam ich nicht aus dem Bett, legte meine Seminare und Vorlesungen daher auf das Ende der Werkwoche. Ich nahm die immer wiederkehrende Lethargie in Kauf, um mich regelmäßig in den Zustand versetzen zu können, der mir als Glück erschien. Für dich klingt es vielleicht unglaubhaft, aber in einer Nacht blieb eine junge Frau auf der Tanzfläche stehen und sah mich an erstaunt an. "You look so happy, I never saw someone being so happy." Sie stand noch eine Weile da und sah mir zu, während ihr Freund immer wieder an ihrem Arm zog, bis sie nachgab.


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Mit der Zeit wurde der positive Effekt der Nacht immer geringer, es häuften sich die Beinahe-Abstürze. Zu den emotionalen Hochs kamen die Tiefs: Gefühlsausbrüche, die Kindheitserlebnisse aus der Verdrängung ins Bewusstsein rückten. Aus Angst vor dem nächsten Tag fiel es mir noch schwerer, nach Hause zu gehen. Ein mal kam ich nach einer langen Nacht aus dem Club der Visionäre und ging von dort ins Berghain. Die Türsteher, die so gefürchtet werden, sagten zu mir—kein Witz—, dass ich ein paar Stunden schlafen solle, dann aber reinkäme. Ich willigte ein, setzt mich dann aber mit ein paar Bier hinter eines der Häuser in der Nähe des Clubs auf eine Couch, auf der bereits ein Obdachloser saß. Ich trank Bier mit ihm und er erzählte mir, wie er zu dem Menschen wurde, der nun neben mir sitzt. Wie sehr er seine Tochter vermisst, die er seit fünf Jahren nicht mehr gehört hatte. In solchen Situationen denkst du dir: Was ist mein Gejammere gegen dieses Leben? Ich gab ihm zehn Euro und sagte: eine Hälfte für Alkohol und eine für eine Telefonkarte. Er willigte ein.

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Als ich zurück zum Berghain ging, kam ich tatsächlich rein. "Jetzt siehst du schon besser aus", sagte einer der Türsteher. Ich ging rein, für drei Stunden, doch fühlte mich entfremdet. Von den anderen und von mir selbst. Als ich ging, es war 15 Uhr, lief ich zur Eastside Gallery. Tränen in den Augen, während ich mir ein Album von Austra anhörte. Ich lag heulend auf dem Rasen, umgeben von glücklichen Menschen. Einer fragte: "Kann man dir irgendwie helfen?" Ich schüttelte nur den Kopf.

Großartige Momente und tiefe Abstürze wechseln sich ab.

Die Spirale aus Selbstvorwürfen vertiefte sich in der Folgezeit immer mehr. Ich machte mir Gedanken, merkte, dass ich mir Hilfe suchen sollte. Was ich jedoch nicht hinbekam. Rückblickend weiß ich, dass es Teil der Krankheit ist, dieses kaum zu können. Die Situation war aussichtslos, vorherbestimmt. Es war wie ein permanenter Zustand der Melancholie, bei dem man sich nach etwas sehnt, das man nie hatte und nicht glaubt, je finden zu können. All die Probleme, die mir durch den Kopf gingen, schienen mir abstrakt als für andere Menschen lösbare, jedoch nicht konkret für mich. Trotzdem ging ich damals weiter feiern. Von Außen merkte man mir meinen inneren Zustand nicht an. Im Gegenteil, ich wirkte und wirke auf viele Mitmenschen wie ein lustiger Zeitgenosse, der um keinen Witz verlegen ist. Doch dieser Humor ist oft nur ein Form des Umgangs mit meinem Befinden gewesen, die den eigentlichen Zustand verdeckt hat. Und diese Funktion sollte es wahrscheinlich auch haben.

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Meine Freunde rieten mir, eine Therapie zu machen. Nach wochenlangen Versuchen, endlich zum Hörer zu greifen, hatte ich einen Termin bei einem tiefenpsychologisch arbeitenden Therapeuten. Nach dem ersten Gespräch war klar, dass ich eine Behandlung benötige. Allerdings müsste ich auf alle legalen und illegalen Drogen verzichten, was ich nicht konnte. Ich entschied mich weiter zu machen wie bisher, auf der Suche nach etwas, das ich nicht finden konnte. Mein Studium litt darunter ebenso wie meine Beziehung. So sehr dein Partner oder deine Partnerin es auch versucht, nachempfinden können sie das Gefühl nicht. Es ist nicht einfach nur so als sei man permanent traurig oder geknickt. Oder "Depri", wie manche sagen. Es ist das Gefühl eines deterministischen Verlaufs des Lebens und der Welt, der durch nichts aufzuhalten ist. Oder mit einem Wort: Ohnmacht. Alles was du spürst, ist Ohnmacht.

Am Tag nach meiner ersten Nacht mit MDMA merkte ich, dass die alten lähmenden Mechanismen wieder wirkten.

Als ich meine damalige Freundin kennenlernte, kamen bessere Zeiten. Doch auch eine Beziehung kann nicht alles auffangen und leidet im Laufe der Zeit zunehmend unter den Depressionen eines Partners. Du kannst dir einfach keine gemeinsame Zukunft vorstellen, wenn du diese als düster und dem Untergang geweiht siehst. Oft fühlte ich mich dann unverstanden, musste hilflos formulieren, dass ich nicht anders könnte. An anderen Tagen wiederum empfand ich die Probleme, die durch meine psychischen Zustand entstanden waren, als Belastung, ohne die es sich besser leben würde. Oder als jemand, der einfach nur zu faul ist und den Arsch nicht hochkriegt. Mitunter dachte ich auch, ich sei zu dumm für alles und nicht lebensfähig.

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Mit letzter Kraft, die ich nur aufgrund von äußerem finanziellen Druck aufbringen konnte, schaffte ich meinen Studienabschluss. Danach kommt ja angeblich dieses Loch, in das man fällt und von dem alle immer reden. Nur befand ich mich bereits vorher darin. Nach der Verteidigung meiner Abschlussarbeit ging ich feiern, nicht weil ich mich freute, sondern weil es Routine war. So blieb es auch in den Monaten danach. Mein psychischer Zustand verschlimmerte sich dabei sogar.

Gegenwärtig habe ich das erste mal eine Perspektive, dass es mir besser gehen könnte. Die Bedingung dafür wurde von außen geschaffen. Meine Freundin gab mir das Telefon und die Nummer einer Beratungsstelle. "Ich gehe nicht weg, bevor du da angerufen hast." Es war die richtige Handlung von ihr. Ich fand einen Therapeuten und bekam eine Diagnose, das allein war schon erleichternd. Zu wissen und vermittelt zu bekommen, dass einen doch einiges unterscheidet von vielen anderen, denen es auch mal schlecht geht, nahm Verantwortung von mir. Natürlich ließ dieses Gefühl der Erleichterung irgendwann nach. Doch durch die wöchentlichen Therapiesitzungen gibt es jedoch eine Perspektive, einen glücklichen Zustand zu erreichen, trotz der gesellschaftlichen Umstände, die es erschweren, diesen zu erreichen.

Das Feiern kann den Alltag nicht verdrängen—bei Depressiven erst recht nicht

Feiern gehe ich heute immer noch. Ohne MDMA oder ähnliche Substanzen. Denn trotz der vielversprechenden Ergebnisse zu MDMA und Ketamin in der Psychotherapie sind die Comedowns nach einer exzessiven Party-Nacht mit Ecstasy für Depressive noch schwieriger zu bewältigen als ohnehin schon. Jeder Therapeut rät daher zurecht davon ab, während einer Therapie und danach Drogen zu nehmen. Da meine Behandlung mein Leben lang andauern wird, muss ich darauf für immer verzichten.

Das Nachtleben ist für Menschen mit psychischen Leiden vermutlich besonders attraktiv. Wenn du unter Schlafstörungen leidest—wie ich—, kannst du sie durch das Weggehen verdrängen, gerade in Berlin. Mittlerweile gibt es ein paar DJs, die darüber reden, wie die das nächtliche Auflegen ihr Leben verändert hat; wie ihr Lebensstil jahrelang den eigentlich psychischen Zustand verdeckt hat oder ein bestimmtes Leiden erst hervorbrachte.

Das Klischee von Depressiven drückt sich häufig im Bild des traurig in der Ecke sitzenden Menschen aus, der keinen Spaß haben kann. Wenn du aber selbst keine Depressionen hast, dann lass dir gesagt sein: Vielleicht ist der Depressive nicht diese Person, die so trist daherguckt und am Rand sitzt, sondern die glücklich aussehende Person neben dir auf der Tanzfläche.

Der Autor möchte anonym bleiben.

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