Politik

Exklusiv: Leipzigs Polizeipräsident muss wegen Silvesternacht in Connewitz vor Gericht

Er hatte einen Kritiker in einer Pressemitteilung namentlich angegriffen.
Männer brennen Fackeln ab
Symbolbild Silvester: imago images | Jochen Tack || Torsten Schultze: imago images | PicturePoint || Collage: VICE

Ein arbeitsloser Straßenkünstler war der erste, der wegen der Silvesternacht im Leipziger Stadtteil Connewitz vor Gericht landete. Nun wird sich die sächsische Justiz auch mit Leipzigs Polizeipräsidenten Torsten Schultze beschäftigen müssen.

Der Reihe nach: Seit mehr als zwei Wochen diskutiert Deutschland darüber, was in der Silvesternacht im Leipziger Stadtteil Connewitz passiert ist. Auslöser der bundesweiten Debatte war eine dramatische Pressemitteilung der Leipziger Polizei über orchestrierte Angriffe auf Polizisten, einen brennenden Einkaufswagen, der als Waffe benutzt worden sein soll und einen Beamten, der so schwer verletzt sei, dass er noch in der Nacht notoperiert werden musste. Sachsens Ministerpräsident sprach von "Terror", Polizeigewerkschafter Rainer Wendt warnte vor einer neuen RAF.

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Mittlerweile ist klar, dass es weder einen orchestrierten Angriff noch eine Notoperation gab. Ein Polizist wurde in der Silvesternacht von Unbekannten schwer verletzt und musste am Ohr behandelt werden. Drei Beamte wurden leicht verletzt. Augenzeugenberichte und Videos werfen zudem die Frage nach unrechtmäßiger Polizeigewalt auf.


Auch bei VICE: Wir haben dumme Gesetze vor Polizisten gebrochen, um herauszufinden, ob sie uns verhaften


Neben der Debatte um linke Gewalt in Sachsen sieht sich nun vor allem die sächsische Polizei wegen ihrer irreführenden Medienarbeit in der Kritik. "Die Polizei hat sich nicht neutral verhalten, sondern wie ein politischer Akteur", sagt etwa der ehemalige SZ-Chefredakteur Heribert Prantl über die Pressemitteilung der Polizei Leipzig.

Diese Pressearbeit der Polizei hat für Leipzigs Polizeipräsidenten Torsten Schultze nun auch juristische Konsequenzen. So enthielt die mittlerweile umstrittene Meldung auch ein längeres Zitat des Polizeipräsidenten, in dem er nicht nur den Angriff auf seine Beamten verurteilte, sondern zugleich anfügte, es sei "ebenso erschreckend, wie schnell z.B. ein Herr Bras Dos Santos in einem Tweet um 0:26 Uhr solches Verhalten rechtfertigt, in dem er Ursache und Wirkung verkehrt".

Der Polizeipräsident bezog sich auf die kurze Twitter-Meldung des Leipzigers Marco Bras Dos Santos, der in der Silvesternacht am Connewitzer Kreuz anwesend war und vom Ort des Geschehens schrieb: "0026 Beamte mußten regungslos vom #Connewitz er Kreuz gezogen werden. Beeindruckend, wie Torsten Schulze seine Leute verheizt. #le0101."

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Bras Dos Santos ist Sprecher der Gefangenengewerkschaft GG/BO, trat als Anmelder von Demonstrationen in Leipzig auf und hatte in der Vergangenheit bereits mehrfach den aktuellen Leipziger Polizeipräsidenten kritisiert. Er warf Torsten Schultze schon vor der Silvesternacht eine eskalative Einsatzstrategie und Law & Order-Mentalität vor.

Bild übernahm in der Berichterstattung am Neujahrsmorgen das gesamte Zitat des Polizeipräsidenten im Wortlaut, andere Medien wie die Berliner Zeitung verbreiteten diese Passage ebenso. Bras Dos Santos erhielt daraufhin zahlreiche anonyme Hassnachrichten, in denen er und seine Familie bedroht wurden. Er gehöre "ausgelöscht", schrieb ein Unbekannter. Auch unter seinem Tweet sammelten sich dutzende wutentbrannte Kommentare, in denen er als "widerliches Gesindel" und "Vollidiot" bezeichnet wurde oder in denen ausführliche Gewaltfantasien geäußert wurden. Am Abend des 2. Januar entfernte die Polizei den Namen von Bras Dos Santos ohne Angabe von Gründen aus der Pressemitteilung. Der Verweis auf einen Tweet, der Ursache und Wirkung verkehre, ist weiterhin enthalten.

Mit dieser Deutung seiner Worte ist Bras Dos Santos nicht einverstanden und geht nun juristisch gegen die Pressearbeit der Polizei vor. Er habe den Polizeipräsidenten für die von diesem zu verantwortende Einsatztaktik kritisiert und keine Straftaten gerechtfertigt, führt Bras Dos Santos Anwalt in einem Schreiben an die Leipziger Polizei aus. In dem Brief, der VICE vorliegt, wird der Polizeipräsident aufgefordert, die getroffene Aussage zu revidieren und öffentlich klar zu stellen, dass Bras Dos Santos keine Angriffe auf und Verletzungen von Menschen gerechtfertigt habe.

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"Wer Kritik an der Polizei übt, wird von ihr zum Gegner erklärt", sagt Bras Dos Santos gegenüber VICE. Er bekräftigt seine Kritik an der Pressearbeit der Polizei: "Der politische Wahlkampf zieht sich durch die Pressemitteilungen der letzten Monate, mit Sachstandsberichten hat das nichts zu tun."

Änderungsbedarf sieht man bei der Leipziger Polizei diesbezüglich nicht. Polizeipräsident Torsten Schultze antwortete schriftlich, aus seiner Sicht bestehe für die geforderte Richtigstellung weder ein berechtigter Anlass noch ein entsprechendes Bedürfnis. Auch dieses Schreiben liegt VICE vor. Nun landet der Fall vor dem Verwaltungsgericht, wo Bras Dos Santos eine offizielle Richtigstellung erstreiten will.

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