Verschwommenes Foto einer Party, die Droge 3-MMC ist gerade überall
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Drogen

3-MMC ist überall: Was wir über die Droge wissen

Viel ist über die Substanz nicht bekannt, aber ein Konsument warnt, dass der Umgang mit ihr schnell entgleisen kann.
CM
Brussels, BE
Souria Cheurfi
Brussels, BE

Auf fast jeder Clubtoilette, Afterhour oder Chemsex-Party wird gerade 3-MMC geschluckt oder gezogen. Bis vor einem guten Jahr kannte man das weißkristalline Pulver vor allem in Chemsex-Kreisen und in den Niederlanden, inzwischen ist 3-MMC neben MDMA, Speed, Keta und Koks zum neuen Partydrogenstandard geworden. 

3-MMC zählt zu den sogenannten Neuen psychoaktiven Substanzen, genauer gesagt zu den Cathinonen, welche wiederum zur Gruppe der Amphetamine gehören. Das wohl geläufigste Cathinon ist 4-MMC, besser bekannt als Mephedron. Es erschien Mitte der 2000er auf dem Markt und war einige Zeit legal als Pflanzendünger oder Badesalz erhältlich. Nach dem Verbot von Mephedron tauchte 3-MMC 2012 als Ersatz auf. Bis 2021 konnte man es in den Niederlanden legal kaufen. Heute sind auch andere Cathinone wie 3-CMC, 2-CMC und MDPV im Umlauf.

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Die Wirkung von 3-MMC – und Cathinonen generell – kann man grob mit der von anderen Uppern vergleichen, etwa Speed, Crystal Meth und MDMA. Es beschleunigt den Herzschlag und erhöht den Blutdruck. Die Folgen sind Kiefermahlen, erweiterte Pupillen, eine erhöhte Körpertemperatur und verstärktes Schwitzen. Psychisch wirkt 3-MMC euphorisierend, sozial und kann die Libido steigern. Zu den Nebenwirkungen gehören unter anderem Schlaflosigkeit und Angstzustände bis hin zur Psychose.

Einer, der schon einige Erfahrungen mit der Droge gesammelt hat, ist Romain Giraud. Romain ist Mitte 30, lebt in Marseille und arbeitet für ein Drogenpräventionszentrum, das sich auf Chemsex und digitale Kampagnen spezialisiert hat. Dort koordiniert er Programme zur Schadensminimierung. Während der Pandemie hat Romain anderthalb Jahre lang ziemlich regelmäßig mit 3-MMC experimentiert.

"Es ist eine FOMO-Droge"

Am Anfang habe er es nur gelegentlich genommen, um den Sex aufregender zu machen. Irgendwann sei es zur Gewohnheit geworden. Er beschreibt die Peak-Wirkung der Droge als ein endloses Gefühl von Vergnügen und Lust, ohne sich allerdings jemals wirklich befriedigt zu fühlen. Mit jeder Dosis sei er sich sicher gewesen, dass die Droge ihn diesmal genau an den richtigen Punkt bringen würde. Aber sie tat es nie. Also nahm er mehr und mehr.

"Es ist eine FOMO-Droge", sagt Romain. "Sie versaut dir deine Vorstellung von Genuss. Es ist, als wärst du kurz davor zu kommen, aber es passiert nie."

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Ana Gallegos und Gregorio Planchuelo arbeiten im Forschungsbereich der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA). Sie sagen, dass man immer noch wenig über 3-MMC wisse. Die Wirkung sei ähnlich wie die von MDMA und 4-MMC, aber weniger intensiv. Sie vermuten, dass Romains Eindruck, nie den Zustand wahrer Befriedigung zu erreichen, damit zu tun haben könnte, dass sich die Wirkung der Droge schwächer anfühlt als bei anderen Substanzen.

"Es ist möglich, dass einige Konsumentinnen und Konsumenten deswegen immer höher und wiederholt dosieren, um den erwünschten Effekt zu erzielen", schreiben die Forscherin und der Forscher in einer E-Mail. Die verhältnismäßig kurze Wirkdauer von 3-MMC könne auch erklären, warum Menschen so häufig nachlegen wollen.

Laut Romain hat das Streben nach dem Höhepunkt mehr süchtig gemacht als die Droge selbst. "Es ist wie beim Scrollen im Internet: 'Vielleicht wird der nächste Post interessanter.'"

Die ersten synthetischen Cathinone tauchten Mitte der 2000er auf Online-Märkten und in Headshops auf. In der Chemsex-Szene breiteten sie sich besonders schnell aus, da sie die Lust und das Verlangen stärken können und die körperliche Leistungsfähigkeit steigern.

"Über Monate hinweg empfindet man keine Freude an irgendwas"

Für Romain sei das Verlangen nach dem Extrakick der Droge beim Sex mit der Zeit zur Notwendigkeit geworden, sagt er. Seine Libido habe sich dermaßen der Droge angepasst, dass sie quasi nicht vorhanden war, wenn kein 3-MMC im Spiel war. Die dadurch entstandene Leere sei schwer zu füllen gewesen. Nachdem das über mehrere Monate so gegangen sei, habe er keine Abhilfe schaffen können, ohne sich für die einfachste Lösung zu entscheiden: wieder 3-MMC zu nehmen.

"Selbst wenn man nicht mehr unter dem Einfluss der Droge steht, im Alltag zum Beispiel, ist man niemals zufriedengestellt", sagt Romain. "Über Monate hinweg empfindet man keine Freude an irgendwas. Man ist gelangweilt. So richtig gelangweilt."

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Zum Glück habe er durch seine Arbeit und seine Erfahrung mit Drogen verstanden, wie sein Konsum andere Bereiche seines Lebens beeinflusste. Langsam begann er, vom 3-MMC loszukommen.

Romain sorgt sich allerdings, dass Menschen mit weniger Drogenerfahrung vielleicht nicht merken, dass sie ein Problem haben. "Ich nehme seit 20 Jahren Drogen bei Partys, aber das ist nicht bei allen so", sagt er. "Für manche Menschen ist 3-MMC die erste Drogenerfahrung."

Ihm sei aufgefallen, dass die Droge insbesondere bei jüngeren Menschen beliebt ist – und bei denen, die nicht so viel Geld haben. Es ist günstiger als Kokain und die Wirkung aufregender als die von Speed, aber nicht ganz so auslaugend wie die von MDMA. Das große Bedürfnis nachzulegen führt häufig zu besonders ausgedehnten Party- oder Chemsex-Sessions.

Laut der EMCDDA sind die meisten 3-MMC Konsumentinnen und Konsumenten bereits mit Drogen wie Kokain, Speed, Ketamin und Ecstasy vertraut. Allerdings haben Recherchen von Ana Gallegos und Gregorio Planchuelo ergeben, dass 3-MMC von vielen jungen und unerfahrenen Menschen konsumiert wird. "Das liegt zumindest teilweise daran, dass es zum Zeitpunkt der Umfragen leicht erhältlich und noch nicht flächendeckend verboten war. Dazu war es verhältnismäßig günstig", schreiben sie.

Ihre Recherchen haben außerdem ergeben, dass 3-MMC im Chemsex-Kontext manchmal auch gespritzt wird, was schwere "Gesundheitsrisiken wie die Übertragung von Krankheiten und eine erhöhte Risikobereitschaft beim Drogenkonsum selbst und beim Sex" nach sich ziehen kann.

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"Sie nehmen es, um Musik zu machen, Pornos zu gucken, zu zocken oder zu nähen."

Romain hat die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die 3-MMC bei Chemsex-Partys benutzen, anfälliger für die Nebenwirkungen der Droge sind als zum Beispiel Menschen, die die Substanz bei Raves konsumieren. Natürlich ist auch der gelegentliche Konsum auf Partys nicht risikofrei, aber in einer intimen Umgebung, in der Menschen mehr und über einen längeren Zeitraum konsumieren, besteht potenziell eine höhere Gefahr. Ein generelles Problem mit Menschen, die 3-MMC im Privaten benutzen, ist, dass sie häufig schlechter zu erreichen sind.

Basierend auf den Leuten, die er über seine Arbeit im Präventionszentrum kennengelernt hat, geht Romain davon aus, dass viele Menschen während des Lockdowns begonnen haben, die Droge alleine zu konsumieren. Er schätzt, dass diese Solo-Konsumenten die am stärksten wachsende Gruppe der 3-MMC-Konsumentinnen und Konsumenten sind. Die Forschung kann das bislang noch nicht bestätigen.

"Es kommen immer mehr Menschen, die sagen, dass sie 3-MMC allein zu Hause nehmen", sagt er. "Sie bleiben allein daheim und nehmen es, um Musik zu machen, Pornos zu gucken, zu zocken oder zu nähen."

Abwechslung in der Freizeitgestaltung

Diese Entwicklung bereitet den Forscherinnen und Forschern von der Europäischen Beobachtungsstelle Sorgen. "Das Risiko einer Überdosis ist größer, wenn die Droge in einem Umfeld benutzt wird, in dem es schwierig ist, im Notfall Hilfe zu kriegen", schreiben Ana Gallegos und Gregorio Planchuelo.

Romain habe nie versucht, 3-MMC allein zu nehmen, aber mit der Zeit begann auch er, es außerhalb von Chemsex-Partys zu konsumieren – zum Beispiel im Club. "Es fing an, mehr Raum einzunehmen, als ich wollte, und es wurde schwer kontrollierbar", sagt er. "Ich merkte, wie auch meine psychische Gesundheit sich drastisch verschlechterte."

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Er glaubt, dass seine Sucht viel mit seiner Suche nach Spaß und Vergnügen zu tun gehabt habe. Menschen brauchen Abwechslung in ihrer Freizeitgestaltung: Zeit mit Freunden oder Familie, Sport, Ausstellungen, Computerspiele, Partys und so weiter. "Eine Sucht tritt auf, wenn man den Spaßbereich auf eine Sache beschränkt und einem sonst nichts mehr Freude bereitet", sagt Romain.

Wie viele andere habe ihm das eingeschränkte Freizeitangebot während des Lockdowns zu schaffen gemacht. Ohne Bars, Clubs und Restaurants sah Romain kaum andere Menschen. Das habe maßgeblich dazu beigetragen, dass sein Konsumverhalten außer Kontrolle geriet. "Ich habe mehrmals pro Woche und in ziemlich großen Mengen konsumiert", sagt er. "Ich habe mich auch generell nicht gut gefühlt. Ich war sauer wegen der ganzen Ungerechtigkeiten, die damals geschahen."

Er schaffte es, sich wieder aus diesem Kreislauf zu befreien, indem er lernte, auch wieder andere Dinge zu genießen – vor allem Musik zu machen. Er begann auch, seine Arbeit mehr wertzuschätzen, sie sogar als eine Quelle der Freude zu sehen. Heute nehme er nur noch gelegentlich Cathinone – und nur mit Menschen, die er gut kennt, sagt er: "Und wir setzen uns Regeln wie: 'Wir haben ein Gramm, aber wir hören um 2 Uhr auf.'" 

Das größte Problem mit den Neuen psychoaktiven Substanzen bleibt, dass sie noch nicht gut erforscht sind. Egal, ob du sie beim Rave oder im Bett benutzt, du wirst nicht automatisch in einen problematischen Konsumkreislauf geraten. Allerdings merkst du oft erst, dass du strikte Grenzen für eine Substanz brauchst, wenn du bereits zu tief drinsteckst.

Romain empfiehlt die App KnowDrugs, in der man Informationen über so ziemlich jede Droge findet, auch auf Deutsch. Außerdem rät er, seine Drogen testen zu lassen. "Dadurch erfährst du, welche Drogen du konsumierst und welche Risiken du eingehst." In Berlin ist das seit kurzer Zeit möglich, in Österreich und der Schweiz schon lange.

Vor allem aber rät er, darauf zu achten, wie Cathinone Spaßempfinden verändern. "Wenn du das Gefühl hast, dass die Drogen zu deiner Hauptquelle von Freude werden, solltest du versuchen, andere Dinge zu tun, die dir Spaß machen." Ein sehr solider Rat.

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