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Sex

Vögeln fürs Vaterland: Die Bundeswehr hat ihr eigenes Sex-Heft

Hier bekommt Aufklärungstrupp eine ganz neue Bedeutung: Es geht um Fernbeziehungen, Verhütung und Masturbation im Mali-Einsatz.

Die Hipsterisierung der Bundeswehr hat schon zahlreiche, merkwürdige Erscheinungen mit sich gebracht: Rekrutierungsstrategien via Instagram-Account, Camo-Pizzakartons mit Werbung für die eigene YouTube-Serie und eine Kriegs-Spotify-Playlist. Als nächste Eskalationsstufe, um junge Menschen für die Bundeswehr zu interessieren, kann logischerweise nur eines noch folgen: Sex. Nachdem das Bundeswehr-Magazin Y über 16 Jahre lang vor allem als waffen- und lifestylelastiges Mitarbeitermagazin des Heeres galt, gibt es sich in der aktuellen Spezialausgabe als camoufliertes Aufklärungsheft. Bravo. Es geht um Liebe, Identität und Masturbation im Mali-Einsatz.

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Eigentlich sollte die Sex-Ausgabe von Y schon im Juli publiziert werden. Für das Heft hatte die Redaktion unter anderem ein Porno-Filmset besucht. Das Verteidigungsministerium hat das Magazin dann allerdings im letzten Moment zurückgezogen – offiziell, weil "redaktionelle Standards" nicht eingehalten worden waren. Die Bild-Zeitung will aber herausgefunden haben, was wirklich hinter dem Rückzug steckte, und zitierte einen "Insider": "Das Ministerium hatte Sorge, das Heft könnte als Reaktion auf die Bundeswehrskandale missverstanden werden." Im Januar 2017 hatten Recherchen des Spiegel ergeben, wie sadistisch-sexuelle Rituale in einer Kaserne im baden-württembergischen Pullendorf durchgeführt wurden.

Ohne Porno-Dreh, dafür aber mit einem Besuch in einer Fabrik für Sex-Roboter, hat sich die Redaktion des Y-Magazins nun also erneut an die Sex-Ausgabe gewagt – Titel: Ich will dich – Liebe, Lust und Partnerschaft. Die 41.000 Exemplare starke Zeitschrift liegt seit diesem Mittwoch in den Briefkästen der überwiegend männlichen Leser und an Standorten der Bundeswehr. Die Expertise der Bundeswehr beim Thema Zärtlichkeit wollten wir uns nicht entgehen lassen und haben das Magazin gelesen.

Der Titel des Heftes – Ich will dich - Liebe, Lust und Partnerschaft – klingt nach einem Beziehungsratgeber für Langzeitpaare. Statt um erotische Massageworkshops geht es im Spezialheft der Bundeswehr allerdings um Sex im Einsatz, schwangere Soldatinnen ("Rund beim Bund") und lesbische Paare beim Bund. Aufklärungstrupp mal anders. Klar dass hier die Paradebeispiele präsentiert werden. Aber auch Artikel zu Prostitution, Geschlechtskrankheiten oder Sexualverbrechen stehen im Heft: ein Rundumschlag zum Thema Sex, ob mit oder ohne Bezug zur Bundeswehr.

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Sex in der Bundeswehr, aber bitte ohne Skandal

Die Bundeswehr gendert nicht. Deshalb gibt es im Artikel "Baby-Alarm – jetzt geht's rund" auch Dinge, die es eigentlich nicht gibt: einen schwangeren Hauptbootsmann. In Ermangelung eines weiblichen Pendant-Begriffs macht die schwangere Soldatin Nicole dieses Paradoxon möglich. Im Artikel lernen wir noch mehr kennen, was es beim Bund nicht gibt: Gynäkologen und Hebammen und (wie überall sonst auch nicht) das Recht zur Rückkehr an den selben Arbeitsplatz nach der Elternzeit. Hinterfragt wird das übrigens nicht.

Vermeintlich selbstkritisch wird es in dem Artikel "Nein heißt Nein". Auf fünf Seiten geht es um das Thema sexuelle Belästigung in der Bundeswehr. Wer hier eine differenzierte Auseinandersetzung mit den jüngsten Vorfällen in Pfullendorf (Soldatinnen sollen sexuell-sadistische Übergriffe bei der Sanitätsausbildung erlebt haben) oder Bad Reichenhall (ein Soldat wollte wegen Diskriminierung und sexueller Übergriffe nicht zu seiner Stammeinheit zurückkehren) erwartet, wird enttäuscht. Das Motto hier: Eigenwerbung statt Aufarbeitung. Angepriesen wird die neue Ansprechstelle "Diskriminierung und Gewalt in der Bundeswehr" untermauert durch ein No-Tolerance-Zitat von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen.

Der Artikel beschränkt sich auf Belästigung von Frauen durch Männer. Homosexuelle Übergriffe werden ausgeklammert. Und das, obwohl ein ehemaliger Bundeswehrarzt zum Schluss des Artikels erklärt: "Bei den ganz überwiegenden Fällen, mit denen ich in meiner militärpsychiatrischen Praxis mit sexuellen Übergriffen zu tun hatte, handelt es sich um Übergriffe von Mann zu Mann."

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Weniger geschönt ist der Artikel zu Techtelmechteln und Selbstbefriedigung ("Bitte nicht stören") unter Bundeswehrangehörigen im Auslandseinsatz. Ein 42-jähriger Fallschirmjägerfeldwebel erklärt (anonym), er habe seine ganze Festplatte voller Pornos, weil das Netz im Ausland nicht verlässlich funktioniere. Und wenn doch, dann seien Sexting und Camsex eine gute Möglichkeit, mit dem weit entfernten Partner für "Triebabfuhr" (wie es weiter vorne im Artikel heißt) zu sorgen. Was man hier noch lernt: Treten Soldaten-Paare gemeinsam einen Auslandseinsatz an, bekommen sie mit Glück einen privaten Container. Hier wird das Heft für Nichtsoldaten tatsächlich zum Aufklärungs-Heft.


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Dr. Sommer goes Bundeswehr

Im Psychotest ("Welcher Typ bist du?") fragt sich der Leser nicht, ob er lieber zur Luftwaffe oder Marine will, sondern ob er auf Sexdates steht oder doch eher etwas Festes sucht. Und in Bravo-Manier geht es auch weiter. Der Aufmacher zum Thema Diversity ist nicht das neue Staffelbild von Modern Family, sondern der LGBTQ-Cast des Magazins. Das Erklärstück zu Geschlechteridentitäten und Beziehungsformen erinnert optisch an den Anfang einer Foto-Lovestory: Wer wie mit wem. Schade, dass das Warum hier keinen Platz hat. Statt der Geschichte der Protagonisten gibt es Statistiken und einen kurzen Lexikoneintrag zum Beziehungsmodell. Wie ist es für den schwulen Hauptfeldwebel Philipp Hoffmann in der Bundeswehr? Oder für Oberstleutnant und Trans-Frau Anastasia Biefang? Fortsetzung folgt? In diesem Fall sehr gerne.

Eine Fortsetzung ist gewissermaßen auch der Artikel mit der Überschrift "Rausziehen reicht nicht" – die Fortsetzung des Aufklärungs-Unterricht aus der Grundschule. Spirale, Gummi oder Anti-Baby-Pille: das Verhütungs-ABC wird mit netten Anekdoten, etwa zu Krokodilkot (nicht ratsam) als Verhütungsmittel, komplettiert.

Fazit

Die Bundeswehr hat ein OK-gemachtes Aufklärungsheft veröffentlicht. Hätte sie neben Infos zu Geschlechtskrankheiten, Verhütungsmethoden und Diversity auch noch Aufklärung in den eigenen Reihen – Stichwort Pfullendorf und Bad Reichenhall – betrieben, wären wir durchaus bereit, unseren Beziehungsstatus zur Bundeswehr nochmal zu überdenken.

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