FYI.

This story is over 5 years old.

Cop Watch

Die Polizei in NRW soll "gewaltfähiger" werden

Warum die Argumentation für eine "robustere Polizei" problematisch ist.
Foto: imago | Eibner

Um herauszufinden, welches deutsche Bundesland die härtesten Polizeigesetze hat, müsste man nur mit Dreadlocks in einem VW-Bulli einmal von Norden nach Süden fahren. Spätestens an der bayerischen Landesgrenze würde man zwar nicht wie ein Vampir im Sonnenlicht zu Asche verglühen, aber doch sehr wahrscheinlich von der Polizei kontrolliert werden. Anstatt diese Expedition zu unternehmen, könnte man aber auch einfach die Nachrichten lesen: Bayern ist gerade kurz davor, ein Gesetz zu verabschieden, das seine Polizei mit Geheimdienstbefugnissen ausstatten soll. Doch andere Landespolizeibehörden holen auf, aktuell besonders jene in Nordrhein-Westfalen.

Anzeige

Auch bei VICE: Totalüberwachung für 150 Euro


Experten des Landesamts für Aus- und Fortbildung in Nordrhein-Westfalen haben auf 27 Seiten neue Leitlinien für die Polizei erarbeitet, berichtet die Rheinische Post. Das geheime Schreiben, das der Zeitung vorliegt, würde eine Abkehr von der bisherigen NRW-Leitlinie für den bürgernahen Einsatz der Polizei bedeuten. "Die Polizei NRW muss an Konsequenz, Stabilität, Führungsstärke und Robustheit deutlich zulegen", heißt es darin, unter anderem wegen der zunehmenden Gewalt gegen Polizeibeamte. Die Polizei müsse außerdem "durchsetzungsfähig und -stark und damit letztlich gewaltfähig, aber nicht gewaltaffin werden." Was genau "gewaltfähig" bedeutet, wird das NRW-Innenministerium noch erklären müssen. Ein Sprecher sagte gegenüber der Rheinischen Post aber, es handele sich bei dem Entwurf "nicht um ein offizielles Papier des Ministeriums, sondern um eine Ausarbeitung auf Arbeitsebene."

Die Forderungen klingen so vage wie bedrohlich. Und sie mit wachsender Gewalt gegen Polizeibeamte zu begründen, ist problematisch. Denn Gewalt gegen Polizeibeamte bedeutet für Juristen etwas anderes als für Laien. Das weiß auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in NRW. 2016 beklagte sie 7.840 Übergriffe auf Polizisten im Vorjahr und setzte darüber die Überschrift: "Alle 67 Minuten ein Angriff auf die Polizisten in NRW". Das klingt dramatisch, die GdP legte in einer späteren Pressemeldung aber noch mal rhetorisch nach: "Gewalt gegen Polizeibeamte – Zeit des Redens ist vorbei!" Wenn man sich diese Zahl genauer anschaut, ergibt sich jedoch ein anderes Bild.

Anzeige

Nur bei 20 Prozent dieser Fälle handelte es sich um versuchte oder vollendete Gewaltdelikte wie Körperverletzung, Bedrohung oder Mord. Es stimmt zwar, dass diese Fallzahlen im Jahr danach anstiegen, der weitaus größere Teil, nämlich 6.161 Fälle, betraf aber "Widerstand gegen Vollzugsbeamte". Was das genau heißt, steht im Paragraph 113 des Strafgesetzbuchs. Ein Vollzugsbeamter ist demnach ein "Amtsträger", der Gesetze vollstrecken darf – meist also ein Polizist. Wer bei so jemandem "mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand leistet", kann für bis zu drei Jahre ins Gefängnis wandern.

Doch es ist problematisch, von 7.840 "Übergriffen" auf Polizeibeamte zu sprechen, wenn ein Großteil davon Widerstandshandlungen waren. Das wird besonders deutlich, wenn man weiß, was hier juristisch alles als "Gewalt" zählt.

Darunter fallen natürlich offensichtliche tätliche Angriffe. Etwa wenn sich jemand gegen eine Festnahme wehrt, indem er einen Polizisten schlägt, aber auch schon die Drohung "ich hau dir aufs Maul" würde ausreichen. Doch man muss nicht mal so weit gehen. Auch wer sich mit Muskelkraft dagegen wehrt, abgeführt zu werden, etwa indem er die Beine gegen einen Türrahmen drückt, leistet Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Damit tut er ihnen im rechtlichen Sinne Gewalt an, begeht einen "Übergriff" und landet so als Zahl in der Statistik, mit der die GdP die Angriffe auf Polizisten in NRW, die ja tatsächlich mehr geworden sind, noch ein wenig dramatischer aussehen lässt.

Anzeige

Wegen solcher statistischen Verallgemeinerungen sollte man misstrauisch sein, wenn jemand wegen der Angriffe auf Polizisten eine "gewaltfähigere" Linie fordert. Und das bringt uns zurück zum aktuellen Strategiepapier in NRW, das die Gewerkschaft der Polizei übrigens befürwortet. Denn dieses Schreiben ist ähnlich schwammig formuliert. Seine Autoren wollen nicht nur Polizisten für Einsätze gegen gewaltbereite Fußballfans stärken, sondern fordern ein "konsequentes Einschreiten und Durchsetzen der polizeilichen Maßnahmen […] auch bei scheinbaren Bagatellsachverhalten". Sollte das Innenministerium in NRW die Vorschläge umsetzen, würde die Polizei damit eine seit Jahrzehnten erfolgreiche Strategie aufgeben, kritisierte der Kriminologe Thomas Feltes von der Ruhr-Universität Bochum auf Twitter.

Und Verena Schäffer von den Grünen sagte gegenüber der Rheinischen Post, es sei falsch zu glauben, dass die Angriffe auf Polizisten weniger würden, wenn sie martialischer auftreten.

Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.