Illustration vom ungarischen Ministerpäsidenten Viktor Orban, Viktor Orban holte sich dieses Jahr Fake-Wahlbeobachter ins Land. Er ist das erste Staatsoberhaupt der Europäischen Union, der das gewagt hat
Illustration: Philipp Sipos || Männer: IMAGO / YAY Images | Parlament: IMAGO / Pixsell | Orbán: IMAGO / Xinhua
Politik

Fake-Wahlbeobachter: Wie deutsche Politiker autokratischen Regimen helfen

Ihre Spuren führen nach Georgien, Ungarn und Berlin – eine Recherche von VICE und t-online.

Wenn deutsche und österreichische Politiker ein Regime besuchen, das seit Jahren die Pressefreiheit angreift und politische Gegner bekämpft, erwartet man einen kritischen Blick. Besonders wenn sie zur Wahlbeobachtung anreisen. Niemand würde damit rechnen, dass sie sagen: "Hier lief alles super! Die Wahl war fair, frei, geheim und alle Prozesse waren transparent." Besonders dann, wenn andere Wahlbeobachter, entsandt durch international anerkannte Organisationen, von ominöser Wahlkampffinanzierung berichten, von zensierten Medien und verletzten Wahlgeheimnissen. Und dennoch ist das genau so geschehen. 

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Demokratisch gewählte Abgeordnete legitimieren eine unfaire Wahl in einem mehr oder minder unfreien Land. Man könnte ihr Vorgehen als Fake-Wahlbeobachtung bezeichnen. Denn sie beobachten nicht nach anerkannten Standards, sondern nach Gutdünken. Und sie sind weder unabhängig noch überparteilich, wie es Wahlbeobachter sein sollten, stattdessen sind die Fake-Beobachter wohlwollend gegenüber der Regierung des Landes eingestellt, das sie beobachten.


Auch von VICE: Rechtsextreme Gruppen infiltrieren das Militär


VICE und t-online haben wochenlang recherchiert und zeigen auf, was hinter den Fake-Wahlbeobachtern steckt. Wie gehen sie vor? Wer heuert sie an? Und welche Deutschen und Österreicher lassen sich zur Fake-Wahlbeobachtung einladen? (Lest hier mehr auf t-online.de)

Im April dieses Jahres geschah es in Ungarn: Ministerpräsident Viktor Orbán holte Wahlbeobachter ins Land, die in seinem Sinne "beobachten" sollten. Orbán machte das nicht besonders heimlich, aber dennoch bemerkte die deutsche Öffentlichkeit davon nichts. Denn Europa schaute auf Putins Krieg in der Ukraine. Dass die ungarische Bevölkerung am 3. April ihr Parlament wählte, huschte nur kurz über die Nachrichtenseiten.

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Dabei war die Wahl in Ungarn bemerkenswert: Nicht weil Orbán und seine rechte Partei Fidesz wiedergewählt wurden, sondern weil politisch beeinflusste Wahlbeobachter angereist waren, die eine Agenda hatten. Zum ersten Mal traten sie in einem Land der Europäischen Union, EU, auf. Das gab es nie zuvor in den EU-Staaten. Unter den Orbán-nahen Beobachtern waren deutsche und österreichische Politiker neben Vertretern ultrakonservativer Denkfabriken.

Viktor Orban steht vor einem Mikrofon und redet. Dabei breitet er die Arme aus. hinter ihm stehen Männer und lächeln.

Viktor Orbán feiert den Sieg seiner rechten Partei Fidesz | Foto: IMAGO / Xinhua

Der Deal mit der Fake-Wahlbeobachtung läuft meist so: Politiker werden eingeladen. Sie bekommen womöglich einen guten Platz im Flugzeug, ein schickes Hotel oder gar eine großzügige Überweisung. Im Gegenzug schauen sie nicht so genau hin.

Fake-Wahlbeobachter dienen autoritären Herrschern dazu, Wahlbetrug reinzuwaschen und zu verschleiern, dass Standards demokratischer Wahlen nicht eingehalten wurden. Die Diktatoren wollen damit eine Gegenöffentlichkeit schaffen und seriöse Wahlbeobachter in Verruf bringen. Denn die Botschaft der Fake-Beobachter lautet immer: "Diese Wahl war demokratisch, fair, frei und geheim." Selbst wenn es nicht so war. Der Bevölkerung wird der Eindruck vermittelt: An unserer Wahl gibt es nichts auszusetzen. Kritisieren seriöse Beobachter die Wahl, treten die Fake-Wahlbeobachter dieser Kritik entgegen. Es ist ein Versuch der Delegitimierung. Und die Fake-Beobachter haben kaum Nachteile. Denn in dem Land, aus dem sie kommen, bemerkt ihre Ausflüge oft niemand.

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Deutscher Europaabgeordneter spricht von fairer Wahl

Seit Viktor Orbán 2010 an die Macht kam, baut Ungarn demokratische Strukturen ab. Die Rechtsstaatlichkeit im Land ist schon viele Jahre lang porös. Ungarn und die EU streiten ständig miteinander. Der neuste Zank dreht sich darum, ob Ungarn die Sanktionen gegen Russland mitträgt. Denn Orbán und Putin verstehen sich gut. Vor kurzem erzählte Orbán, wie Putin ihm immer als Erster zum Wahlsieg gratuliert habe.

Dass Orbán und seine Fidesz sich für die jüngsten Parlamentswahlen Fake-Beobachter holten, ist ein weiterer Schritt raus aus der EU und hin zur Orbànschen Diktatur. Normalerweise entsendet die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE, Wahlbeobachter. Nach dem Zerfall des Ostblocks hatten sich 57 Staaten darauf geeinigt, die Demokratie zu stärken. Dazu gehören regelmäßige Wahlbeobachtungsmissionen. Die OSZE-Beobachter folgen einer festgelegten Methodik, sind längere Zeit in einem Staat und beobachten nicht nur den Wahltag, sondern auch was davor und danach geschieht. Mit anderen Worten: OSZE-Wahlbeobachter sind unabhängig. Und damit ziemlich gefährlich für Regime, die demokratische Prozesse abschaffen wollen.

Wie verpasst man seinen Wahlen also ein Demokratiesiegel, auch wenn sie so gar nicht demokratisch ablaufen? Wie kegelt man die OSZE-Beobachter aus, die so anstrengend auf Regeln pochen? Dafür gibt es verschiedene Wege.

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Einer ist, wohlgesonnene Politiker aus demokratisch gewählten Parlamenten anzuwerben. Im besten Fall treten sie am Morgen nach der Wahl vor die Presse und beteuern, wie gut alles lief. So tat es der Europaparlamentarier Lars Patrick Berg. 

Berg saß für die AfD im Landtag Baden-Württembergs. Inzwischen ist er deutsches Mitglied des Europäischen Parlaments. Er gehört nicht mehr der AfD an, sondern der Partei der Liberal-Konservativen Reformer, LKR, die AfD-Mitgründer Bernd Lucke ins Leben rief. Am 3. April dieses Jahres streifte Berg durch die Wahllokale in Budapest und den umliegenden Dörfern. Danach gab er mehreren ungarischen Zeitungen Interviews. Die rechte Zeitung Mandiner zeigte ein großes Foto von Bergs Gesicht oben im Artikel. Darunter sagt er über die Wahl: "Der Prozess war transparent. Die Leute waren begeistert, also insgesamt eine faire Wahl." Mandiner gehört zu der ungarischen Medienstiftung KESMA, die als rechte Hand der Fidesz gilt. Sie ist Teil des rechten Medienimperiums, das Orbán schuf. Die KESMA-Medien sorgten auch für ungleiche Bedingungen im Wahlkampf. So wurde die Opposition wesentlich weniger gehört als die Regierung.

In der Orbán-nahen Tageszeitung Magyar Nemzet ließ sich Berg ebenfalls zitieren: "Es gibt Politiker und Parteien, die versucht haben, die ungarische Gesellschaft zu polarisieren und die von Viktor Orbán geführte Regierung zu dämonisieren. Sie haben den [...] politischen Parteien die Rollen von Gut und Böse zugewiesen. Die Guten waren die pro-europäisch Eingestellten und die ungarische Regierung wurde als Teufel dargestellt. Dabei war das gar nicht notwendig. Denn die Ungarn wissen selbst, was gut für sie ist." Kein Wort über Demokratieabbau in Ungarn oder die eingeschränkte Pressefreiheit vor der Wahl. Dafür noch der Satz: "Es war eine demokratische und souveräne Entscheidung des ungarischen Volkes." Auf Anfragen von VICE und t-online reagierte Berg nicht.

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Stimmt das, was Berg den ungarischen Zeitungen sagte? Seine Beobachtungen lassen sich kaum überprüfen. Doch wer den Bericht der OSZE liest, bekommt einen anderen Eindruck von der Wahl.

Die Opposition sagt: "Diese Wahlen kann man nicht als demokratisch bezeichnen"

Die Wahlbeobachtungsregeln der OSZE gelten in demokratischen Staaten als Goldstandard. Dieses Jahr startete die Organisation zum ersten Mal eine Langzeitmission in Ungarn. Mehrere Hundert Wahlbeobachter reisten in das Land. Die Mehrheit der OSZE-Beobachter bewertete den Wahltag als friedlich. Allerdings seien die Wahlen nicht immer geheim verlaufen. Viele Wahllokale seien überfüllt gewesen. Menschen sollen in Gruppen abgestimmt haben. In einem Drittel aller Lokale seien die Kabinen so aufgebaut worden, dass man nicht unbeobachtet sein Kreuz habe setzen können. Doch das waren die kleineren Übel.

Große Probleme bemerkte die OSZE im Wahlkampf: Wählerinnen und Wähler haben sich demnach gar nicht richtig informieren können. Die Berichterstattung vieler Medien sei im Sinne der regierenden Fidesz verlaufen. Seit Viktor Orbán 2010 an die Macht gekommen ist, zentralisiert seine Regierung die Medien mehr und mehr. 2018 überführte er fast 500 Medien in die KESMA-Stiftung und besetzte die Führung mit Personen, die loyal zu ihm stehen. Vor den Wahlen im April wurden Journalisten zensiert und von Protesten ferngehalten, sodass sie nicht berichten konnten.

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Die OSZE kritisiert auch, dass es keine Transparenz bei der Wahlkampffinanzierung gab. Spenden mussten nicht offengelegt werden. Die Grenzen zwischen der Regierungspartei Fidesz und dem Staat verschwammen. Es gab keine Mechanismen, um den Missbrauch von staatlichen Ressourcen zu verhindern. Davon profitierte Orbáns Partei. Und Lars Patrick Berg? Dem fiel all das offenbar nicht negativ auf.

Zita Gurmai ist eine ungarische Politikerin. Hier steht sie mit dem Mikrofon in der Hand auf einer Bühne und spricht.

Zita Gurmai ist eine sozial-demokratische Politikerin aus Ungarn. Sie hält die Wahlen, die im April stattfanden, für undemokratisch | Foto: IMAGO / Belga

"Diese Wahlen kann man nicht als demokratisch bezeichnen”, sagt die ungarische Politikerin Zita Gurmai gegenüber VICE und t-online. Sie zog mit der Wahl im April für die Ungarische Sozialistische Partei ins Parlament ein, eine Art ungarische SPD. Obwohl der OSZE-Bericht zeigt, wie Ungarn seit Jahren die Demokratie abbaut, geht Gurmai der Bericht nicht weit genug. Sie sagt: "Die Regierungsparteien haben viel mehr Werbetafeln bekommen. Außerdem mussten die Oppositionsparteien Vorwahlen abhalten und sie selbst finanzieren. Die Regierungsparteien mussten das nicht." Der gesamte Wahlkampf sei eine Schmierkampagne gewesen.

Rechte Denkfabriken helfen Orbán

Einen ganz anderen Bericht zur Wahlbeobachtung hat das Ordo Iuris Institut geschrieben, ein rechter polnischer Thinktank. Die Denkfabrik macht konsequent Stimmung gegen Homosexualität, Verhütung und Schwangerschaftsabbrüche. Sie meldete 18 Wahlbeobachter für die ungarische Wahl an. Die seien sie zwar nicht bezahlt worden, konnten aber auf Kosten des Instituts reisen, schreibt Ordo Iuris auf Anfrage. Ihr Bericht über die Wahl ist formal ein ordentlich gegliedertes Dokument. Inhaltlich ist es das Gegenteil des OSZE-Berichts. Die rechte Denkfabrik schreibt: Wahltag, Wahlkampf und Parteienfinanzierung seien fair und transparent gewesen. Ungarn spiele in einer Liga mit anderen europäischen Staaten. Der Medienpluralismus in Ungarn habe seit 2010 gar zugenommen. Die einzige Kritik: Für noch mehr Transparenz könne Ungarn in Zukunft seine Wahlurnen vereinheitlichen und durchsichtige Plastikboxen verwenden.

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Regimenahe Vereine, Stiftungen oder Denkfabriken sind ein weiteres Vehikel, über das Fake-Beobachter in Staaten reisen. Sie sind wie ein trojanisches Pferd, das ein Regime selbst vor seine Stadtmauer stellt, wenn eine Wahl ansteht. Das Praktische daran: Über solche Konstrukte kann leicht Geld fließen, was für die Öffentlichkeit kaum transparent wird und schwer zu belegen ist.

Außer jemand gibt es öffentlich zu, wie der CSU-Politiker Eduard Lintner. Er organisierte Wahlbeobachtungsmissionen für das aserbaidschanische Regime. Dafür ließ er sich Geld auf das Konto einer Gesellschaft überweisen, die er eigens dafür gegründet hatte.

Der SPD-Politiker Frank Schwabe lächelt in die Kamera. Er trägt ein blaues Hemd.

Der SPD-Abgeordnete Frank Schwabe war selbst als Wahlbeobachter in Aserbaidschan. Dort begegnete er auch Fake-Beobachtern | Foto: IMAGO / epd

"Ich fürchte, dieses Vorgehen ist häufig der Fall", sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe. "Um Geldflüsse nachzuweisen, bräuchte man schon geleakte Bankdaten." Schwabe setzt sich im Europarat für die Wahlbeobachtung ein, die demokratischen Standards entspricht. Und er war selbst als Wahlbeobachter in Aserbaidschan. Dort begegnete er auch einigen Fake-Beobachtern. "Es kommt mitunter vor, dass die Beobachter kein Interesse an der Wahl haben. Aber sie wollen ein schönes Wochenende verbringen, steuern ein paar Wahllokale an und machen ansonsten Sightseeing."

Das Ordo Iuris Institut ist Teil der Alliance for the Common Good, einem christlich-fundamentalistischen, konservativen Netzwerk, das zur Wahlbeobachtung in Ungarn aufrief. Zu diesem Netzwerk gehört auch das ungarische Zentrum für Grundrechte, das von Orbáns Regierung finanziert wird. Das Ordo Iuris Institut und das Zentrum für Grundrechte verstehen sich als internationale Partner und unterschreiben gemeinsame Erklärungen. Der Direktor des Zentrums für Grundrechte ist gleichzeitig der Chef der Medienstiftung KESMA. All das lässt darauf schließen, dass es eine Verbindung zwischen dem Ordo Iuris Institut und der ungarischen Regierungspartei Fidesz gibt. Auf Anfrage von VICE und t-online teilte die polnische Denkfabrik mit, es gebe keine Beziehung zur ungarischen Regierungspartei. Das kann man wohl anzweifeln.

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Ein anderer Fidesz-naher Thinktank, der Wahlbeobachtungen organisierte, nennt sich Christlich Demokratisches Institut, CDI. Diese Denkfabrik holte zwei österreichische Politiker zur Wahlbeobachtung nach Ungarn: Maximilian Krauss und Harald Vilimsky von der rechtspopulistischen FPÖ. Beide positionieren sich pro-Fidesz, beide gratulierten Viktor Orbán über Facebook und Twitter zum Wahlsieg.

Aserbaidschan-Affäre: Aliyevs geheime Praktikanten-Armee im Bundestag

Und noch eine Organisation fällt auf, wenn man schaut, wer die Wahlen in Ungarn beobachtet und beklatscht: Judicial Watch, eine rechte US-amerikanische Gruppe von Klimawandel-Leugnern. Sie verbreitet regelmäßig Betrugsvorwürfe zu US-Wahlen. Donald Trump wiederholte diese haltlosen Behauptungen mehrfach als Präsident. Die regierungsnahe Zeitung Mandiner, die auch Lars Patrick Berg zitierte, bezeichnete Judicial Watch und das Ordo Iuris Institut als wahre Wahlbeobachter – im Gegensatz zur OSZE, die eine linksradikale Organisation sei. Es erinnert an die Trumpsche Verdrehung der Wirklichkeit. 

Ein Sprecher von Judicial Watch ließ sich auf einer anderen ungarischen Nachrichtenseite noch zitieren, wie reibungslos und effizient die Wahl abgelaufen sei. Und Judicial Watch verfasste ebenfalls einen Bericht, ähnlich wie das Ordo Iuris Institut. Dort steht: "Im Gegensatz zu anderen internationalen Beobachtern ist Judicial Watch der Ansicht, dass es in einem Bericht zur Wahl nicht angebracht ist, sich zur […] Wahlkampffinanzierung, der Verzerrung durch Medien oder der Repräsentationen von Frauen auf Wahllisten zu äußern." Wo es brenzlig wird, machen die Fake-Beobachter also die Augen zu. Auch Judicial Watch schweigt zur Anfrage von VICE und t-online.

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Wahlbeobachter sollten einen überparteilichen und unabhängigen Blick auf ein Land werfen. Dazu bedarf es einer gewissen Distanz zum Beobachtungsgegenstand. Eigentlich. Vilimsky, Judicial Watch und das Ordo Iuris Institut waren nicht nur zur Parlamentswahl in Ungarn. Wenige Monate später besuchten ihre Vertreter in Budapest alle dieselbe Veranstaltung: die Conservative Political Action Conference. Viktor Orbán war auch dort, als wichtigster Keynote-Speaker. Auf der Konferenz sprachen unter anderen die deutsche anti-feminisitische Publizistin Birgit Kelle und der ehemalige Politikwissenschaftler und spätere AfD-Berater Werner Patzelt. Ein Judicial-Watch-Mitglied sagte auf der Konferenz über den Gastgeber: "Ungarn ist perfekt!" Auch das Ordo Iuris Institut gab sich begeistert. Es schickte seinen Präsidenten zur Konferenz, der auch die Wahl in Ungarn beobachtete. Er sagte auf der konservativen Konferenz: "Ungarn ist der natürliche Gastgeber für so ein Event, gerade nach den Wahlen im April und jetzt, wo die konservative Regierung weitermacht." Von einer kritischen Distanz kann wohl keine Rede sein.

Ihre rechte Gesinnung vereint Judicial Watch und Organisationen wie das Ordo Iuris Institut oder das CDI mit Politikern wie Berg, Vilimsky und Krauss. Und ihre politische Haltung haben sie auch mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán gemein. Neben dem Geld, der Eitelkeit einiger Politiker oder einer schönen Reise kann auch ideologische Nähe ein Motiv sein, eine Wahlbeobachtung zu übernehmen, die keine ist. Auch Politikerinnen und Politiker von CDU, CSU, SPD und Linken waren bereits als Fake-Wahlbeobachter unterwegs.

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Fake-Beobachter helfen abtrünnigen Gebieten, wie legitime Staaten zu wirken

So reiste der schwäbische CDU-Politiker und Unternehmer Otto Hauser mehrfach in die aserbaidschanische Hauptstadt Baku. Dort beobachtete er 2008 auf eigene Faust die Präsidentschaftswahlen. Der Diktator Ilham Aliyev gewann sie mit rund 90 Prozent der Stimmen. Die Opposition boykottierte die Wahl, die OSZE kritisierte fehlenden Wettbewerb. Hauser sagte bei einem späteren Aserbaidschan-Trip: "Ich lobe besonders, wieviel Aserbaidschan getan hat, um die Demokratie zu fördern." Er war einer der wichtigsten Strippenzieher der Baku-Connection der CDU. Und er half maßgeblich, das Bild von Aserbaidschan in Deutschland zu verbessern. Gegen die Berichterstattung von VICE ging er gerichtlich vor. Das Landgericht Stuttgart entschied aber, dass wir ihn weiterhin als wichtigsten Strippenzieher der Baku-Connection bezeichnen können.

Und auch der SPD-Abgeordnete Steffen-Claudio Lemme reiste für eine private Wahlbeobachtungsmission nach Aserbaidschan. Danach sagte er regime-nahen Medien, die Wahlen seien demokratisch abgelaufen, es seien "keine Verstöße erfasst worden".

Nun gibt es kein Gesetz, das Politikern verbietet, als Wahlbeobachter in andere Länder zu reisen. Doch so machen sie sich zum Werkzeug jener Machthaber, die gezielt die öffentliche Meinung manipulieren.

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Bisher verrichteten die Fake-Beobachter ihr Werk überwiegend an den Rändern Europas. Die Europäische Plattform für demokratische Wahlen hat viele von ihnen in einer Datenbank zusammengetragen. Die Fake-Beobachter reisten vor allem nach Aserbaidschan, auf die Halbinsel Krim oder auch in Regionen, deren Namen man womöglich noch nie gehört hat: Transnistrien, Südossetien oder Abchasien. Das sind abtrünnige Gebiete in Moldau und Georgien. Die internationale Gemeinschaft erkennt sie nicht als Staaten an. Nur einzelne Nationen akzeptieren die Separatistenregionen als Staaten – allen voran Russland, das diese Gebiete mit Geld und Waffen versorgt.

Umso wichtiger ist es für diese Regionen, den Anschein echter Staaten zu erwecken. Will man der eigenen Bevölkerung klar machen: "Seht, wir sind international anerkannt", dann lohnt es sich besonders, Fake-Wahlbeobachter einzuladen. Gerade solche, die aus Demokratien kommen und eine hohe Stellung in ihrem Ursprungsland genießen, sind für Autokraten wertvoll.

Für die Seperatistenregion Abchasien arbeiten Menschen in Deutschland hart daran, dass Wahlbeobachter in das Gebiet kommen. Abchasien ist völkerrechtlich nicht anerkannt. Die Region erklärte 2008 seine Unabhängigkeit von Georgien und behauptet sie mithilfe des Kremls. 

Seit mindestens zehn Jahren vertritt eine Frau namens Khibla Amichba die Interessen der Separatisten in der deutschen Hauptstadt. Sie pflegt Kontakte bis in höchste Kreise des Regimes. Eigentlich ist sie Komponistin. Doch geht es nach Abchasien lautet ihr offizieller Titel "bevollmächtigte Repräsentantin". Das Auswärtige Amt erkennt diesen Titel nicht an. Amichba habe auch keinen Diplomatenstatus.

Dass sie keinen Diplomatenstatus hat, hindert Amichba nicht daran, wie eine Diplomatin aufzutreten. Immer wieder taucht sie bei öffentlichen Terminen als abchasische "Repräsentantin" auf und versucht, deutsche Politiker für ihre Sache einzuspannen. Mehrfach sprach sie Abgeordnete der AfD und der Linken an. Auch im Europäischen Parlament tauchte sie auf. Ein AfD-Politiker bezeichnet sie als "hartnäckig". 

Amichba dient als Mittelsfrau. Sie arbeitet für das abchasische Regime aus Berlin. Solche Mittelsleute sind ein weiterer Weg, um an Fake-Wahlbeobachter zu kommen.

Die Mühen der selbst-ernannten Diplomatin haben sich schon gelohnt. Es gelang ihr, Kontakt zu dem CDU-Abgeordneten Christian Haase aufzubauen. Heute ist ihm das hörbar unangenehm. "Ich erzähle das gelegentlich als Anekdote, wie man in diplomatische Fettnäpfchen treten kann", sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete t-online und VICE. "Eigentlich wollte ich nur einer Bekannten bei der Steuererklärung helfen." Bei der Gelegenheit habe sie ihn aber auf ihr Engagement für Abchasien aufmerksam gemacht – und so wurde Haases laut eigener Darstellung wenig später Teil eines mehr oder minder offiziellen Termins des abchasischen "Außenministeriums". Inzwischen habe Haase den Kontakt aber abgebrochen.

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