Vor einiger Zeit stolperte ich über den besten Artikel über Körperkult, den ich bis dahin gelesen hatte. Der amerikanische Schauspieler Matthew McGorry, bekannt für seine Rolle als Gefängniswärter in Orange Is The New Black, hat ihn auf Medium veröffentlicht. Er spricht darin ganz offen über seine Essstörung. Nachdem er an Gewicht zugenommen hatte, sagten ihm Freunde und Kollegen oft, dass er so keine Hauptrollen bekommen würde. "Für eine lange Zeit glaubte ich, moppelig zu sein sei das Schlimmste. Männer sollen robust, stark und schroff sein.”
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McGorrys Erfahrung erinnert uns daran, dass Essstörungen nicht nur Frauen betreffen. "In Italien sind ungefähr fünf bis zehn Prozent der Menschen mit Anorexie männlich", sagt Ernährungswissenschaftlerin Viviane Valtucci. In Nordamerika seien die Statistiken ähnlich. "Es gibt keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern, wenn es um Heißhungeranfälle geht. Dann gibt es Bigorexia, die Muskelsucht, den krankhaften Zwang, einen muskulösen Körper zu haben. "Das ist keine klassifizierte Gesundheitsstörung, aber sie ist real und sie betrifft hauptsächlich Männer."Genauso wie Anorexie ist Bigorexia eine körperdysmorphe Störung – eine krankhafte Obsession mit dem eigenen Körper und seinen (subjektiv wahrgenommenen) Mängeln. Während Anorexie einen immer dünner werden lässt, ist Bigorexia die ständige Sorge, nicht muskulös oder fit genug zu sein. Der britische National Health Service hält fest, dass eine körperdysmorphe Störung zu Depression, Selbstverletzung und Suizid führen kann. Körperkult ist ein fundamentaler Teil der Diät- und Wellnesskultur. Selbst persönliche Ziele, die in einem gesunden Rahmen liegen, können ungesunden oder unrealistischen ästhetischen Ansprüchen zu Grunde liegen – zum Beispiel, ein bestimmtes Prozent an Körperfett zu erreichen. Paleo- und Keto-Diäten werden als männlich angesehen, weil man sie mit der Ernährung von Neandertalern assoziiert. Männer, die sich in idealisierte Körperformen meißeln wollen, unterziehen sich ihnen häufig. Langfristig sind sie aber sehr schädlich – insbesondere, wenn sie mit Anabolika kombiniert werden.
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"Toxische Maskulinität kreiert unrealistische Körperideale", sagt Giuseppe Magistrale vom Apulischen Zentrum für Essstörungen über seinen persönlichen Kampf mit seinem Körper. Giuseppe beschreibt seine Erfahrung in der Gemeinschaft der Bodybuilder so: "Es war eine Welt, die mir ein Gefühl von Macht und Geborgenheit gab. Zu der Zeit teilte ich alles in ´´richtige Körper ´´ und falsche Körper ein. Wir waren obsessiv, wenn es um Gewicht und Körperfettanteil ging. Einmal schrieb ein Typ in einem Fitnessforum, 'Ich weiß nicht, ob ich ein Mädchen um ein Date fragen will, bevor mein Arm 44 Zentimeter misst'. Alles drehte sich um unsere Körper."Dieses Erlebnis klingt vielleicht extrem, aber Giuseppe weist auch auf die früheren Warnzeichen hin, auf die Männer achten können. "Die Alarmglocken fangen bei mir an zu schrillen, wenn jemand seinen Körper über alles verändern möchte, Freundschaften vernachlässigt und zwanghaftes Verhalten an den Tag legt. Das Problem liegt nicht darin, fit sein zu wollen, sondern zu denken, dass sich alle deine Probleme lösen, wenn du fit bist. Man versucht, einem Körpergefühl zu entfliehen, das nie weggeht."