The Egyptian Lover kann es immer noch: Ein Interview mit der Electro-Legende
Stones Throw Records

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The Egyptian Lover kann es immer noch: Ein Interview mit der Electro-Legende

Der Westküsten-Veteran erinnert sich nicht nur daran, wie sich Dr. Dre und Kraftwerk bei ihm bedient haben.

Alle Wege führen zurück zu Kraftwerk—jedenfalls wenn es nach der konventionellen Geschichtsschreibung elektronischer Musik geht. Greg Broussard allerdings, besser bekannt als The Egyptian Lover, kennt ein kleines Geheimnis der teutonischen Titanen, die den swingenden Robotersound in die Welt gesetzt haben.

Bedenkt man den unverkennbaren Einfluss von Kraftwerk auf den amerikanischen HipHop der frühen 1980er, sind seine Andeutungen durchaus interessant: Greg meint, die deutschen Electro-Pioniere könnten sich in ihrer Karriere auch bei seinem Sound bedient haben. Kraftwerk verbrachten damals nicht gerade wenig Zeit in Los Angeles—unter anderem auch in den Büros von Warner Bros. Laut eines Freundes von Greg, der damals für das Label arbeitete, hörten sie dort zufällig den Song „Yes Yes Yes" von Uncle Jamm's Army, Gregs damaliger Rap-Crew.

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„Sie liebten den Track und machten sich Notizen", sagt er. „Ich frage mich von daher schon, ob ich sie vielleicht inspiriert habe."

Greg, der in den Credits als Co-Writer von „Yes Yes Yes" angegeben ist, inkludierte den Song—und die ähnlich eingängige B-Seite „Dial-A-Freak"—in der ambitionierten, 22-Song-starken Compilation Egyptian Lover 1983-1988, die jetzt auf Stones Throw Records erschienen ist. Das dort versammelte Egyptian Lover-Material war zuvor nur auf Gregs eigenen Labels Freak Beat und Egyptian Empire erschienen.

Das Projekt Compilation befand sich dabei mehrere Jahre in Arbeit. Das erste Mal traf Greg Labelgründer Peanut Butter Wolf 2008, während eines gemeinsamen Labelbesuchs mit seinem Kumpel und ehemaligen N.W.A. Mitglied Arabian Prince. „Er war ein wirklich cooler Typ und er sagte mir, was für ein großer Fan er ist", erzählt er über seine Begegnung mit Wolf, der kurz darauf einen Egyptian Lover Remix für James Pants' „Cosmic Rapp" in Auftrag gab.

Greg blieb auch danach weiter mit dem Label verbunden und begann bei offiziellen Stones Throw Gigs und Showcases aufzulegen und aufzutreten. Trotzdem zögerte er, den nächsten logischen Schritt zu gehen. Wolf bot ihm an, eine Anthology mit frühem Material von Freak Beat und Egyptian Empire zu veröffentlichen. Gregs Antwort? „Ich brauche etwas Bedenkzeit." Es sollte ein ganzes Jahr verstreichen, bevor das Thema wieder ernsthaft zur Sprache kam. Im Zuge des 2015 in Eigenregie veröffentlichten Albums 1984 gab er schließlich nach.

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„Ich konnte spüren, dass [Wolf] mit ganzem Herzen dabei war", sagt er. „Ich wusste, dass er es richtig machen würde."

Die Veröffentlichung bei Stones Throw stellt eine seltene Abweichung für einen Künstler dar, der den allergrößten Teil seiner langen Karriere sein eigener Chef gewesen war—eine Arbeitsweise, die auch seine Veröffentlichungsstrategie der letzten 30 Jahre geprägt hat. Wolf hatte an einem Punkt auch versucht, ein komplett neues Egyptian-Lover-Album für Stones Throw aus Broussard herauszulocken. Dieses Angebot wurde aber umgehend abgelehnt. Abgesehen von einem kurzen Stelldichein mit Priority Records in den späten 1980ern war er selbst immer Herr über seine Karriere gewesen. Er hatte gesehen, wie Freunde bei Labels unterschrieben hatten und sich dann über zurückgehaltene Alben und verschobene Single-Veröffentlichungen beschwerten.

„Ich brauche diese Kontrolle. Ich will nicht, dass mir irgendjemand sagt, was ich zu tun habe oder wann die Platten rauskommen", so Greg.

In unserem Gespräch sollte es auch nicht lange dauern, bis das ohnehin Offensichtliche zur Sprache kam: Sein Egyptian-Lover-Alias ist in der Tat eine Rolle, eine performative Routine in der etablierten Tradition des Funk-Don-Juans. Je bekannter er in den 80ern wurde, desto größer wurden allerdings auch die Erwartungen seiner Fans, dass er seiner überlebensgroßen und hypersexuellen Persona gerecht wurde.

„Was auch immer der Song aussagt, ich muss dieses Leben auch leben", erzählt er. „Wenn ich zu Partys gehe, muss ich diese ganzen Diamantenringe und Ketten tragen, einen Benz mit fetten Felgen und Soundsystem fahren." Vor maßloser Übersteigerung triefend hatte Broussard das Gefühl, seiner Rolle auch gerecht werden zu müssen. Es war jetzt aber auch nicht so, dass er wirklich etwas dagegen gehabt hätte, mit jeweils zwei Frauen unterm Arm im Club aufzuschlagen.

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Ob er jetzt tatsächlich der Persian Sex God ist, den er in „Dial-A-Freak" oder „Kinky Nation" gibt,—oder nicht—ändert eigentlich nichts an dem, was er in dieser Funktion erreicht hat. Nimm zum Beispiel Comedians wie Andy Kaufman, Andrew „Dice" Clay, Bobcat Goldthwait und Gilbert Gottfired, die komplette Karrieren auf der Grundlage fiktiver Charaktere entworfen haben, die aber nicht unbedingt für das Publikum als solche zu erkennen waren. Die Grenzen zwischen Realität und Fantasie wurden dabei ständig verwischt.

Selbst heute ist es gar nicht so einfach, eindeutig zwischen Greg Broussard und The Egyptian Lover zu unterscheiden—und es ist dann noch mal ein ganz anderes Thema, ob das bei einer drei Jahrzehnte andauernden Karriere überhaupt noch eine große Rolle spielt. Auf seine offen sexuellen Lyrics angesprochen, greift mein Gesprächspartner auf eine Erklärung zurück, die problemlos sowohl von Greg Broussard als auch Egyptian Lover stammen könnte.

„Ich bin immer schon pervers gewesen, einfach ein durchgedreht Typ", sagt er und zitiert dann Prince als einen Künstler, dessen fleischlich-gieriger Textansatz ihn sofort angesprochen habe.

Der Einfluss der Pop-Ikone ist bei The Egyptian Lover eindeutig rauszuhören. Dieses Atmen, das Prince Ende der 1970er in seine Singles „Soft and Wet" und „Sexy Dancer" etabliert hatte, findet sich in Form der rhythmischen Verwendung von Atemgeräuschen bei Egyptian Lover wieder—ein Alleinstellungsmerkmal, das der oberflächlich von Kraftwerk entnommenen Vorlage eine menschliche Ebene hinzufügt. Wenn man nun Jahre später zurückblickt, ist Broussard das lebende und atmende Argument für und wider dem Festhalten an künstlerischen Besonderheiten. Als Electro-Ästhet mit asketischen Zügen erklärt er geradeheraus, dass er heute noch mit so ziemlich genau dem gleichen Analog-Setup arbeitet wie seit Jahrzehnten.

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Die Veröffentlichung einer Anthology wie 1983-1988 bietet einem auch eine ganze Reihe Möglichkeiten: Sie ist natürlich eine Chance zur Entdeckung und Wiederentdeckung, aber eben auch eine Gelegenheit zur kritischen Betrachtung oder Neubewertung. Wenn man sich die arroganten Ansagen von „My House (On The Nile)" oder die spielerischen Cut-Ups von „Ultimate Scratch" anschaut, kann man sich sicher sein, dass Broussards Werk seine Zeitgenossen und Nachfolger gleichermaßen beeinflusst und geprägt hat—nicht zuletzt auch Dr. Dre.

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Dabei sollte auch nicht vergessen werden, dass Greg früher mal einen wesentlich größeren Namen als Dre hatte und mit Uncle Jamm's Army vor mehreren 10.000 Besuchern in der Los Angeles Memorial Sports Arena spielte.

Er erinnert sich an einen solchen Abend, an dem er zum ersten Mal einen frisch erstandenen Roland TR-808 live in sein Set einbaute. „Niemand wusste, was ein Drumcomputer war", sagt er und meint dabei sowohl das Publikum, als auch sich selbst. „Ich habe das Teil gekauft, es nach Hause gebracht, voll mit Beats programmiert und dann mit zur Party genommen." Die Menschen im Publikum dachten, er würde Platten auflegen und bettelten ihn an, ihnen Track-Titel zu nennen, die überhaupt nicht existierte. „Es war unglaublich", erinnert er sich an diesen Wendepunkt in seiner ohnehin schon erfolgreichen HipHop-Karriere. „Alle dachten ohnehin schon, dass es Platten waren, also machte ich einfach welche."

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Es sollte nicht lange dauern, bis Dre den atmenden Flow von Greg aufgreifen sollte. „Ich bin ziemlich sauer gewesen. Der hat meinen Sound geklaut!", sagt er. „Alle sagten, es sei der West Coast Sound, aber es war eindeutig der Egyptian Lover Sound!"

Ob Dre den Glanz von Egyptian Lover nun geliehen, vereinnahmt oder geradeheraus gestohlen hat, spielt heute keine große Rolle. Nur einer der beiden Männer ist heute noch wirklich groß im Geschäft. Es ist auch ziemlich zweifelhaft, dass Dre zu dem millionenschweren Industriemogul und Rap-Impresario geworden wäre, der er heute ist, wenn er für immer dem Style von World Class Wreckin' Cru oder meinetwegen auch N.W.A. treu geblieben wäre. Die Masche des Überschwänglichen, an der Greg aus Prinzip und künstlerischer Treue festhält, bringt sicherlich einige Vorteile mit sich. Es lässt sich aber wohl nicht von der Hand weisen, dass er zumindest ein paar von den Dingen hätte machen können, die Dre gemacht hat.

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Greg spricht aber nicht wie ein Mann, der viel bereut. Für ihn ist die Musik an sich noch immer ihre eigene Belohnung und es macht ihm sichtlich Spaß, sie mit der Welt zu teilen. Er spielt noch immer über den ganzen Globus verteilt Shows als Egyptian Lover und bringt seinen typischen 808 Beat und Vocoder-Funk an ein unglaublich breitgefächertes Publikum.

„Die holen ihre Handys raus, um die Tracks zu shazamen", erzählt er begeistert. „Es ist schön zu sehen, wie junge Leute zum ersten Mal diese Musik hören und sie dabei genau so wahrnehmen wie die Menschen damals."

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Egyptian Lover 1983-1988 ist jetzt bei Stones Throw Records erschienen.

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