FYI.

This story is over 5 years old.

Words

„Dieses Freundschaft-Heimat-Verbundenheits-Ding“—Die Nachtdigital-Dokumentation ‚Escape To Olganitz‘

Eines der schönsten, kleinen Festivals im Land—liebevoll auch ‚Nachti‘ genannt—bekommt seinen Dokumentarfilm. Wir sprachen mit einem der Filmemacher darüber.

Das Bungalowdorf in Olganitz: Wo sich Schaf und Hase Gute Nacht sagen—bis auf das eine Wochenende im August.
Alle Fotos: © Nous Film

Die Sache mit Festivals ist ja die: Hat sich erst einmal ein Lieblingsfestival herauskristallisiert, dann wird es nicht lange dauern, bis es über seine ursprünglichen Kapazitäten hinauswächst, bis sich das Gefühl von Unbeschwertheit und Intimität verliert—und die saufenden Massen da sind. Dass es auch anders geht, zeigt ein kleines, aber feines Festival in Sachsen: Inmitten der Dahlener Heide findet die Nachtdigital jährlich Ende Juli, Anfang August statt, ein 3.000 Gäste fassendes Festival in einem früheren Bungalow-Feriendorf aus DDR-Zeiten—und in jedem Jahr ist es lange vor dem ersten Set ausverkauft.

Anzeige

Und obwohl die Nachfrage nach Tickets für dieses familiär geführte, im-weitesten-Sinne-Technofestival in Olganitz von Jahr zu Jahr stark steigt, bleibt sich das Veranstalterkollektiv seiner Linie treu: Gefeiert wird nur mit diesen 3.000 Menschen—auch wenn andere Veranstalter angesichts steigender Fixkosten und Künstlergagen auf der einen und zu erwartende Mehreinnahmen auf der anderen Seite ihre Fluttore mit Euro-Zeichen in den Augen wohl längst geöffnet hätten.

Diese unaufgeregte Haltung findet sich nun auch in einer ebenso unaufgeregten, sehenswerten Dokumentation der Filmemacher Philip Zeller, Yves Kasten und Florian Fischer, die die ‚Nachti'-Familie in den Jahren 2010 und 2011 mit der Kamera begleiteten. Entstanden ist ein 72-minütiges Portrait eines Festivals am Weiher, das sich durch liebevolle Dekoration, substanzielles Booking, moderate Preise und eine freundschaftliche Atmosphäre gegenüber seinen Gästen einen enormen Vertrauensvorschuss und international einen guten Ruf erarbeitet hat—wenn auch als Geheimtipp.

Mit zahlreichen Interviews, Foto- und Videoaufnahmen aus Privatarchiven und neu gedrehtem Material zeichnet Escape To Olganitz die Entwicklung des Festivals nach—vom DIY-Rave Anfang der Neunziger in einem Kornspeicher bei Luppa über die ersten improvisierten Festivalausgaben bis zur Nachtdigital in ihrer heutigen Form. Wir sprachen mit Yves Kasten über den Film, der ab August auf DVD erhältlich sein wird.

Anzeige

Trailer: Escape to Olganitz

THUMP: Wieso überhaupt eine Dokumentation über das Nachtdigital? Warum ausgerechnet dieses kleine Festival in Olganitz?
Yves Kasten: Im Frühling 2010 habe ich Philip [Zeller] kennengelernt. Der studierte damals zusammen mit Jan Ziegner und Katrin Steiger in Weimar und wollte schon immer mal einen Dokumentarfilm machen. Jan macht seit über zehn Jahren das Grafikdesign für's Nachtidigital, der hatte vorher schon in Leipzig als Grafiker gearbeitet. Der hatte dann Philip von dem Festival, der familiären Atmosphäre und wie's da so läuft erzählt. Philip wurde dann neugierig und überlegte sich, darüber einen Dokumentarfilm zu machen.

Ohne vorher dort gewesen zu sein?
Einfach nur von den Erzählungen her …

Hattet ihr vorab eine konkrete Vorstellung im Kopf, welche Geschichte ihr erzählen wolltet? Ich stelle mir das schwierig vor, etwas noch nicht Erlebtes zu fassen zu versuchen.
Wir kannten Fotos vom Festival, wussten also in etwa, wie's dort aussieht. Und vor Drehbeginn haben wir uns auch mal dort im Bungalowdorf getroffen und uns das alles vor Ort angeschaut. Im Dezember 2010 waren wir dann bei den ersten Teammeetings, um das ganze Team mal kennenzulernen und einfach die Kamera draufzuhalten. Es gab damals auch noch keinen wirklichen Leitfaden. Wir wussten ungefähr, was wir transportieren wollten—dieses Freundschaft-Heimat-Verbundenheits-Ding: Dass das Festival so ist, weil die Leute so sind. Und dass die Leute so sind, weil sie das Festival immer noch so zusammen machen. Die wohnen zwar mittlerweile teils über ganz Deutschland verteilt, treffen sich aber immer noch regelmäßig, um wichtige Meetings abzuhalten. Wir sind also drauflosgegangen, der Film hat sich ganz final erst im Schnitt formiert. Wir hätten die gleiche Geschichte auf verschiedene Art und Weise erzählen können. Szenen, die für sich eigentlich total schön sind, im Gesamtkontext aber nicht mehr passten, sind dann rausgeflogen. Wir waren dann am Ende sehr froh, dass sich das, was wir uns vorgestellt hatten, auch tatsächlich formiert hat.

Anzeige

Wie muss man sich den ersten Dreh vorstellen, wenn in Sachen Festivalbesuch alles doch noch recht neu für euch war?
Ab Dezember 2010 haben wir den Dreh begonnen, das ging bis Abbau des Festivals im August 2011—das war die Drehphase. Vor dem eigentlichen Festival waren wir schon eine Woche lang vor Ort, haben den Aufbau begleitet und immer wieder Interviews geführt—mit den Teammitgliedern, oder mit dem Fischbudenmann. Der war zum Beispiel eine Spontanaktion: Wir sind mal vom Gelände runter, in die Umgebung gefahren. Die Bude war zu dem Zeitpunkt unbesetzt, wir haben ihn dann dahinter irgendwo gefunden und spontan um ein Interview gebeten. Deshalb, weil bei vorangegangenen Interviews mit Künstlern und Mitarbeitern immer mal wieder die Fischbude erwähnt wurde. Dadurch dass wir schon vorab vor Ort waren und den Aufbau begleiteten, war das letztliche Festivalerlebnis gar nicht mehr so Knall auf Fall, so überraschend: Es hat sich alles gefunden, was die Tage vorher so passiert ist. Der Eröffnungstanz wurde beispielsweise täglich geprobt. Wir wussten also, was uns erwartet. Und dann hieß es: Kamera und Festival erkunden gleichzeitig. Das Abschlussset von Dixon war für mich beispielsweise besonders: Ich kannte ihn vorher nicht, wusste auch nicht, dass das letzte Set was besonderes ist, stand mit der Kamera auf der Bühne und hab' dieses Besondere dann beim Blick durch das Objektiv auf jeden Fall auch wahrgenommen. Nach Drehschluss brauchten wir dann erst mal 'ne Verschnaufpause, haben alles ruhen lassen und sind dann in den Schnitt gegangen.

Anzeige

Festival-Closing 2011: Dixon spielt die damals

neue 12" von The Rapture

, die da gerade mal eineinhalb Tage draußen ist—und alle drehen durch.

Eigentlich macht man eine Dokumentation ja nur, wenn man in einem Thema schon tiefer drinnen ist, einen gewissen Erfahrungshorizont hat—oder kommen von Leuten, die schon ganz lange in einer bestimmten Szene drin waren. Wie war es für euch drei, da so unbefangen ranzugehen?
Wir sind sehr blauäugig rangegangen. Florian [Fischer] und ich haben schon lange Dreherfahrung, aber der redaktionelle Part hat uns im Vorfeld tatsächlich gefehlt. Auch Philip, der die Idee hatte, war nie Redakteur und hatte die Idee auch nicht sehr weit ausgearbeitet. Wir haben uns eigentlich nur rangehangen, aus einer beobachtenden Position draufgehalten. Gerade die Vorbereitung im Vorfeld hätte uns auch viel Arbeit während den Dreharbeiten sparen können: Wir haben insgesamt 35 Interviews geführt, davon sind sieben, acht im Film. Interviews, die im Vorfeld besser hätten ausgearbeitet werden können, unter dem Gesichtspunkt: Was will man von den Leuten eigentlich wissen? Man will ja weder nichtssagende Interviews noch Dopplungen.

Wusstet ihr vorab denn, wen ihr aus welchen Gründen sprechen wollt, oder müsst?
Wer interessant ist und wer definitiv rein soll, das war von Jan vorgegeben. Oder besser gesagt: Er hat die Familienstruktur erklärt und hat uns da beraten. Es war klar, dass Daniel Stefanik und Gabor [Schablitzki, alias Robag Wruhme], Leo und Michel eine tragende Rolle spielen würden—weil sie sowohl Künstler sind, als auch Teil der Nachtdigital-Familie. Mit Dixon und Âme hatten wir im Backstage nach dem Set auch ein Interview, aber die waren dann auch zu durch, das wäre inhaltlich nicht so interessant gewesen. Es war eine Mischung aus geplanten und sehr spontan geführten Gesprächen.

Anzeige

Vom Zelt in den Weiher: 2 Minuten. Vom Weiher zu den beiden Floors: 30 Sekunden.

Die Dokumentation erschien 2014, zur 17. Ausgabe der Nachtdigital—eigentlich würde man das ja zu einem Jubiläum erwarten …
Eigentlich war geplant, den Film viel früher fertig zu haben. Dadurch, dass keiner von uns das hauptberuflich machte, dass wir alles selbst finanzierten und dass Flo und Philip noch studierten und in der Diplom-Endphase waren, hat sich der Schnitt enorm hingezogen. Zwischenzeitlich war das Ganze dann als Diplomarbeit angefacht. Und dann wollten wir eigentlich auch noch ein paar Filmfestivals mitnehmen—von denen aber keines unseren Film aufnehmen wollte. Damit haben wir ein komplettes Jahr und auch Geld verloren. Lustigerweise haben wir dann eine Anfrage des Trieste Film Festival bekommen, die den Film im Januar 2015 gezeigt haben.

Wo du schon von Geld sprichst: Mal über Crowdfunding nachgedacht?
Das hätten wir wohl schon gerne gemacht, wir haben's nur nicht gebacken bekommen. In der Postproduktionsphase wurde das Ganze Thema konkreter, als es an die DVD-Produktion, um Musiklizenz- und GEMA-Kosten ging. Als wir da diese fixen, großen Summen sahen, die auf uns zukommen werden … Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir mit Crowdfunding Erfolg gehabt hätten, aber der Zug war irgendwann einfach abgefahren.

Jetzt gibt's also eine Dokumentation über ein Festival, das jedes Jahr nur 3.000 Gäste besuchen können. 2011 dauerte der Ticketausverkauf noch zwei Tage, 2012 ca. 17 Stunden, 2013 nur noch vier. Die Nachfrage nimmt sowieso von Jahr zu Jahr zu, war das vorab ein Thema? Dass es dem Festival gar nicht so dienlich sein könnte, wenn noch mehr Gäste—trotz der fixen Kapazitäten—kommen möchten?
Die Frage stand immer im Raum. Aber erstens können die Nachtdigital-Leute auch durch den Film nochmal stolzer auf sich und ihre Leistung sein, das will man natürlich auch über die enge Community hinaustragen. Das hat der Gruppe auch nochmal komplett neuen Schwung mitgegeben, manche haben geheult, als sie den Film zum ersten Mal sahen. Filmpremiere, im Winterloch, zwischen zwei Festivals—dass wir denen sie selber gezeigt haben, das hat viel neuen Antrieb gegeben. Zweitens haben wir gemerkt: Wir sind mit dem Thema und dem Film eine Nische. Die Frage ist: Wieviele Leute, die noch nicht auf der Nachtdigital waren, kaufen sich den Film bzw. gucken die DVD—und wollen dann dort hin? Das ist ein ganz kleiner Teil. Wenn wir mehr als 1.000 DVDs verkaufen, dann bin ich sehr, sehr glücklich. Und wir werden nicht im Handel stehen, bei Saturn oder Media Markt …

Anzeige

Das hat man beim Bar25-Film Anfangs auch nicht gedacht
Richtig, aber die Bar25 ist von Anfang an ein viel größeres Label gewesen als das Nachtdigital, gerade international. Lustigerweise sagte das neulich auch ein Journalist von der Groove: Dass er das Festival gar nicht kannte, nach der Pressevorführung aber richtig Lust hatte, dort mal hinzugehen. Aber darum ging es natürlich: Die Lust zu wecken. Und die meisten Leute sagten uns: „Nachdem wir den Film geguckt haben, haben wir richtig Bock, tanzen zu gehen."

Escape To Olganitz, Nous Film, 2013, DE (EN UT), 72 Min., DVD

Folgt Walter auf Twitter: @wwwacht

**

Folgt THUMP auf Facebook und Twitter.

Wie entsteht eigentlich eine Schallplatte? Neun Dokumentationen zur Vinyl-Produktion

Die ganze Geschichte der Vinyl-Produktion—vom Master bis zur fertig geschnittenen Platte.

Video: Weber—„somehowalovesong"

Mit dieser Art von Kraut-Techno holt man zwar keinen Raver vor die Funktion One, aber am Rauschen kann man ja auch wahre Freude finden.

Video: Timoka—„Comer"

Schwarz und Weiß zu Grau gemischt—Timoka schwebt frei zwischen den Polen Techno und Electronica, House und Kling-Klang, Bass und Bassmusik, Melodie und Rhythmus, Couch und Dancefloor.