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Gentrifizierung

Aufwertung und Verdrängung erwischen die Szene auch außerhalb der Großstädte

Das Her Damit findet 2016 zum letzten Mal im alten NS-Bau auf Prora statt. Daran ist das Festival unfreiwillig auch selbst schuld.
Photo: Nadia Cortellesi

Aufwertung und Verdrängung—das sind Stichwörter, die du aus Diskussionen um die Innenstädte von Berlin, Hamburg oder Leipzig kennst. Mit dem flachen Land stehen sie allerdings weniger in Verbindung, bislang. „Immobilienhaie und Luxusappartements haben Prora mittlerweile fest im Griff. Auch der letzte Block, dort wo unsere ,Ruine' und Indoor-Floors […] liegen, wird aller Voraussicht nach verkauft – alles nur noch eine Frage der Zeit." So machte das Her Damit Festival vor wenigen Tagen seinem Unmut Luft. Wegen des drohenden Ausverkaufs findet das Festival Ende Mai mit u.a. Kobosil, Erobique und Daniela La Luz zum letzten Mal in der ehemaligen Nazi-Anlage Prora in Binz auf Rügen statt. Bevor sie von einem möglichen Investor rausgeschmissen werden, gehen die Veranstalter lieber von alleine—und mit dem Gefühl, die missliche Lage mit ausgelöst zu haben.

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Von der NS-Urlaubsorganisation Kraft durch Freude Ende der 30er für 20.000 gleichgeschaltete Urlauber gebaut und später von der Roten Armee in Beschlag genommen, war der riesige Komplex auf der Ostseeinsel bis zur Wende in Benutzung durch die NVA, die Nationale Volksarmee der DDR. Die ausladenden Betonklötze auf insgesamt 4,5 km Länge entlang der Küste waren anschließend in öffentlicher Hand. 2004 wurde der erste Block verkauft, 2005 der nächste—darin befindliche Kultureinrichtungen mussten ausziehen und Hotels sowie Eigentums- und Ferienwohnungen weichen. Block 5, in dem sich das Prora-Zentrum zur DDR-Geschichte der Anlage und eine Jugendherberge befinden, steht nun als letzter Teil kurz vor dem Verkauf. „Unser Anliegen ist es, dass der Rest des Blockes in einen vernünftigen Zustand kommt", sagte der Sprecher des zuständigen Landkreises der SVZ jüngst. Fördermittel von Land, Bund oder EU für einen auf fünf Millionen Euro an Kosten geschätzten Ausbau des Blocks konnte die Lokalpolitik zuvor nicht auftreiben.

„Wir hatten schon erwartet, dass dieser Punkt irgendwann kommt, aber da Prora sich in öffentlicher Hand befindet, rechneten wir nicht so früh damit", sagt Robert Müller aus dem Team des Her Damit Festivals. Die Veranstaltung, die 2014 das erste Mal—damals noch unter dem Titel Her mit dem schönen Leben—in Prora stattfand, kooperiert mit der Jugendherberge und dem Zentrum. Das Festival okkupiert zum Teil die alten Räume, Lichtinstallationen binden die bedrohlich-monotone Fassade als Kulisse mit ein, während der drei Festivaltage gibt es zudem eine historische Führung durch die Anlage. Damit ist es nun nach dem Sommer vorbei, wie Robert im Interview erklärt.

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Robert, warum habt ihr euch entschieden, Prora nach diesem Jahr zu verlassen?
Wir beobachten die Entwicklungen schon länger und sind im Austausch mit unterschiedlichsten Leuten vor Ort. Der Landkreis sucht nach unseren Informationen aktiv nach einem Investor, der kann sich bereits morgen oder übermorgen auftun. Selbst wenn der letztendliche Käufer uns und unser Festival gut finden würde, wäre eine solche Veranstaltung oder Kultur dieser Art dort überhaupt nicht mehr möglich: wegen der Umgestaltung und wegen möglicher Anwohner. Damit haben wir keinerlei Planungssicherheit mehr und mussten uns wohl oder übel von Prora verabschieden. Die Suche nach einer neuen Location läuft bereits.

Was stand für euch auf dem Spiel?
In den letzten Jahren haben wir ziemlich in die Location investiert, um sie festivaltauglich zu machen; Aufbauten, Hütten, Installationen, Raumelemente. Viel Geld floss zudem in die Nutzbarmachung der Innenräume, darunter die ehemalige Kasernenkantine. Die waren seit 20, 30 Jahren nicht in Benutzung. Da mussten wir natürlich relativ viel an Arbeit reinstecken, um sie festivaltauglich zu machen. Profit steht dabei für uns nicht im Vordergrund. Uns geht es einfach um das Risiko, jetzt weiter Geld und Arbeit für nächstes Jahr zu investieren, Verträge abzuschließen, und dann wird das Gebäude mittendrin verkauft—und uns der Tanzboden unter den Füßen weggezogen. Wir würden sonst liebend gerne in Prora weitermachen.

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Wofür steht der Ort für euch denn?
Prora ist traumhaft schön und hat eine interessante Geschichte. Die Anlage wurde von den Nazis gebaut, von den Sowjets und später der NVA genutzt. Sie hat also zwei deutsche Diktaturen erlebt. Natürlich wird an dem Festivalwochenende getanzt und gefeiert, aber es findet auch eine Auseinandersetzung mit der Geschichte statt. Gerade Leute, die zum ersten Mal zum Festival kommen, müssen für sich erstmal das Furchteinflößende der Gebäude überwinden.

Auf jeden Fall haben wir Prora mit aufgewertet. Unser Festival hat ein geschichtliches Bewusstsein bei den Besuchern geschaffen. Und viele Gäste hatten Rügen vor dem Festival nie als Reiseziel auf dem Schirm.

Hätte es nicht trotzdem Möglichkeiten gegeben, auch 2017 in Prora zu bleiben?
Nein. Ein weiterer Investor, dem ein anderer Block gehört, findet unser Festival zwar gut, aber auch das gibt uns keine Sicherheit, schließlich wohnt er ja nicht selbst in den dortigen Ferien- und Eigentumswohnungen.

Und wenn ihr—wie das Tag am Meer Festival, das ebenfalls in Prora stattfindet—komplett an den Strand zieht?
Klar, da kann man auch nach einem günstigen Ort gucken, wo der Lärm nicht so sehr auf die Häuser abstrahlt. Allerdings wären wir dann nur noch eine Kopie eines anderen Festivals. Das wollen wir nicht.

Habt ihr das Gefühl, dass ihr den Ausverkauf selbst mit dem Festival angetrieben habt?
Auf jeden Fall haben wir Prora mit aufgewertet. Es ist ein schwieriger Ort mit einer dunklen Vergangenheit. Unser Festival hat da ein Bewusstsein bei den Besuchern geschaffen, dafür, was für ein Glück wir haben, in der heutigen Zeit zu leben. Viele Gäste hatten Rügen vor dem Festival nie als Reiseziel auf dem Schirm. Und auch die jungen Rüganer sind total begeistert, weil sie mal nicht irgendwo hinfahren müssen, um etwas zu erleben. Das Inselestablishment sieht das natürlich zum Teil anders. Das Ostseebad Binz ist eher auf Tourismus jenseits unserer Zielaltersgruppe ausgerichtet. Da bringen wir ein Alternativangebot rein.

Wie siehst du die Zukunft der Anlage?
Prora nach der Sanierung richtet sich an Leute mit gehobenem Einkommen. Die haben zudem das Glück, dass die Gebäude denkmalgeschützt sind. Damit sind die Wohnungen von der Steuer absetzbar. Es ist traurig, dass die Politik keine Alternativen zum Ausverkauf angestrebt hat. Die Geschichte war nur so lange dienlich, wie man nach Investoren gesucht hat. Mit den neuen Fassaden, Balkonen und Pools wird nun die Geschichte des Ortes übertüncht. Und man will nicht mal einen Block in seinem ursprünglichen Antlitz erhalten. Ein Ort der Erinnerungskultur geht damit verloren.

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