​München, we have a problem!

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Thump

​München, we have a problem!

Und nein, wir verlosen hier keine Karten für das ODMF, kauft sie euch gefälligst.

Eigentlich sollte es nur ein Blogbeitrag auf Facebook werden, doch dann rief ein alter Kollege an, der jetzt bei THUMP arbeitet und mich bat, den Grundgedanken zu einem Online-Artikel zu erweitern. So viel zur Versuchsanordnung. Ich hatte mich gefragt, wann „Mjunik" eigentlich aus dem inneren Lot geraten ist. Und vor allem warum. Das war nämlich nicht immer so. Ein Blick in die Annalen beweist, dass die bayerische Hauptstadt in ihrer Historie bereits mehrfach als cool gehandelt wurde. Denkt an die 70er als Uschi Obermayer für die ungeteilten Aamon Düüls das Tamborin klopfte, dann Fassbinder, Disco, Moroder und die Musicland-Studios. Oder an Techno in den 90ern, von mir aus auch an das kurze Aufleuchten von Electroclash und die anschließend eingeleitete Disco-Renaissance (Disco, das können sie in der „nördlichsten Stadt Italiens").

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Aber all das können die Unterdreißigjährigen nicht wissen. Die Gegenwart sieht nämlich verdammt düster aus. Heimische Labels wie Public Possession und Permanent Vacation haben es überall auf der Welt leichter, eine Party zu füllen, als in der eigenen Stadt. Die illegalen Open-Airs kombinieren bewährte Bar-25-Codes mit Minderjährigen auf Ketamin und überhaupt scheint die Sell-Out-Rave-Dichte nirgendwo höher in der Republik: allen voran Echelon und Ikarus (benannt nach der mythologischen Hauptfigur aus „Berlin Calling").

Wenn aber ein elektronisches Festival es wagt, die Oberarmtribal-Fraktion nicht zu hofieren, bleibt das bayerische Umland auch gerne zuhause.

So scheint es gerade dem ODMF zu gehen. Proletenfreies Booking bedeutet vergleichsweise wenig Breitenwirkung. Das Ganze dümpelt derzeit bei mageren dreieinhalbtausend Zusagen auf Facebook. Dabei war das Organic im letzten Jahr ein echter Lichtblick und es galt kurzfristig schon als das beste Festival der Welt in München. Dieses Jahr haben die Veranstalter noch mehr auf Geschmack gesetzt. Ist das vielleicht das Problem? Surgeon, Shed und die Ilian-Tape-Gang für reflektierte Raver, Kindness und HVOB für ravende Hipster. Dixon und Tale of Us für verschmuste Ecstacy-Aficionados, sowie ein vergleichsweise breites Spektrum an Hybrid-Acts, die vor langer Zeit einmal unter dem Begriff ‚Indietronics' gelaufen wären: Austra, Dillon, Pantha du Prince. Was läuft also falsch? Oder vielmehr: Wer hat Schuld?

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Sind es die 45 Euro Eintritt? Möglich, denn es gibt wohl keine Stadt auf diesem Planeten, in der ein vergleichbar hoher Bevölkerungsanteil über eine geradezu gottgegebene Überzeugung verfügt, auf der Gästeliste stehen zu müssen. Jeder einzelne hier ist wichtig. Wer nicht eingeladen wird, bleibt beleidigt daheim. Ich habe Typen in München erlebt, die sich nicht zu schade waren, eine halbe Stunde lang um einen Eintritt von fünf Euro zu diskutieren, um sich direkt im Anschluss eine Flasche Wodka für 50 Euro an der Bar zu bestellen. Es geht halt ums Prinzip.

Ist es dann die Location? Jungfräulich ist das Zenith- und Kesselhaus-Gelände nicht gerade. Aber eigentlich okay. Industrie-chic, Open Air und Indoor. Weit draußen, sagen die einen. Eine gute U-Bahn-Verbindung, sagen die anderen. 15 Minuten vom Marienplatz sagt der Münchner Verkehrs Verbund. In echten Metropolen der Weg, den man auf sich nimmt, um Brötchen zu holen. Aber der Innenstadt-Münchner tendiert ja auch gemeinhin dazu, sobald er den Altstadtring verlässt, den Reisepass einzupacken. Ein „Stadt-Festival" wollen die Organic-Betreiber machen, ohne Zeltfummeleien, Matsch-Orgien und Zirkusromantik. Aber vielleicht fehlt ja gerade das. Schließlich steht ja Festival drauf. Feiert man denn daheim wirklich so exzessiv und ausgelassen wie in einem eingezäunten Waldstück in Ostdeutschland? Vermutlich nicht. München bleibt eben München. Eine Fusion wird es hier nie geben.

Ist es das Booking? Irgendwie will ich das nicht glauben. Naja, wir würden behaupten, das exakt gleiche Booking zieht in London, Paris oder Berlin ziemlich genau doppelt so viele Leute. In Bayern sind es vielleicht doch noch immer die Monika Kruses und Sven Väths dieser Welt, die die Massen bewegen. Da weiß man, was man bekommt.

Das führt uns zum letzten Punkt: Sind es die Münchner? Ist die Idee gut, doch die Stadt noch nicht bereit? Manch ein bayrischer Veranstalter hatte bereits auf ATP, Melt! oder Primavera geschielt und sich gedacht: Das könnten wir auch. Aber könnten wir wirklich? Oder müssen wir uns eingestehen, dass es in München und Umgebung lediglich eine kleine Peer-Group von schätzungsweise zwei bis dreitausend Liebhabern gibt, die bereit sind, für einen geschmackvoll kuratierten Rave ein paar Euro in die Hand zu nehmen? Wie gut geht es dem Münchner wirklich? Gibt er alles für die Miete aus? Im Facebook-Verlauf von Organic sieht man jedenfalls nur jede Menge junge Menschen, die versuchen, auf dem Schwarzmarkt noch Karten unter 30 Euro zu bekommen. Leute, wenn schon Discount-Feiern, dann doch lieber mit verstecktem Schnaps-Depot außerhalb des Zauns. Der spirituelle Raver weiß: Mit Schwarzmarktkarten verhält es sich wie mit illegalen MP3-Downloads: Sie machen beschissenes Karma.

Deshalb findet auch an dieser Stelle keine Kartenverlosung statt. Es geht vielmehr um Hilfe zur Selbsthilfe. Ein paar Ratschläge für ein besseres München: Entgrenzt euer Bewusstsein, trinkt, liebt, verlasst euren Körper, werdet Lichtstrahl, durchlauft Formen und Identitäten, kündigt euren Spotify-Account, verzichtet auf Fleisch, meditiert, pflanzt einen Baum, seid geduldig mit euren Partnern und Kindern. Und seid dankbar für das, was ihr habt: Permanent Vacation, Public Possession oder Ilian Tape könnten der Anfang von etwas Gutem sein. Uns bleibt, den Organic-Machern einen langen Atem zu wünschen.

Hier lesen: 7 Dinge, die ich an Münchner Clubs liebe