Dana, Janine und Thomas im Club
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Ausgehen

Wie es ist, als Gehörlose in einen Techno-Club zu gehen

Dana sagt, sie bewege sich “in zwei Welten: der der Hörenden und der der Gehörlosen”. Zusammen waren wir eine Nacht im Tresor.

Zwei oder drei Male habe ich sie schon gesehen: Menschen, die sich beim Konzert oder im Club auf den dröhnenden Lautsprecher setzen oder sich sogar in ihn hineinsetzen. Ist das denen nicht zu laut? Nein, denn es handelte sich um Gehörlose. Clubgänger, die keinen Tinnitus fürchten und den Bass so richtig fühlen können. Die gehörlose Künstlerin Christine Sun Kim hat mal erklärt, dass sie ja einen Vorteil hat: Eine schmerzhafte Frequenz oder Lautstärke kennt sie nicht. Und Sun Kim nutzt das nebenbei aus, um selbst Musik zu machen. Andere wiederum verschmelzen eben mit einem Subwoofer.

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Laut dem Deutschen Gehörlosen-Bund e.V. gibt es etwa 80.000 Gehörlose in Deutschland, das Statistische Bundesamt wiederum zählt lediglich etwas mehr als 50.000. Eine davon ist jedenfalls meine Kollegin Dana aus der Buchhaltung von VICE. Und weil es mit Dana schon im Büro oder den ausschweifenden Grillabenden hier immer lustig ist, habe ich sie gefragt, ob wir mal zusammen in einen Club gehen könnten. Dana hatte drei Bedingungen: "Unter der Woche, nicht zu lange und unsere Kollegin Janine muss mit!" Abgemacht.

Wir entschieden uns also auf einen Donnerstagabend für das "25 Jahre Tresor Festival", das wenige Meter vom Büro im Tresor und Kraftwerk Berlin stattfand. Der nachfolgende Text ist eine Mischung aus unseren Erlebnissen und einem weiteren Gespräch, in dem wir den Abend ein paar Tage später nochmals durchgegangen sind.

Dana, wann warst du das letzte Mal feiern?
Puh, das ist viel zu lange her. Ich glaube, das war so 2007 also, wow, vor 9 Jahren.

Wie oft warst du in Clubs, als du noch nicht in Berlin gelebt hast?
Schon so alle 2 Wochen einmal. Aber natürlich nur am Wochenende.

Wie fandest du es damals, als du in Clubs aus warst?
Das war cool. Da konnte man viele neue Leute kennenlernen. Oftmals habe ich mit Leuten geschrieben, um mich mit ihnen zu verständigen. Manchmal haben sie mich auch so verstanden, aber meistens ware es zu laut.

Da war ich auch immer bis morgens feiern, der Alkohol war sehr billig. Damals viel Geld fürs Feiern ausgegeben. Die Zeit war schlimm. Mir ging es sonntags meistens nicht gut. Und montags auf der Arbeit auch nicht. Jetzt kann ich nur sagen: Nie wieder! Heutzutage trinke ich höchstens etwas leichtes, z.B. mal ein Glas Wein oder Aperol Spritz.

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Wie sieht heute ein normales Wochenende für dich aus?
Ausruhen, häkeln, mit meinen Freunden shoppen oder mit meinem wertvollen Freund kuscheln. Wir necken uns und lachen viel. Ab und zu gehe ich auch auf Veranstaltungen an der frischen Luft, wenn es etwas besonderes gibt wie den Weihnachtsmarkt, Bierfestival, Grüne Woche. Aber nur am Wochenende und tagsüber.

Dana ist seit ihrem zweiten Lebensjahr gehörlos, sie selbst bezeichnet sich auch als "taub". Auslöser für den Hörverlust war eine Hirnhautentzündung. Durch ein Hörgerät nimmt sie auch heute den Klang ihrer Umwelt wahr. Als Kind hat sie zudem gelernt, mit ihrer Stimme zu sprechen und Lippen zu lesen. Und wenn wir uns mal nicht verstehen, vermittelt Janine mittels Gebärdensprache.

Zu unserer Verabredung komme ich leicht verspätet. Die Kolleginnen warten bereits an der Köpenicker Straße. Dana tippt mit gespielter Empörung auf ihr Handgelenk. "Zu spät, Thomas, zu spät!" Der Einlass zum Tresor und Kraftwerk verzögert sich aber, ich kann also zumindest noch mit einer Runde beim Späti Wiedergutmachung betreiben.

Was hast du gedacht, als ich dich gefragt habe, ob wir zusammen ausgehen für einen Artikel?
Dana: Also zunächst habe ich mich schon gefragt, was dir das bringt, weil ich nicht wusste, wie ich das beschreiben soll. Aber als ich klein war wollten auch schon Leute Artikel über mich schreiben.

Dann war ich schon ein bisschen aufgeregt und nervös bei dem Gedanken, aber später fand ich das gut und habe mich auch darauf gefreut. Allerdings war mir bei dem Gedanken an das Tanzen komisch, weil ich nur so tanze wie andere, bei denen ich mir das abgucken kann, da ich nicht weiß, wann man anfängt zu tanzen.

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War dir der Tresor ein Begriff?
Nein, ich habe vorher noch nie was von dem Club mitbekommen. Ich dachte erst: "Hä, was soll ich in einem Tresor, also einem Safe?"

Ich weiß nicht ob, ich die Musik mag oder nicht. Außerdem kann ich auch keine verschiedenen Musikrichtungen auseinander halten.

Wie denkst du grundsätzlich über Musik?
Eigentlich gar nichts. Ich weiß nicht ob, ich die Musik mag oder nicht. Außerdem kann ich auch keine verschiedenen Musikrichtungen auseinander halten. Wenn ich selbst Musik anmache, dann ruhige klassische Musik mit langsamen Tönen von Piano, Klavier und Flöte. Das beruhigt mich. Am liebsten zum Einschlafen. Bei langsamer Musik merke ich auch, wann diese anfängt und aufhört.

Aber ich "fühle" nicht, wann die Musik aufhört, tanze also einfach weiter oder höre auf, wenn es andere tun. Denn wenn ich mich bewege und tanze, dann ist der Kontakt zum Boden nicht mehr ausreichend, um die Musik, also den Anfang, das Ende und die Pausen zu fühlen.

Was war deine Erwartung an die Nacht, als wir vorm Club standen, als wir davorstanden?
Eigentlich nicht besonders groß. Ich hatte keine Ahnung, wie es darin aussieht, und habe mir eher überlegt, ob ich passend angezogen bin. Also ob es schick oder cool oder mehr so HipHop-Style sein sollte. Janine hat mir aber gesagt, dass in Schwarz und mit bequemen Schuhen am besten wäre. Ich habe mich auch gefragt ob der Club schick ist und sauber. Ich habe mir gedacht es wird viele bunte Lichter geben und eine Bühne mit viel Licht (ähnlich wie bei Konzerten). Und ich dachte es gibt verschiedene Räume, ein Raum für HipHop, einer für Techno, einer für Rap …

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Vor dem Kraftwerk studieren wir noch die Festivalplakate: HipHop gibt es bei "25 Jahre Tresor" nicht, dafür aber Juan Atkins & Moritz von Oswald, Helena Hauff und DJ-Stingray. Dana kennt keinen der Acts. Als wir in das Kraftwerk kommen stelle ich fest, dass ich eine Sache in der ganzen Planung übersehen habe: TV Victor spielt am Anfang. Das ist schön für den Veteranen, der immerhin sieben Alben auf dem Tresor Label veröffentlicht hat, aber doof für uns. Denn TV Victor spielt ein Ambient-Set. Die Musik ist schlichtweg zu zart, als das Dana sie wirklich wahrnehmen könnte, und ehrlich gesagt, ist es auch noch ziemlich leer. Wir wandern also noch etwas durch die Etagen der riesigen Halle und suchen uns eine gut ausgeleuchtete Ecke weiter oben, um zu reden.

Warum ist es wichtig, dass man sich gegenseitig im Club sehen kann?
Um miteinander zu kommunizieren. Gerade wenn man nichts hört, brauche ich Augenkontakt. Auch wenn ich mich zur Musik bewegen will, dann gucke ich mir das, wie gesagt, von anderen ab. Und ich achte generell sehr auf die Gestik und Mimik, um zu sehen ob man glücklich, traurig oder genervt ist. So merke ich auch, ob Leute auf mich sauer sind, oder einfach nur arrogant oder keine Lust haben zu kommunizieren.

Wie hat die Kommunikation für dich mit uns geklappt?
Das ist schwer zu sagen. Es war nicht sehr einfach, im Dunkeln habe ich euch gar nicht verstanden. Wenn ein Licht in euer Gesicht geleuchtet hat, konnte ich von euren Lippen ablesen und euch verstehen, aber nicht so einfach wie draußen. Mit meinen Freunden, die Gebärdensprache können, kann ich mich auch im Dunkeln "unterhalten", solang man sich noch sehen kann. Da haben Leute, die etwas Hören können, haben einen großen Vorteil: Sie hören auch, wenn es stockdunkel ist und sie sich nicht sehen können.

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Mit meinen Freunden, die Gebärdensprache können, kann ich mich auch im Dunkeln "unterhalten", solang man sich noch sehen kann.

Kann man sich als Gehörlose in Clubs generell gut oder schlecht unterhalten?
Eigentlich kann ich das nicht so genau sagen. Am Anfang finde ich es eher schlecht, aber wenn sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, dann macht das für mich keinen großen Unterschied mehr als zu einem anderen Ort. Wie laut die Musik ist oder so ist dabei ja egal.

Was war dein erster Eindruck, als wir im Club waren? Wie sah der Club für dich aus? Welchen Eindruck haben die Leute auf dich gemacht?
Es sah aus wie in einer Fabrik. Ehrlich gesagt total komisch. Ich dachte hier stehen Maschinen und es wird etwas hergestellt. Ehrlich gesagt sah es gruselig aus, aber Angst hatte ich keine. Außerdem war es riesig und total dunkel. Es war total leer da gab es ja gar nichts, ganz anders wie bei einem Zuhause. Für mich war der Raum viel zu groß für die kleine Musik. Wegen der Leute habe ich keine Ahnung, auf die habe ich nicht geachtet. Ich habe mich nur auf euch konzentriert.

Als TV Victor fertig ist, übernimmt Gudrun Gut. Und Guts hat ein paar schöne, markante Dub-Bässe im Programm. Mittlerweile sind auch etwas mehr Gäste eingetroffen. Ein paar Italiener in Schwarz, ein hagerer Typ mit Irokesenschnitt im Rock und etliche Menschen, die dem Tresor professionell seit Jahren verbunden sind. Wir wagen uns nochmals nach unten. Stehen erst etwas abseits, irgendwann dann in der ersten Reihe. Der laute Bass bringt uns tatsächlich vorsichtig in Bewegung. Mittlerweile habe ich mich so sehr daran gewöhnt, dass Dana mich versteht, dass ich sie frage, ob sie Spaß hat. Sie schaut mich fragend an. "Ah, richtig, du kannst mich ja nicht hören!", sage ich. Es ist hier vorne einfach zu dunkel, um die Gesichter richtig zu erkennen. Und dann bemerke ich, was ich da eigentlich gerade gesagt habe …

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Wie hat dir das zweite Set, das von Gudrun Gut, denn nun gefallen, Dana?
Wie soll ich das sagen … Ich hab keine Ahnung.

Du meintest im Club, du kannst nur den Rhythmus hören nicht aber die Melodie. Richtig?
Genau. Hauptsächlich über den Boden durch die Füße bis in den Kopf. Sogar manchmal über die Haare weil die sich nach dem Beat bewegen. Wenn jemand singt verstehe ich kein Wort, aber ich "sehe", dass in dem Lied gesungen wird, wenn andere mitsingen. Ich kann ja selber auch nicht singen. Nur die Wörter steif aussprechen.

Hast du dir Gedanken darüber gemacht, ob uns andere Leute beim Tanzen sehen?
Ja, ich fühle mich wie ein Loser beim Tanzen. Ich sehe da aus wie ein Trottel. Deswegen tanze ich auch normalerweise nicht. Höchstens, wenn man vorher feste Schritte übt – bei einem Walzer beispielsweise oder bei dem Lied "We Will Rock You", wo man sich in einem Kreis hinhockt und auf den Boden haut, in die Hände klatscht.

"We Will Rock You" lief beim Tresor Geburtstag ja nicht. Hattest du trotzdem Spaß?
Naja, geht so. Also mit euch hatte ich Spaß, aber wegen der Musik oder dem Tanzen nicht.

Da das ganze Programm mit etwas Verspätung angelaufen ist, müssen Dana und Janine noch während des Sets von Gudrun Gut gehen. Ich bleibe noch etwas, später reißt Helena Hauff mit ihrem Set ein proppenvolles OHM ab. Die Leute schwitzen, tanzen, aber zum Reden ist es zu laut und zu eng.

Haben wir irgendwelche dummen Fragen gestellt?
Ich weiß es gar nicht mehr. Ich bin ja auch schon alt. Aber diese Frage eben, ob mir das Set gefallen hat, die war doof. Ich kann Musik ja nicht als schön oder doof einschätzen. Eigentlich ist sie mir egal.

Autsch. Würdest du trotzdem noch mal mit in so einen Club kommen?
Nein, das war genug. Einmal reicht. Was soll ich da, das war langweilig. Ich unterhalte mich lieber mit meinen Freunden, als zu tanzen. Ich bewege mich in zwei Welten: der Welt der Hörenden und der Welt der Gehörlosen. In der Welt der Gehörlosen brauche ich die Musik nicht. Trotzdem danke!

OK, verstehe ich. Gerne!

Thomas twittert. Folge zudem THUMP auf Facebook und Instagram.