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Clubkultur

Wie eine ungewollte Schwangerschaft mich aus dem Partysumpf gezogen hat

Meine neuen Hobbys sind Nähen und Kochen.

Linda (Name von der Redaktion geändert) hat während ihres Studiums viele Partys besucht. Sie würde sich selbst als ehemaliges Party-Girl bezeichnen. Linda ist jetzt Mutter und verlobt. Wir haben sie gebeten, uns zu erzählen, wie die Umstellung war und ob ihre Vergangenheit einen Einfluss auf ihr jetziges Leben hat. (Dieser Artikel ist im Original bei Noisey Alps erschienen.)

Als ich 2005 mein Abitur gemacht habe, bin ich nach Wien gezogen, um zu studieren. Eingeschrieben war ich für BWL, aber das Studium hat mich nicht interessiert. Ich bin relativ schnell durch Kollegen auf der Uni und Freunde in Wiens Nachtleben integriert worden. Single, jung und keine Ahnung von der Zukunft. Ich hab dann angefangen, relativ viel feiern zu gehen. Zuerst ging es nur ums Trinken—in Clubs und auch draußen im Park. Meine Eltern merkten natürlich ziemlich schnell, dass ich das Studium nicht ganz so ernst nehme. Da sie meine einzige finanzielle Quelle waren, habe ich immer wieder Prüfungen belegt, einfach nur, damit sie zufrieden sind. Party machen kostet aber sehr viel Geld. Deshalb habe ich angefangen, neben dem Studium zu jobben. Als Kellnerin. Ich war oft betrunken—in der Arbeit und in der Freizeit. Natürlich wusste ich schon nach einem Semester, dass ich in BWL nie einen Abschluss schaffe, aber ich war zu sehr mit meinem Rausch beschäftigt. Genauer gesagt war ich in erster Linie damit beschäftigt, mich von meinem Rausch zu erholen. Ich hatte Angst vor dem Gedanken an meine Zukunft und ich hielt mich auch schön beschäftigt, um diesem Gedanken aus dem Weg zu gehen.

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Irgendwann, wahrscheinlich 2006, fing ich an zu kiffen. Zuerst habe ich nur mitgeraucht, aber relativ schnell hatte ich jeden Tag Gras zuhause. Das hat meiner Produktivität natürlich nicht geholfen. Eine meiner Bekannten, die auch nach Wien gezogen ist, hat mich mal auf eine Free-Party mitgenommen. Da habe ich dann auch mit Partydrogen angefangen. Das hat alles natürlich nicht besser gemacht. Ich war nun bis zu vier Mal pro Woche weg, manchmal drei Tage am Stück nicht daheim. Mir war klar, dass es falsch ist und ich diesen Lebensstil nicht ewig aufrecht erhalten kann, aber es gab auch keinen konkreten Grund, etwas an meinem Leben zu ändern. Alle meine Freunde waren im Nachtleben unterwegs, ich zahlte in den meisten Discos keinen Eintritt. Ab und zu packte mich phasenweise der Ehrgeiz und ich studierte wieder mehr. Meistens war ich dann sehr stolz auf mich, wenn ich ein Wochenende daheim blieb. Meine Eltern bekamen das nicht wirklich mit—sie dachten, ich bin ein fauler Student. Ich weiß nicht mal mehr, ob ich in dieser Zeit so etwas wie Ambitionen oder Pläne hatte. Wenn, dann habe ich jedenfalls nicht die nötigen Schritte unternommen, sie zu verwirklichen.


Aus dem VICE Netzwerk: Nüchtern raven


Überhaupt war mein Leben ein einziges Chaos. Ich schaffte es, mich zu ernähren und mein WG-Zimmer zu zahlen, aber alles darüber hinaus war eine Herausforderung. Ich lebte von Party zu Party. Die Zeit zwischen den Partys habe ich mit Energie aufladen und Pizza verbracht. Meine Wohnung war ein Chaos. 2009 war ich dann ungefähr im dritten Semester und hatte noch immer absolut keine Ahnung, was ich machen möchte. Ich half meinen Freunden, die Veranstalter waren, zu flyern. Es drehte sich alles nur um irgendwelche Partys. Eine Beziehung hatte ich auch nicht, immer nur Gspusis, die mir entweder zu fad waren oder nichts von mir wollten. Mein Leben war wild, laut und chaotisch. Ich kann mich an fünf Jahre meines Lebens nur dunkel erinnern. Lustig war es schon—erfüllend war es nicht.

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Bis ich Mitte 2009 Christian auf einer Party kennenlernte. Seine Lebensumstände waren ähnlich, aber er hatte sich ein bisschen mehr im Griff. Wir verliebten uns und waren fortan nur noch zusammen weg. Mein Leben verbesserte sich allmählich, Christian war ein Grund, öfter zuhause zu bleiben. Dennoch waren wir noch immer fast jede Woche aus. Im Februar 2010 kam dann der Schlag ins Gesicht—ich bin trotz einer Verhütung und meines Lebensstils schwanger geworden. Natürlich war das Kind nicht geplant. Wir überlegten lange, wie wir vorgehen—und ich kam zu dem Entschluss, dass eine Abtreibung egoistisch wäre und ich sie nicht verkraften würde. Wir entschieden uns, das Kind zu bekommen.

Es war klar, dass ab sofort Schluß ist mit Party machen. Keine Rauschmittel mehr.

Das Kiffen und das Rauchen haben mir am Anfang gefehlt. Aber ich hatte ein Projekt. Ich hatte einen Grund, an mir zu arbeiten. Ich lernte kochen, ich lernte, den Haushalt zu schmeißen. Die Partys vermisste ich nicht. Christian war in dieser Zeit auch nur drei oder vier Mal weg—wir haben uns auf "mitgehangen, mitgefangen" geeinigt. Freitags zu kochen und am Samstag Kinderkleidung zu shoppen, war für mich eindeutig erfüllender, als auf eine Party zu gehen. Mein Leben auf die Reihe zu bekommen, ein Zuhause zu schaffen—das sind ja alles schöne Dinge.

Meinen Freundeskreis benachrichtigte ich erst kurz vor der Geburt. Davor hatte ich alle Einladungen grundlos abgesagt—die Gerüchteküche brodelte. Es hieß, ich sei abgestürzt. Auch habe ich Gerüchte mitbekommen, in denen es hieß, dass ich Probleme mit der Polizei hätte. Ich vermisste die sozialen Kontakte. Als ich das erste Mal besucht wurde, hat man meinen Bauch wie das achte Weltwunder angesehen. Ich habe die Besuche relativ schnell nicht leiden können. Ich verstand nicht, dass es für ihre damalige Lebenswelt unvorstellbar war. Ich verstand auch nicht, dass diese Menschen mich teilweise jahrelang jede Woche betrunken gesehen haben. Und der Anblick einer Schwangeren sicher ungewohnt war. Ich habe Gott sei Dank keine gesundheitlichen Probleme aus meiner Party-Phase davongetragen. Ein paar meiner Ex-Bekannten haben heute Depressionen und Psychosen, oder sind stark abhängig von Drogen.

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Foto via Flickr | icanteachyouhowtodoit | CC BY 2.0

In den meisten Schwangerschaftskursen waren die anderen Ehepaare älter und irgendwie organisierter, ihre Kinder waren geplant. Ich habe mich oft wie ein Versager gefühlt. Die einen haben mir die Mutterrolle nicht zugetraut, die anderen sprachen über mich, als wäre ich ein sozialer Absteiger, der jetzt halt schwanger ist. Freundschaften zerbrachen und ich hatte viele Selbstzweifel.

Aber zugleich packte mich auch der Ehrgeiz. ich wollte es allen—aber vor allem meinem Sohn—beweisen. Nach der Stillzeit war ich die erste Nacht weg—in einem Cocktail-Lokal. Ich war nicht entspannt, trank nur einen Cocktail und wollte schnell wieder nachhause. Seitdem hat sich nicht viel geändert—das Ausgehen bereitet mir keine Freude mehr. Aber die Partys haben mich schon in der Schwangerschaft angewidert. Also, da geht es ja um nichts. Mein damaliger Freundes- und Bekanntenkreis bestand ja aus Party-Menschen. Das waren ein paar gebrochene Persönlichkeiten, ein paar Menschen ohne Struktur und Halt. Ich wollte und will das nicht mehr.

Foto: WikiCommons I Jennifer Morrow I CC BY 2.0

Heute besuche ich Geburtstagsfeiern oder bin ab und zu in einer Kneipe Das letzte Mal richtig dicht war ich Silvester 2014 und davon hat sich meine Psyche bis heute noch nicht ganz erholt. Ich bin ein Spießer geworden. Ich bin jemand, über den ich vor fünf Jahren gelacht hätte. Aber ich bin so viel glücklicher. Aus der alten Zeit habe ich viele oberflächliche Kontakte mitgenommen—einem davon verdanke ich meinen jetzigen Job. Früher haben wir auf einer Afterhour geblödelt, heute ist er mein Chef und ich seine Sekretärin. Meine neuen Hobbys sind Nähen und Kochen. Wenn ich das so schreibe, dann muss ich grinsen. Hätte man mich 2007 gefragt, was aus mir wird, hätte ich alle möglichen Antworten gegeben, aber nicht diese. Weitere Dinge, die mir die Party-Zeit gebracht hat: Lebenserfahrung, Umgang mit Stress und unterschiedlichen Persönlichkeiten. Ich habe auch ganz neue Betrachtung und Einstellung zu allen Rauschmitteln gewonnen, vor allem aber habe ich viel über mich selbst gelernt. Ich bin eine Person, die eher übertreibt und sich mit der goldenen Mitte schwer tut. Daran arbeite ich noch.

Ich bin auch entspannter. Am Anfang haben mich die ehrgeizigen, konservativen Mütter fertig gemacht. Als unverheiratete, junge Mutter die noch dazu ihr Studium abgebrochen hat, wurde ich seltsam beäugt. Aber ich konnte auch ein paar wirklich gute Freunde finden, die meisten sind Eltern. Sie wissen alle von meinem Party-Leben, verurteilen mich aber nicht. Mein ehemaliger Freundeskreis ist auseinandergebrochen. Ein paar Leute haben jetzt auch eine Familie und sind da ausgestiegen. Manche haben Familie und sind noch immer im Nachtleben tätig. Ein paar andere versuchen sich mehr schlecht als recht als DJs oder Veranstalter. Das Problem mit dem Nachtleben ist, dass man hier schnell Anerkennung findet. Auf Partys gelten andere gesellschaftliche Regeln. Die meisten Nachtmenschen, die ich kenne, haben unter der Arbeitswoche absolut nichts zu melden und sind einsam. Ich sehe sie nur noch auf Facebook.

Ein paar sind auch abgestürzt. Und das macht mir furchtbare Angst. Also ich weiß, dass man tief reinrutschen kann und es ein Teufelskreis ist. Ich finde es auch schade, dass ich erst schwanger werden musste, um mein Leben in den Griff zu bekommen. Leider habe ich zu viel gesehen … komplett liberal kann ich dem Partyleben nicht mehr gegenüberstehen. Anderseits war ich auch nie ein Spießer. Ich werde wohl versuchen, mein Kind objektiv aufzuklären, und werde ein paar meiner Erfahrungen ihm gegenüber nicht erwähnen und einfach schauen, dass es sich nie verloren fühlt. Die Erfahrungs-Storys sind dann etwas für meine Enkelkinder. Mein Freund ist aber jetzt schon lockerer in allen Belangen. Ich denke, meine Angst und seine Lockerheit werden sich bei unserer Erziehungsarbeit ganz gut ergänzen.

Ab und zu kiffen wir abends, meistens aber schauen wir einen Film oder gehen fein aus—im Sinne von Essen gehen. Davor wird gekocht und mit dem Kleinen gespielt. Als nächstes möchten wir heiraten, ich möchte mein Studium wieder aufnehmen und abschließen. Ein zweites Kind steht auch auf dem Plan. Ich mag mein Leben und bin glücklich und froh über alle Entwicklungen. Ein geregeltes Leben zu führen, Ziele und Pläne zu haben—das macht mehr Spaß, als man denkt. Ich wünschte, jemand hätte mir damals gesagt, dass sich das Zuhausebleiben und Weiterdenken lohnt. Schöne Erinnerungen an die man sich auch erinnert, sind mehr wert als eine berauschte Partynacht.

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