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Interview

Marcel Vogel hat uns erklärt, warum Amsterdam mehr Soul als Berlin hat

Wir haben mit dem Chef von Lumberjacks in Hell über die Szene, Clubs und Second-Hand-Läden in beiden Städten geredet.
Amsterdam bei Nacht. Foto von Flickr/Alf Altendorf/CC BY-SA 2.0

Berlin gilt als Hauptstadt elektronischer Musik. Dominant ist hier aber vor allem, na klar, Techno. Andere Spielarten von Tanzmusik finden zwar statt, fristen aber beinahe ein Nischendasein. Das war vor zehn Jahren nicht anders und für Marcel Vogel damals der zentrale Grund, Berlin zu verlassen, um sein Glück woanders zu suchen. Zunächst in Basel, danach in Amsterdam, wo er dann vor sieben Jahren sein Label Lumberjacks in Hell (LiH) gründete. In den ersten Jahren lag der Fokus vor allem auf Disco-Edits, zum Beispiel von Rahaan, Eddie C, Mr. Mendel, Jamie 3:26 und Vogel selbst. Mittlerweile geht es auch in deutlich housigere Gefilde, wie die kürzlich erschienene EP von Giovanni Damico oder auch Vogels Kollaboration mit Karizma zeigen. DJs wie Move D legen gerne die Tracks von Lumberjack in Hell auf.

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Seit Mitte Dezember lebt Marcel Vogel wieder in Berlin, allerdings nur für ein halbes Jahr. Warum er wieder hier ist, aber nicht länger bleiben will, und welche Vorteile Amsterdam gegenüber Berlin hat, erklärte er THUMP bei Bier und Tomatensaft.

Steht hier im Parkverbot: Marcel Vogel. Foto: Yvonne Schmedemann

Marcel Vogel: Ok, was willst du wissen?

THUMP: Warum du von Berlin nach Amsterdam und jetzt wieder zurück in Berlin bist.
Hauptsächlich wegen Freunden und Networking. Ich hab bis 2007 hier gelebt, bevor ich nach Basel und dann nach Amsterdam gegangen bin.

Und jetzt hast du wieder Sehnsucht nach Berlin gehabt?
Eigentlich war das ein Zufallsprodukt, weil ich aus meiner Wohnung in Amsterdam raus wollte, weil sie mir zu dunkel und zu weit weg vom Zentrum war. Dann hab ich gesehen, dass David [Noema, Resident-DJ in der Wilden Renate und Betreiber des Labels Magic Movement] für eine halbes Jahr nach Mexiko geht und sein Zimmer untervermietet. Eigentlich hatte ich Berlin nicht aufm Schirm, aber dann habe ich mich doch recht schnell dafür entschieden, da ich doch viele Freunde hier in den letzten zehn Jahren vernachlässigt habe. Allerdings bin ich zuversichtlich, dass ich im Juni auch wieder weg bin.

Warum?
In Amsterdam habe ich sehr viele Leute, an denen ich mich orientieren kann. Zum Beispiel Rush Hour, Dekmantel und Red Light. Leute, die ihre Karriere voranbringen wollen. Das hab ich in Berlin nicht. Berlin ist immer so: "Alles Easy. Wir machen schon irgendwie was." Natürlich habe ich hier super Gespräche und komme momentan auch voran, was meine Labels angeht. Aber wenn ich zu bequem werde, verliere ich den Drive. Ich hätte einfach Angst, hier in der Berlin-Blase zu versumpfen.

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Dieses Versumpfen ist vermutlich generell ein Berliner Phänomen. Dabei sagt man doch immer: "Als DJ musst du nach Berlin kommen!"
Berlin wird, was das angeht, überschätzt. Erstens verdienst du hier sowieso viel weniger Kohle, weil die Gagen so niedrig sind. Zweitens ist der Wettbewerb hier zu groß. Und drittens—was mich sehr irritiert — siehst du hier so viele bekannte Gesichter, die immer noch das Gleiche machen wie vor zehn Jahren. Deshalb bin ich auch damals hier weggezogen, weil ich das Gefühl hatte, dass ich hier keinen Punkt finde, an dem ich andocken kann. Ich hab mich einfach perspektivlos gefühlt. Das ist in Amsterdam für mich einfacher.

Berlin ist wie Northern California, man sollte gehen, bevor es einen weich macht.

War es in Berlin für dich auch schwierig, weil du musikalisch anders unterwegs bist als der Großteil der Stadt?
Ja. Im Techno-Bereich ist das bestimmt einfacher. Aber im House- und Soulful-Bereich gibt es nur sehr wenige Menschen in Berlin, die ihren Kram zusammenkriegen. Leute wie Max Graef sind da bestimmt die Ausnahme. Aber es tut alles auch nicht weh hier zu leben, weil alles ein bisschen einfacher ist.

Wie meinst du das?
Berlin ist immer noch sehr günstig. Mit 1.500 Piepen kannst du hier super leben.

Aber?
In Amsterdam hab ich zum Beispiel die Connection mit Mr. Mendel, der halt sehr getrieben ist und unbedingt vorankommen will. Das inspiriert mich. Wenn der total abgeht, denk ich mir: Ich bleib nicht stehen, ich streng mich auch an. Ein Berliner Freund hat mir gestern wiederum erzählt, dass er für seine Ambitionen und seine Karriere bei seinen Freunden ein schlechtes Gefühl kriegt. Er ist quasi der Außenseiter, wenn er mit seinen Freunden abhängt, weil er Karriere macht und fokussiert und hart arbeitet.

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Einige empfinden aber sicherlich auch einen Leistungsdruck, sowohl von Außen als auch von Innen. Vielleicht stecken sich viele deshalb auch keine Ziele, denn an denen kann man ja auch zerbrechen.
Berlin ist halt eine Urlaubsstadt. Es gibt dieses Lied von Mary Schmich, da heißt es: "Live in New York City once, but leave before it makes you hard. Live in Northern California once, but leave before it makes you soft". Berlin ist wie Northern California, man sollte gehen, bevor es einen weich macht. Ich hatte das 2007 und fühle das latent auch jetzt.

Du brauchst also einen gewissen Druck?
Als Künstler auf jeden Fall. Ich brauche generell eine Art von Druck, der mich inspiriert. Driven by deadlines, so to say.

Wenn ein bekannter DJ in Amsterdam spielt, reden alle darüber. In Berlin hingegen ist das nicht so, da geht das oft unter.

Du hast vorhin gesagt, dass du in Amsterdam besser Anschluss an die Musik finden konntest, die dich begeistert. Warum war es dort für dich einfacher?
Amsterdam hat, nehme ich an, nicht zuletzt bedingt durch die Kolonialzeit, eine große Tradition von "schwarzer Musik". In den 1980er Jahren war es eine der ersten europäischen Städte, wo House angekommen ist, neben London. Es war auch eine der ersten Städte, in der die ganzen Detroit-Jungs gebucht wurden. Moodymann und Theo Parrish zum Beispiel. Es gibt dort extrem viele gute Konzerte, was auch an den entsprechenden Locations und dem Publikum liegt. Jeder kommt da hin, obwohl die Stadt vergleichsweise klein ist. Und diese Art von Musik wird auch von den großen Playern weitergetragen. Dekmantel, Rush Hour, Red Light Radio zum Beispiel und DJs wie Hunee, Antal, Young Marco, Orpheus etc. Die haben alle einen guten Geschmack und arbeiten hart genug, um damit eine Karriere zu machen.

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Und in Berlin haben alle einen schlechten Geschmack?
In Berlin haben die Leute auch einen guten Geschmack aber das ist nur die halbe Miete. Dieses Professionalisierte finde ich hier nicht, dabei finde ich genau das sehr inspirierend. Rush Hour ist zum Beispiel ein Vorreiter auf dem Gebiet der Plattenläden, die eine eigene Distribution haben und auch zu Labels wurden. Die haben damit schon Anfang der 2000er angefangen. In Berlin gibt es sowas mit Oye mittlerweile natürlich auch, aber eben erst seit ein paar Jahren.

Spielt die Größe der Stadt eine Rolle, in dem Sinne, dass alles überschaubarer ist?
Bestimmt. Wenn ein bekannter DJ in Amsterdam spielt, reden alle darüber. In Berlin hingegen ist das nicht so, da geht das oft unter.

Du bist auch leidenschaftlicher Plattensammler, was ist da der Unterschied zwischen den beiden Städten?
Die Qualität der Second-Hand-Läden. In Amsterdam gibt es fünf, sechs gute Läden. Red Light zum Beispiel, Rush Hour mittlerweile auch. Hier in Berlin gibt es quasi keine Second-Hand-Platten. Zumindest nichts, was mich irgendwie triggert. Contemporary Dancemusic ist in Berlin natürlich super vertreten.

Welchen Einfluss hat das auf die Szene?
Das macht einen großen Unterschied, weil diese Läden dafür sorgen, dass DJs auf eine bestimmte Art und Weise spielen können. Abgesehen von digitalen Sachen natürlich. Klar landen die ganzen Compilations mit rarem Zeug in allen Plattenläden, aber die Art und Weise wie Red Light Records, Rush Hour, Waxwell etc. ihr Secon-Hand-Angebot kuratieren ist extrem inspirierend und bereichernd für die dortige Szene.

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Also alles besser in Amsterdam?
Nein, nicht was die Clubs angeht. Wir haben nicht besonders viele gute Clubs. Berlin hat mehr Möglichkeiten, wenn du auflegen oder eine Party veranstalten willst.

Ich vermisse in Berlin einen Club, der von Resident-DJs lebt. In Amsterdam passieren solche Sachen momentan vermehrt.

Kann man also sagen: Ohne Amsterdam wärst du also bei weitem nicht dort, wo du heute bist und hättest kein Label?
Die Idee für Lumberjacks in Hell hatte ich in Basel bevor ich dorthin gezogen bin. LiH 001 kam zwei Monate nach meiner Ankunft dort raus. Lustigerweise sehe ich mich selbst in erster Linie als ein Kind von Soundcloud, das war damals eine grosse inspiration. Das schöne an Amsterdam ist, wie konzentriert die Szene ist und wie der Erfolg der Anderen die eigene Motivation beflügelt. Berlin ist eventuell zu weitläufig und man muss mehr netzwerken, um sich seine Crew aufzubauen.

Warum?
Du musst bedenken, dass die Musik, die in Richtung Soulful House und Disco geht, in Berlin vor zehn Jahren noch weniger repräsentiert war als heute. Klar, es gab Jazzanova und die Kaleidoskop-Nächte. Und es gab auch im Cookies mal Leute, die Disco gespielt haben, das war aber alles mehr in einen House-Kontext eingebettet. Heute gibt es zwar das Prince Charles, das ein extrem fokussiertes Booking macht. Davon abgesehen fehlen aber die Ambitionen im Bereich von Soulful Music. Wenn man so will, fehlt der Mutterboden. Alles ist sehr zerklüftet. Es gibt viele DJ-Gruppen aber jeder kocht sein eigenes Süppchen.

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Fehlt noch was in Berlin?
Ich vermisse einen Club, der von Resident-DJs lebt. So wie das Robert Johnson oder das Djoon in Paris. Einfach ein Laden, wo sich eine Familie bildet und man weiß, dass jeden Samstag gute Musik aufgelegt wird. Rush Hour macht zum Beispiel alle zwei bis drei Monate eine Party mit dem Namen "Somewhere in Amsterdam". Da treffen sich dann ein paar hundert Leute und zelebrieren regelmäßig Soul, Disco und House. Ich glaube nicht, dass es das so in Berlin gibt, das braucht es aber. Das gab es mal mit der Soju Bar und natürlich zieh ich auch den Hut vor den Leistungen der J.A.W. family, die Berlin seit 10 Jahren am Laufen halten. Aber trotzdem.

In die Soju Bar bin ich früher gerne hingegangen. Hunee, Charlie Smooth oder Fritz For Funk, das waren super Resident-DJs. So was fehlt seitdem.
Das wundert mich auch ein bisschen. Ich glaube, das hat auch was mit dem Ego zu tun. Jemand wie Ron Trent hat im positiven Sinne ein großes Ego. Der weiß, dass er eine Party-Reihe alleine tragen kann und welche Sachen er dabei zu machen hat.
In Berlin gibt es eben auch die Schnelllebigkeit. Ich stelle es mir schwer vor, die Leute hier bei der Stange zu halten. Aber die grossen New Yorker DJs haben das alle mal hinbekommen. Jazzanova und Daniel Best im Café Moskau damals auch. Es braucht eben Clubs, die das unterstützen und DJs die die Skills, den Geschmack und auch die Ambition haben. Und eben auch einen Promoter im Hintergrund, der dafür sorgt, dass die Leute in den Laden kommen.

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Das Berghain ist für mich zum Beispiel kein Musikclub.

In Amsterdam sind die Leute also ambitionierter und veranstalten Partys?
Da passieren solche Sachen momentan vermehrt. Hunee, Young Marco, Antal oder Orpheu bauen sich selbst oder gemeinsam mit ihrer Booking Agency etwas auf, machen eigene Partys und spielen All-Night-Long-Sets. Der wird derzeit ein Personenkult aufgebaut, der ja auch der Grundstein von erfolgreichen Residencies ist. So entsteht dann ein Familie, die einfach regelmäßig da ist und die DJs unterstützt.

Damit auch genug Besucher kommen?
Genau. Die Leute wissen dann zwar nicht, was sie musikalisch genau erwartet, aber sie wissen, dass sie eine gute Zeit haben werden. Früher bei den Kaleidoskop-Partys in Berlin war zum Beispiel immer klar, dass alle Leute tanzen, sobald es losgeht.

Und sowas vermisst du in Berlin?
Die Leute gehen hier, meiner Meinung nach, primär nicht unbedingt wegen der Musik aus. Das Berghain ist für mich zum Beispiel kein Musikclub. Es ist ein super Ort, um Drogen zu nehmen und zu socializen. Wie ein Kinderspielplatz. So sind die meisten Berliner Clubs konzipiert. Man tanzt zu irgendeiner Musik, die zu den Drogen passt, die man genommen hat. Das Booking ist aber teilweise zusammenhangslos. Ich mag es lieber, wenn die DJs einer Nacht aufeinander abgestimmt sind.

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