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Ausgehen

Warum jede Nacht einen Tiefpunkt hat, an dem du alles in Frage stellst

In der sogenannten „toten Stunde“ gibt es nur eine Regel: Jetzt bloß nicht abschießen!
Passiert hier noch was? Am liebsten würdest du direkt wieder gehen! Foto: imago/Seeliger

Jede Nacht hat einen Tiefpunkt, eine Zeit, in der nichts zu gehen scheint. Die Phase, in der du leidest. Wartest. Am liebsten wieder einpacken und gehen möchtest. Wo bleiben die Geburtstagsgäste, deine Freunde? Wo der Rest vom Publikum?

Es ist dieser kurze Moment, wo du als Veranstalterin schon alle Platten gepackt, die falschen Wimpern aufgeklebt und die flachen Ersatzschuhe eingepackt hast.

Wo die Toiletten mit schwarz-weiß-kopierten Fotos aus 1970er Jahre Gay-Pornoheften und Starschnitten aus alten Bravos fertig dekoriert sind und die selbstgebastelte Totenkopf-Discokugel sich behäbig über der noch jungfräulichen Tanzfläche dreht.

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Wo du als Gast auf dein Smartphone starrst und abwesend an einem Gin Tonic nippst.

Der Club ist leer, noch. Die Zeit steht still. Die Zweifel nagen. Die Musik schlägt auf den kahlen Boden.

Meine DJ-Kollegin und ich nannten die Zeit bevor die Party losging „Die tote Stunde". Die Ruhe vor dem Sturm. Und der Sturm kam immer. Denn eine Zeit lang schmissen wir die wildesten Parties Wiens.

Mitte der 2000er Jahre waren das ausartende Feste mit Konfettiregen, chaotischen Electro-Trash-Live-Acts und endlosen Wodka-Vorräten hinterm DJ Pult. Da gab es „Das Stadel des Grauens", eine krude Mischung aus Musikanten-Stadel und Splatter-Movie, bei der wir vier Liter selbst gekochtes Kunstblut unter unser als Trachten-Zombies verkleidetes Publikum brachten. Ein andermal lautete das Motto „Christmas versus Antichrist", meine DJ-Partnerin war als weißer Unschuldsengel verkleidet, ich als teuflischer Vamp. Im Doppelpack gaben wir Jungs, die wir gut fanden, Schnäpse aus und luden sie in den Backstage ein. Stell dir vor du wirst von Engel und Teufel gleichzeitig angebaggert …

Unser Ruf verbreitete sich schnell über die Grenzen der Stadt hinaus, so dass Acts wie Frittenbude, Bonaparte oder Acid Pauli uns kontaktierten, um bei uns aufzutreten.

Aus dieser Zeit gibt es ein Video-Interview mit mir für einen österreichischen Lokalsender, der das damalige Eintagsfliegen-Phänomen Nu Rave unter die Lupe nehmen wollte. Ich war ganz vorne mit dabei, obwohl wir alle keine Ahnung hatten, was wir da erzählten. Ich dachte mir damals nur: „So muss sich das bei Punk auch angefühlt haben…".

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Das Interview:

Mein neongelber, mit dem Glätteisen gezähmter Vokuhila wird vom Luftzug der Trillerpfeife zerpustet, ein frisch tätowierter Acid Smiley prangt auf meinem Oberarm und mein Eckzahn ist als modisches Statement schwarz angemalt. Ich wirke ziemlich verpeilt und proklamiere: „Es gibt keine Grenzen, wir machen alles!"

Heute frage ich mich: Wer ist diese Frau? Das Tattoo auf meinem Oberarm verrät mir, dass es sich offensichtlich um mich handelt … Kannte sie auch ruhige Minuten?

Am Ende ist der Club doch voll und alles läuft rund … wie auf dieser Party der Autorin.

Back in time:

Schon 2006 habe ich mir viele Gedanken um das sozialkulturelle Konstrukt Party-Ausgehen-Feiern gemacht. Es war zwar mein Lebensinhalt und mein Job, doch schon damals habe ich diesen puren, stumpfen Hedonismus stark für mich hinterfragt und erkannte, dass ich das nur eine begrenzte Zeit durchziehen würde. Darüber dachte allerdings nicht am am Katertag, dem Aftermath, nach. Da betäubte ich mich schließlich mit einem Joint im Bett, bestellte im Kuschelmodus Pizza und verbannte alles Nachdenkliche aus meinen Gehirnwindungen. Nein, ich zerbrach mir in der toten Stunde, kurz bevor alles aufs Neues losging, den Kopf.

Meine Kollegin und ich hatten uns zum Ritual gemacht, in dieser Stunde, aus der oft auch zwei wurden, eine Flasche Champagner zu trinken und über das, was wir da veranstalteten, zu philosophieren.

Jedes einzelne Mal machten wir uns irrsinnige Sorgen, ob genügend Gäste kommen würden.

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Jedes einzelne Mal waren diese Sorgen vollkommen unbegründet. Die Parties waren jahrelang so überlaufen, dass sich die Gäste vor dem Eingang stauten und wir oft zwei-, dreimal am Abend Einlassstopp machen mussten.

Da konnte man fast vergessen, dass wir kurz vorher noch aufpassen mussten, uns in der Phase der gepflegten Langeweile nicht komplett zu betrinken. Das war aus vielen Gründen überlebenswichtig. Wer neben einem mehrstündigen Set schließlich noch die Band betreuen will und am Ende des Abends mit dem Clubbetreiber die Abrechnung machen muss, sollte vor allem die Kunst des Level-Trinkens uneingeschränkt beherrschen.

In Wien fuhr damals um 00.30 Uhr die letzte U-Bahn und von Monat zu Monat wurde es angesagter, immer noch ein Stück später auszugehen. Oft saßen wir so zwischen 22.00 Uhr und 01.00 Uhr neben unserer Champagner-Flasche und spielten uns neue Tracks vor, rauchten rote Marlboro (Hust!) und versuchten, cool zu bleiben.

Es war wie bei einer WG-Party oder einer Geburstagsfeier: Wenn du sagst, dass es um acht losgeht, kommen alle um zehn. Und wenn du dann beim nächsten Mal 22 Uhr als Beginn ankündigst, trudelt man erst kurz vor Mitternacht ein. So war es im Club auch.

Aber obwohl die Gäste so spät kamen, wollten viele Clubs, dass wir schon um 22 Uhr die Türen öffneten. Totaler Blödsinn. Im schlimmsten Fall hatte man dann noch einen verlebten Clubbetreiber im Nacken sitzen, der sich ebenfalls langweilte und einem prophezeite, dass heute niemand kommen würde, weil XY im Gasometer spielten und da sei danach noch eine Aftershow Party … blablabla …

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Wien ist überschaubar und zwei Events mit demselben Kernpublikum machen sich sehr schnell Konkurrenz.

Ich sah diesem Clubbetreiber in sein verwelktes Gesicht und dachte mir: „So will ich niemals enden. Irgendwann mache ich mal was RICHTIGES mit meinem Leben und höre auf mit dem ganzen Party-Mist!"

Daneben saß der mittelalte Security-Typ, der uns zum hundertsten Mal vom Traum der eigenen Kampfsportschule zusülzte, und wir spähten auf die Uhr. Wissend, dass er seit 22.00 Uhr stundenweise bezahlt wurde. Von uns.

Dann dachte ich wieder:

Am Ende geht es doch nur darum, dass sich alle besaufen, Drogen nehmen und rummachen.

Ein ewig gleicher Kreislauf.

Am Anfang sehen alle Gäste frisch geduscht aus, duften nach Jugend und Frühlingsregen und haben die Taschen prall gefüllt mit handgebügelten Zehn-Euro-Scheinen, die sie bereit sind in den Club zu werfen. Buben und Mädchen beäugen sich, lächeln sich verschämt zu und streifen sich versehentlich im Vorbeigehen.

Nach ein paar Stunden sind alle klatschnass geschwitzt und pleite. Sie reiben ihre grobmotorischen Körper aneinander, stecken sich Zungen in Körperöffnungen und verschwinden gruppenweise auf der Toilette, um auf verklebten Klodeckeln mit den nicht mehr glattgebügelten 10 € Scheinen Drogen zu ziehen. Es ist erbärmlich. Es riecht.

Trotzdem bin ich ein Teil davon. Igitt.

Klar, gibt es da die Euphorie der übergreifenden Liebe, das Tanzen, das Zelebrieren der Musik und des Moments, sich zu einem Song auf den Boden schmeißen und die ganze Welt umarmen - aber was am Ende bleibt ist doch nur der Kater und ein paar blaue Flecken.

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Klar macht es Spaß der DJ zu sein, die Meute zu füttern, zu stimulieren und zu verführen, aber was am Ende bleibt sind doch nur zerkratzte Platten und CD-Cases mit verlaufenen Playlists über denen eine Halbe Radler ausgekippt wurde…

Ist es das alles wert? Was mache ich hier?

Sollte ich nicht lieber früh schlafen gehen und morgen ganz früh einen Spaziergang machen?

Ohne Kopfweh? Dafür mit Hund? Und mit Kind?

Von Jahr zu Jahr saß ich vor jeder Party da, ließ die tote Stunde verstreichen und hörte diese wiederkehrenden Fragen in mir zu einer irgendwann nicht mehr zu verdrängenden Wolke heranwachsen, die mir immer stärker aufs Gemüt drückte. Vor drei Jahren entschloss ich mich dann dazu, den DJ-Mantel nach einem ganzen Jahrzehnt den Haken zu hängen und die Nacht gegen den Tag einzutauschen.

Denn in dem Moment, in dem der Rausch den folgenden emotionalen Hangover nicht mehr zu legitimieren scheint, solltest du einfach aufhören. Immer.

Das weißt auch der Berliner Musiker und Künstler Wolfgang Müller (Die tödliche Doris und Subkultur Westberlin 1979 – 1989). Er hat mal gesagt: „Jeder Mensch sollte drei Jahre seines Lebens feiern gehen—vielen erspart das die Therapie!"

Im Nachhinein möchte ich diese Zeit nicht missen.

Bis auf die tote Stunde. Denn die hat mich schon damals echt genervt. Wahrscheinlich weil es die einzige Zeit war, in der ich als Veranstalterin ernsthaft über das Feiern nachgedacht habe. Und das war keine so gute Idee.

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Trotzdem bin ich am Ende all den Zuspätkommern dankbar: Die tote Stunde mag mich damals genervt haben, doch für mein Leben hat sie mich doch weitergebracht.

PS: Hier noch der Soundtrack dieser Zeit:

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Sophia ist heute vegane Köchin und Kochbuchautorin.

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