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Feature

Warum die Welt das NON Worldwide Kollektiv braucht

Während anderswo Mauern gebaut werden, zeigt das pan-afrikanische Kollektiv NON wie man selbige mit Clubmusik und Tanz wieder einreißt.
Justin F. Kennedy im HAU. Alle Fotos von der Autorin

CTM Festival in Berlin. Ein dunkler Raum. Links und rechts der Bühne zwei DJ-Pulte, LED-Lampen, Laser und durchtrainierte Tänzerinnen – schon ist das Rezept für eine Show des panafrikanischen Kollektives NON Worldwide fast komplett. Erst herrscht Stille, dann setzt langsam ein Gesang ein: "This is a life supreme…" Drei Gestalten in Sportswear mit dunklen Augen setzen sich in Bewegung, reißen Grimassen, recken die Arme immer wieder zur Black Power-Faust. Ihre Augen sehen durch die schwarzen Kontaktlinsen leer aus. Nebel und Lichter tauchen den Raum in Rot, als würde ein Inferno bald bevorstehen. Die synchronisierten Bewegungen wirken bedrohlich.

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"The Great Disappointment" ist der Name der Performance. Wie angekündigt, soll es düster werden. Dabei helfen nicht nur das kühle Ambiente des kargen Theaterraums im Hebbel am Ufer und der dezente Einsatz von Licht: Die Musik, für die NON Worldwide sonst bekannt ist – laute, schnelle und mitreißende Tracks, die immer wieder fragmentiert und defragmentiert werden –, tut ihr Übriges. Der Sound von Labelmitgründerin Nkisi bestimmt weite Teile der Performance; wenn nicht gerade Sirenen zu hören sind oder Elemente von Drone-Music oder Einspieler von Michael Jackson und Prince oder "The Horn of Plenty" aus der Tribute von Panem-Filmreihe.

Letzteres ist mit seiner Forderung nach Einheit und Verwirklichung wiederum ein Rückbezug auf das Konzept von NON: "Wir sind eine Online-Community von Künstlern, die temporär zusammenkommen und etwas machen. Wir haben kein konkretes Ziel, es ist ein Experiment, um den gewohnten Fluss zu unterbrechen", sagt Ligia Lewis, die als Choreografin und Tänzerin bei NON mitwirkt.

Gegründet wurde NON Worldwide vor zwei Jahren von Chino Amobi, Angel-Ho und eben Nkisi. Alle NON-Mitglieder haben gemein, dass sie in Afrikaner sind, oder aber afrikanischer Abstammung und in Diasporas in den USA und Europa leben. Da ist an den Decks im HAU etwa auch DJ Lady Lane aus Brooklyn. Bürgerlich heißt sie Rena Anakwe und Teile ihrer Familie sind aus Nigeria. Choreografin Lewis wiederum ist dominikanisch-amerikanisch, wuchs in Miami auf und lebt derzeit in Berlin. Am HAU war sie bereits mit dem Stück "Minor Matter" zu sehen, an dem ebenfalls wie heute Tänzer Ariel Efraim Ashbel mitwirkte.

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Bei den rhythmisch komplexen Klängen fällt es schwer, fast eineinhalb Stunden sitzen zu bleiben. Auf weißen Körnerkissen bleiben die Besucher am anderen Ende des Raumes zurück, von dem aus sie nur zusehen und hören können, das Tanzen obliegt diesmal anderen.

Während der Tanzparts ist es laut, Laser und Nebel sind im Einsatz. Die kurzfristige Stille auf der Bühne dazwischen füllt die Sängerin Embaci mit zwei Soloeinlagen auf. Barfuß im roten bodenlangen Kleid singt sie zu Klängen, die erst wie ein Frühlingserwachen mit Vogelstimmen untermalt werden, dann wie das Meer rauschen. Auch der Südafrikaner Angelo-Ho hat seinen kurzen, aber sehr amüsanten Auftritt in pinker Perücke, als er nach etwa einer Stunde Mariah Careys 2000er-R'n'B-Song "We Belong Together" parodiert und damit viele zum Pfeifen und Lachen brachte. Spitze Referenzen westlicher Scheinheiligkeit dürfen da nicht fehlen: „Oh my gosh I love Mexico… and Africa", säuseln im Anschluss Auto-Tune-gepitchte Stimmen.

Nach einer an Prince angelehnten "Puple Rain"-Gesangseinlage wird es zum Ende noch einmal besonders unruhig und bedrohlich. Polizeisirenen heulen auf, untermalt von der Frage: "Ihr wollt Frieden?" Mit Chino Amboi stehen sieben weitere Protagonisten auf der Bühne, die sich erst in ein von Punk-Musik begleitetes Chaos stürzen, um dann eine Art Verhaftung zu simulieren.

Bei "The Great Disappointment", der Titel lässt es erahnen, schwingt eine pessimistische Sicht auf die Welt mit. Angesichts von rassistischer Polizeigewalt, Trump, kultureller Aneignung etc. auch kein Wunder. Ligia Lewis begreift Kunst jedoch als Chance – nicht als Druckmittel. Mit NON hat sie deshalb einen materialreichen, zeitgemäßen Remix-Theaterabend konzipiert, der einen "post-apokalyptischen" Vibe erzeugen sollte. So wird ein Raum geschaffen, in dem marginalisierte Stimmen mit all ihrer Innovativität im Zentrum stehen und Musik zu Kritik wird. Gemeinsam zeigen die Akteure wie wichtig und, ja, zukunftsweisend Kollaboration in den heutigen Zeiten ist, um die dargestellten Gegensätze zu demaskieren und zu überwinden. Projekte solcher Art kann es deshalb eigentlich nicht genug geben.

Dass man bei "The Great Disappointment" selbst nicht tanzen konnte, ist somit die einzige Enttäuschung.

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