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Max Graef ist alles, nur nicht dein üblicher Techno-Verdächtiger

Die Berliner Szene hat ihren Sohn Max und seine "Kiffer und Hänger" so lange misstrauisch beäugt, bis sie an dem Multitalent nicht mehr vorbeikam.
Hat viel im Kopf: Max Graef. Alle Fotos von Carmen Catuti

#untaggable Stories präsentiert von AUDI Q2

In der Schule zeitgenössischen DJ-tums, in der so Fächer wie Selbstvermarktung, Social Media-Optimierung und V-Neck-Bügeln auf dem Lehrplan stehen, ist Max Graef der Typ, der von der hintersten Bank Papierflieger starten lässt. Oder, noch wahrscheinlicher: unter der Bank heimlich Beat-Schlaufen in die MPC hackt. Der ganze intermediäre Hokuspokus, das "was heutzutage eben so dazu gehört", all das scheint ihm kaum Aufmerksamkeit abzuringen. Instagram-Account? Nicht vorhanden. Snapchat? Snap-was?! Twitter? Selten in Benutzung. Facebook? Wird gefüttert mit dem Notwendigsten.

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Da darf der Autor zur Veranschaulichung der Graefschen Selbstinszenierungsallergie auch mal seine Erfahrung des Erstkontaktes erzählen: Der geschah, wie es sich eben gehört, beim Diggen im Plattenladen. Max Graef … Ich hatte damals keine Ahnung, wer der Typ war. Aber an den Kleinformaten, die er in den Jahren 2013 und 2014 auf Labels wie Heist, Tartelet, Love Fever oder The Gym veröffentlichte, führte einfach kein Weg vorbei. Ironischerweise zog ich dann Platten wie die Bummse EP oder die von Mic Newmann koproduzierte Real Dubz 12" über die Theke des OYE Records—jenem Berliner Plattenladen, der Graef und Konsorten bis heute als wichtigste Schnittstelle dient. Nur hatte mich eben kein Vinyl-Selfie seinerzeit darüber aufgeklärt.

Zur gleichen Zeit wurde mir von einem Zeitgeist-Meteorologen des Boiler Room zugesichert, dass man es bei Max Graef mit dem next big thing zu tun habe. Ganz hibbelig war der Boiler Room-Kollege und seine Augen strahlten. Nur wenige Stunden vorher hatte er eine Daytime Session in der Casa Brandt (von Daniel Brandt of Brandt Bauer Frick) gehostet, bei der auch Max ein schluffig groovendes Set spielte. Überdies hatte er bereits Graefs Debütalbum antesten dürfen. Das Album, das dann im Frühjahr 2014 auf Tartelet erscheinen sollte. Und dieses Rivers Of The Red Planet war ein Gamechanger, ohne Zweifel. Oder auch: eine reife Leistung. Ein verschiedenste Stil-Enden verknotendes, Funk- und Jazz-geschultes, in Beatmaking-Methodik geformtes, sowohl Songwriting-Ansprüche einlösendes als auch Floor-Ekstase triggerndes, in Vintage Sci-Fi meets Blaxploitation collagierendes Artwork gewandetes, knisterndes Vibe-Monster—und das von einem, der gerade mal Anfang Zwanzig ist. Uff. Der Stoff, aus dem Titelgeschichten gemacht werden.

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Pose für die (beinahe) nicht-existenten Social Media Accounts

Statt dem stressigen Abitur, hat der Produzent lieber ein A-Level in London gemacht. Wäre er anschließend einfach noch ein bisschen dort geblieben und hätte später das Album dort veröffentlicht, dann wäre der Hype groß gewesen. Und selbst Graefs in Business-Fragen überentspannte Haltung, seine durchtrainierte Selbstrelativierung hätten ihn nicht aufhalten können. In Berlin jedoch blieb das Phänomen Graef vor dem Hintergrund des großen Techno-Films eine Liebhaber-Marginalie. Ausschließlich in entsprechend affinen Kreisen wurde ausgerastet. Für den leicht zu verdauenden Dancefloor-Mainstream waren in dem Werk hingegen wohl einfach zu viele Zutaten.

Für Graef selber dürfte Rivers Of The Red Planet dabei trotzdem einen entscheidenden Effekt gehabt haben: Er hat sich damals aus dem Topf mit Sample-satter, im Downbeat bis Midtempo-Bereich angesiedelter Disco-House-Einheitssoße freischwimmen können, in den er zuvor so oft geworfen wurde, obwohl seine Produktionen immer schon zu raffiniert dafür waren. Nach dem Album war klar: Der Typ kann alles, vor allem: das Unerwartete. Und das begriff nun auch langsam seine Heimatstadt.

Wäre ja auch blöd, wenn alle nur coole Musik hören würden.

Überhaupt, der Standort. Berlin ist so ein Thema, über das Graef im Gespräch erst Affekt-beschleunigt eine markige These aus dem Hoodie-Ärmel fallen lässt, nur um dann im nächsten Satz etwas Versöhnliches hinterher zu schieben. Berlin sei zu hip, zu cool. Kastanienallee, sein früheres Prenzlauer Berg-Domizil? Einfach nur Horror. Aber da wo er jetzt wohnt, im Wedding, Ecke Müllerstraße, da ist alles schön "normal". Billig. Alles mischt sich.

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Und die Berliner Partyszene? Graef berichtet von einer Tartelet-Party im Ohm. Line-up sei exquisit gewesen, aber es stolperten vielleicht gerade mal 50 Leute durch den Raum. Bei den üblichen Techno-Verdächtigen hingegen wäre es bestimmt brechend voll gewesen. Das könne er nicht verstehen, diese Monokultur. Aber andererseits, "wäre es ja auch blöd, wenn alle nur coole Musik hören würden." Er lacht verhalten. Und überhaupt: Berlin sei schon super, er würde nirgends anders wohnen wollen.

Graef ist Berliner, Ost-Berliner müsste man sagen, wäre das wegen seiner Nachwende-Geburt nicht obsolet geworden. Er wächst mit Musik auf, den Eltern sei Dank liegt ständig guter Sound im Raum. Vater Gerry Franke ist Gitarrist, spielt viele Jahre in der systemkritischen Blues/Rock-Band Freygang, ist heute Dauergast in der kürzlich zu Torben Unit umbenannten Max Graef Band. Auf Money $ex Records, dem von Graef, dessen Buddies Glenn Astro und OYEs Markus Lindner betriebenen Label, veröffentlichte er gerade ein Mini-Album.

Die Torben Unit wiederum gibt es nicht ohne Grund, das Bandkonzept, das Jammen, das zu-einem-gemeinsamen-Sound-Finden, ist in Max Graefs musikalischer Prägung wesentlich. Wesentlicher in jedem Fall als das Kulturkonstrukt des Club-Dirigenten hinter dem DJ-Pult. Logisch, dass er bei der immer wiederkehrenden Frage nach Einflüssen, statt der sonst üblichen Detroit- oder Chicago-Kandidaten, wie automatisiert Led Zeppelin, Jimi Hendrix und verschiedene Jazz-Legenden zu Protokoll gibt. Schon während der Schulzeit greift Graef selbst zu Instrumenten. Zunächst elf Jahre Schlagzeug-Unterricht; "verschenkte Zeit", wie er sagt. Dann Gitarre. Dann erste Versuche im elektronischen Bereich mit 15 Jahren. Der Rechner der Mutter musste für Magix Music Maker-Experimente herhalten. Parallel die ersten Cluberfahrungen. Es war die Zeit von New Rave und überdrehtem French House als Gegenreaktion auf den ortsansässigen Minimalisierungswahn hier in Techno-Berlin.

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Aus einem Kreis von Schulfreunden, darunter: Ludwig Labuzinski aka Luds, Alex Seidel, Valentin Handrick, Joschka Seibt aka Kickflip Mike, und OYE-Bekanntschaften wie Glenn Astro und IMYRMiND findet sich ein Verbund von Beatmakern zusammen. Leute der Prägung "Kiffern und Hängern" (Graef) die sich nach der "each one teach one"-Maxime und in bester DIY-Manier gegenseitig voran pushen. Bis heute. Das erste gemeinsame Labelprojekt Box aus Holz liegt allerdings mehr oder weniger auf Eis. Nur eine abschließende zehnte Veröffentlichung soll es noch geben, irgendwann. Stattdessen läuft da seit zwei Jahren noch Money $ex Records, eine stabile Label-Struktur—nicht mehr nur für den innersten Zirkel.

Money $ex ist gleichzeitig auch ein Label, das kommende größere Projekte Graefs beheimaten könnte. Sein zweites, zusammen mit Glenn Astro produziertes Album-Projekt, The Yard Work Simulator, erschien erst vor wenigen Monaten auf Ninja Tune. Die Sache mit den namhaften Labels, mit Tartelet und Ninja Tune, die seien einfach passiert. Sie hätten eben nach Alben gefragt. Jobs seien das quasi gewesen. Graef selbst hätte gar nicht daran gedacht, ein Album zu produzieren. Da ist er wieder, der Selbstrelativierer.

Da sitzt er, der Selbstrelativierer in Abwesenheit seiner "Kiffer und Hänger"

Graef denkt auch momentan nicht an ein weiteres Album. Außer an das anstehende Release der Torben Unit, das in Kürze über M$R, einem Money $ex-Sublabel extra für Bandprojekte, beziehbar sein dürfte. Graef ist zufrieden mit der Richtung, in die sich die Band bewegt, gerade im Vergleich zu der Phase, als die Band noch Max Graef Band hieß. "Wir sind durch das häufigere Proben einfach eine bessere Band geworden. Deshalb jetzt der Neustart unter neuem Namen." Das erste Album sei ihm im Nachhinein stilistisch zu nichtssagend. Es klänge heute wie eine Testaufnahme. "Wir hatten in den fünf, sechs Jahren davor einfach unsere Instrumente nicht ausreichend geübt—und das hört man heute auf der Platte. Der jetzige Sound gefällt mir da viel besser, er ist psychedelischer. Es sind richtige Songs, die viel mehr in die Richtung der Sachen gehen, die ich selber auch höre."

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Ansonsten erscheint in diesen Tagen eine neue Max Graef EP auf Funkinevens Apron-Imprint. Auch hier wieder: stilistisches Hakenschlagen. Dieses Mal in Richtung einer rohen, analogen und sehr weiten Techno-Auslegung. Es handelt sich dabei jedoch um drei, vier Jahre alte Stücke, denn aktuell justiert Graef seine Maschinen eher gen HipHop—einfach deshalb, weil es bei all dem Proben und den live-Set-Vorbereitungen mit der Band nicht viel Zeit für komplexere Projekte gibt. Und so einen HipHop-Loop kann man immer mal nebenbei eintasten, sagt der Vielbeschäftigte.

Welche Darstellungsform bevorzugt so einer wohl nun für seine Musik, wenn er in allen möglichen Disziplinen zuhause ist: dem DJ-ing, dem Spielen von Livesets und dem Bandauftritt? Graefs Antwort dürfte zu diesem Zeitpunkt niemanden mehr überraschen:

"Mit der Band musst du mehr aus dir heraus kommen. Auflegen macht einfach nur Spaß und live-Sets sind oft chaotisch und deshalb auch total spannend. Also eigentlich alle."

Irgendwie geht bei Max Graef immer alles, ohne dass dahinter irgendeine Anstrengung erkennbar wäre. Das muss ihm erst mal jemand nachmachen.

Die Torben Unit + Gerry Franke spielen heute, am 25. Oktober, in der Panke, Berlin.

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