Wenn die Berliner Clubszene an irgendwas stirbt, dann an unserer Arroganz

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Wenn die Berliner Clubszene an irgendwas stirbt, dann an unserer Arroganz

Techno ist längst Mainstream geworden, aber noch wehren sich viele gegen seine Professionalisierung. Wir müssen feiern – und reden.

Es darf gefeiert werden … Foto und das folgende von Dino Kužnik/Flickr, CC BY 2.0

Als würde euch jemand die Süßigkeiten wegnehmen wollen: Was ist das nur mit dieser ständigen Angst vor dem "Mainstream"? Ende letzten Jahres appellierte ich in einem THUMP-Artikel an die Berliner Feierszene, dass wir nicht nur DJs und Veranstalter brauchen, sondern auch (mehr) Leute, die sich mit trockenen Themen wie Clubsterben und Lärmschutz auseinandersetzen. Schon sahen einige wieder die anarchistische Feierkultur untergehen und befürchteten, dass ihre Tanzfläche gentrifiziert wird.

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Es ist immer derselbe Reflex: Professionalisierung ist der Feind! Wir wollen nicht erwachsen werden! Keta Pan forever!

Gleich vorweg: Professionalisierung ist nicht gleich Kommerz. Ich will ganz sicher nicht die Technokuh melken. Aber wir als Szene verschwenden so viel Potenzial, wenn wir ausschließlich überlegen, in welcher Bretterbude wir uns als nächstes vor den Touristen verstecken. Potenzial von bestehenden und grandiosen Clubs, die aufgrund sinnloser Gesetze schließen müssen. Potenzial von talentierten Künstlern, die es sich finanziell nicht mehr leisten können, weiter an ihren Tracks oder Performances zu arbeiten. Und Potenzial von Freiraum, den es gerade jetzt zu verteidigen gilt.

Wir leben nun mal nicht mehr im Kindergarten, wo man sich einfach eine Höhle aus Bettlaken und Stühlen bauen kann. Vor allem nicht, wenn die anderen Kinder Mittagsschlaf halten wollen.

Der Politik ist mittlerweile klar, dass es da eine Welt gibt, die sie nicht unbedingt versteht, die aber einen Großteil vom Rest der Welt magisch anzieht. Allerdings bezweifele ich, dass viele Politiker begreifen, dass die Szene nicht von Großraumdisko-Visionen lebt. Und wer soll ihr das klarmachen, wenn nicht wir?

Die gute Nachricht verkündete Mark Wohlrabe von der Clubcommission im Interview bei der "Stadt nach Acht"-Konferenz im November: "Wir werden immer mehr als ernstzunehmender Gesprächspartner wahrgenommen." Deshalb ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um mitzugestalten, Forderungen und Bedingungen zu stellen. Nur so können wir entscheiden, in welche Richtung es geht, nach unseren Regeln der Kunst. Die Clubcommission, im Grunde auch ein Auswuchs der ach so gefährlichen Professionalisierung, ist das beste Beispiel dafür. "Ein Interesse, den Ausverkauf der Stadt voranzutreiben, haben wir nicht", erklärte Pressesprecher Lutz Leichsenring im Februar gegenüber THUMP. Die "Club-Lobby" steht der Stadt zwar gerne beratend zur Seite, verteidigt aber vor allem die Clubszene. So hat sie sich gerade erst öffentlich geweigert, der Stadt für Werbezwecke Fotos vom Inneren der Sündentempel bereitzustellen.

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Professionalisierung funktioniert, solange die Profis aus der Szene kommen.

Professionalisierung funktioniert, solange die Profis aus der Szene kommen.

Ein positiver Nebeneffekt des kompetenten Exzess wäre, dass die Akteure, Künstler und Macher, die vom Idealismus getrieben werden und nicht vom Geld, von ihrer Leidenschaft auch leben könnten. Anstatt langsam auszubrennen, wie es derzeit so viele erleben, weil ihr gesamter Urlaub für die Festivalplanung draufgeht oder sie sich nebenbei beim Amt erniedrigen müssen. Kleine Festivals denken noch nicht mal im Traum an Gewinn.

"Jedes Plus geht in die Vereinskasse, wovon man wieder Technik kauft. Bezahlt wird bei uns eh niemand", sagt mir etwa ein befreundeter Veranstalter. Er muss anonym bleiben, weil sein 800-Personen-Festival aus finanziellen Gründen als Sommerfest angemeldet ist. Die heiße Planungsphase dafür dauert vier Monate und ist ein unbezahlter Fulltimejob für mindestens drei Personen. Und trotzdem: "'Selbstausbeutung' würde ich dazu nicht sagen, eher Selbstverwirklichung. Es bringt mir selbst ja auch viel."

Auch DJ Thomash, der die "Voodoohop"-Partys in Berlin und weltweit veranstaltet, kennt das. Seine Lösung: "Man muss die Finanzen an einen Ort im Kopf stecken, an dem man nicht so oft vorbeikommt, um kein schlechtes Gewissen zu kriegen. Wir versuchen einfach, uns mit der Emotion treiben zu lassen."

Klar, der Idealismus treibt an, aber von Berliner Luft und MDMA-Liebe alleine lebt aber niemand lang. Wer ernsthaft meint, Kunst kann nur aus Selbstausbeutung entstehen, der soll sich mal die Kosten für die Elbphilharmonie, sämtliche Theater oder sonstige anerkannte Hochkultur auf der Zunge zergehen lassen. Die werden mit Millionen finanziert und lassen sich auch nicht reinreden. Wenn Leute wie Jan-Michael Kühn von den vermeintlichen "Subkultur"-Akteuren die totale Selbstausbeutung erwarten, weil eine weitere Professionalisierung "die Szene selbst gefährden" würde, ist das auch ein bisschen so, wie seiner geliebten Indieband den Charteinstieg nicht zu gönnen.

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Warum eigentlich? Es muss doch auch im Nachtleben möglich sein, die Miete zu zahlen, ohne damit sich oder die Szene zu zerstören.

Und warum überhaupt reden wir hier immer noch von Subkultur? Claire Danes packt bei Ellen DeGeneres ihre Technomoves aus; selbst meine Oma weiß mittlerweile, wie der berühmteste Technoclub der Welt heißt; und Olli Schulz erzählt lachend im Radio von Hunden, die in Friedrichshain Ketamin fressen. Vielleicht sollten wir langsam aus unseren Früher-Bunkern (Danke, Stuckrad-Barre!) gekrochen kommen, uns über die ganzen kleinen Subgenres freuen, die überall sprießen (Ja, sogar in die Charts hinein – buhu!) und all den willigen Nachwuchsravern vermitteln, um was es im Kern geht.

Meiner Erfahrung nach hat sich dafür in Berlin schon eine Art partystruktureller Darwinismus etabliert, der eigentlich für alle Beteiligten gut auszuhalten ist. Es gibt genügend Clubs, in denen sich jeder mal ausprobieren darf. Aber nur wer sich wirklich drauf einlässt und diszipliniert durchravt, dringt ins Innere des Kaninchenbaus vor, wo ihn die Grinsekatze mit offenen Armen empfängt. Alle anderen scheitern sowieso an Türstehern, Passwörtern, Dress- und Szenecodes oder einfach dem falschen Wochentag.

Was ist falsch daran, wenn noch mehr Menschen von der Utopie des Wochenendkommunismus erfahren?

Das System funktioniert. Vielleicht, weil es aus sich heraus entstanden ist. Wollen wir das jetzt wirklich aus der Hand geben, weil wir zu stolz und zu faul sind, um es im nächsten Level mitzugestalten?

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Techno hat nach der Wende Ost und West zusammengebracht. Die Loveparade war das Woodstock der Neunziger, eine Amphetamin-befeuerte Revolution, die mittlerweile global gefeiert wird. Eine positive Bewegung, die für Liebe und Zusammenhalt steht und immer mehr Anhänger findet – das ist doch keine Bedrohung, sondern eine gesellschaftliche Errungenschaft! Was ist falsch daran, wenn noch mehr Menschen von der Utopie des Wochenendkommunismus erfahren? Wenn noch mehr Leute durch die "High School" des Techno gehen und erleben, dass ein liebevolles Miteinander in der Masse funktioniert? Brauchen wir das in Zeiten von Trump und Rechtsruck nicht mehr denn je?

Wenn ihr mich fragt, müssen wir unsere Schutzräume hüten. Das ist klar. Aber können wir das bitte den Türstehern und Türsteherinnen überlassen und mit diesem paradoxen Ausgrenzungsdenken aufhören, in dem alle "Andersdenkenden" umarmt werden, aber jeder ausgeschlossen wird, der noch nie nackt auf Pferdebetäubungsmittel in der Clubtoilette zusammengebrochen ist?

Vielleicht steckt auch in deinem Steuerberater ein Freak, der gerne mal den Darkroom erkunden würde und es nur noch nicht weiß? Und wie kann es sein, das sich sogar die Berghainies und Panne-Raver als zwei verschiedene Lager begreifen, obwohl sie sogar am selben Türsteher vorbei müssen und nur unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie viele Spuren ein guter Track braucht? Geht es hier wirklich noch um Identität oder doch eher um unsere kostbare "Individualität"?

Wenn die Szene an irgendwas stirbt, dann an unserer Arroganz.

Techno ist für alle da, keine Ahnung wo genau wir das zwischen Mauerfall, Loveparade und Berghain vergessen haben. Es ist wie mit dem Rausch: Es ist schöner, wenn man ihn teilen kann.

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