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Pollyester: Münchens Femme Fatale badet im Avantgarde-Pop-Bällebad

Wir trafen Pollyester zum Interview und erfuhren dabei unter anderem, warum man sich besonders nach Kinderkrankheiten von Atomkraftwerken fernhalten sollte.

Auch in München kann man eine aufregende Jugend erleben. Zum Beispiel, indem man wie Polina „Polly" Lapkovskaja mit 14 als Türsteherin in einem Club anheuert. Ein guter Start: Heute ist die gebürtige Weißrussin die berühmteste Indie-Femme-Fatale der Stadt. Ende Januar erscheint mit City Of O das dritte Album ihrer Band Pollyester, das wieder ein buntes Avantgarde-Pop-Bällebad geworden ist. Wir trafen sie und ihren Bandkollegen Manuel Da Coll vorab zum Interview und erfuhren dabei unter anderem, warum man sich besonders nach Kinderkrankheiten von Atomkraftwerken fernhalten sollte.

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Thump: Wie die meisten Künstler, die gerade ein Album fertig haben, seid auch ihr bestimmt der Meinung, dass es das Beste eurer Karriere ist, oder?
Manuel: Klar, City Of O ist unser bestes Werk (lacht).
Polly: Im Ernst: wir sind sehr zufrieden.

Wofür steht City Of O?
Polly: City of O steht für „Stadt des Orion". Das ist ein kubistisches Bauwerk in der Wüste Marokkos, relativ weit ab von der Zivilisation. Gebaut wurde es vom Münchner Künstler Hannsjörg Voth. Fantastisches, absurdes Teil, musst du unbedingt mal googeln. Wir haben uns oft vorgestellt, mal ein Konzert dort zu spielen. Leider ist das Ding recht fragil.

Polly, du bist in Minsk aufgewachsen. Wurdest du, wie so viele Kinder in der Sowjetunion, im Musikunterricht gedrillt?
Polly: Ich war auf einer elitären Musikschule, einem „Lyzeum". Da sollte schon die nächste Generation von Konzertmusikern ausgebildet werden. Ich komme aus einer musikalischen Familie. Meine Mutter ist Chor-Dirigentin und Gesangslehrerin und mein Vater war Jazzpianist.

Minsk ist in der Nähe von Tschernobyl. Hatte der Reaktorunfall von 1986 Einfluss auf deine Kindheit?
Polly: Ja, das ist Teil meiner Geschichte. Ich war damals vier und bin, wie viele andere Kinder, ziemlich krank geworden. Ich bekam eine Blutkrankheit, eine sogenannte Thrombozytopenie. Das ist ein Mangel an Blutplättchen, einer Leukämie nicht unähnlich, wo ja ein Mangel an Blutkörperchen besteht. Ich hatte eine Kinderkrankheit im Vorfeld und war eh schon geschwächt. Viele Kinder, die gerade erst Kinderkrankheiten hinter sich hatten, bekamen durch die Strahlung plötzlich am ganzen Körper blaue Flecken. Mein Cousin hatte genau das gleiche.

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War dass ein Grund, warum du mit deiner Familie nach Deutschland gekommen bist?
Polly: Nicht wirklich. Das passierte aus familiären Gründen. Meine Eltern haben sich scheiden lassen, und wir sind dann zu meinem zukünftigen Stiefvater nach München gezogen.

In Deutschland hast du dann angefangen, Bass zu spielen. Ist es wahr, dass Nick McCarthy von Franz Ferdinand dein Lehrer war?
Polly: Nick hat damals im „Gasteig" Jazzkontrabass studiert, das ist so ein großer Gebäudekomplex in München, wo auch der Chor meiner Mutter war. Dort liefen wir uns oft über den Weg. Ich war zu der Zeit sehr an Jazz interessiert und mein Vater hatte mir einen E-Bass geschenkt. Weil ich mehr wollte, als nur ein bisschen darauf rumdrücken, fragte ich Nick, ob er es mir beibringt. Später habe ich dann auch bei seinem Professor Jazzkontrabass studiert und mit Nicks Schwester meine erste WG gegründet.

War sein Bassunterricht auf lange Sicht auch dafür verantwortlich, dass du was anderes machen wolltest als Jazz oder Klassik?
Polly: Das ging eigentlich schon früher los, so mit elf. Der ganz normale Werdegang eines leidenschaftlichen Musikhörers mit der Bravo und 2-Unlimited-Poster an der Wand. Entscheidend waren dann aber vor allem die ersten Club-Besuche, als ich begriff, dass es eben auch in München alternative Zellen gibt wie das Atomic Cafe, wo man sich plötzlich in so einer Sixties-Zeitkapsel wiederfindet. Das hat mich extrem beeindruckt damals. Ich arbeitete dann auch schon im Alter von 14 als Türsteherin …

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Was?!
Polly: (lacht) Ich wollte halt früh auf eigenen Beinen stehen, und habe eine Weile Flyer verteilt für den „Strom"-Club und mich so als interessierte Teenagerin langsam an die Szene rangewanzt. Als Nächstes wurde ich zur Club-Innendekorateurin. Und dann war ich ein paar Monate lang eben Türsteherin—hat großen Spass gemacht. Das war natürlich hochgradig verboten, und das wusste auch jeder. Aber die fanden das damals wohl einfach zu lustig, da so ein großes, pickeliges Mädchen an der Tür stehen zu haben …

Du hast ja dann später auch in München die legendären „ZomboCombo"-Parties mitveranstaltet, wo man verkleidet zu bestimmten Mottos wie „Alice im Zomboland" oder „Kloster St. Zombert" die Sau raus lassen konnte.
Polly: Ich fand schon als Jugendliche faszinierend, was man für besondere Sachen an einem einzelnen Abend im Club veranstalten kann. Wir haben oft einen irrsinnigen Aufwand betrieben, nur um einen bestimmten Zauber zu erzeugen. Die „ZomboCombo"-Parties haben wir acht Jahre lang einmal im Monat gemacht, und dabei immer ganze LKW-Ladungen mit Deko und Material in den Club gekarrt. Es hat wahnsinnigen Spaß gemacht, aber irgendwann hatte sich die Sache ein bisschen erschöpft. Und andere Projekte wie Pollyester forderten irgendwann auch einfach zu viel Aufmerksamkeit.

Ist München jetzt noch spannend genug, was Underground-Parties angeht?
Manuel: Klar. Die guten Sachen entdeckt man aber eher nicht zufällig wie in Berlin. Man muss schon wissen, wo man hin muss. In München ist alles versteckter.
Polly: Aber dafür sehr eingeschworen.
Manuel: Man hat auch das Gefühl, dass gerade wieder viel passiert.
Polly: Manchmal braucht man da aber auch den Blick von außen. In Montreal gibt es zum Beispiel gerade einen Blog von einem blutjungen Mädchen, der munich again heißt und sich ausschließlich mit Münchens Indie-Szene beschäftigt. Das fing an, weil sie auf Franz Ferdinand stand und Nick von Franz Ferdinand wie gesagt aus München kommt. Im Internet ist sie dann auf alle möglichen Bands gestoßen die freundschaftlich mit drin hängen. Bands wie Kamerakino, Parasite Woman, oder auch Pollyester.

Wollt ihr für immer in der Stadt bleiben?
Polly: Es gab sicher für jeden von uns mal den Moment, wo man überlegt hat, nicht wo anders weiterzumachen. Aber abgesehen von familiären Gründen ist München auch einfach eine gute Basis. Wenn man die Chance hat, viel zu reisen, kommt man gern zurück.

Man hat auch aus der Presse den Eindruck, dass man da unten ganz schön stolz auf euch ist …
Polly: Wir haben in den letzten Jahren verdammt viel veranstaltet in der Stadt. Die sind schon froh, uns da zu haben.

„Du arbeitest da nebenbei viel am Theater, Manuel ist auch noch Schlagzeuger bei LaBrassBanda. Von einer Band wie Pollyester kann man wahrscheinlich nicht leben, oder?
Manuel: Wenn man es darauf anlegt, Geld mit Musik zu verdienen, geht es eh meistens schief. Man muss schon noch andere Sachen machen, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Aber die machen ja zum Glück meistens genauso Lust.
Polly: Zum Glück gibt es genug Leute, die etwas von uns haben wollen (lacht).

City Of O erscheint am 31. Januar auf Schamoni Musik