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Das wünschen wir uns von der Popmusik für das Jahr 2016

2015 war eigentlich ja ein ganz gutes Jahr für die Popmusik. Trotzdem können wir nächstes Jahr auf ein paar Dinge getrost verzichten.

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2015 war eigentlich ja ein ganz gutes Jahr für die Popmusik. Man hatte das Gefühl, dass es mehr Handgemachtes und Durchdachtes als Plastikmucke und Künstlichkeit gab. Aber nichtsdestotrotz waren da natürlich auch ein paar Dinge, auf die wir im neuen Jahr getrost verzichten können und andere, die der Angelegenheit vielleicht ganz gut tun würden.

Keine Coverversionen!

Wenn wir mal ehrlich sind, dann braucht kein Mensch Coverversionen von Songs. Gut, wenn Daughter sich „Get Lucky“ von Daft Punk vornehmen oder Johnny Cash „Hurt“ von den Nine Inch Nails auf seine ganz eigene Weise nachspielt, kann das durchaus etwas Interessantes und Erhabenes oder sogar Überraschendes haben. Ganz im Gegensatz zu einer sehr nervigen Eigenart des vergangenen Jahres, für die in erster Linie Felix Jaehn und Robin Schulz verantwortlich waren. Letzter hat sich für seinen Song „Sugar“ die Süßlon-Schmonzette „Suga Suga“ von Baby Bash geschnappt, die Anfang der 2000er weltweit in allen Radiostationen rauf- und runtergespielt wurde und ihr ein zeitgemäßes Update verpasst. Will meinen: Utz-Utz-Bassdrum und infantiles Akkordfolgen—fertig ist die Schulz’sche Deep-House-Variante des Songs.

Felix Jaehn ging nochmal 20 Jahre in der Zeit zurück und hat „Ain’t Nobody“ von Rufus und Chaka Khan mit allerlei Xylophon-Geklöppel in die Mangel gedreht. Das Problem: Sowohl „Suga Suga“ als auch „Ain’t Nobody“ sind schon dermaßen durchgenudelt, dass 2015 kein Mensch mehr melancholische Neuinterpretationen braucht.

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Houseverbot

Und wenn wir schon dabei sind, dann können wir auch gleich noch dafür sorgen, dass Songs wie „Are You With Me“ von Lost Frequencies, „Wolke 4“ von Philipp Dittberner und Marv oder „Unter meiner Haut“ von Gestört aber GeiL und Wincent Weiss (Coverversion!) die nächsten 12 Monate und selbstredend auch darüberhinaus bitteschön jegliche Existenzberechtigung entzogen wird. Niemand braucht noch mehr verspätete Versuche, mit einem Wischi-Waschi-Mischmasch aus lasch gepickter Akustikgitarre, schwachbrüstiger Preset-Kick-Drum und inhaltsloser Pathosprosa, der sich allerhöchstens als Begleitmusik zum leidenschaftslosen Klamottenanprobieren eignet, ein bisschen „One Day“-Restfame einzuheimsen. Von den eventuellen Vorlagen für Julia Engelmanns nächsten Beitrag für irgendeinen Poetry Slam mal ganz abgesehen. Das dürfen wir nicht zulassen!

Songwriting, das den Namen auch verdient

Deutscher Rap hat 2010 und 2011 vorgemacht, wie man gute Songs auf Deutsch schreibt. Nämlich fernab vom klischeehaften Spiel auf der schwarz-weißen Gefühlsklaviatur. Casper rappte Zeilen wie „Immer nur funktionier’n nach Regeln und Listen / will inmitten der Schnappschüsse mal das Leben erwischen.“ und gab den inhaltlosen Texten der deutschen Popmusik damit Doppelreime, Sprachverliebtheit, Persönlichkeit und genau das richtige bisschen Pathos. Marteria tat es ihm auf seinem Album Zum Glück in die Zukunft II mit Zeilen wie „Wach auf aus deinem Winterschlaf / 10 Jahre unverpackt in 'nen Wimpernschlag“ gleich. Das Problem: In den Jahren darauf wurde dieser sprachverliebte state of the art in Sachen Songwriting zum gefundenen Fressen für alles und jeden—und plötzlich wimmelt es überall von deutschen Songtexten, die um (bisweilen doch sehr) persönliche Komponenten und zig Sprachgewaltigkeiten angereichert und von Füllwörtern befreit wurden. Deshalb ein gutgemeinter Tipp: Im neuen Jahr doch bitte entweder wieder selber schreiben oder—wenn das nicht klappen sollte—die Songwriter wechseln.

Know yourself!

Das Schlimmste, was einem gestandenen Star passieren kann, ist, dass er nicht mehr so gut dasteht. Dann fängt er nämlich an, nach links oder nach rechts zu gucken. Und was sieht er da? Wie junge, neue, frische und innovative Künstler an ihm vorbeiziehen—entweder, man lässt das an sich abperlen und besinnt sich auf sein eigenes Können—oder man versucht sich an der Nachahmung von angesagtem. So wie zum Beispiel Lena Meyer-Landrut. Die hat ihren Deutschland-Pop nämlich aufgegeben und versucht sich jetzt als perfekte Kopie von Ellie Gouldings unkontrolliertem Sopran. Gut, „Satellite“ war seinerzeit jetzt auch kein all zu innovatives oder gar revolutionäres Stück Musik, aber eine so offensichtliche Ranschmeiße an das unverkennbare Vorbild Goulding in Sachen Singsang und Sound muss es doch auch nicht sein.

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Ein bisschen Fokus

Es gab mal eine Zeit, in der Musiker in erster Linie dafür bekannt waren, dass sie Musik machen. Irgendwann kam Hollywood dann dahinter, dass man die gestandenen und musikvideoerprobten Künstler ja vielleicht auch in Sachen Schauspielerei rankriegen könnte. Soweit so nachvollziehbar. Aber 2015 sind Musiker nicht mehr Musiker, sondern Multitasking-Maschinen geworden, die in Start-Ups investieren, Klamotten designen, Kosmetikprodukte entwerfen, Restaurants eröffnen oder eigene Grassorten auf den Markt bringen. Mag sein, dass sich mit dem eigenen Namen gut Cash machen lässt, aber jemand wie Kanye West sollte sich vielleicht doch wieder mehr auf die Musik konzentrieren, als überteuerte Lumpen in die Läden zu hängen.

Künstler, die wieder Solo-Shows spielen und nicht ständig andere Musiker auf die Bühne holen

Und wenn wir schon bei Kanye West sind, können wir auch gleich beim nächsten Punkt auf der Wunschliste weitermachen: Anfang 2014 rastete komplett Berlin aus, als Drake während seines Hauptstadt-Stopps Kanye West für einen Song auf die Bühne holte. Spätestens seit Kanyes Cameo gehören kurze Gastauftritte befreundeter und geschätzter Künstler bei Shows mit zum guten Ton. Drake ließ sich, nachdem er das Kanye-Kaninchen aus dem Hut gezaubert hatte, beim Coachella von Madonna halb vergewaltigen und Taylor Swift zerrte schon Pitbull (!), Ricky Martin (!!) und Alanis Morissette (!!!) auf die Bühne. Beim ersten Mal sind derart arrangierte Stelldicheins vielleicht noch ganz witzig. Aber seien wir mal ehrlich: Fans haben in ihrer Linie für einen Künstler bezahlt und vielleicht darüberhinaus gar kein so großes Interesse daran, dessen halben Fake-Freundeskreis vorgeführt zu bekommen.

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Social-Media-Skills!

Dass Stars ihre Social-Media-Kanäle nicht selbst bespielen: fair enough. Die wenigsten Künstler haben Bock, sich durch zigtausend meinungsstarke Kommentare und euphorische Mentions zu kämpfen. Aber es gibt 2015 allen Ernstes noch Künstler, die verschiedene Plattformen miteinander gleichschalten. Die Folge: Jeder Facebook-Post wird verkürzt bei Twitter veröffentlicht—oder, noch schlimmer, umgekehrt. Wenn das geglückt ist, steht der vernünftigen Interaktionen mit der digitalen Fanbase nichts mehr im Wege. Das Problem: Manche Stars lassen sich von anonymer Hateration ins Bockhorn jagen und diskutieren stundenlang mit leidenschaftlich trollenden Facebook-Profilen darüber, ob das letzte Album jetzt besser als das davor war, warum man nicht bei Junggesellenabschieden auftreten kann und ob 30 Euro für ein T-Shirt als Merchandise gerechtfertigt sind.

Was geht ab, Frankfurt? Heute ist ASD am Start im Zoom… sold out, aber vorher schauen wir um 15 Uhr auf eine… https://t.co/8NAZpMjSFq

— Samy Deluxe (@samydeluxe) November 14, 2015

Ein neues Album von Xavier Naidoo

Wenn wir ehrlich sind, dann brauchen wir dieses Album eigentlich gar nicht mehr. Dass Xavier Naidoo ein Vollidiot ist, wissen wir auch so. Aber der letzte Woche von Jürgen Todenhöfer veröffentlichte Song „Nie wieder Krieg“ hat sehr schön gezeigt, dass es vielleicht noch einen letzten Langspieler bräuchte, um ein für alle mal klarzumachen, was da so gehörig schief läuft. 18 Weltverschwörungen in der Limited Deluxe Box—inklusive einer Rolle Alufolie für den DIY-Hutbau und einer Einmal-Schere zum Zerschneiden des Personalausweises.

Deinen persönlicher Jahresrückblick 2015 auf Spotify gibt es hier.