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„Die Musikwirtschaft braucht nicht noch mehr Männer in den gleichen Strukturen”

Lisa Steinhäuser ist DJ und Major-A&R. Die Industrie samt der noch immer vorherrschenden Benachteiligung von Frauen kennt sie also von allen Seiten.
Fotos: Natalie Mayroth

Frauen sind in den Chefetagen von Unternehmen selten anzutreffen. Auch das Musikbusiness hat da weiterhin Nachholbedarf. Nicht umsonst verwandelt sich das Harry Klein in München diesen April wieder ins Marry Klein: Einen Monat lang legen ausschließlich weibliche DJs auf; Workshops, Lesungen, Diskussionen u.w. werden veranstaltet. Aber was ist mit den Plattenfirmen? Lisa Steinhäuser ist hier eine Pionierin. Im Rheinland geboren, ist Lisa alias Liza in der Münchner Club Szene rund um das Harry Klein groß geworden. Heute lebt die 28-Jährige in Berlin und ist eine der bislang noch wenigen weiblichen A&Rs in der deutschen Musikindustrie.

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Davor war Lisa Product Managerin für international erfolgreiche House-Veröffentlichungen, heute sucht sie tagsüber bei einem Major-Label nach Künstlernachwuchs. Nachts ist sie DJ. Und wenn dazwischen noch Zeit bleibt, zeigt sie in Workshops von Aura.Karma.Anders Frauen, wie man mit Platten auflegt. Lisa kennt das Geschäft also von allen Seiten. „Als Frauen müssen wir, selbstbewusster sein", sagt sie. Ein Gespräch über Frauen in einem Männerbusiness, das Nachtleben zwischen München-Berlin und einem Leben, das sich voll und ganz der Musik widmet.

Lisa, hast du erst aufgelegt oder beim Label gearbeitet?
Mit 14 Jahren hat mir mein erster Freund, der DJ in der Schule war, das Auflegen beigebracht. Er hatte 1210er und mich gefragt, ob ich Mal einen Übergang probieren wollte. Mich haben Platten und das Set-up unglaublich fasziniert.

Wann hast du als DJ angefangen?
2010 begann ich in Clubs zu spielen, doch auflegen wollte ich schon Jahre davor. Ich habe für meinen Freund oft die Platten ausgesucht, aber er hat sie dann gespielt. Irgendwann habe ich gesagt, das könnte ich auch, doch ich bin zunächst auf Ablehnung gestoßen. Es war das erste Mal, dass mir als Frau eine Grenze gesetzt wurde. Davor gab es immer ein Feld, doch beim DJing habe ich gemerkt: Hier werde ich Probleme haben. Wenn man frei von Geschlechtern denken würde, müsste die Person auflegen, die sich am meisten mit Musik beschäftigt und ein Verständnis dafür hat. Das hat man aber nicht.

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Das hat sich geändert. Du warst drei Jahre lang Resident in Münchner Clubs.
Ich bin Jahre lang auf House und Techno ausgegangen, bis ich den Austausch mit Julietta hatte, die Resident im Harry Klein war. Sie hat mich zur Newcomer-Nacht gebucht. Danach wurde ich öfter angefragt—auch in der Roten Sonne—und bin in beiden Clubs Resident geworden.

Was hat sich in der Zeit verändert?
Damals gab es wenige Role Models. Heute hast du dank der Bewegung, die gerade stattfindet, eine ganze Subkultur, welche sich mit der Gleichstellung in dem Bereich beschäftigt. Und durch das Internet hat jede den Zugang zu Netzwerken wie Female Pressure, die dir Mut geben und für Veränderung und Fortschritt sorgen.

Frei nach der Devise: fuck the pain away?
Ja. Furchtlose Frauen, die einen Weg für andere Ergebnisse haben, ist das, was eine Gesellschaft braucht. Monika Kruse, Miss Kittin, Peaches waren die DJ Vorbilder meiner Zeit, heute sind es weitaus mehr, aber eigentlich immer noch nicht genug.

Wird Frauen deiner Meinung nach heute eher das Auflegen zugetraut?
Es hat sich zum Guten entwickelt. Frauen werden als DJs akzeptiert und wahrgenommen, weil sie es sich über die Jahre erarbeitet haben und der Austausch stattfindet.

Ist dann eine Frauenförderung wie von Female Pressure, Mint, Aura.Karma.Anders. oder dem Marry-Klein-Monat weiterhin wichtig?
Sie ist es immer noch. Auch ich wünsche mir eine Welt, in der wir nicht mehr darüber reden müssen, ob man eine Frau ist oder ein Mann. Doch bis dahin ist es viel Arbeit, deshalb müssen wir die Netzwerke aufrechterhalten, damit der Diskurs stattfindet. Auch wenn das Leute nervt.

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Du hast es also durch die Vorarbeit anderer Frauen in die Branche geschafft?
Im DJ-Bereich war es so. Bei meiner Arbeit als Managerin weniger. Hier ist es immer noch härter für Frauen. Wir müssen uns öfter rechtfertigen. Aber die Branche öffnet sich. Als Frauen müssen wir stetig selbstbewusster sein. Vielleicht falle ich hin, doch es lohnt sich immer, weiter zu machen.

Und helfen Role Models dabei?
Vorbilder sind wichtig, doch du musst am Ende an dich selbst glauben und Reflexion besitzen. Man darf sich seine emotionale Intelligenz nicht absprechen lassen, das ist für Frauen meiner Meinung nach ein extrem wichtiger Punkt. Es ist ein Irrglaube, sich als Frau auf männliche Attribute zu fixieren oder sich solche erarbeiten zu wollen. Auch die Musikwirtschaft braucht nicht noch mehr Männer in den gleichen Strukturen, sondern sie braucht Vielfalt, und damit braucht sie Frauen und ihre Fähigkeiten. Vieles, was in der Branche nur unter ausschließlich männlicher Führung passiert ist, war einseitiger. Heute wird mehr überdacht und das ist Teil einer weiblichen Kompetenz.

Wie bist du beim Major eingestiegen?
Nach dem Abitur habe ich ein Praktikum gemacht, mich zur Ausbildung beworben und bin später ins Marketing gewechselt. Von der Produktmanagerin für Dance-Releases habe ich mich hin zur A&R entwickelt. Als A&R steigt man nicht sofort ein. Das bedingt viel Erfahrung aus verschiedenen Bereichen.

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Nun sind Plattenlabels ja Männerdomänen. Welche Erfahrungen hast du damit gemacht?
In leitenden Positionen sitzen oft Männer, das ist nicht nur in der Musikbranche so. Frauen arbeiten oft zu, als Assistentinnen; sind in der Promotion tätig, zum Teil auch im Marketing. In meinem heutigen Bereich gab es kaum Kolleginnen. Das hat sich verbessert, aber viele sind es immer noch nicht. Es gibt ein tolles Interview mit Róisín Murphy, die verwundert war, dass ihr Label so fortschrittlich ist und viele Frauen beschäftigt, bis sie festgestellt hat, dass die Frauen, die sie vom äußeren Blick auf das Gebäude ihres Label sah, lediglich die Vorzimmerräume der Assistentinnen war.

Ein A&R sucht Talente, die ein großes, auch weibliches Publikum ansprechen sollen. Wie kann das funktionieren, wenn nur Männer entscheiden?
Das ist ein Punkt, der immer wieder besprochen wird. Die Musikbranche hat gerade im A&R-Bereich gemerkt, dass sie auch die Stärke von Frauen braucht. Beim Prozess des Signens muss ich alle verstehen, deshalb ist es bei näherer Betrachtung für viele unverständlich, dass so viele Männer für eine männlich-weiblich gemischte Zielgruppe arbeiten.

Sind dadurch die Anforderungen gewachsen?
Nun, empathievoll und zugleich stark zu sein, ist schwer. Doch wenn das bei mir funktioniert, mache ich damit einen Bereich für andere auf. Und ich merke, dass mein Umfeld gut auf mich reagiert.

Schaust du als A&R bei der Auswahl der Musiker gezielt darauf, wen sie ansprechen könnten?
Ja. Du siehst vor Augen, was einer mit seiner Musik ausdrücken will und wen er damit ansprechen möchte. Sich in andere hineinzuversetzen, ist Teil des Berufs und erfordert Empathie. Es kommt darauf an, wie sehr die Aussage berührt. Musik kann einfach sein, etwa um Abstand zur Realität zu schaffen. Wie jemand emotionalisiert wird, kann auf verschiedenen Ebenen passieren.

Hast du auch ein Leben fern ab von Musik?
Es vergeht keine Sekunde, wo Musik nicht Teil meines Lebens ist. Manchmal sind es Atemgeräusche, die sich zu Rhythmen verdichten. Es ist die Mischung: getrieben zu sein, Musik zu konsumieren; aber auch, dass Musik mich einen durch meinen Job den Beruf in der Hand hat. Du benutzt Musik für dich, und Musik benutzt dich.

Zum Abschluss: Du bist von München nach Berlin gezogen. In beiden Städten gibt es eine große Techno- und Houseszene. Kann man sie vergleichen?
In Berlin gibt es unter DJs mehr Konkurrenz, in München ist es zentrierter. Labels wie Ilian Tape haben maßgeblichen Einfluss. Von der Qualität sehe ich keinen Unterschied. In beiden Szenen geben sich die Leute Mühe, Frauen werden gefördert. Was ich in Berlin genieße, ist, dass ich einen Tick mehr Vielfalt und mehr Subkultur habe, auch, was die Genderthematik betrifft.

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