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Feature

Ziúr macht Schattenmusik für den totalen Abriss

Wenn es darum geht, den immergleichen Sound in Clubs zu zersetzen, kennt die Berliner Produzentin kein Zurückhalten mehr.
Tereza Mundilová

Das SchwuZ in Berlin-Neukölln, kurz nach Mitternacht. Lichtblitze flackern auf weißen Fliesen, Menschen drängen sich um ein ebenerdig errichtetes Pult. Ziúr scheint sie nicht zu sehen. Konzentriert steuert sie ihr Setup, füllt den flachen Raum mit … ja, was eigentlich?

Ihre Musik ist eine Schattenmusik: keine Fläche, die in den Vordergrund gelassen wird; kein Sample, das nicht verfremdet wird; kein Beat, der gerade durchläuft. Stattdessen schwirrt alles durcheinander. HipHop huscht da vorbei, Electronica, EBM. Nur, so richtig zu erkennen ist nichts davon. Nichts nimmt konkrete Formen an, während das CTM Festival-Publikum gespannt hin und her wiegt. Beim Gastauftritt von Vokalistin RIN löst sich die Produzentin dann selbst von ihren Geräten – und tanzt.

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Ein paar Wochen zuvor. Friedrichshain, Karl-Marx-Allee, klarer DDR-Chic draußen auf der Straße und auch drinnen im Museumscafé. "Gestern hatte ich eine unglaubliche Energie und habe in acht Stunden einen mega komischen Track geschrieben. Das lag wohl am Vollmond." Mika, die hinter Ziúr steckt, ist noch immer ziemlich aufgeladen. Ihre Wohnung samt Homestudio ist um die Ecke.

Es ist windig auf der Karl-Marx-Allee. Alle Fotos von Tereza Mundilová

Mika hat in Bands wie Sissters, auch unter eigenem Namen bereits ein paar Solosachen veröffentlicht. "Wenn es einen roten Faden meines musikalischen Schaffens gibt, dann das ich niemals einem Genre allein entsprochen habe. Früher war es nie einfach nur Punk und heute ist nicht einfach Bass und Techno." Im Gegenteil: Es ist der Begriff der "Deconstructed Club Music" mit dem sie noch am besten leben kann, wenn ein Genre für ihre genrelose Musik gesucht wird.

Dabei kommt sie nicht direkt aus dem Clubkontext. "Als Jugendliche habe ich es mit Antifa, Tierrechtssachen, VoKü probiert", erinnert sich Mika. "Aber das ging nie lange gut. Am längsten hat es mich irgendwo gehalten, wenn ich eine Eigenverantwortung hatte. In einem Squat Venue (Anm. besetztes Haus) habe ich etwa mich alleine um die Getränke gekümmert – und das Klo geputzt, weil das sonst niemand gemacht hätte. Gruppendynamiken gehen mir auf den Keks und Dogmen, gerade im linkspolitischen Spektrum, finde ich anstrengend."

Heute hat sie zwei EPs, Taiga und Deeform, auf Infinite Machine respektive Objects Limited veröffentlicht, dafür u.a. erneut mit RIN, Born In Flamez und Air Max '97 zusammengearbeitet. Remixe für Peaches und die Band Evvol sowie ein Podcast bei Resident Advisor stehen ebenfalls auf der Habenseite. Außerdem organisiert Mika die Veranstaltungsreihe "BOO HOO" mit, ist Teil des digitalen Sister-Kollektivs und wurde in der Dokumentation Raw Chicks.Berlin porträtiert.

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Es gibt keine Regeln mehr. Scheiß drauf! Dadurch kommt was Spontanes, Neues zusammen.

Ironischerweise versteckt sich dahinter keine langfristige Aufbaustrategie, sondern totaler Abriss. Das wird beim Interview im Café am deutlichsten, wenn es um ihre Herangehensweise für Remixe geht: "Wenn ich einen Remix mache, höre ich mir vorher nie das ganze Original an, bevor ich es dann in Stücke reiße." Wer das sucht, was er oder sie ohnehin schon kennt, wird bei Ziúr nie fündig werden, wird keinen Halt finden, kann sich bestenfalls nur zwischen die scharfen Bruchkanten ihrer Produktionen fallen lassen, bis ihr unwirklicher Groove mit aller Machtvon unten hervortritt.

Das hat Mika mit befreundeten Acts wie Kablam ("Sie gibt sich nie zufrieden. Sie ist der totale Boss. So wie sie inspiriert mich gerade niemand.") gemein. Doch längst belässt sie es nicht mehr dabei, an den Grundfesten von Clubmusik zu rütteln. Sie ist Teil der Initiative Co-Op, die im Dezember eine Compilation mit 24 Tracks von 24 Acts ins Netz stellte. Der Claim damals: "Wir geben die Antwort auf den politischen Status quo: der globale Aufstieg des Faschismus. (…) Weder dämonisieren wir einander, noch lassen wir zu, dass sich Hass entfalten kann."

Diese Co-Op Compilation kannst du dir bis heute "gratis" herunterladen. Allerdings ermuntert dich das Kollektiv im Gegenzug dafür auf, "deine Zeit oder Geld an eine der lokalen sozialen Organisationen (…) zu spenden", die sich gegen Rassismus, Xenophobie, Misogynie und andere Diskriminierungen einsetzen. Die Idee dazu kam von Mika – aus "einer Art Taubheitsgefühl" heraus, wie sie selbst sagt. Und dem dringlichen Wunsch, dieses zu überwinden: "Die Welt wird einfach immer beschissener. Was konnte ich tun? Da fiel mir auf, dass wir zusammen viel mehr reißen könnten."

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Zwar meldeten sich einige Leute mit dem Anliegen, am nächsten Tag bei dieser oder jener der gelisteten Hilfsorganisationen und mitzumachen, kontrolliert hat den Erfolg bei Co-Op aber niemand. Darum ging es auch nicht, sagt Mika, "sondern um Vertrauen und darum, den Leuten zu zeigen, dass wir an sie glauben."

Und dass Veränderungen möglich sind. Lokal, vor Ort, durch eigenes Engagement. Das lässt sich gewissermaßen auch auf die Musik übertragen, auf die Aggressivität, die den Sounds von Ziúr bisweilen innewohnt; aber auch auf den Gegenentwurf, den dieses konzentriert dekonstruierende Projekt zum heutigen Bild eines DJs bzw. einer elektronischen Produzentin, liefert, mit dem selbst Discounter-Supermärkte heute Werbungen machen.

"Fürs Stehenbleiben bin ich einfach zu unkonzentriert – und zu schnell gelangweilt"

Und ist nicht auch ihre Art des Performen und Auflegen eine Form von musikalischem Aktivismus? "Vielleicht spielt es ein bisschen mit rein. Die Aggressivität kommt daher, dass ich gewisse Sounds gut finde. Und dass ich keine Kompromisse mehr mache, vor allem etwa bei der Songstruktur: Da gibt es keine Regeln mehr. Scheiß drauf! Dadurch kommt was Spontanes, Neues zusammen."

Im Studio stehen Emotionalität und Energien im Vordergrund. Aber Mika erzählt auch, wie sie sich bestimmte Kniffe beim Produzieren erst einmal eine Zeit lang verbietet, sobald bemerkt, dass diese zu einer Bequemlichkeit, einem Muster werden. Alles mit dem Ziel, sich stets weiterzubewegen. Ihre letzten drei neuen Tracks würden sich deshalb wieder deutlich vom bisher bekannten Output abheben. Ein Album erscheint aller Voraussicht im Oktober, vorher steht noch eine EP an. 10 Tracks sind aktuell bereits fertig. "Vielleicht mache ich noch fünf und dann sortiere ich aus."

"Ich muss immer neue Musik machen", meint Mika. Alles hat sie sich selbst beigebracht. "Und ohne meine Experimentierfreudigkeit wäre ich nirgends gelandet. Bestenfalls würde ich Glockenspiel spielen. Fürs Stehenbleiben bin ich einfach zu unkonzentriert – und zu schnell gelangweilt."

Am 25. Februar spielt Ziúr mit u.a. Egyptrixx und Metalized Man bei "Foul-up" im Urban Spree, Berlin. Am 22. April steht die Schirn in Frankfurt an. Hier alle Termine im Überblick:

25.02. Berlin – Urban Spree
10.03. London – The Yard
30.03. Helsinki – Kaiku
22.04. Frankfurt – Schirn

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