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Vermont machen Musik für Momente, in denen du keine Lust auf Musik hast

Motor City Drum Ensemble und Marcus Worgull aka Vermont erklären uns, wie sie vor dem DJ-Alltag fliehen und warum Theo Parrish eigentlich Trance macht.
Sitzen schon im passenden Setting für ihre Musik: Marcus Worgull und Danilo Plessow alias Vermont. Promofoto

Was machen DJs und Produzenten eigentlich unter der Woche, wenn sie keine Gigs haben und (glücklicherweise) nicht arbeiten müssen? Platten diggen für den nächsten Gig, denkst du vielleicht. Oder neue Musik produzieren. Was aber, wenn einem danach so gar nicht ist? Dann macht man Musik für Momente, in den in denen man eigentlich gar keine Lust hat, Musik zu hören. So wie Vermont.

Vor drei Jahren veröffentlichten Danilo Plessow aka Motor City Drum Ensemble und Marcus Worgull als Vermont ihr erstes selbstbetiteltes Album. Klanglich war es ganz anders, als du dir eine Kollaboration der beiden zunächst vorstellen würdest. Ihre Musik ist nicht einfach die Summe aus dem souligen Disco-Sound von MCDE einerseits und dem sphärischem Deep House Worgulls andererseits – wie auch immer eine solche Mischung klingen mag. Es ist vielmehr ein Ausflug ins Kosmische und nimmt Anleihen bei Ambient und Krautrock.

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Auch auf ihrem neuen Album, das schlicht II heißt, verweilen Vermont in diesem Sounduniversum. Die Songs haben Titel wie "Hallo Von der Anderen Seite" oder "Norderney". Intuitiv denkt der geneigte Hörer da an Fernweh und Eskapismus vom Alltag. Der namensgebende US-Bundesstaat liegt doch weit weg vom Lebensmittelpunkt der beiden Produzenten. Und es ist ein beliebter Ferienort, um all die Sorgen des Lebens zumindest zeitweise zu vergessen.

Alles Überinterpretation? Welche Intention steckt dann dahinter? Vielleicht gar keine? Höchste Zeit, bei den Protagonisten nachzufragen. Wir haben mit Vermont über Eskapismus, Fernweh, das DJ-Leben und irgendwie am Ende auch über Trance gesprochen. Und natürlich auch über ihr neues Album, das am 10. Februar auf Kompakt erscheint.

THUMP: Danilo, Marcus, euer Album klingt für mich nach Eskapismus und Fernweh. Sowohl die Songtitel als auch das Artwork passen dazu. Ist das Absicht oder Zufall?
Danilo Plessow: Ich glaube, viele Leute hören ganz verschiedene Dinge in der Musik. Wir machen das aber nicht bewusst. Das ganze Album ist sehr spontan entstanden. Wenn eine solche Bedeutung transportiert wird, dann möglicherweise deshalb, weil es unbewusst in uns steckt, sich aber mit Worten nicht ausdrücken lässt.

Wie sieht die andere Hälfte von Vermont das?
Marcus Worgull: Oft ging es auch nach dem Klang der Worte. Wobei es natürlich nicht willkürlich ist. Es gibt keine Titel, die wie ein Fußballspieler klingen oder irgendwas anderem, was mit der Musik gar nichts zu tun hat. Aber der Klang geht über die eigentliche Bedeutung der Worte hinaus. Wenn du möchtest, hat es was damit zu tun, das bleibt ganz dir überlassen.

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Als keine Intention nirgends?
Plessow: Es geht in der Musik sehr viel um Freiräume, weil es Musik ist, die extrem viel Platz lässt. Insofern ist es relativ schwer, von einer bestimmten Intention zu reden. Ich finde es auch fast schon schade, dass man sowas betiteln muss, weil jeder, wie gesagt, seine eigene Interpretation davon haben kann.

"Auf einer persönlichen Ebene gesprochen, betreibe ich Eskapismus von dem Job, den ich als DJ habe." – Danilo Plessow

Unabhängig davon, ob es von euch so beabsichtigt war, die Assoziation mit Fernweh und Eskapismus haben offenbar viele Hörer eurer Musik. Warum, glaubt ihr, ist das so?
Worgull: Weil die Musik sehr melancholisch ist, ganz klar. Das geht uns auch immer so und manchmal müssen wir darüber nachdenken, wenn es sich so traurig anhört. Aber das ist einfach das Ergebnis, wenn wir beide uns zusammensetzen. Es muss sich für uns schön und richtig anfühlen, wir wollen mit unserer Musik nicht beweisen, wie toll wir Solos spielen können oder was wir als Drummer draufhaben. Es ist ein Zustand, der uns gefällt. Danilo hat mal gesagt, dass wir Musik machen für Momente, in denen man eigentlich gar keine Lust hat, Musik zu hören.

Also eine Form des Eskapismus.
Worgull: Ja. Eskapismus geht ja in ganze viele Richtungen. Anscheinend ist es bei uns eine Flucht Richtung Ruhe.
Plessow: Auf einer persönlichen Ebene gesprochen, betreibe ich Eskapismus von dem Job, den ich als DJ habe. Ich hab mich dabei sehr viel mit einer Form von Eskapismus beschäftigt, dass ich von diesem Eskapismus wiederum meinen Eskapismus suche, indem ich Tee trinke und diese Art von meditativer Musik mache. Das hat eine heilende Wirkung, die ich dann mitnehmen kann. Jedes Mal wenn Marcus und ich Musik gemacht haben, bin ich wieder recharged ins Wochenende gegangen und hatte wieder Lust auf was Tanzbareres.
Worgull: Mir geht es da genauso. Man könnte auch im Wald spazieren gehen aber wir machen halt Musik.

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Geht es auch darum, andere musikalische Einflüsse zu verarbeiten?
Worgull: Auf jeden Fall.
Plessow: Definitiv. Bei mir war das sogar so drastisch, dass ich Vermont gebraucht habe, um festzustellen, dass ich nicht mehr Musik in dem Rhythmus machen kann, wie ich es bisher gemacht habe. Sprich: Am Wochenende auflegen und unter der Woche tanzbare Clubtracks machen. Das hat mich irgendwann überfordert und deshalb gab es von mir in den letzten Monaten ganz lange keine Platte mehr. Ich hab zwar noch Musik gemacht, aber ich war nie zufrieden damit, weil ich einfach die Schnauze voll hatte von Clubmusik. Deshalb habe ich dieses Jahr mehrere Monate am Stück auch keine Gigs.

Das wörtliche Gegenteil von Fernweh ist Heimweh. Welche Rolle spielt das für euch als DJ und ist Vermont eine Form der Verarbeitung von Heimweh?
Worgull: Heimweh spielt dann eine Rolle, wenn man zu Hause ist und wieder los muss. Da denke ich zum Beispiel: Es kann nicht sein, dass ich grad mal zwei Nächte ausschlafen konnte und jetzt geht es wieder von vorne los. Aber ob das unmittelbar eine Rolle in unserer Musik spielt, weiß ich nicht.
Plessow: Als wir uns getroffen haben, waren wir genau in dem Modus, dass wir das Wochenende und den positiven Stress hinter uns hatten und in das Loch der Woche gefallen sind. Das haben wir dann mit der Musik aufgefüllt, die wir zusammen produziert haben. Diese Melancholie in der Musik kommt vielleicht auch daher, dass man die Quality Time, die andere in der Sauna oder sonstwo verbringen, nicht hat und sich seine Wohlfühlzeit mit dieser Art von Musik erarbeitet, die wir mit Vermont machen.

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"Wenn wir zusammen Musik machen, ist das erleichternde, dass zwei Leute Entscheidungen treffen. Wenn jeder für sich ist, hadert man mehr mit sich: Ist das jetzt gut?" - Marcus Worgull

Warum ist es genau diese Musik geworden?
Plessow: Es ist interessant, weil Marcus und ich mit unseren Einzelprojekten musikalisch ganz anders unterwegs sind. Vermont ist die Schnittmenge von dem, auf das wir uns am besten einigen können. Da steckt natürlich meine Seite von Jazz drin, aber genauso von Marcus die eher elektronische, und vielleicht ein bisschen, keine Ahnung, repetitive, ich weiß nicht, wie ich das nennen soll…
Worgull: Trance! Trance!
Plessow: Danke, dass du das sagst, dann muss ich das Wort nicht in den Mund nehmen.

Man erzählt sich ja, dass es letztes Jahr ein Trance-Revival gab.
Worgull: Ja? Davon weiß ich nichts. Trance ist doch eher so Paul Van Dyk und so. Also ich benutze das Wort immer nur im Witz. Mit Trance-Musik von früher, in der der Wortsinn auch etwas mehr repräsentiert wird, hab ich aber kein Problem. Da kann ich ganz tolle Stücke nennen. Aber Trance ist für mich heutzutage das, was man aus dem tiefergelegten silbernen Golf GTI nebenan an der Ampel hört.
Plessow: Wenn ich Trance sage und es zum Beispiel in Verbindung mit Innervisions setze, dann meine ich Musik, die sich durch eine sehr lange Repetition von bestimmten Melodien auszeichnet, wie in der kosmischen Musik der 70er und 80er Jahre. Da wurde ein Art Hall erzeugt und mit Minimalisierung gearbeitet. So meine ich das.

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Ok, dann…
Plessow: Auch Theo Parrish ist Trance.
Worgull: Das musstest du jetzt noch unbedingt sagen.

Warum ist Theo Parrish Trance?
Plessow: Weil es auch eine endlose Repetition ist. Du hast über zwölf Minuten die gleichen acht Bars, minimal variiert. Aber erst nach vier Minuten realisierst du, wie genial das ist und willst dann auch nichts anderes hören. Erst denkt man: Fuck, passiert da mal was? Und nach fünf Minuten: Hoffentlich bleibt das so! Das ist genau der Effekt von positivem Trance.
Worgull: Positiver Trance, geil!

"Musik für Momente, in den in denen man eigentlich gar keine Lust hat, Musik zu hören." Promofoto

Den Ausdruck merke ich mir. Nun eine andere Frage: Als Solokünstler habt ihr ja einen geringen Output, im Vergleich zu anderen. Als Vermont habt ihr in zwei Jahren 27 Tracks veröffentlicht. Warum bringt ihr zu zweit mehr raus?
Worgull: Stimmt, das ist eigentlich echt Scheiße, wenn man mal genau darüber nachdenkt.
Plessow: Ich hab das im Prinzip schon vorhin erklärt. Das DJing ist bei mir so weit gegangen, dass ich da meine Prioritäten gesetzt habe und viel mehr Zeit in die Vorbereitung der Sets gesteckt habe oder endlos Platten gekauft habe. Dann will man neben dem Auflegen nicht auch noch unter der Woche ständig auf 100 dB House machen.
Worgull: 120 bitte!
Plessow: Darauf hab ich einfach keinen Bock mehr.

Wie ist das bei dir, Marcus?
Worgull: Bei mir ist das etwas anders. Ich mache immer noch viel Musik, eigentlich sogar mehr als vorher. Ich hatte ganz lange einen Plattenladen in Köln und einen Sohn, der mittlerweile aber erwachsen ist. Vorher konnte ich nur an einem Tag pro Woche Musik machen. Das funktioniert dann auch nur bedingt.
Plessow: Aber Marcus war doch sehr produktiv letztes Jahr, oder? Also stimmt das vielleicht nicht so ganz. Marcus war recht aktiv, nur ich hab nichts gemacht.
Worgull: Vorletztes Jahr schon aber im vergangenen Jahr hab ich nichts veröffentlicht.

Ist es vielleicht einfacher für euch, als Vermont Musik zu machen, weil ihr nicht unmittelbar für eine Tanzfläche produziert? So sehr man es verdrängen kann, im Hinterkopf spielt es ja doch eine Rolle, dass der Track auch im Club laufen soll.
Worgull: Es gibt vielleicht ein anderes funktionelles Element dabei. Aber der Punkt ist eher: Wenn wir zusammen Musik machen, ist das erleichternde, dass zwei Leute Entscheidungen treffen. Wenn jeder für sich ist, hadert man mehr mit sich: Ist das jetzt gut? Es ist einfach schwerer, Entscheidungen zu treffen.
Plessow: Für mich als DJ ist es so, dass sich viele Festivals und Clubs in den letzten Jahren musikalisch geöffnet haben und ich das machen kann, was ich schon immer machen wollte, nämlich alle Arten von Musik zu spielen, die mir gefallen.
Als Produzent wiederum hat es mich irgendwann genervt, immer nur dieses eine Ding zu machen. Wenn du davon aber so viel interessante Platten um dich herum hast und auch spielen kannst, willst du auch als Produzent einfach mehr. Ich möchte diese Vielfalt der Musik einfach umarmen und mich nicht nur auf eine Schiene festlegen.

Vermonts neues Album II erscheint am 10. Februar auf Kompakt. Hier kannst du es digital und auf dieser Seite als Vinyl vorbestellen.

Vermont II Tracklist:
1. Norderney
2. Dschuna
3. Gebirge
4. Demut
5. Ki-Bou
6. Hallo Von Der Anderen Seite
7. Ufer
8. Chanang
9. Wenik
10. Chemtrails
11. Skorbut
12. Langholmen
13. Unruh

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