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ausweg dj-dasein

Ich habe in einer DJ-Schule den schnellen Weg zum Erfolg gesucht

Z-Promis und Ruhmsüchtige lernen hier die Griffe, die ein echter Star-DJ braucht.
Wer berühmt werden will—oder wie Oliver Pocher umschulen muss—geht zur DJ-Schule | Foto: Imago

Jede Generation hat ihre Träume von Ruhm, von Erfolg und von was auch immer man sonst so noch so träumen kann. Als kleiner Pöks wollte ich eigentlich immer Rockstar werden, habe Gitarre spielen gelernt und mir vorgestellt, wie ich im gleißenden Scheinwerferlicht Soli performe. Kurzer Spoiler: Ist dann letztendlich nichts daraus geworden. Nun wurde mir vor Kurzem etwas klar: Nur weil der eine Weg zur Berühmtheit nicht funktioniert hat, heißt das noch lange nicht, dass ich nicht berühmt werden kann. Als DJ, weltberühmter DJ—um genau zu sein—, könnte der Weg zu all den schönen Dingen und Adjektiven, von denen ich so tagträume, mir offen stehen.

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Denn mal ganz ehrlich: Was Oliver Pocher, Michaela Schäfer und dieser komische Typ mit dem hässlichen Bart und den langen Haaren (Steve Aoki, Anm. d. Redaktion) können, sollt ich wohl ganz locker auch hinkriegen.

Meine über lange und harte Jahre des Studiums der Geisteswissenschaften antrainierten Reflexe zwangen mich nun, zunächst den Sachverhalt zu googeln. Die Autovervollständigung schien zu wissen was ich wollte, die angezeigten Ergebnisse hingegen waren mir dann doch ein wenig zu uneuphorisch. Von den Schattenseiten des DJ-Daseins wurde da berichtet: kaum Sozialleben, Konsum großer Mengen an Alkohol, laute Musik. Ich bitte euch, ihr Nörgler, ich wollte wissen wie ich schnell an an Fame und Macht komme, nicht so was.


Auch auf THUMP: Backstage bei den "Göttern des Gabber":


Bei Youtube sah das etwas positiver aus, aber so richtig etwas anfangen kann ich mit dem, was mir da erzählt wird auch nicht. Wie soll ich denn die ganzen technischen Tricks ausprobieren, während ich am Schreibtisch vor meinem PC sitze? Dann sehe ich die Lösung: Es gibt DJ Schulen in Berlin, gar nicht mal so wenige.

Während ich noch darüber nachdenke und sogar auf einen SPIEGEL-Artikel zum Thema stoße, habe ich wie schlafwandlerisch schon die erste Seite aufgerufen und mich für einen Schnupperkurs angemeldet. Immerhin wird hier mit einem jungen, dynamischen und erfahrenen Team geworben, die Eierlegendewollmilchsau unter den Teamkonzepten. Als meine abgesendete Kontaktanfrage mit einem "YEHAA!" von der Website kommentiert wird, ist mir klar, dass ich jetzt bloß noch einen 45-minütigen Kurs von meinem Aufstieg in die höchsten Höhen des DJ-Ruhms entfernt bin.

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"Das kennst du aber, oder?" Ich überlege, während er immer wieder das Intro anteast, dann dämmert's mir.

Sieben Tage später ist es dann soweit, ich stehe in den Räumlichkeiten, in denen ich die nächste Dreiviertelstunde versuchen werde, möglichst viele Tricks und Kniffe des DJ-Handwerks in mich aufzunehmen, um dann ganz fix berühmt zu werden. Zunächst muss ich aber ganz klassisch ein Formular ausfüllen, wer ich bin, was ich so mache, welche Vorerfahrungen ich habe und was für Musik ich mag. In dem in Weiß gehaltenen Raum ist außer mir und meinem Lehrer niemand—aber gut, welche coolen DJs hängen auch um 13 Uhr auf einen Dienstag irgendwo anders als im Bett ihrer Groupies ab? Richtig, keine. Ich in Zukunft dann ja auch nicht mehr.

Im Hier und Jetzt machen wir aber zunächst eine kleine Führung durch die Räumlichkeiten. Mir werden die unterschiedlichen Setups präsentiert, hier Controller, dort CD-Spieler und die übliche Serato-Plattenspieler-Kombination. An dieser werde ich mich dann auch ausprobieren dürfen. Ob ich sowas denn schon mal gesehen hätte, fragt mein Lehrer. Auf dem Formular habe ich "keine Vorerfahrungen" angegeben. Ok, das war gelogen, mit Traktor habe ich ein- zweimal herumgespielt.

Ich gestehe und wir behandeln also direkt die Unterschiede zwischen Traktor und Serato sowie die Feinheiten des Letzteren. Farben zum Beispiel, die in der Wellenformdarstellung des Tracks die Tonhöhen angeben oder auch zum Sortieren der Musiksammlung verwendet werden können. "Meine Sammlung ist viel zu groß", sagt mein Lehrer. Kein Wunder, er ist ja erfolgreicher DJ.

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Er spielt mir zum Beispiel seine Warm-Up-Tracks vor—kenne ich nicht, klingt aber nach Tech-House—, seine Charts-Sachen—kenne ich nicht, klingt aber nach Tech-House—und House—wieder Tech-House. Alle hat er in unterschiedliche Farbkategorien eingeteilt hat, um im Handgemenge schnell drauf zugreifen zu können. Mein Unbehagen scheint ihm aufzufallen, er spielt etwas Anderes an. "Das kennst du aber, oder?" Ich überlege, während er immer wieder das Intro anteast, dann dämmert's mir: "Klar! 'It's getting hot in here…'—das ist Nelly!" Super, ich fühle mich jung und dynamisch weil ich einen vierzehn Jahre alten Hip-Hop Track erkenne. Zumindest damals war ich auf der Höhe der Zeit.

Fünf, sechs, sieben, acht … und los! Ich treffe den Einsatz perfekt, Adrenalin flutet meinen Blutkreislauf.

Nach diesem kurzen emotionalen Hoch, darf es dann auch mal praktisch werden. Wo ich die Platte denn zum Anhalten anfassen würde, fragt mein Lehrer. Ich bin mir zunächst nicht sicher, ob ich die Frage verstehe und zögere. Um dann aber seinem stechenden Blick auszuweichen entscheide ich mich, auf volles Risiko einfach irgendeine Stelle zu nehmen. "Na hier, gegenüber der Nadel, damit ich nicht auf die drauf haue", sage ich und lasse meine Hand auf den laufenden Plattenteller fallen. Nichts bewegt sich mehr.

Ein bisschen gefühlvoller sollte ich das schon machen, rät mein Lehrer, immerhin müsse ich bloß die Slipmat anhalten. Woraufhin er mir kurz erklärt, was es denn mit diesem Fachterminus auf sich hat: Unter der Platte liegt eine aus irgendeinem Stoff bestehende Matte—nach dem Angrabschtest tippe ich auf Filz oder so—, die es erlaubt die Platte zu stoppen, ohne deren Motor anzuhalten. Na toll, hätte ich das mit zwölf Jahren gewusst, hätten meine Eltern jetzt einen Plattenspieler mehr.

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Nachdem ich den Beweis erbringe, dass ich die Platte auch gefühlvoller anfassen kann, geht es los: Wir loopen einen Track. Mein Reich für diese Übung erstreckt sich, weil ich Rechtshänder bin, über den rechten der beiden Plattenspieler. Die Rechte liegt, gefühlvoll auf neun Uhr, die Linke geht überkreuz zum Startknopf und drückt. Acht Zählzeiten, die mein Lehrer zu meiner Verwirrung Takte und nicht etwa Viertel nennt, läuft meine Seite—dann cuttet er mit dem Crossfader auf seine Seite. Während nun also seine Seite unserer hybriden Mensch-Platten-Loopmaschine läuft, versuche ich hektisch zurückzuspulen, punktgenau auf dem Anfang anzuhalten—zielen kann ich dank der auf dem Monitor angezeigten Wellenform ganz gut—um dann rechtzeitig wieder loslassen zu können.

Vor meinem inneren Auge sehe ich mich: Die Zähne in die, leicht aus dem rechten Mundwinkel hängende, Zunge vergraben—fünf, sechs, sieben, acht … und los! Ich treffe den Einsatz perfekt, Adrenalin flutet meinen Blutkreislauf. In diesem Zustand des Hochgefühls vergesse ich, rechtzeitig zurückzuspulen und verkacke den nächsten Einsatz.

So geht das ganze ein Paar mal hin und her, bis mein Lehrer von meinen offensichtlich sehr krassen Skills beeindruckt genug ist, um mir das nächste bisschen Verantwortung zuzugestehen: "Jetzt musst du cutten!" Panik macht sich in meinem Brustkorb breit. Da musst du jetzt wohl durch, Sören, sage ich mir. Ich atme tief durch und versuche den Groove von eben wiederzufinden.

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Mein Lehrer versucht mich mit Komplimenten aufzuheitern. Ob ich schonmal ein Instrument gespielt hätte, ich würde das ja ganz gut machen.

Die Rechte fällt grazil wie ein Walross auf den Plattenteller, nichts bewegt sich mehr. Beim Cutten und Loslassen, erklingt dann dieses distinktive Beschleunigungsgeräusch der Platte. Wuahhhwooowhuuu, so ungefähr. In meinem Kopf flüstert die Stimme meines Lehrers: "Gefühlvoller, Sören, gefühlvoller"—und ich will zurückschreien: "ICH BIN DOCH GEFÜHLVOLL, DU SPATEN!" An meiner Frustrationstoleranz müsste ich wohl etwas arbeiten. Der Cut auf seinen Plattenspieler klappt deutlich besser.

Jetzt konzentrieren, meine Platte zurückspulen, anhalten und fünf, sechs, sieben, acht; cutten und loslassen, möglichst gleichzeitig. Es funktioniert; ein Lächeln huscht über mein eben noch vom Stress gezeichnetes Gesicht. Nach ein Paar weiteren, im statistischen Mittel erfolgreichen Versuchen, wechseln wir die Plattenspieler. Mit der Linken fühle ich mich irgendwie noch ungeschickter, komme aber auch hier langsam in den Groove.

Mein Lehrer versucht, mich mit Komplimenten aufzuheitern. Ob ich schon mal ein Instrument gespielt hätte, ich würde das ja ganz gut machen. Ich gebe zu, dass ich mal Gitarre gelernt habe (und ein paar andere Instrumente, will aber nicht zu viel von mir preisgeben). Man merke mir das Rhythmusgefühl an, heißt es. Auf meine Nachfrage, wie sich das denn bei ihren Schülern sonst so gestalte, antwortet er, dass bei gut 60% zunächst Rhythmus trainiert werden müsse. Ich male mir aus, wie eine Gruppe angehender DJs—für die Frauen unter ihnen gibt es hier übrigens Extra-Kurse gibt—ausgestattet mit Klanghölzern den Viervierteltakt übt. Schon wieder muss ich lächeln.

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Ich merke jedoch, dass ich an der äußeren Grenze meiner Multitaskingfähigkeit angekommen bin, und allein der Kommunikationsversuch führt dazu, dass ich den nächsten Cut verkacke.

Jetzt sei ich bereit für den krönenden Abschluss: ganz alleine loopen und cutten, mit beiden Plattenspielern. Blitzartig materialisieren sich Schweißperlen auf meiner Brust. Glücklicherweise habe ich einen Pulli über, denke ich mir, auch um mich vom aufkommenden Gefühl der Panik abzulenken. Aber gut, mit großer Macht kommt große Verantwortung—ich und mein Rhythmusgefühl müssen jetzt beweisen, was wir draufhaben.

Erstaunlicherweise klappt es ganz gut, die Linke schwächelt beim Plattendrehen erwartungsgemäß ein bisschen, aber in acht Zählzeiten schafft sie es doch meistens, wenn nicht, warte ich einfach nochmals weitere acht. Das sei kein Problem, meint mein Lehrer, da müsse man improvisieren können. Ich versuche auf den Kommentar zu reagieren, merke jedoch, dass ich an der äußeren Grenze meiner Multitaskingfähigkeit angekommen bin, und allein der Kommunikationsversuch führt dazu, dass ich den nächsten Cut verkacke. Den internen, darauf folgenden Wutanfall lasse ich mir nicht anmerken und groove mich ein—zu meinem Erstaunen.

Während ich so vor mich hingroove, wechselt mein Lehrer nebenbei die Tracks, die ich spiele. Ich komme mir richtig gut vor—und auch ein wenig erfolgreich. Dann ein Blick auf die Uhr: "Das wär's jetzt hier soweit, wir können jetzt noch mal über die Kursangebote sprechen", sagt er.

Ich würde mich für's erste Mal schon ziemlich gut schlagen, muntert er mich auf, da wäre sicherlich was zu machen. Insbesondere mit dem dreimonatigen Kurs "Flexible Hobby DJ", das wären vier Unterrichtseinheiten pro Monat, für knapp 160€ pro Monat. Machbar wäre das, sagt er, während ich in meinem Kopf durchrechne, auf wie viele Abende in der Bar ich verzichten müsste, um in meinem Monatsbudget Platz für diese Investition zu schaffen.

Das Ergebnis gefällt mir ganz und gar nicht und ich behaupte, dass ich mir das noch überlegen müsste. Ob sie denn einen Flyer oder so für mich hätten? Erst jetzt fällt mir der akute Nikotinmangel auf, an dem ich leide. Nach einer herzlichen Verabschiedung, und der einmaligen Zahlung von 20€ für den Schnupperkurs, trete ich vor die Tür. Mir ist jetzt klar, dass ich diese ganze DJ-Nummer doch lieber denen mit Herz für die Sache überlasse. Vielleicht hätte ich doch auf die warnenden Ergebnisse meiner Google-Recherche hören sollen.

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