Nike Wessel moderiert den Podcast Sex in Berlin
Nike Wessel (r.) hat für den VICE-Podcast 'Sex in Berlin' mit Menschen aus der Berliner Sexpositive-Szene gesprochen | Cover: VICE | Foto Nike Wessel mit freundlicher Genehmigung der Abgebildeten
Sex

Was ich während eines Jahres in Berlins sexpositiver Szene gelernt habe

Für den neuen VICE-Podcast 'Sex in Berlin' hat Nike Wessel die Darkrooms, BDSM-Workshops und Partys der Statt erkundet.

In gewissen Berliner Kreisen gehört es dazu, sich von nichts mehr beeindrucken zu lassen. Von sexpositiven Partys zum Beispiel, bei denen man einvernehmliche Sexualität feiert, frei von Scham und moralischen Zwängen. "Kennen wir schon", heißt es dann von blasierten Underground-Auskennern. Aber das Schöne an dieser Stadt ist, dass in ihren Darkrooms, Clubs und Crusing-Areas zuverlässig immer mehr passiert, als man sich vorstellen kann.

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Nike Wessel hat sich für den VICE-Podcast Sex in Berlin daran gemacht, diese blinden Flecken zu beleuchten. Ein Jahr hat sie unter anderem in einem Puppenbordell, Europas größter Gaysauna und bei Berlins wohl größter Fistingexpertin recherchiert. 

Der Podcast Sex in Berlin erscheint wöchentlich auf allen gängigen Podcast-Plattformen. 

VICE: Hi Nike, du hast dich in den letzten Monaten für unseren Podcast Sex in Berlin auf verschiedenen Sexpartys in der Stadt rumgetrieben. Wie dark ist es im Darkroom?
Nike Wessel: Ich habe für den Podcast mit einer Frau gesprochen, die sexuelle Aufklärungsarbeit in Darkrooms macht. Sie meinte, dass die sich in Berlin alleine schon architektonisch total unterscheiden. Je nachdem, wie viel man sehen soll, oder ob es zum Beispiel auch bestimmte Vorrichtungen gibt, die man benutzen kann. Vom Käfig über irgendwelche Böcke. Ganz weiche Sachen oder auch ganz harte.



Der Darkroom eignet sich gut für kurzen, geheimnisvollen Sex. Aber er ist nur die Spitze des Eisbergs. Der Darkroom ist die Ecke, die man sich am ehesten vorstellt, wenn man über Sexpositivität in Berlin oder Sexpositivität generell nachdenkt.

Ein Symbol.
Auf jeden Fall ein Symbol. Aber daneben passiert ganz, ganz viel Interessantes im Hellen.

Sexpartys in Berlin: Warum ist dieses Thema noch nicht auserzählt?
Ich glaube, dass die ganze Szene erst am Anfang steht. So eine Varianz und so eine Aktivität über die gesamte Stadt und übers Umland verteilt gab es noch nie. Und das gibt es auch weltweit nirgendwo sonst. Ich könnte mir keinen Ort vorstellen, wo sich die Szene so ausgebreitet hat. Auf Bauernhöfen im Umland, Gutshäusern, Schlössern an den Stadtgrenze, in Schrebergartenkolonien, Cruising-Areas in der ganzen Stadt und sowieso auf ganz vielen privaten Events. Bei Saunapartys, in Swingerclubs, in der Party- und Clubszene, bei vielen Workshops von Tantra bis BDSM. Quasi auf allen Ebenen der Stadt, vom Keller bis auf die Dachböden. Da passieren gerade auch ganz interessante Sachen.

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OK, was zum Beispiel?
Man kann sich zum Beispiel entführen lassen. Man vereinbart mit einer oder mehreren Personen eine Uhrzeit und sagt vorher, was nicht passieren darf. Und dann kommen die und nehmen einen mit. 

Und dann haben alle Sex?
Ja. Das gehört zum Bereich Consensual Non-Consent. Da vereinbart man vorher, welche Sachen nicht passieren sollen, was die Grenzen sind und wie das Safeword lautet. Dazwischen kann dann aber eigentlich alles passieren. Dann gibt es zum Beispiel in den Wäldern von Berlin sogenannte Hunter-and-Prey-Geschichten. Auch da verabredet man, was geht und was nicht. Dann rennt die eine Gruppe los und die andere jagt hinterher.

Worum geht es außerdem im Sex in Berlin–Podcast?
In den sieben Folgen steigern wir uns von FKK über eine Naked-Tea-Party bis zur BDSM-Szene und dem schwulen Leben in Berlin. Ein Gast hat zum Beispiel erzählt, dass er schon mal um die 40 sexuelle Kontakte an einem Wochenende hat. Und das macht er seit 26 Jahren. Er arbeitet in der größten schwulen Sauna Europas, wahrscheinlich sogar der Welt. Auch die ist in Berlin. Sie erstreckt sich über fünf Stockwerke und er sitzt am Empfang. Aber was er privat erlebt, hat mich noch mehr überrascht. Genau genommen hat mich jede Begegnung überrascht. Die Annahmen, die ich davor hatte, haben nie gestimmt. Das war richtig schön.

Was meinst du damit?
Ich bin jedes Mal in ein Interview gegangen und hatte schon eine Idee, wie das wird und was ich davon halte. Ich lag immer daneben. Deshalb kann ich auch jedem empfehlen, den Podcast zu hören. Man kann dabei viel über sich selbst lernen und auf Dinge stoßen, die man ausprobieren möchte, von denen man aber noch gar nichts geahnt hat. 

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Also hat die Arbeit für den Podcast deinen Horizont erweitert?
Ja. Das Tolle ist, dass in dieser Stadt für jeden was dabei ist. Egal, ob man sich selbst nackt zeichnen will, sich wünscht, nach japanischen Traditionen gefesselt zu werden, oder durch den Wald zu rennen, während andere einen verfolgen. Und zwischen all dem findet man Emotionen und richtig liebe Leute.

Hat sich die Bedeutung des Begriffs Sexpositiv für dich durch den Podcast verändert?
Die hat sich total geändert. Für mich war das vorher so: "Ach, ich gehe auf eine Party und habe wenig an und man kann da viel rummachen." Heute bedeutet das für mich eher, dass man mithilfe von Sexualität im weitesten Sinne viel über sich lernt und über die Art und Weise, wie man mit anderen umgeht. Und dass man dabei auch Sachen lernt, die man im Alltag in der Deutschen Bahn anwenden kann.

Zum Beispiel?
Zum Beispiel, wie baue ich Kontakt auf, wie schaue ich jemanden an. Aber auch: Wie löse ich Kontakt wieder, wie setze ich Grenzen. Wie zeige ich auf, wie nah mir jemand kommen darf, etwa in der Bahn. Aber man lernt dabei natürlich auch, wie man dem eigenen Partner gegenüber formuliert, was man möchte und was man nicht möchte. Wie man aus alten Mustern rauskommt und wie man etwas ausprobieren kann, das sich ganz anders fühlt. 

Gab es einen Ort, den du für Sex in Berlin besucht hast, an dem du mutig sein musstest?
Ich war für eine Folge in einem Puppenbordell in Friedrichshain und da habe ich mit so einer Puppe interagiert. Das war ziemlich lustig. Ich musste mir einen Penis umschnallen und eine VR-Brille aufsetzen, die immer verrutscht ist. In der Animation in der Brille hat die Puppe die ganze Zeit geschielt und die Zunge rausgestreckt. Das war so weit weg von Sexualität, wie ich es mir nur vorstellen kann. Da dann noch vernünftige Fragen zu stellen, ist mir ein bisschen schwer gefallen. Ich konnte das gar nicht mehr richtig fassen. 

Siehst du Berlin jetzt anders?
Ja. Mir ist noch mal so richtig klar geworden, wie viel es hier gibt. In dieser Stadt befassen sich nicht nur Menschen um die 30, die gerne in den Club gehen, intensiv mit ihrer Sexualität. Sondern auch ganz junge Leute bis hin zu Menschen im Altersheim. Man sollte den Podcast hören, weil es eben nicht nur um lustige Partys geht, sondern auch darum, was man generell in Berlin erleben kann. Total unabhängig von Alter, Geschlecht, wer man ist und was man mag. Man kann in Berlin so viele skurrile Sachen erleben, mit so viel Humor und Witz. Alleine wenn Menschen nackt tanzen, ist das schon so witzig. Auch Sex kann oft etwas bizarr Lustiges haben, dass man sich fragt, was man da überhaupt gerade macht und warum.

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