Nazis, Nackte und gute Laune: Wie es ist, bei einem Biernotruf zu arbeiten
Der alltägliche Irrsinn eines Biernotruf-Mitarbeiters, symbolisch zusammengefasst. Foto: Grey Hutton.

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Party

Nazis, Nackte und gute Laune: Wie es ist, bei einem Biernotruf zu arbeiten

Wer in wirklich glückliche Gesichter sehen will, der kann ja mal nachts mit zwei Kästen Bier unter'm Arm an der Tür einer ausgetrockneten Party klingeln …

Vielleicht ist der ein oder andere Leser so gut organisiert (Streber!), dass ihm noch nie der Alkohol, in dem Moment ausgegangen ist, an dem er ihn am nötigsten brauchte. Also nachts, wenn auch der letzte Supermarkt schläft. Oder vielleicht wohnt der eine oder andere quasi in einem Späti beziehungsweise so fies auf dem platten Land, dass sich dort eh kein Bringdienst abseits von den Zalando-Knechten hin verirrt. All jenen sei erklärt:

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Ist die Party saufmäßig eskaliert, alles leer und kein offener Laden in Reichweite, helfen seit etlichen Jahren Biernotrufe oder Biertaxen—also Getränkelieferanten, die sich auf die Nacht- und Morgenstunden spezialisiert haben. Sie bringen Nachschub an Alkohol und einigem mehr.


Aus dem VICE-Netzwerk: Auf ein Bier mit Schwester Doris:


Wer in wirklich glückliche Gesichter sehen will, der kann ja mal nachts mit zwei Kästen Bier unter'm Arm an der Tür einer ausgetrockneten Party klingeln … Mitarbeiter des Biernotrufs haben diese Heiland-Simulation zu ihrem Job gemacht. Doch man ahnt: Wenn hier wirklich biblische Vergleiche greifen sollten, dann am ehesten der von Sodom und Gomorrha. Denn die Szenarien, auf die sie bei ihrer Arbeit treffen, sind feucht fröhlich, übergeschnappt bis komplett abgeschossen.

Die verdammten Kunden

Neulich, auf einer mächtigen Feier war das Verhältnis zwischen Bier- und Bionade-Reserven bedenklich zu Ungunsten von Rausch gekippt. Der örtliche Biernotruf musste Abhilfe verschaffen. Wie unsere brüllende, uferlose Bestellung—dauerunterbrochen von irgendwelchen reingegrölten Besoffski-Gags - am anderen Ende der Leitung angekommen sein mochte, will man sich gar nicht vorstellen. Doch alles funktionierte perfekt. So kam es, dass im weiteren Verlauf zwei Anekdoten zum Thema Biernotruf zum Besten gegeben wurden. Zwei, die ich seitdem so gern weitererzähle, dass ich überzeugt bin, aus dem Thema müsste doch endlich mal jemand einen Artikel machen—in dem auch die Lieferanten ihr Schweigen brechen. Das hier ist dieser Artikel.

Die Sache mit der Zahnpasta

Doch bevor es losgeht mit O-Tönen direkt aus den Notruf-Zentralen von Berlin, München und Detmold seien natürlich noch die beiden erwähnten Anekdoten überliefert. Ehrensache! Ein Partygast berichtete, er sei im Morgengrauen noch komplett dicht auf der Bank eines Spielplatz' erwacht, den Getränkenotruf (Nummer zum Glück in besserer Verfassung mal gespeichert) überzeugt er lallend, ihm an diese Bank Zahnbürste und Zahnpasta zu bringen. Tatsächlich kommt ein Fahrer, ganz selbstverständlich wird das Gewünschte ausgegeben. Sehr gut angelegte 20 Euro, findet das Opfer noch heute—trotz des Aufpreises wegen Mindestbestellwert.

Die Sache mit der Gratis-Fahrt

Story 2: Ein Freund ist weggezogen aus Hamburg ins malerische wie scheißöde Umland— no offense! Die dazugehörige Einweihungsparty verleitet leider nicht zum die Nacht Durchmachen. Doch keine Bahn oder ähnliches steuert das Dorf nach Einbruch der Dunkelheit an. Also bestellte man sich einen Kasten Bier, eine Flasche Wodka beim nächtlichen Partynotdienst. Als jener endlich ankommt, wird ihm überdies beschieden: „Hey, wenn du jetzt eh wieder nach Hamburg zurückfährst, kannst du mich und noch zwei Kumpels doch mitnehmen!" Für solche Fahrten bräuchte man einen Beförderungsschein, wiegelt der genervte Kurier ab, doch er wird niedergequatscht—und so gibt es zu den Getränken noch eine Gratisfahrt in die Stadtmitte. Danke, Biernotruf-Boy! Beziehungsweise: Wenn das alles dein Alltag sein sollte, dann sorry, du arme Sau! Die Kontaktaufnahme: Was erwartet ihn hinter der Tür? Foto: Tobias Prüwer

Die Wünsche

Aus diesen Eingangsanekdoten kann letztlich nur eine Frage resultieren: Sind die Kunden möglicherweise verrückt? Stefan vom „Partybrenner" in Berlin beruhigt—naja, einigermaßen zumindest: „Jede Bestellung ist individuell. Das reicht von der normalen Hausfrau die einen Schwangerschaftstest bestellt und mich bittet zu warten, um mir das Ergebnis mitzuteilen, bis hin zum Swingerclub, der mich in Naturalien bezahlen wollte. Also alles sehr individuell, aber das sind eher die Ausnahmen. Grundsätzlich alles stinknormale Menschen, die einfach nur Durst haben."

Die Kontaktaufnahme

Kennengelernt wird sich in dieser Branche per Telefon. Das wissen auch Tyll vom „Alkoport" in München und Sascha vom „Biernotruf" aus Detmold. Aber Hand aufs Herz, kann man die Anrufe, die nach Mitternacht von einer Party eingehen, wirklich vernünftig verstehen? „Wieso erst nach Mitternacht? Aber Spaß bei Seite, natürlich bestellen bei uns immer wieder auch Kunden mit einem starken bayerischen Dialekt. Manchmal muss sich der Anrufer aber auch nur auf einer lauten Party aufhalten, was die Kommunikation enorm erschweren kann. Grundsätzlich heißt es, geduldig und freundlich zu bleiben, bis die Bestellung aufgenommen ist—auch wenn zehn Bestellungen solcher Art hintereinander auftreten." (Tyll, München) „Grundsätzlich verstehe ich die Kunden immer sehr gut. Vereinzelt gibt es Kunden die zur fortgeschrittenen Stunde der Muttersprache nicht mehr mächtig sind, aber auch da gibt es immer helfende Stimmen im Hintergrund, die die Bestellung fehlerfrei übermitteln können." (Stefan, Berlin) „Also ich habe auch schon Telefongespräche recht schroff beendet, weil der Mensch am anderen Ende zu einem Gespräch nicht mehr in der Lage war." (Sascha, Detmold)

Die vertrottelten Schwaben

Der Biernotruf ist etwas, das sich im ganzen Land und nicht nur in Großstädten durchgesetzt hat. Okay, es gibt natürlich Ausnahmen. In Stuttgart beispielsweise sucht man diesen Service der Nacht vergebens. Die rot-grüne Landesregierung hat im Kampf gegen Alkoholmissbrauch neben den Tankstellen nun ebenfalls die Bringdienste limitiert. Zwischen 22 und 5 Uhr dürfen weder Spirituosen noch Bier oder Wein verkauft werden. „Baden-Württemberg: Wir können alles—außer nachts noch Bier holen." Illustration des Autors

Der Ärger

„Unsere Fahrer freuen sich immer wieder darüber, samt Lieferwagen in Innenhöfen eingesperrt zu werden. Ein Anruf beim Kunden hat dieses Problem allerdings immer gelöst. Leider kommt es aber auch immer wieder vor, dass während der Fahrer die Bestellung im Lieferwagen zusammenstellt, Menschen im Vorbeigehen versuchen, etwas aus dem Wagen zu klauen. Hier müssen unsere Fahrer die Augen offen halten und im Notfall wurde auch schon die Polizei dazu gerufen." (Tyll, München).

Das Mitsaufen

Saufen macht gesellig—und so wundert es kaum, dass die Mitarbeiter der Bringdienste mit mehr Party-Einladungen konfrontiert werden als jede Prom-Queen. „Nach außen klingt das natürlich immer verlockend, einfach so auf einer Party hängen zu bleiben und mitzufeiern. Allerdings stehen bei uns kurze Lieferzeiten im Vordergrund, weshalb die Fahrer so schnell wie möglich versuchen, eine Lieferung abzuschließen. Je schneller sie sind, desto höher fällt erfahrungsgemäß aber auch ihr Trinkgeld aus. Auf der anderen Seite ist es auch nicht jedermanns Sache, mit wildfremden Personen zu feiern. Nichtsdestotrotz werden unsere sympathischen Fahrer oft eingeladen, zu bleiben." (Tyll, München) „Habe ich noch nie gemacht. Wurde zwar schon öfters eingeladen, was mitzutrinken, aber dann müssten die darauf folgenden Kunden ja warten oder gar auf dem Trockenen sitzenbleiben. Das kann sich ein Lieferdienst nicht erlauben. Stell dir vor, du bestellst was und bekommst als Antwort: 'Nö, bin grad auf einer Party. Keine Zeit!'" (Stefan, Berlin)

Die Nackten

„Einmal wurde ich von einem männlichen Kunden am Telefon gefragt, ob ich nicht vorbeikommen und bei einem Dreier mit ihm und seiner Freundin mitmachen wolle …" (Sascha, Detmold)

Die Nazis

„Als ich eine Bestellung zu einem alleinerziehenden Vater und seinem Sohn ausgeliefert, wurde ich mit den Worten 'Bist Du Deutscher?' in die Wohnung gebeten. Ist jetzt bei uns nicht wirklich ungewöhnlich, dass man zur Warenübergabe zwei, drei Schritte in die Wohnung macht. Als ich dann jedoch die Wohnung betrat, wurde mir auch der Sinn der Frage klar: Die ganze Wohnung war tempelgleich vollgepackt mit NS-Dekoration. An den Wänden NS-Flaggen und Fotos von Hitler und Goebbels, eine SS-Uniform an einer Schaufensterpuppe." (Sascha, Detmold)

Die Prostituierten und das Gras

Dass die Begehrlichkeiten, die nächtens auf Partys aufkommen, nicht immer mit dem Betäubungsmittelgesetz in Einklang stehen, dürfte niemand bezweifeln. Natürlich bekommen das auch die Lieferdienste zu spüren. Nicht zu sprechen von der Rausch induzierten Geilheit … „Ich werde recht häufig—und teilweise wirklich auch erschreckend offen—gefragt, ob man bei uns auch Drogen oder—seltener—Prostituierte bestellen könne." (Sascha, Detmold) „Es gibt schon Leute, die allen Ernstes glauben, bei mir eine Prostituierte vermittelt zu bekommen. Das aber dann eher ab ein oder zwei Promille Blutalkohol. Die denken, wir haben alles. Aber eine Prostituierte habe ich nicht in meinem Sortiment." (Stefan, Berlin) „Oft werden wir auch gefragt, ob wir denn nicht unter der Hand Gras verkaufen würden, was aber natürlich nicht der Fall ist." (Tyll, München) Ein Bekannter namens Tristan, Schlagzeuger der Band Die Shitlers wendet an dieser Stelle allerdings ein: „Ich weiß, dass es mal einen entsprechenden Service in einer mittelgroßen Ruhrgebietsstadt gab, bei dem der Fahrer auch zufällig der örtlich renommierteste Gras-Ticker war. Das war ein Spitzenkonzept, leider habe ich es nie genutzt."

Das letzte Abenteuer

Keine Sorge, Anzeige gegen Tristan wegen Mitwisserschaft ist bereits raus – und macht euch keine Hoffnung: Diese Nachtdienstleister sind seriöse Unternehmen. Trotzdem muss es einfach mal gesagt werden: Respekt für diese Biernotruf-Hobbits. Die sich für erschreckend mickrige Margen in die Nacht werfen und sich vor Ort die ewig gleichen „lustigen" Jokes anhören müssen. Verständnis daher sogar für jeden Anbieter, der irgendwann Eigenbedarf am Inventar anmeldet—und seine Konkursmasse vertrinkt. Aber eben vor allem Respekt für die, die durchhalten und sich dabei noch den Bock bewahren. Wir sehen uns im Ausnahmezustand. ** Tag und Nacht für dich da: THUMP auf Twitter und Facebook.