Wir waren im Institut für Zukunft feiern – Leipzigs erstem Technoclub mit Darkroom
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Wir waren im Institut für Zukunft feiern – Leipzigs erstem Technoclub mit Darkroom

"Deine Frisur ist gut. Deine Zähne sind schön, das ist wichtig", sagt er. Weitere Flirterfahrungen spare ich hier aus.

Alle Fotos: Natalie Mayroth

Fotoverbot kennen wir aus Berlin. Aus dem Berghain, dem ://about blank, sogar im Watergate ist es verboten. So auch in Leipzig, auch wenn sich das Institut für Zukunft (IfZ) in keine Berlin-Schublade stecken lassen möchte. Einen Schwester-Club in der Hauptstadt haben sie dennoch: das ://about blank – nicht nur bekannt für ausschweifende Techno-Partys, sondern für ihre politische linke Haltung und Soliveranstaltungen.

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Jogginghose, Fanny Pack, Hoody und dazu Sneaker – umschreibt den alternativen Streetstyle in Leipzig. Mir wurde einmal von einer Berlinerin erklärt, das wäre typisch für Friedrichshain vor 10 Jahren. Ich kenne Berlin erst seit Beginn der 2010er: Seitdem hat sich die Stadt, die Menschen und auch die Szene verändert. Die große Euphorie ist verflogen. Einige Clubs wirken arg gesetzt, überschwemmt mit jungem Partyvolk oder dienen als Hülse von durchgesponsorten Festivals. Die illegalen Partys sind rar geworden. Mir fehlen die Einladungen, die einen mit Google-Koordinaten ins Berliner Hinterland schicken. Auch wenn Vereine wie die Club Commission ihr Bestes tun, um Veranstaltern zu helfen, wie eine feste Fläche fürs Frei-Himmel-Feiern zu installieren, finden Open-Airs immer seltener statt: Sie werden abgesagt, weil auf Facebook zu viele Leute "zusagen" oder die Polizei vorbei kommt. Die einst kleinen Festivals werden immer größer und kommerzieller und falls du wirklich eines der angesagten Events besuchen willst, musst du dich im Jahr davor zu einer irrsinnigen Verlosung anmelden: Wer weiß schon, was er in einem Jahr macht? Dahingegen ist Leipzig ein Traum, auch wenn dort ebenfalls der Leerstand zurückgeht und die Mieten steigen.

Die Umgebung im Leipziger Südosten ist karg. An der Hauptstraße reiht sich ein Betonhaus an das Nächste. Am Wochenende tönt hier der Bass aus der Nebenstraße. Unweit vom alternativen Szenebezirk Connewitz hat sich eine Crew auf dem Gelände des Kohlrabizirkus einen Freiraum geschaffen. Auf der Industriebrache steht ein Gebäude mit zwei Kuppeln aus Stahlbeton, auf das bunte Lichtstrahler gerichtet sind. Zu DDR-Zeiten wurde hier mit Gemüse gehandelt – vor allem Kohl und Rüben. Heute ist im Keller der nördlichen Kuppel ein Technoclub untergebracht, der Technoclub Leipzigs. "An den Tierkliniken" lautet die Adresse des Instituts für Zukunft.

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Aufgezogen wurde der Club von einer Gruppe, die mittlerweile rund 70 Leute aus verschiedenen Partycrews umfasst, die nicht immer eine Genehmigung für ihre Veranstaltungen hatten. Auf Dauer wurde es ihnen zu anstrengend, sagen sie. Sich von der Polizei den Abend vermiesen zu lassen, hohe Strafen zu riskieren und auf Dauer mäßig guten Sound hinzunehmen. Sie schlossen sich zusammen, darunter die Crew "Institut für Zukunft", die es schon seit einem Jahrzehnt gibt. Von ihnen ist der Name des Technotempels geblieben. Über Crowdfunding konnten sie sich teilfinanzieren, sonst war es harte Arbeit, die Räumlichkeiten zu renovieren. Das IfZ ist im Kollektiv organisiert und umfasst einen Kulturverein (Krev). Das heißt: viele Treffen, viele Arbeitsgruppen, dennoch ist es ihnen den Aufwand wert.

Noch bevor ich zum Club komme, entdecke ich Graffiti an den Wänden, aber auch Sprüche über den Club. Gestrüpp bedeckt die Schrift, doch was dahinter steht, kann man noch lesen:

"Achtung! Sie nähern sich dem IFZ. Bitte verhalten Sie sich angepasst & ruhig! LOVE TECHNO HATE restriktive Einlasspolitik…"

Um halb eins steht vor dem Gebäude bereits eine Schlange von über 100 Leuten und es werden mehr. Am Eingang ein Fotoverbotsschild. Mir wird mein Telefon weder abgeklebt, noch abgenommen. Ich bin verwundert. Der Gang nach links ist rot erleuchtet und führt zu einem länglichen Flur; einer der Orgaboys sitzt an der Theke, wippt mit. Die Stufen zum unteren Floor sind wie im Schwimmbad gefliest. Ich entdecke Schilder mit der Aufschrift "Akkumolatorenraum". Die Ausstattung ist clean, viel gibt es im Club nicht, was mir gut gefällt. Die Wände im oberen Geschoss sind schwarz, bedeckt mit weißer geronnener Farbe, die sich bis zum Boden in einzelne Tropfen verliert.

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Das Publikum ist gemischt: Ein paar rennen in Sportshorts rum, sonst ist vom H&M-Schal-Mädchen bis zum Jungen mit Dutt und Undercut, Skaterboy in enger Hose und Vans, Tätowierter mit Plugs oder dem Typ mit Sonnenbrille am V-Neck-T-Shirt alles geboten. Wie er es hier reingeschafft hat, frage ich mich. Bisher habe ich ganz andere Geschichten über die Türpolitik des IfZ gehört. Dafür sprechen auch die Schmierereien auf dem Gelände.

Die erste Anmache des Abends ist noch etwas unbeholfen. Ein Junger Mann mustert mich, als ich mir die Hände wasche. Er geht halb an mir vorbei. "Deine Frisur ist gut. Deine Zähne sind schön, das ist wichtig", sagt er. Weitere Flirterfahrungen spare ich hier aus. Bis auf diese merkwürdige Begegnung sind die Unterhaltungen, die ich führe angenehm locker.

Ich sitze auf einer Bank vor den Toiletten und sehe mich um. An den grauen Wänden hängen Poster, die nach Typografieunterricht aussehen. Es dauert nicht lange und ich werde angesprochen. Eine Frau neben mir redet laut. Sie sagt etwas, dass ich nicht verstehe. Wir kommen ins Gespräch. Ihr fällt auf, dass ich nicht aus Sachsen komme. Sie bleibt nett und erzählt, dass die Partys hier für sie etwas Besonderes sind. "Den Eintritt kann ich mir nicht immer leisten. Ich bin arm. Ich bin wirklich arm", sagt sie. Einmal wurde sie hier weggeschickt, das hat sie sehr getroffen. Ihre Stimme wird rau. Das war zur Eröffnung gewesen und obwohl sie schon immer auf den Technopartys war. Die Frau ist zierlich, doch ihr Gesicht sieht nach vielen vertanzen Nächten aus. Bevor ich gehe, drückt sie mir einen kleinen, schwarzen Zettel in die Hand. "Das ist meine Party", sagt sie. "Komm doch vorbei, ist nächste Woche. Draußen und umsonst." Ich stecke den Flyer ein und ziehe weiter in die Richtung des rot erleuchteten Dancefloors.

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Obwohl es weniger mit einer Holzhütte zu tun hat, erinnert mich der House-Floor an den Wintergarten im Sisyphos. Nur die Hippies fehlen. Der Raum ist länglich und gar nicht groß. Eine DJ legt auf, die Stimmung ist gut. Die Leute tanzen, auch wenn sich keiner die Klamotten vom Leib reißt. Im unteren Floor, der alten Gemüsekühlkammer, läuft gemäßigt housiger Sound, der ruhig härter sein könnte, wenn man Feiern in Berlin gewöhnt ist. Das DJ Pult ist ebenerdig, der Sound der Kirsch Audio klar. Halb im Raum steht eine Kanzel, auf der die VJs ihren Platz gefunden haben. Sie leuchten weiße Holzstreben an, die in der Dunkelheit hypnotisch wirken.

Unter den Runnern entdecke ich ein paar Frauen, eine trägt ein halb durchsichtiges Shirt. Ebenso lässig wie sie, sind die Betreiber in ihren Jogginghosen mit Fanny Pack, Weste oder Bomberjacke gekleidet. Doch zum Feiern kommen sie später, erst wird mitgearbeitet. Ich kenne sie noch aus Berlin. Im Backstage treffen wir uns zum Interview. Die Frage nach dem Berghain-Vergleich kommt nicht gut an: "Leipzig ist nicht Berlin und das IfZ nicht das Berghain", bekomme ich als Antwort. Das sie eine zu strenge Türpolitik hatten, ist ihnen bewusst. Daher kommt wohl auch der unbeliebte Beiname. Sie lernen noch, so richtig läuft der Laden erst seit einem guten Jahr. Es habe gedauert, sich mit Ämtern zu einigen. Hilfestellung von Freunden aus Berlin gab es beim Strukturaufbau, doch einige Fehler mussten sie erst selbst machen, erzählen sie während des Gesprächs.

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Bis halb zwei am Nachmittag ist an diesem Wochenende der große Floor offen. Danach läuft Afterhour-Sound-House. Durchhaltevermögen ist durchaus gegeben. Viele Gesichter kommen wieder. Sie haben sich dazwischen ein wenig ausgeruht und sind zurück in den Club gekehrt. Am Eingang hat sich auch die Safer Clubbing-AG bemerkbar gemacht: Eine Platte, die noch halb mit Paprika, Apfelschnitzen, Trauben und Gurke bedeckt ist, steht bereit. Die Tanzbewegungen sind mit der Musik langsamer geworden. 100 Beats per Minute. Gut 50 Leute sind am noch auf der Fläche. Die Sonne geht unter.

Vereinzelt kommen mir noch Partygänger entgegen, als ich den Club gegen vier Uhr verlasse. Die Anlage summt noch von Weitem. Der Engländer, der vor mir steht, kennt in Leipzig außer dem IfZ nicht viel. Das scheint ihm auch zu reichen. Er spricht im gleichen Atemzug vom Berghain in Berlin, von dem er schon gehört habe, doch Leipzig habe ihn mehr gereizt als die Hauptstadt.

Ein zweites Berghain habe ich nicht gefunden, das muss es auch nicht. Einen weiteren Heizkraftwerk-Club braucht es nicht, erst recht kein Imitat. Zwischen Menschen zu feiern, die nicht komplett in schwarzer Einheitskluft gekleidet sind, hat seinen Charme. Das Personal ist cool drauf und man spürt, dass es für alle Beteiligten ein Herzensprojekt ist, das sie für sich und Leipzig geschaffen haben.

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