FYI.

This story is over 5 years old.

Features

Molly, Babba Schlumpf und gepflegte Bärte—wie wir die Time Warp 2013 erlebt haben

Unter uns—wir vermuten, dass auf diesem Event eventuell auch die ein oder andere Marihuana-Zigarette geraucht wurde.

Ja Mensch, die Time Warp. Der größte Underground-Rave Europas. Dieser Rave findet mehrmals im Jahr statt. In Mannheim, in Italien und auch bei unseren fahrradfahrenden und käseproduzierenden Lieblingsnachbarn, den Niederländern. Letzten Samstag dann in Utrecht die vierte Ausgabe der Time Warp NL. Wir haben es uns nicht nehmen lassen, mit den holländischen Technofans mal ordentlich einen abzushuffeln. Und—unter uns—wir vermuten, dass auf diesem Event eventuell auch die ein oder andere Marihuana-Zigarette geraucht wurde.

Anzeige

Wie kann man sich den größten „Underground-Rave“ Europas vorstellen? In einem kleinen, verschwitzten Keller mit jeder Menge Psychopharmaka und dem DJ aus deiner Nachbarschaft, der aus seinem Kofferraum Mix-CDs für fünf Euro verkauft? Nicht ganz. Mit 52 Euro für ein Standardticket war schon lang im Vorhinein klar, dass die Time Warp wohl nicht im Partyraum einer holländischen Pfadfindergruppe stattfinden wird. 34 DJs aus der ganzen Welt, 16.000 Basssüchtige, 6 Stages und eine Location, die zehn mal größer ist als das Freibad um die Ecke. So definiert man heute eben Underground.

Beim Einlaufen in die Jaarbeurs-Halle in Utrecht wird uns sofort klargemacht, dass man hier nicht mit irgendwelchen Mittelchen sein psychisches Empfinden verbessern sollte. Normalerweise sind die in Holland da doch immer so entspannt? … Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Direkt nach dem Einlass darf sich also jeder Gast erst mal ganz entspannt von den Männern und Frauen in orange (ob die Farbe Zufall ist?) abfingern lassen. Wieso auch nicht, bei 52€ gehört ein bisschen Spaß schließlich auch dazu.

Nachdem diese Hürde genommen ist, geht es endlich los. Auf dem Weg zum ersten Floor können wir uns direkt einen Eindruck vom holländischen Publikum machen. Es ist zwar erst kurz nach 23 Uhr, aber anscheinend ist es doch der ein oder anderen Naschkatze gelungen, ein paar „Süßigkeiten“ an den Männern in Orange vorbeizuschmuggeln.

Anzeige

Diesem sportlichen Weihnachtselfen hier zum Beispiel. Ob er wohl einen Regentanz aufführt? Wir mögen den Kerl. Er gleitet wie ein junger Tanzbär aus einem sibirischen Wanderzirkus über den Hallenboden. Gerne würden wir ihm auch ein paar Cent zuwerfen. Die könnte der Gute dann direkt reinvestieren. Nämlich in eine Sonnenbrille. Direkt vom Sonnenbrillenverkäufer. Phänomenal. Es gibt doch tatsächlich noch Menschen, die sich die ganze Nacht auf ein Technoevent stellen, um ihre in Bangladesch von kleinen Affen zusammengeklebten Sonnenbrillen zu verkaufen. Many Props!

Jetzt wollen wir allerdings wirklich mal ein bisschen Musik zu hören bekommen. Erste Anlaufstelle ist das homoerotische und mehr als liebevolle DJ-Duo Andhim aus Köln. Wir mögen die Jungs. Schon wieder. Geiler Sound, gepflegte Bärte und schönere Dancemoves als die, die wir bei dem fleißigen Weihnachtselfen bestaunen durften.

Noch kurz Andhim einen Luftkuss zugeworfen und weiter zur Mainstage. Die Veranstalter geben sich schon sehr viel Mühe. Ziemlich großer Aufriss dafür, dass alles ja „nur“ Underground ist. Soll ja aber auch Spaß machen. Denkt sich bestimmt auch diese kleine Zaubermaus. Mit blinkenden Hasenohren ravet es sich nämlich besonders gut. Auch neonfarbene Halsketten sind leider noch nicht ausgestorben.

Nächste Station: „Cave“, wie die Kreativabteilung die größte aller Bühnen liebevoll betitelt, hört sich ja ziemlich einladend an.

Anzeige

Schon verrückt, wenn knapp 5.000 Menschen wie hypnotisiert in eine Richtung starren, dabei parallel von rechts nach links wippen und jeden BPM so sehr feiern wie ein Katholik den weißen Rauch, der aus dem Petersdom qualmt. Der DJ als Heilsbringer. Es ist aber auch anbetungswürdig, wenn jemand im richtigen Moment ein Knöpfchen drückt, damit alle Weihnachtselfen und Zaubermäuse gleichzeitig in eine neue Sphäre befördert werden. Auf welchem Planet der Gute hier wohl gerade gelandet ist?

Fast noch spannender als die Cave ist natürlich der VIP-Bereich. Hier triftf sich der dekadente Untergrund zum gemeinsamen Raven inklusive Champagnerflasche und Blumengesteck auf den Sitzbänken. Von wegen laut, schmutzig und hart. Wenn schon Techno, dann wenigstens exklusiv. Fühlen wie bei Mutti im Wohnzimmer. Schön den Ralph Lauren Pulli um die Schultern geschnürt und am Plastiksektglas genippt. Das sind dann wohl die Raver 3.0. Irgendwie ein trauriger Anblick. Dann doch lieber einen Ketaliner beim Kreishüpfen beobachten.

Nun aber zurück zur Musik. Laut Timetable ist gerade der „Babba“ an der Reihe. Sven Väth himself.

VÄTH

Wenn wir ehrlich sind, haben wir uns schon ein bisschen mehr von ihm erhofft. Außer in die Hände klatschen, alle 3 Minuten eine Schallplatte in die Luft halten und ein bisschen von rechts nach links dopsen, kam von ihm nicht allzu viel. Babba-Schlumpf vielleicht. Naja, wollen wir mal nicht gehässig sein. Der Gute ist ja auch nicht mehr der Jüngste. Was seine Groupies in der ersten Reihe definitiv bestätigt haben.

Anzeige

Je später es wird, desto schneller entwickelt sich das Ganze zu einer Rocky-Horror-Picture-Show. Ein angenehmer Duft von Schweiß und Zahnarztpraxis liegt in der Luft. Gepaart mit viel von MDMA unterstützter Liebe und jeder Menge technoider Harmonie. Wie eine große Familie, diese 16.000 Raver. Helfen sich, wo sie nur können. Wenn einer in der letzten Reihe mal nichts sieht, wird er prompt in die Luft geworfen. Lustig, diese Holländer.

Bass auf Bass geht es weiter. Irgendwann zwischendurch haben auch wir wohl den ein oder anderen Gin zu viel und wissen nicht mehr so genau, wer wann wie wo was auflegt. Nach zehn Stunden hört sich eh alles gleich an. Letztes großes Highlight sind dann noch unsere Freunde von Pan-Pot.

Trotz kaputtem Arm in der Schlaufe feuern die zwei Jungs ein abartiges Set ab. Und wenn es sich überhaupt jemand erlauben kann, so ein Megaevent mit dem Track „Firestarter“ von The Prodigy zu beenden, dann wohl diese beiden. Ganz großes Kino. Spätestens in diesem Moment sind auch bei den letzten Zauberelfen und Weihnachtsmäusen alle Synapsen im Kopf geplatzt.

Was haben wir im Endeffekt also erlebt? Einen Underground-Rave, der sich so gar nicht nach Underground anfühlte und alle Sinne gleichzeitig überfordert hat. Sehr viele Menschen, denen das Erweitern ihres Bewusstseins sehr am Herzen—oder in der Nase—lag. Einige sehr gute DJs, wie zum Beispiel Michel de Hey und Benny Rodrigues. Einige eher mittelmäßige wie den alten Babba-Schlumpf. Aber alles in allem schon eine richtig fette Techno-Party.

Anzeige

Das war sie, die Time Warp 2013 in Utrecht. Kommendes Jahr am 05. April feiert die nächste Ausgabe in Mannheim ihren 20. Geburtstag. Vielleicht treffen wir unseren Weihnachtself ja dann als Osterhasen wieder.

**

Folgt Noisey bei Twitter und Facebook.


MEHR VON NOISEY

Acht DJs mit beeindruckenden Abschlüssen

Während du gelernt hast, mit MIDI Controllern umzugehen, haben diese DJs ihre Pflicht doppelt erfüllt—im Club und in der Uni.

Bangladeschs Underground-Techno ist anders als ihr denkt

Wie man in einem Land ohne Clubs und Nachtleben elektronische Musik macht.

Daft Punk: Die Geburt der Roboter

Am 9. September 1999 wurden Daft Punk zu Robotern. Natürlich in LA, denn in Paris rosten Roboter.