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DJ Kicks

Heroin, Ficken und Penner Fotografieren—DJ Koze im Interview

DJ Koze hat uns EDM, Humor und Ricardo Villalobos erklärt.

Der Schlaf hat mich noch in seinen Fängen, als ich vor dem Büro von Pampa Records ankomme. Ich bin nicht sicher, was von dem Szenario hier Traum ist und was Realität. Ich stehe in einem Hof, vollgestellt mit buntem Zeug aus Indien. Orangene Tücher verhängen den Abendhimmel. Ein dicker Händler verkauft den indischen Nippes für absurde Preise an Kreuzberg-Touristen. Als ich ins Treppenhaus komme, suche ich vergeblich nach einem Schild. Alles ist hier auf einmal grau, eng und dunkel. Die Stufen werden nicht weniger. Bin ich schon vorbei? Irgendwann finde ich die Tür zum Büro. DJ Koze sagt zu meinem Interview-Vorgänger „Noch dreißig, dann hab ich's geschafft". Ja, stimmt, eine halbe Stunde habe ich bekommen. Ich komme in den Interview-Raum und sehe überall nur Kinderspielzeug. Hinter dem Fenster auf der anderen Straßenseite üben sehr dünne Ballett-Tänzerinnen eine undurchschaubare Choreografie. Was ist los mit mir? Ich soll jetzt DJ Koze zu seiner DJ Kicks-Compilation befragen und bin immer noch nicht richtig wach.

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THUMP: In welcher Situation sollten wir deine DJ Kicks-Compilation hören?
DJ Koze: Ficken.

Was?
Du bist doch von der Vice, oder? Also dann Heroin, ficken und Penner fotografieren … Nee, mir ist das eigentlich egal. In meiner Wunschvorstellung ist das eine CD, die du abends oder nachmittags bei einem Glas Wein reinlegst, die schnell in die Gänge kommt und dich dann in eine komische Stimmung reinzieht. Im besten Fall kannst du das im Hintergrund laufen lassen; aber du kannst auch mit Kopfhörern entdecken, wie viel Liebe drinsteckt, dass jeder Übergang eine Idee hat. Ich habe versucht, etwas zu machen, das über mehrere Genres geht und dabei immer die gleiche Grundfarbe behält. Das war nicht so ganz einfach.

Die Compilation wird zusammengehalten von Soul, aber was ist das eigentlich, Soul?
Schmerz und Dreck. Und Harmonie. Soul hat auch immer eine ganz bestimmte Form von Akkordfolgen. HipHopper wie Madlib schaffen es, da ihre Brüche reinzubringen. So entsteht Soul. Der herzöffnenden Harmoniefolge steht immer eine raue, melancholische Seite gegenüber. Oder nimm Homeboy Sandman. Diese Leute bedienen sich der alten Soul-Samples, aber bereichern das mit ihren eigenen Sachen: abgefuckte Beats, schrottige Produktionen, die dich bewegen, obwohl sie nicht akkurat und perfekt sind—wahrscheinlich gerade deswegen. Perfektion im Soul ist die totale Hölle.

Und wie kriegst du es hin, unperfekte Musik zu produzieren?
Zum Glück bin ich kein guter Musiker (lacht). Ich habe aber Freunde, die ihre Instrumente perfekt beherrschen und richtig genervt sind, weil sie wissen, was richtig ist, welche Töne in der Akkordfolge kommen müssen. Die haben echte Probleme, ihre Routine aufzubrechen, interessante Musik zu machen, oder einen Song runterzustrippen auf zwei, drei Töne, mit denen sie das Herz berühren.

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Warum ist es dir so wichtig, Musik auf wenige Elemente zu reduzieren?
In unserem von Over-Pollution-Signal-Gekreische-Alarm-Social-Network-People überkomprimiertem Wahnsinn sehnst du dich nach Angeboten, die leer sind, runtergestrippt auf die Essenz. Angebote, die dich nicht noch extra belasten. Auf jedem Ast sitzt doch ein Affe und schreit mir nochmal irgendwas ins Gehirn, das ist Wahnsinn.

Wenn jemand Ruhe in den Zirkus bringt und dir diese Ruhe übergibt, stehst du da und denkst dir nur: „Ahhh, danke! Jetzt kann ich mich mal eine Stunde auf nur drei Zutaten konzentrieren."

Das ist zur Zeit eher ungewöhnlich, oder?
Ja, das erlebe ich in meinem Auflege-Trott. Die Aufmerksamkeitsspanne hält nur 30 Sekunden, dann muss der nächste Klimax kommen. Die erfolgreiche elektronische Musik ist gerade eine reine Aneinanderreihung von Orgasmen.

Du meinst EDM?
Ich glaube, das muss alles so kurz und schnell sein, weil die Leute einfach nicht mehr können. Die werden mit Torten und Nebel und Wasserpistolen beschossen. Die Leute werden abgeschossen, weggenagelt, mit diesem überproduzierten EDM-Signalwahnsinn. Wie in einem Porno.

Ich war mal in Singapur und habe im kleinen Raum gespielt, nebenan war ein 19-jähriger Produzent aus LA im Big Room, den ich davor noch nie gesehen hatte. Da war alles vorchoreographiert. Man merkte, das mit den Mixes kann nicht stimmen, er hatte die Hand ja überhaupt nicht am Rechner.

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Die dürfen ja auch nicht selbst mixen, weil sie sonst die Lichtshow durcheinanderbringen würden.
Genau. Die wirklich nette Promoterin vor Ort hat mir das auch ganz gut erklärt: Leute, die da zum Feiern hinkommen, arbeiten hart und gehen danach in den Club. Sie saufen los und dann wollen sie nach einer Stunde, dass es knallt. Und da gibt's nichts mit Aufbau und Warm-Up. Die wollen durch die Tür kommen und sagen: „Genial, hier regnet's Konfetti." Und das halten sie eine Stunde durch. Sie bekommen dann noch Sekt von der Bühne ins Maul gespritzt und dann gehen sie nach Hause, schlafen. Die wollen, dass es knallt und interessieren sich eigentlich auch nicht für die Musik.

Und die Produzenten?
Ja, die sind halt auch ziemlich jung und haben vielleicht wirklich Bock auf diese Musik—und der Erfolg gibt ihnen recht.

Glaubst du wirklich, dass die das mögen?
Ja schon, ich glaube nicht, dass die zynisch sind. Die stehen dahinter. Es ist ja auch so: Wenn du Erfolg hast, hinterfragst du das auch erstmal nicht. Sehe ich ja auch bei mir. Ich frag mich nicht: „Kann es sein, dass die alle scheiße sind?" Nein, ich denke: „Ich bin das Medium. Ich spreche zu den Leuten. Ich spreche ihnen aus der Seele. Sie sind alle zufrieden und glücklich." So denkst du dir das als Künstler zurecht. Aber bei mir stimmt das eben auch.

Haha, ok. Damit sind wir beim Humor … Gibt es Situationen, in denen du denkst: Jetzt aber mal lieber ernst bleiben?
Ja klar! Besonders, weil ich ja auch immer wieder auf meinen Humor angesprochen werde, habe ich manchmal überhaupt keine Lust mehr, witzige Sachen einzuweben. Deinem Kollegen Oliver Götz hab ich vorher gesagt: An der Frage nach meinem Humor manifestiert sich eher die Humorlosigkeit der anderen.

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Hat das mit der Technoszene in Deutschland zu tun?
Nee, das hat mit Deutschland zu tun. In England komme ich an, man macht einen Witz, versteht sich und es entwickelt sich sofort ein Gefühl der Nähe. Ganz viel von der Fassade fällt ja mit einem guten Witz schon ab. Die ganzen Federn, mit denen wir uns schmücken, sind weg. Das haben wir hier nicht.

Aber stößt du mit deinem Humor nicht Musiker wie Ricardo Villalobos vor den Kopf, die ihre Kunst ernst nehmen?
Nein! Ich finde ja nicht witzig, was ich mache. Ich will auch nicht rumalbern in meiner Musik, das hasse ich. Meine Arbeit nehme ich wahnsinnig ernst, und das wird auch jeder merken, der sich damit beschäftigt. Ich glaube auch nicht, dass Ricardo sich so ernst nimmt. Eher hält er uns mit seinem ganzen Lebensstil unsere eigene Ernsthaftigkeit vor Augen. Wenn er wieder so einen halbstündigen Jam mitschneidet und uns alle von diesem 3-Minuten-Popzwang befreit, das ist schon ein großer Beitrag. Find ich gut.

Ja, stimmt. Herzlichen Dank für das Gespräch und viel Erfolg mit der Platte.

Hier könnt ihr DJ Kicks von DJ Koze vorbestellen.

Stream via Kraftfuttermischwerk.