Ein Versprechen: Die neuen Rockstars machen nicht EDM, sondern Post-Techno
Frenetisch umjubelt: Moderat am Samstag in der Sporthalle Hamburg | Fotos: Janto Rößner

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Moderat

Ein Versprechen: Die neuen Rockstars machen nicht EDM, sondern Post-Techno

Eine Supergroup ist gerade dabei, die nächste Evolutionsstufe des Techno einzuleiten und das Genre, das in schmutzigen Kellern und verlassenen Fabrikruinen entstanden ist, irgendwann vor 40.000 zu spielen.

Haus Auensee, Leipzig. 21.09 Uhr. Das Licht geht aus. Der Schriftzug „Moderat is a very dark show. For everyone's enjoyment please do not use any kind of flash or light for filming. Enjoy the show!" erlischt.

Vielleicht liegt es an der Dunkelheit, die selbst für eine Konzerthalle außergewöhnlich ist. Vielleicht liegt es an diesem Schriftzug, der im Subtext sagt: „Nehmt dieses Konzert ernst. Wir haben Arbeit hier reingesteckt. Ihr werden dafür jetzt etwas erleben. Versaut es nicht."

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Vielleicht liegt es daran, dass Moderat auf der Höhe ihres Schaffens sind.

Auf jeden Fall ist die Spannung im Publikum deutlich spürbar, schon bevor überhaupt eines der Bandmitglieder die Bühne betreten hat. Und als dann einer nach dem anderen seinen Platz einnimmt, passiert es: Das Publikum kreischt. Bei Gernot ein bisschen, bei Szary etwas mehr. Bei Sascha aka Apparat sehr.

Viel wurde in den letzten Jahren vom Siegeszug des EDM geschrieben — der Aufstieg elektronischer Musik in den breiten Mainstream, inklusive Auftritten von riesigen Menschenmassen und Tourneen per Learjet um die Welt. DJs seien die neuen Rockstars wurde allerorten geschrieben und derlei Texte bebildert mit Fotos von Robin Schulz, Avicii und David Guetta.

Doch EDM hat ein grundlegendes Problem: Sie funktioniert auf der Gefühlsebene nicht. EDM fühlt sich falsch an. Die Tracks sind nach dem immergleichen Muster zusammengeschraubt und werden schneller schal als eine offene Sektflasche im Hochsommer. Die Typen hinterm Mischpult wirken als wären sie ebenfalls am Computer entworfen, es fehlt jedes Menschliche. Ein paar (Millionen) Minderjährige lassen sich durch übertriebenes Synthie-Geschredder eventuell darüber über das Gefühl wegtäuschen, einer Fälschung auf den Leim zu gehen, aber auf Dauer kann das nicht funktionieren.

Avicii hat angekündigt, mit der Musik aufzuhören (Danke!), Robin Schulz wirkt wie eine von Major Label A&Rs entworfene Handpuppe, Guetta ist vollkommen durch, und Skrillex (der wenigstens ein guter Musiker ist) blickt sich schon eine ganze Weile um, in welche anspruchsvollere Richtung er sich weiterentwickeln kann.

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Ein Livegig der ausgerufenen „neuen Rockstars" fühlt sich jedenfalls einfach nicht nach einem Livegig an. Nach Rockstars schon gar nicht. Anders hier heute bei Moderat: Es ist, wie wenn eine Boyband die Bühne betritt. Oder Coldplay. Oder Depeche Mode. Die Message ist eindeutig: Das da auf der Bühne, das sind Rockstars.

Aber wie konnte das passieren? Die drei auf der Bühne sind wie immer: unauffällige Typen, deren Gesichter man sich im Vorbeigehen eher nicht merken würde. Schlichte, dunkel gehaltene Kleidung, einfache T-Shirts. Eine Bühnenshow gibt es im Grunde gar nicht—abgesehen von den Pfadfinderei-Projektionen, aber die waren ja auch schon immer dabei. Die Jungs selber machen keine Show, sie machen einfach Musik. Und die klingt seit sieben Jahren nahezu gleich.

Wieso wirkt hier also plötzlich alles, wie auf einem Depeche Mode-Konzert?

Schon als das erste Moderat-Album erschien und man noch nicht wusste, wo es hingehen würde (War das nur eine lässiges Zweitprojekt der aufsteigenden Musiker Apparat und Modeselektor?), schrieb das Groove Magazin vom „Stadionrock werdenden Ex-Techno" und verglich die Band mit Pink Floyd. Stadion-Techno—das war keineswegs despektierlich gemeint, sondern anerkennend, bewundernd. Diese Supergroup war ein Versprechen: Moderat sollten die nächste Evolutionsstufe des Techno einleiten, sie sollten das Genre, das einst in schmutzigen Kellern und verlassenen Fabrikruinen entstand, irgendwann vor 40.000 live aufführen.

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Dieses Versprechen wurde vor einer Weile gegeben, aber so langsam scheint es sich zu erfüllen. Moderat haben sich schon immer viel Zeit genommen. Jetzt spielen sie in New York, Paris, Chicago, Berlin, London. Die Tickets für die aktuelle Releasetour waren so schnell weg, dass vielerorts hochverlegt wurde. Headliner großer Festivals sind sie längst, die Lightshow und der Sound würden auch leblose Mehrzweckarenen zum Leben erwecken. Nicht, dass wir uns das wünschen, aber größere Hallen sind der logische nächste Schritt. Und auch wenn alle, die die Band vor ein paar Jahren in 500er Locations gesehen haben, aufstöhnen, letztlich ist es besser, wenn Moderat Stadien füllen, als diese Liga Chris Martin, Helene Fischer und David Guetta zu überlassen. Klar, soweit sind sie noch lange nicht. Aber sie befinden sich auf dem Weg dorthin. Und sie gehen diesen Weg — im Gegenteil zu der fälschlicherweise als neue Rockstars ausgerufenen EDM-Riege — langsam, Schritt für Schritt.

Und auch wenn alle, die die Band vor ein paar Jahren in 500er Locations gesehen haben, aufstöhnen, letztlich ist es besser, wenn Moderat Stadien füllen, als diese Liga Chris Martin, Helene Fischer und David Guetta zu überlassen.

Das Interessante an Moderat ist ja, dass sie den Weg nach oben vor allem einer Sache zu verdanken haben: ihrer Konstanz. Das einzige, was sich seit dem Debüt vor mittlerweile sieben Jahren verändert hat, ist die Frisur von Sascha Ring. Der Rest ist beständig. Beeindruckend beständig muss man feststellen, denn die Beständigkeit ist hier ein Qualitätsmerkmal. Moderat lassen sich in ihrer Idee von Musik überhaupt nicht beirren, versuchen nicht auf Teufel komm raus irgendwas zu erreichen. Sie verändern sich nur sehr moderat, richten sich nicht nach Trends, sondern zwingen diese mit viel Ausdauer auf ihre Seite. Wie in diesem Witz, Chuck Norris macht keine Liegestützen, Chuck Norris drückt die Welt weg. Moderat richten sich nicht nach dem Zeitgeist, der Zeitgeist beugt sich ihrem Diktat.

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Die Jungs machen einfach seit sieben Jahren ihr Ding: Der Sound, die Ästhetik (in Bezug auf Plattencover ebenso wie auf die Liveshow), das Herangehen an elektronische Musik als Band — live und auf Platte — alles von Anfang an klar definiert. Moderat haben sich in zehn Jahren kaum verändert und sie waren ja schon mit dem ersten Album erfolgreich. Nur sind sie jetzt mit der selben Musik noch erfolgreicher. Man könnte auch sagen: Moderat bleiben beständig, aber der Rest der Welt verändert sich. Er erkennt so langsam an, mit wem er es zu tun — eben mit der ersten Post-Berlin-Techno-Stadionband. Den Depeche Mode der Rave-Generation. Den Erben des 90er-Techno, des Loveparade-Wahnsinns, und damit auch den Erben des Stadionrocks, der sich längst durch-, aus- und totgespielt hat.

Bisher sind Moderat, was dieses Erbe angeht, ziemlich allein auf weiter Flur. Die Auftritte von stadionfüllenden DJs á la Avicii, Guetta oder Schulz zählen nicht, denn ein ganz entscheidender Unterschied macht Moderat zu einem echten Erlebnis: der Bandcharakter. David Guetta steht auf der Bühne, drückt einen Knopf und ein auf die Millisekunde vorbereitetes Set verschafft den Massen die Illusion, etwas zu erleben. Aber es ist eine Illusion. Und weil das jeder irgendwie spürt, knallt man sich am besten die Rübe mit chemischen Drogen voll, damit man sich später an nichts erinnert.

Das gilt natürlich ebenfalls für den Knopfdrücker auf der Bühne.

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Bei Moderat dagegen ist das Erlebnis Rausch genug. Klar ist auch hier die Show—gerade wegen der aufwändigen Projektionen—genau ausgetaktet, aber die Musik ist live. Diese Show ist keine Illusion, sie ist echt. Sie kann schief gehen, sie kann außergewöhnlich gut funktionieren, es ist halt Rock'n'Roll. Nur eben mit anderer Musik. Wie in den Achtzigern, als alle Welt Gitarrenmusik hörte und Depeche Mode mit beständiger Arbeit ihren elektronischen Gegenentwurf platzierten. Heute hört alle Welt R'n'B und HipHop, ab und zu durchlaufen noch ein paar Zuckungen den toten Körper der Rockmusik und Moderat etablieren ihre elektronische Musik. Und bauen ihre Stellung auf einem sicheren Fundament mehr und mehr aus.

Dieses Fundament ist ihre Authentizität. Moderat entspringen der Berliner 90er Techno-Geschichte. Der Sound, aber vor allem die Geisteshaltung ist subtil immer präsent. Ein Beispiel: Die Band lässt sich bei Konzerten niemals von vorne anstrahlen. Das Spotlight kommt immer von oben. Abgesehen von der einzigartigen Ästhetik sagt das auch: Die Gesichter sind nicht wichtig. Die Musik ist es, der Live-Aspekt, aber nicht die konkreten Personen. Faceless-Techno 2.0. Der Gegenentwurf zu den von Ghostwritern getragenen EDM-Stars, deren Gesichter wichtiger sind als die Musik.

Bei Moderat zählt zuerst die Musik. Mit

„Bad Kingdom" haben sie inzwischen diesen einen Überhit, diesen Instand Classic, den man auch in 20 Jahren noch hören wird. Aber sie haben auch jede Menge kleinerer Hits, Lieblingslieder der Fans. Und sie beweisen eine bewunderswerte Vielseitigkeit — trotz des klar definierten Stils: Es gibt Ausrastertracks wie „Animal Trials", es gibt Klassiker wie „Rusty Nails", es gibt Pop-Hits wie „Reminder". Es gibt heimliche Lieblinge wie „Let in The Light" und es gibt Balladen wie „Damage Done".

Bei Letzterem holten beim Konzert in Leipzig große Teile des Publikums ihre Feuerzeuge raus. Willkommen im Mainstream.

Klar, da muss man kurz schlucken. Aber es gibt aktuell kaum ein besseres Live-Erlebnis als ein Moderat-Konzert. Sie zeigen, dass elektronische Musik den Rock tatsächlich ablösen kann. Und zwar dann, wenn sie echt ist, live gespielt wird, ein Erlebnis bietet und nicht wie die Riege der EDM-Stars auf billiger Effekthascherei aufbaut, die spätestens beim dritten Mal zu Tode langweilt. Moderat gelingt es, Gefühle beim Publikum zu triggern. Ist doch toll, wenn die Masse das auch spürt. Bei Depeche Mode im Olympiastadion wurden auch die Feuerzeuge gezückt. Damals habe ich das genossen.

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