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Drogen

Mein Bruder starb auf Ecstasy—trotzdem setze ich mich dafür ein, dass das fabric wieder eröffnet

Unsere Autorin verlor ihren Bruder an eine Überdosis. Jetzt erklärt sie, warum sie für eine Reform der Drogenpolitik ist—und den Erhalt der Clubs.
Nathalie and Jean-Marc. All photos courtesy of the Wainwright family.

Als Nathalie Wainwright 13 Jahre alt war, starb ihr älterer Bruder Jean-Marc. Er hatte im englischen Küstenstädtchen Skegness in einem Club Ecstasy genommen. Jean-Marc wurde 17 Jahre alt. Das Ganze geschah im Jahr 1997, zu einer Zeit, in der die britische Presse voll war mit moralischer Empörung bezüglich Rave-Kultur und Drogenkonsum. Mittlerweile sind beinahe zwei Jahrzehnte vergangen, Nathalie ist heute 33 und Musik und Club-Kultur sind zu einem großen Teil ihres Lebens geworden. Sie sieht den Tod ihres Bruders als tragischen Unfall an, den flächendeckende Aufklärung und verantwortungsvoller Drogenkonsum vielleicht hätten verhindern können—nicht die Schließung von Clubs, in denen diese Vorfälle sich potenziell ereignen.

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Als langjährige Besucherin des fabric versucht Nathalie zur Zeit, die lokalen Behörden dazu zu bewegen, den Lizenzentzug für den Club rückgängig zu machen. Dieser beruht auf dem Drogentod zweier Teenager. Vor Kurzem schrieb sie einen offenen Brief an den Bürgermeister von London sowie an Mitglieder des Islington Council, um die Berufung des fabric gegen den Lizenzentzug zu unterstützen. Im Folgenden erzählt sie THUMP, warum sie nicht glaubt, dass die Schließung des fabric die Tode im Zusammenhang mit Drogen verhindern wird, und warum sie sich für Schadensminderung und eine Reform der Drogenaufklärung einsetzt.


Wie so viele 17-jährige Jungs in den 90ern ging mein Bruder Jean-Marc zu einem Rave. Und das ausgerechnet in Skegness. Doch früher gab es dort viele Raves, hauptsächlich Happy Hardcore. Ich glaube, die Veranstaltung, die er an diesem Abend im Jahr 1997 besuchte, hieß "Helter Skelter".

In den Nachrichten wurde berichtet, dass er über den ganzen Tag eine große Menge Drogen konsumiert habe. Ich denke allerdings, jeder, der mal Drogen genommen hat, weiß, dass es eine ziemlich normale Sache ist, Drogen über einen gewissen Zeitraum zu nehmen. In diesem Club waren beinahe alle unter 18, du ahnst also, dass es ein eher zwielichtiger Club war.

Irgendwann ging es meinem Bruder schlecht und einer seiner Freunde, mit dem er dort war, flehte die Angestellten an, einen Krankenwagen zu rufen. In der Woche zuvor hatte es bereits einen Toten im Club gegeben und da das Team die Publicity nicht wollte, riefen sie keinen Krankenwagen. Sie ließen Jean-Marc 45 Minuten lang in den Armen eines ebenfalls 17-jährigen Freundes liegen. Erst als er Krämpfe bekam und seine Zunge verschluckte—sein Freund musste ihm die Zunge regelrecht aus dem Hals reißen, damit er nicht erstickte—hielt der Club [die Situation] für ernst genug, um einen Krankenwagen zu rufen, der ihn ins Krankenhaus brachte. Er kämpfte acht Stunden um sein Leben und starb am nächsten Morgen um sechs Uhr.

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Es gibt nichts Schlimmeres, als deine Eltern in den Nachrichten zu sehen—oder vom Guardian angerufen zu werden und ihnen sagen zu müssen, dass deine Eltern nicht da sind, weil sie die Leiche identifizieren müssen—während du mit einer Freundin und ihrer Mutter alleine zu Hause sitzt. Es war eine wirklich traumatische Erfahrung. Wegen der Obduktion mussten wir eine Woche warten, bis wir ihn begraben konnten. Die Beerdigung war am 17. Juni, dem 38. Geburtstag meiner Mutter. Sie hatte total vergessen, dass sie Geburtstag hatte. Durch den Stress verlor sie ein Drittel ihrer Haare. Nach der Obduktion schickten sie uns all seine Habseligkeiten in einer braunen Papiertüte. Ich riskierte nur einen kurzen Blick, doch ich sah, dass die Jeans und die Weste, die er getragen hatte, voller Blut und mit einer Schere zerschnitten waren.

„Ich denke, [die beiden Tode] waren ein wirklich sehr tragischer Unfall, genau wie der Tod meines Bruders ein tragischer Unfall war."

Ich glaube, ich war 21, als ich einige Jahre später das erste Mal ins fabric ging. Ich studierte damals in Leeds, war jedoch in London zu Besuch. Ich hatte dort die beste Zeit meines Lebens; ich habe mich einfach verliebt. Als ich letztendlich nach London zog, war ich glaube ich jeden Samstag im Club—entweder im fabric oder The End, das leider auch schließen musste. Mein Ehemann ist Promoter und DJ. Musik wurde ein großer Teil meines Lebens.

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Die Club-Welt hat sich seit dem Tod meines Bruders enorm weiterentwickelt. Es verblüfft mich daher sehr, dass ein Club wie das fabric, der solche unglaublichen Standards hatte und wirklich erstklassig bei der Risikominimierung war, geschlossen wird. Wenn es im fabric jemandem schlecht gegangen wäre, dann hätten sie sofort einen Krankenwagen gerufen—sie hätten dort keinen 17-jährigen Jungen auf dem Boden in den Armen eines anderen 17-Jährigen liegen lassen.

Ich kann es bis heute nicht verstehen.

Und ich weiß, wie schrecklich es ist, dass diese beiden Menschen ihr Leben verloren haben. Ich denke aber auch, dass das fabric alles getan hat, was sie konnten, um ihnen zu helfen. [Die beiden Tode] waren wohl ein wirklich sehr tragischer Unfall, genau wie der Tod meines Bruders ein tragischer Unfall war.

Als jemand, der einen Angehörigen durch eine Überdosis verloren hat, macht es mich wütend, dass die Tode dieser beiden Teenager als Grund für die Schließung des fabric benutzt werden. Es macht mich rasend. Die Behörden haben den Goldstandard des Clubbings geschlossen, wo sich wirklich um die Gäste gekümmert wurde. Es ist eine allgemein bekannte Tatsache, dass Großbritannien in den letzten vier oder fünf Jahren mit wirklich starkem Ecstasy und MDMA überschwemmt wurde—und das fabric hat die Leute davor gewarnt.

Einmal im Monat kam The Loop vorbei (eine Vereinigung zur Reduzierung von Schäden), um die Gäste im Chillout-Raum zu betreuen. Vor ein paar Jahren gab es die Date-Rape-Initiative. Bereits mit der Eröffnung in den 90ern wurden Besucher nach Drogen durchsucht und jegliche gefundenen Mittel, der Polizei übergeben. Sie hatten medizinisches Personal. Sie haben sich um die Leute gekümmert und eine ganze Menge getan; ich weiß nicht, was sie noch hätten tun können. Wäre mein Bruder damals im fabric gewesen, dann wäre er wahrscheinlich noch am Leben.

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Das Problem ist nicht der Club; das Problem ist die fehlende Aufklärung der Clubbesucher bezüglich Schadensminderung. Die Wahrheit lautet: Der Club hat alles getan, was er kann, um in dieser Hinsicht aufzuklären, doch sonst unternimmt niemand etwas.

Drogen sind seit Jahrzehnten Teil aller Musikkulturen; das wird sich nicht ändern. Man sollte die Leute aufklären, sie unterstützen, ihre Pillen testen, ihr Bewusstsein stärken. Wir erlauben den Leuten das Trinken, und das führt zu weitaus mehr Problemen als jegliche Droge, besonders Ecstasy. Ich meine, wie viele Leute sind schon im Zusammenhang mit Alkohol gestorben und wie viele durch Ecstasy?

— Nathalie Wainwright (@little_weasel1)September 27, 2016

Ich denke, die derzeitige Einstellung gegenüber Drogen und die damit zusammenhängende Gesetzgebung richten so viel Schaden an, dass es nicht länger ignoriert werden kann. Es ist eine veraltete Ideologie, die auf Vorurteilen beruht. Mir fällt kein Musikgenre ein, in dem Drogen keine Rolle spielen.

Wir sollten deshalb junge Menschen unterstützen und sie früher aufklären, damit sie, wenn sie größer werden und beschließen sollten, Drogen zu nehmen, wissen, was sie tun, und wissen, wie sie verhindern, dass es ihnen schlecht geht. Wir müssen sie so früh aufklären, weil junge Menschen bereits mit 16 trinken dürfen und ich mir sicher bin, dass viele von ihnen schon vorher Drogen ausprobieren. Ich denke, wir müssen einfach das Geld, das wir für die Strafverfolgung von Leuten am unteren Ende des Drogenhandels ausgeben, in Gesundheit und Wohlbefinden investieren.

Wir brauchen einfach (eine Politik der) Schadensminderung. Das ist die logische und offensichtliche Lösung.

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