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Neues Album

„Jemandem wie Lorde willst du keine harte Bassline verpassen“—Disclosure im Interview

Disclosure sprachen mit uns über ihr neues Album ‚Caracal‘, Youtube-DJing und das Berghain.

– Fotos: Jan Kapitän

So ein Bruder kann schon eine ziemlich tolle Sache sein. Mal ältester Erzfeind, mal bester Kumpel, entwickeln sich die Wege nach den Kindheitsrangeleien, feuchten Fuzzis und dem ersten gemeinsamen Clubabend nicht selten auseinander. Der eine übernimmt den elterlichen Betrieb, der andere geht zum Studieren nach Südamerika oder andersherum. Vielleicht bleibt man aber immer ein Herz und eine Seele und gründet einfach zusammen eine Band. Auftritt: Disclosure. Als du vor ein paar Jahren erstmals von Guy und Howard Lawrence gehört hast, hatten die beiden Brüder aus der südenglischen Grafschaft Surrey gerade erst die Grenze zur Volljährigkeit überschritten. Alt genug, das traute Heimstudio im Elternhaus zu verlassen.

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Nach eher verträumten, bereits mit ersten neugierigen Reaktionen bedachten EPs auf Auskenner-Indielabels wie Greco-Roman nisteten sich Disclosure, mittlerweile mit Major im Rücken, ab 2012 konsequent in den britischen Top20 ein. Ihre Musik: Ein herrlich perfekter Hybrid – designt, aber nicht zu glatt; abgeleitet von 2Step-, House und Garage-Klassikern, aber eben auch gerade heraus und leicht genug, um sich auch der großen Masse zu erschließen. Pop-Step konnte man dazu sagen. Puristen hoben sofort Arme und Zeigefinger: Hier verwässern zwei Weißbrote die Clubkultur! Dabei formulierten Disclosure mit Gästen wie Sam Smith, AlunaGeorge und Jessie Ware eher eine hoch integere Gemeinschaftsidee von britischem Pop der Post-Nuller-Jahre. Eine Grammy-Nomierung und eine Zusammenarbeit mit Nile Rodgers folgten.

Für ihr neues, zweites Album, Caracal, ist die Gästeliste noch bunter geworden. Lorde ist mit dabei, The Weeknd, R'n'B-Star Miguel, aber auch die gottgegebene Soul-Stimme von Gregory Porter. Ein bisschen lehnt sich das Album deshalb auch in Richtung Schmuse-After-Hour, es sei denn, die zwei Brüder bleiben unter sich: Dann geht es dynamisch zu und direkt auf die Vierviertel.

In Berlin haben wir Disclosure zum Update getroffen. Es ist das letzte Interview eines langen Tages. Howard, 21, markante Augenbraue, mag Wildkatzen, trinkt Wasser. Guy, 24, Labelshirt von Bicep, mag auch Wildkatzen, trinkt Gin Tonic.

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THUMP: Ist das eure übliche Drink-Aufteilung?
Howard: Ja, so ist das immer. Ich trinke nicht, da ich es überhaupt nicht mag, betrunken zu sein.

Und, ist Guy ein gut zu ertragender Betrunkener?
Howard: Naja …
Guy: Hey, du hast gesagt, ich wäre super nett, wenn ich betrunken bin.
Howard: Das stimmt! Vor allem wirst du anfälliger für Tricks! Man kann dich leichter reinlegen und dazu kriegen, dass du einem etwas holst oder so.

Wird er anhänglich?
Guy: Ihr wisst schon, dass ich noch hier bin, oder?
Howard: Egal wo er sich befindet – und in welcher Situation – sobald Guy betrunken ist, fängt er an, aufzulegen. Selbst wenn er nur mit einer einzigen Person allein zu Hause ist.
Guy: Oder ganz alleine.

Greifst du dann auch mal zum iPod oder wirst zum YouTube-DJ?
Guy: Ich nehme alles, was in dem Moment verfügbar ist. Ich mag iPods aber nicht sonderlich. YouTube-Sets wiederum sind großartig. Da kann man mehre Tracks gleichzeitig vorbereiten. Aber das habe ich noch nie auf der Bühne gemacht.

Das hoffe ich!
Guy: Es wäre ziemlich schwierig und anstrengend. Aber wenn du betrunken bist, klingt so ein YouTube-Set wahrscheinlich auch besser als es ist. Wusstet ihr, dass es mittlerweile sogar eine App gibt, mehr der man zwischen einzelnen Videos crossfaden kann?
Howard: Nein.

Inwiefern unterscheiden sich deine YouTube-Sets etwa von den beiden Disclosure-Sets im Berghain?
Guy: Ich mache das meistens auf Haus-Partys. Dann sind meine Freunde um mich herum, also Mädchen, und es ist ziemlich wahrscheinlich Disco Time, cheesy disco time! Das Berghain-Set bestreiten wir wiederum nur mit Vinyl und nur mit Techno. Und es war eine fantastische Ehre und eine Herausforderung, im Berghain aufzulegen. Für solche Sachen machen wir das Ganze ja. Wir verlangen uns dann alles ab, spielen die Tracks, die wir normalerweise nicht spielen würden, und tauchen bis in die letzte Ecke unserer Kenntnisse über Techno hinab. Das sind die einzigen Sets, die wir richtig vorbereiten müssen, was wir sonst nicht machen.

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Glaubt, ihr dass euer kommerzieller Erfolg irgendwann einem weiteren Booking im Berghain im Wege stehen könnte?
Guy: Ich weiß nicht. Wir haben beide Male bei Leisure System am Freitag gespielt, wo es etwas vielfältiger zugeht als sonst. Wenn sie uns buchen wollen, können sie das jederzeit. Ich würde gerne wieder dort spielen. Beim letzten Mal waren wir ja auch schon in den Charts und es war ein toller Abend.

Mittlerweile habt ihr sogar euer eigenes Festival, das Wild Life. Kürzlich war die Premiere. Wie lief's?
Guy: Es war abgefahren. Wir hatten darüber schon sehr, sehr lange nachgedacht, im Prinzip seit dem Anfang von Disclosure. Es waren zwei Tage mit Nas, Wu-Tang, Skepta & JME, Wiley, Jamie xx, Mark Ronson, und so ziemlich allen DJs aus der britischen Szene, die wir lieben, wie Joy Orbison und Midland. Unsere gesamte iTunes-Bibliothek war also da. Das Programm hatten wir gemeinsam mit Rudimental zusammengestellt. Wild Life ist unsere Marke. Wir haben unserem Agenten einfach gesagt, wen wir haben wollen, und er hat sie besorgt.
Howard: Nahezu alle haben sofort zugesagt. Ich glaube, Musiker unterstützen immer gerne junge Festivals und gerade eines, das von Musikern selbst organisiert wird, da sie selbst mit dem Gedanken spielen, so etwas einmal auf die Beine zu stellen. Aber gerade für die kleineren, jungen Acts war es auch ein tolles Schaufenster. Viele meiner Freunde waren begeistert davon, dass sie bei unserem Festival so viel neue Musik entdeckt haben.

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Sind Disclosure jetzt ein erfolgreich laufendes Unternehmen?
Guy: Als Festivalorganisatoren schon. Wir haben sogar Gewinn gemacht. Damit hätten wir nie gerechnet. Das wird jetzt alles wieder in die nächste Ausgabe investiert, um sie noch größer zu machen. Ansonsten: Uns geht es gut. Wir sind beide ausgezogen, was unsere Eltern sicherlich ziemlich gefreut hat, haben unsere Häuser in London. Vor allem stecken wir immer wieder unser Geld in die Live-Show. Die Lichtshow, Videoleinwände und alle Instrumente – bis auf die PA gehört alles uns. Wir besitzen die volle Kontrolle. Aber natürlich wird auch beständig an den Inhalten gearbeitet. Da ist die Band ganz wie ein Unternehmen: Du musst investieren, um etwas herauszubekommen.
Howard: Die Leute wollen nicht drei Mal das selbe Konzert sehen, sondern etwas Neues, Frisches. Deshalb designen wir die Show immer wieder um. Aktuell gibt es viele Kameras, die uns beim Spielen filmen. Man sieht also, dass wir live zugange sind, …

… was heutzutage ja nicht selbstverständlich ist …
Howard: Exakt! Unser Gestalter hat zudem eine Bühne entworfen, bei der jeder Teil beweglich ist. Wenn also jemand beim ersten und beim dritten Lied ein Foto macht, sieht das komplett unterschiedlich aus.
Guy: Jedes Stück bekommt so seine eigene Identität. Nicht nur deine Ohren, auch deine Augen bekommen also eine Erfrischung.

Wie wichtig ist also die Marke Disclosure für die Band Disclosure?
Guy: Wir hatten auf jeden Fall von Anfang an großes Glück, was das betrifft, durch das gezeichnete Disclosure-Gesicht. Das sollte eigentlich nie unsere Marke werden, aber jetzt ist es wie ein Logo, das man überall und auf jeden drauf packen kann. Das war sehr wichtig. Die Leute lieben es, die Grafik über ihr eigenes Gesicht zu legen, oder zu sehen, wie wir neues Kollaborationen einfach dadurch ankündigen, indem wir es mit dem Gesicht des Sängers verschmelzen und sie ihn erraten müssen.
Howard: Ich denke allerdings nicht, dass als Marke wichtig für uns ist, Sachen zu kuratieren. Es ist nur wichtig, weil wir das persönlich wollen. Unsere Fans interessiert die Musik, die wir mögen, und das war der beste Weg, ihnen diese zu zeigen. Sie vertrauen uns.

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Bei all dem Erfolg und der Strategie hätte ich allerdings nicht gedacht, dass ihr es nötig hättet, euch auf Cat Content zu verlassen.
Guy: Du meinst das Caracal-Cover, oder? Das ist nur eine visuelle Spielerei. Wir lieben diese Wildkatzen schlichtweg.

Geht ihr auch mal wandern und zelten, um sie in freier Wildbahn zu sehen?
Howard: Das würde ich sehr gerne machen! Ich habe sie mal im Zoo gesehen. Zu dem bin ich nur wegen der Karakals gefahren. Diese großartigen Katzen können bis zu drei Meter hoch springen und sind aber gerade mal so groß wie dieser Couchtisch hier. Ihr Look ist zudem schlicht konkurrenzlos.
Guy: Und niemand kennt sie! Die Leute denken ernsthaft, wir hätten uns diese Katze ausgedacht. Ich würde auch gerne mal so eine in echt sehen – oder so eine Falken-Show, wo der Vogel direkt von hinten angerauscht kommt und auf deiner Hand landet.

Ihr seid also echte Naturburschen, hm?
Guy: Haha, nicht wirklich. Ich gehe auch nicht zelten, außer bei Festivals.

Das liegt jetzt aber bestimmt auch Jahre zurück.
Guy: Nein, ich habe das erst dieses Jahr in Glastonbury wieder gemacht. Wir sind da aufgetreten und hatten natürlich auch ein Hotel und alles, aber ich war zu fertig und der Weg war mir zu weit, also habe ich einfach im Zelt einer Freundin gepennt.

Hat dich niemand erkannt?
Guy: Nur wenige. Im Dunkeln schert sich niemand wirklich darum, wer du bist.

Freut ihr euch eigentlich, dass ihr so normal ausseht? Das macht es doch bestimmt einfacher in solchen Situationen.
Guy: Oh ja, absolut. Allerdings wird How' schon öfters erkannt als ich.
Howard: Ich glaube, es liegt an meinen Augenbrauen.
Guy: Definitiv. Eigentlich werden wir nur erkannt, wenn wir zu zweit unterwegs sind. Bei einem allein fragen sich die Leute immer: „Ist er das?" Und denken dann: „Nein, nein, doch nicht!"
Howard: Aber sie halten sich zurück. Außer in den USA, da sind sie ziemlich rücksichtslos. Die Leute laufen einfach auf dich zu und rufen: Du bist der von Disclosure! Schnell noch ein Foto für Instagram zum Rumzeigen – nicht für sich selbst – und das war es dann. Aber in London kann ich fast den ganzen Tag ungestört herumlaufen.

Wo wir schon von euch reden: Mir ist aufgefallen, dass die Lieder auf Caracal, in denen ihr mit Vocal-Samples statt mit Sängern arbeitet oder Howard selbst sind, deutlich heftiger und roher sind als der Rest.
Guy: Das kann sein, ist aber Zufall. Obwohl, wenn ich so überlege … „Jaded", „Echoes" – da geht es um ernstere, dunklere Themen. Dinge, die uns persönlich passiert sind. Deshalb sind wir wohl auch etwas angepisst da im Sound. Bei den anderen Liedern geht es hingegen um alle möglichen anderen Sachen, über die eben auch die Sänger und Sängerinnen reden wollten.
Howard: Das machen wir nämlich nie: ein Lied schreiben und erst dann uns mit einer Sängerin zusammenzusetzen. Wir beziehen unsere Kollaborateure immer von Anfang an mit ein.
Guy: Außerdem willst du jemanden wie Lorde mit ihrer weichen Stimme keine harte Bass-Line verpassen. Das ist ja auch das Tolle an der Arbeit mit so vielen verschiedenen Leuten: Du erhälst ganz unterschiedliche Inspirationen und Einflüsse.
Howard: Da sind die kleinsten Dinge richtungsweisend. Hätte Lorde gesagt, sie wolle einen House-Track, hätten wir ihr einen gebaut. Aber so haben wir eben ganz natürlich mit einem HipHop-artigen Beat angefangen.

Über Lorde habt ihr getwittert, die Zusammenarbeit mit ihr wäre die „ebenbürtigste" gewesen. Warum?
Howard: Wir schreiben normalerweise zu viert. Guy, Jimmy Napes, ich und der jeweilige Gast. Wenn es dann eine Diskussion gibt, gewinnen meistens wir, da wir ja zu dritt sind. Aber mit Ella, also Lorde, ging das nicht. Sie wollte einfach nicht nachgeben. Sie hat ihre Kämpfe durchgestanden. Wir hatten also diese großartige Session und machten dann einen Disclosure-Track daraus. Als wir ihn ihr schickten, kam vier lange Absätze zurück, was alles geändert werden müsste. „Nehmt die Drums hier raus" und so weiter.
Guy: Normalerweise sind die Sänger da eher zurückhaltend, weil sie denken: Hey, es ist eben für das Disclosure-Album. Nicht aber Lorde. Sie war voll involviert und so könnte „Magnets", unser gemeinsames Lied, jetzt auch auf einem neuen Album von ihr absolut funktionieren.
Howard: Sie hat den Song wirklich besser gemacht.
Guy: Alles was sie schrieb, hatte Hand und Fuß. 20 % der Produktion gehen also auf ihre Kappe. Ach sagen wir: 22!

Seid ihr also gut darin, Kritik anzunehmen? Da gab es ja einige: Von der Pop-Step-Debatte, als ihr bekannter wurdet, über Azealia Banks, die euch Prügel androhte, bis hin zu einer fallengelassenen Urheberrechtsklage. Es lief also ganz gut für euch.
Guy: Oh ja. Wir sind recht gut durchgekommen, gerade auch, weil wir außer der Klage nie etwas kommentiert haben. Die Leute waren überwiegend nett zu uns. Und diejenigen, die sich echauffiert haben, besonders eine gewisse Person, sind meistens auch bekannt dafür, immer wieder Streit anzuzetteln. Außerdem tweeten und instagrammen wir so gut wie nichts aus unserem Privatleben. Du wirst bei uns nie einen Post sehen wie: This is how I work out!
Howard: Höchstens irgendein blödes Foto, auf dem ich mit einer Statue pose. Ich habe weder Facebook noch Instagram.
Guy: Wir sind wirklich einfach nur für die Musik hier.