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Rap/Rock/Rave—Der Teufelspakt zwischen Steve Aoki und Linkin Park

Passiert das wirklich oder ist das nur ein Alptraum? Ein Gespräch mit Mike Shinoda von Linkin Park über ihr neues EDM-Projekt.

Vor drei Wochen erreichte mich eine E-Mail von Linkin Parks Presseagenten mit einem YouTube-Link und einer Pressemitteilung, die ich nicht gelesen habe. Der Titel war „DIE NEUE SINGLE VON STEVE AOKI UND LINKIN PARK LÄSST WELTEN KOLLIDIEREN".

Ich bin natürlich direkt nach Hause gegangen, um meine Lieblingsshirts in einen Koffer zu packen und geduldig auf die vier Reiter der Apokalypse zu warten, die mich hinab in die Hölle zerren würden. Denn schließlich konnte diese unheilige Allianz aus Rap-Rock und Festival-EDM nur bedeuten, dass die Ankunft des Antichrists kurz bevor steht. Aber nach ein oder zwei Stunden Däumchen drehen sah ich aus dem Fenster und die Vögel zwitscherten noch immer und die Blätter fielen noch immer anmutig vom Himmel. Also habe ich meinen Laptop angemacht, mir eine Limo aufgemacht und mir angesehen, wie der Sänger von Linkin Park mit Aoki auf die Bühne springt, um eine berührende Darbietung ihrer neuen Single live aus Tokio abzuliefern.

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Aoki macht dabei sowas wie einen YMCA-Tanz, wenn er nicht gerade damit beschäftig ist, so zu tun, als ob er Knöpfe bedient. Mike Shinoda—Sänger von Linkin Park und Gegenstand des heutigen Interviews—packt es so sehr, dass er zum Crowdsurfen ansetzt, aber, wie es scheint, im letzten Augenblick von einem Security-Typen zurückgehalten wird. Der andere Kerl von Linkin Park rappt eilig ein paar Zeilen, nachdem er das Publikum wiederholt mit Rufen wie „Jump!" und „Make some noise" angefeuert hat. Die YouTube-Kommentare unter dem offiziellen Video reichen von Schmähungen wie „Linkin Park und Steve Aoki haben sechs Monate daran gearbeitet und trotzdem ist es immer noch total scheiße" bis hin zu Nonsens wie „Das ist Dubstep, Linkin Park haben sich verkauft" und den obligatorischen Verteidigungsaufrufen wie „Wenn ihr echte Fans wärt, würdet ihr euch nicht darüber beschweren, sondern Linkin Park unterstützen".

Das ganze Video ist ziemlich merkwürdig und Low-Budget, aber das ist eigentlich auch nicht überraschend. Wie so viele andere kommerziell ambitionierte Musiker sind Linkin Park auf den Zug aufgesprungen und folgen der Massenwanderung an Fans, die sich vom Rockkonzert-Modell ab- und einem weitaus intensiveren—und lukrativeren—EDM-Festivalerlebnis zuwenden. Als ich nun eine Mail von Mike Shinodas Leuten bekommen habe mit der Anfrage, ihn zu interviewen, habe ich mir sofort ausgemalt, wie es wäre, ihn euch zynischen Lesern öffentlich vorzuführen.

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Unglücklicherweise war er total nett und eloquent. Ich bin zwar nicht gerade der Überzeugung, dass Linkin Park & Steve Aoki das sind, was die Welt braucht, aber Mike Shinoda bringt einige stimmige Punkte über Rap-Rock und Rave an, und merkt an, dass er lieber laut daneben greift, als leise und ohne Charakter zu zeigen.

THUMP: Ihr habt jetzt also diesen EDM-Track mit Steve Aoki gemacht. Wie ist es, mit ihm zu arbeiten?
Mike Shinoda: Genau. Also als der Track Formen annahm, hat Steve mir eine E-Mail geschrieben und gesagt „Gestern bei den Grammys habe ich eine Menge Interviews gegeben und du kannst dir nicht vorstellen, wie gerne ich allen gesagt hätte, dass ich mit Linkin Park zusammenarbeite!" Er hat aber nicht ein Wort darüber verloren—das ist Professionalität. Viele andere Leute hätten das sofort getwittert oder so, aber Steve weiß es einfach besser. Manchmal braucht es eine Weile, bis ein Song fertig ist und man will in der Zeit niemandem den Mund wässrig machen für etwas, das er eine Weile noch nicht haben kann.

Ich habe in einem Interview gelesen, dass Steve gesagt hat: „Oh mein Gott, Linkin Park sind meine Helden."
Es ist verdammt cool, so eine Wertschätzung von Elektro-Künstlern wie Steve entgegengebracht zu bekommen. Wir bringen bald ein Album nur mit Remixen raus und eine Menge der involvierten Leute sind schon länger Linkin-Park-Fans. Ich habe den Eindruck, dass viele Leute, die Rock-Fans waren oder zu welchen geworden wären, sich nun in Richtung elektronische Musik entwickelt haben. Das ist für die eine ganz andere Umgebung und Szene, aber für mich gibt es da auch offensichtliche Verbindungen.

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In eurem jüngsten Interview hast du so was gesagt wie „Es gibt etwas sehr Punk-Rock-mäßiges an der EDM-Herangehensweise"—denkst du, das ist Teil dieser Anziehung?
Absolut, denn die Idee ist in beiden Fällen DIY, verstehst du? Ein DJ braucht im Grunde nur seinen Laptop und muss wissen, wie er die wahrscheinlich sogar günstige Software beherrscht—auch wenn ich weiß, dass das nicht auf jeden zutrifft. Das ist sehr ursprünglich und extrem Punk. Das ist genauso, wie wenn man mit seinen Kumpels eine Band startet, sich billiges Equipment kauft und einfach loslegt. Und so haben diese Jungs angefangen.

Die Sache bei Leuten wie Steve ist, dass seine Arbeitsauffassung extrem ist. Vor kurzem hat er fünf Shows an zwei Tagen gespielt, für uns ist die Vorstellung einfach nur Wahnsinn, weil es bei uns ganz andere Voraussetzungen gibt. Wir haben eine so aufwändige Produktion, mit einer riesigen Crew, und können unmöglich zwei Konzerte am Tag oder drei an zwei Tagen spielen. Es wäre kaum möglich, das ganze Zeug so schnell von einem Ort zum anderen zu schleppen. Er hingegen muss da einfach nur mit ein paar Leuten auftauchen.

Genau, einfach den Laptop in die Tasche packen und hinfahren.
Richtig.

Glaubst du, Dance Music gehört die Zukunft? Glaubst du, dass die ganzen Rocker da aufspringen?
Es gibt genug Platz für alles. Als Musikfan hat man nicht nur Lust oder Energie auf drei Alben oder, sagen wir, 20 Singles im Monat. Es ist immer die Frage, was gerade spannend ist. Ich habe kürzlich einen Blogeintrag verfasst, es handelte sich um eine Antwort auf einen anderen Blogeintrag mit dem Titel „Rockmusik heutzutage ist langweilig und deprimierend." Im Grunde habe ich dem zugestimmt und erklärt, dass ich das Gefühl habe, dass Rockmusik im Moment viel mehr Innovation und Spannung braucht. Die Leute müssen ihren Horizont erweitern, aber sie sind so fokussiert auf ihre Fans, dass sie keine Songs mit anderen Leuten aufnehmen oder nicht mal mit ihnen auf Tour gehen wollen. Niemand will etwas mit dem anderen zu tun haben. Aber der Rest der Musikwelt tut genau das und daraus resultiert ein kreativer wie finanzieller Gewinn.
Ich versuche zu verstehen, warum die meisten Rockmusiker nicht aus ihrer Komfortzone kommen und mal über den Tellerrand blicken wollen. Auch wenn es sich am Ende scheiße anhört, lieber greife ich laut daneben, als leise zu sein und nichts zu versuchen.

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Eure Kollaboration habt ihr das erste Mal im Rahmen einer Live-Show in Japan präsentiert. Glaubst du, dass ein EDM-Konzert anders ist als eine Rock-Show? Gibt es da eine andere Energie?
Das glaube ich auf jeden Fall. Zum einen glaube ich, dass es einfach vielmehr auf das Drumherum ankommt als bei einer Rock-Show. Wenn du nur den DJ und sein Equipment auf der Bühne hast und sonst nichts, hat das einfach nicht dieselbe Wirkung, wie wenn eine ganze Rockband auf einer Bühne steht. Diese hat vielmehr Energie, selbst in ihrer einfachsten Form, aber um eine Show auf die Beine zu stellen, muss die Rockband Techniker bezahlen und Massen an Equipment ranschaffen, während der Elektromusiker alles für LED-Bildschirme und so ausgeben kann. Wenn man zu einem Festival mit elektronischer Musik geht, bekommt man etwas visuell extrem Beeindruckendes geboten.

Eine andere Sache ist, dass die Zuschauer nicht unbedingt auf den Künstler konzentriert sind. Sie machen ihr eigenes Ding, ganz im Gegensatz zur Rock-Show, wo die Leute auf jeden Fall genau beobachten, was auf der Bühne so passiert.

Es gibt auch mehr Drogen auf EDM-Shows.
Da würde ich wahrscheinlich nicht widersprechen (lacht). So wild das auch klingt, so war es doch schon immer. Ich kann nur nicht sagen, ob es heute weniger Drogen gibt als früher, denn als ich im College war und zu Raves ging, war es wirklich total verrückt. So verrückt habe ich es heute noch nicht erlebt. Andererseits bin auch hauptsächlich zu Raves gegangen auf denen viel Jungle und Hardcore Techno gespielt wurde, und das war sowieso etwas aggressiver. Die Leute waren total drauf—nicht nur auf Drogen—sie waren einfach, ähm, potenziell instabil. (lacht)

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Die ganze Umgebung war ein bisschen angsteinflößend.
Ein bisschen, ja. Ich habe es geliebt, aber ich hätte dort nicht leben können.

Hast du dir Korns Dubstep-Album angehört?
Ja.

Würdest du sagen, dass es die Art und Weise, wie ihr elektronische Musik in eure eigenen Platten integriert, beeinflusst hat?
Naja, beide Bands haben das davor schon unabhängig voneinander gemacht. Wenn du dir den ersten Song auf Hybrid Theory anhörst, dann wirst du feststellen, dass wir eher Elemente aus Jungle und Hip-Hop benutzt haben—beides nicht unbedingt die Stile, die wir im Moment integrieren. Aber bis dahin war es auch ein konstanter Weg. Jemand anders hat mal zu mir gesagt, wir hätten schon immer elektronische Stilmittel in unserer Musik gehabt, bis jetzt waren sie nur sehr im Hintergrund. Mittlerweile sind die Gitarren mehr im Hintergrund hinter den elektronischen Anteilen, im Mix wurde das quasi umgedreht. Wenn man sich Hybrid Theory anhört und Elemente hört, die nicht von Live-Instrumenten stammen, fragt man sich „Woran erinnert mich das?" Und es ist fast immer Elektro und Hip Hop.

Also ist es fast ausschließlich eine Frage der Aufnahme und des Abmischens?
Jetzt wird es ein bisschen philosophisch: In unserer Musik gab es schon immer sehr viele Spuren. Nehmen wir die White Stripes zum Beispiel, bei denen gibt es eine Gitarre, Schlagzeug und Gesang. Da ist es nicht so schwer zu entscheiden, was man dominanter abmischt, denn es klingt immer gut, egal was man lauter macht. Wenn du aber eine Band bist wie wir—und wir haben immerhin sechs Bandmitglieder und viele Schichten an verschiedenen Sounds—dann musst du im Mix sehr behutsam sein. Du kannst nicht einfach alles aufreißen, das würde sich scheiße anhören. Du musst dich auf eine Hierarchie der verschiedenen Elemente festlegen, und im Laufe der Zeit haben sich unsere Geschmäcker eben verändert und andere Sounds sind in den Vordergrund geraten.

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Auf Hybrid Theory sind die Gitarren und das Schlagzeug sehr laut abgemischt und ein paar Alben später sind die elektronischen Parts eben etwas mehr aufgedreht. Tatsächlich haben wir anfangs auch damit experimentiert, die Spuren von unserem Bassisten lauter zu machen, was lustig war, denn das haben wir auf dem ersten Album nicht gemacht. Beim letzten Album haben wir jetzt die elektronischen Elemente lauter abgemischt und die anderen Elemente treten in den Hintergrund. Es kann sein, dass wir das auf dem nächsten Album auch wieder umdrehen. Man wird sehen.

Es gibt auf dem neuen Album eine Menge an Kollaborationen. Kannst du etwas über einige davon sagen?
Da gibt es eine ganz schöne Bandbreite, von Datsik und KillSonik bis zu Money Mark und ein paar Rap-Features von Pusha T und Bun B. Ich habe es wirklich sehr genossen, mit verschiedenen Leuten zusammenzuarbeiten—und bei manchen habe ich mich komplett rausgehalten und sie einfach ihr Ding machen lassen. Andere wiederum wollten richtig kollaborieren, also habe ich auch etwas dazu beigetragen, und herumexperimentiert. Außerdem habe ich selber auch zwei Remixe gemacht.

Gab es mit einigen auch lustige Zeiten im Studio?
Das meiste wurde über weitere Distanzen hinweg fertiggestellt, weil die meisten oft unterwegs sind. Es gab also viel Austausch von Files und so—manchmal habe ich mich aber auch mit den Leuten getroffen. Ich erinnere mich da zum Beispiel an Datsik, den wir trafen, als wir in Cleveland waren und seine Show besucht haben. Es ist erfrischend mit Leuten, die jünger sind, rumzuhängen—Leute, die gerade erst anfangen, so viel Aufmerksamkeit zu bekommen und einfach in einer anderen Phase ihrer Karriere und bei Musik generell sind.

Warst du auch in Steve Aokis berüchtigter Garderobe?
(lacht) Tatsächlich war ich das nicht. Wir haben uns in Tokio getroffen und ich bin ein paar Mal mit ihm abgehangen, aber nie wirklich bei Shows.

Was war der größte Spaß, den ihr jemals Backstage mit einem anderen Musiker hattet?
Normalerweise geht es bei Linkin Park Backstage eher ruhig zu, oft sind unsere Familien dabei und da soll es eher entspannt ablaufen. Außerdem fällt es uns schwerer, uns auf den Auftritt zu konzentrieren, wenn Chaos herrscht. Als Jay-Z sein Album The Blueprint III veröffentlicht hat, hat der Rolling Stone mich gefragt, ob ich für sie bei der Release-Party den Reporter machen und Sachen twittern will oder so. Mir war damals nicht bewusst, dass zum Ritual vor der Show gehört, ein Glas Patron-Tequila und ein Glas Ace of Spades-Schampus zu kippen. Danach habe ich zu unserem Management gesagt: „Wir müssen das machen, was Jay macht, das ist super." Eine nette Art, eine Show zu beginnen.

Macht ihr das jetzt vor jeder Show?
Eigentlich denke ich, es ist doch gut so, wie es ist, und habe kein Problem damit, das wegzulassen.