Ich habe versucht, in 30 Minuten ein erfolgreicher Producer zu werden
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Ich habe versucht, in 30 Minuten ein erfolgreicher Producer zu werden

Ich hatte 30 Minuten, um ein Meisterwerk zu erschaffen und in ein neues Leben zu starten. Habe ich es geschafft? Im Artikel erfährst du es.

Ich wollte immer schon Musik machen, glaube ich. Ich träumte immer schon davon, auf der Bühne zu stehen und den frenetischen Beifall des Publikums und die Anerkennung meiner Künstlerkollegen aufzusaugen. Ich wollte immer schon meine eigenen Platten in Plattenläden kaufen. Ich wollte immer schon kurze Interviewfragen per E-Mail beantworten, statt der Typ zu sein, der sie rausschickt. Leider ist es nie dazu gekommen. Bis gestern. Gestern war der Tag, an dem ich mein Schicksal selbst in die Hand genommen und mein Leben für immer verändert habe.

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Davor gab es noch Millionen andere Gesterns, an denen meine Träume wie in einer Popcornmaschine platzten. Dabei hatte ich schon so viele unterschiedliche Versuche gestartet. Denkt nur an den gelegentlichen Klavierunterricht von meinem Großvater und den Rockband-Unterricht in den Sommerferien. Ich war sogar so weit gegangen, mir an zwei Geburtstagen hintereinander von meinen Eltern eine Gitarre zu wünschen. Die erste davon konnte ich nie wirklich spielen, die zweite war genau so schwierig. Beide stehen jetzt traurig, ungeliebt und unbefleckt im Schlafzimmer meines Bruders—ihre kaputten und verstimmten Seiten wurden zu einem Mahnmal für verschenktes Talent. Also das heißt, ich habe natürlich nie herausgefunden, ob ich talentiert bin. Aber all das wird sich ändern, entschied ich gestern.

Es war die erste Kehrtwendung meiner Ambitionen, seit ich damals im Stimmbruch erkannte, dass ich niemals der verschroben-verwegene Bassist einer Post-Hardcore-Band werden würde, der durch Provinzkäffer tourt und von der Sorte Mädchen abgöttisch verehrt wird, die Sylvia Plath lesen und „sehr intensive Gefühle" haben—denn ich selbst hatte, zumindest war das meine Wahrnehmung damals, „sehr intensive Gefühle". Hatte ich natürlich nicht. Ich war ein pubertierender Junge und alles, woran pubertierende Jungs denken, ist Pro Evolution Soccer und wann sie sich endlich wieder einen von der Palme wedeln können. Wie dem auch sei, während dieser tristen Tage meiner Jugend geschah es dann, dass ich mich von derartig kindlich-naiven Träumen verabschiedete und mich entschied, Journalist zu werden. Ich würde sowieso nie wirklich Musik machen, also war es doch nur logisch, eine Karriere einzuschlagen, die es mir erlaubte, meinen unterschwelligen Frust über diese blöden Arschlöcher auszulassen, die tatsächlich Instrumente beherrschen und die Mädchen mit den intensiven Gefühlen abschleppten. Schaut mich alle an! Nimm das, Musikwelt! Schau mich an! Ich fliege! Ich fliege über dir, verdammt!

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Absolute Konzentration … oder einfach nur verkatert?!

Da wir uns Mitte der 00er Jahre noch in der digitalen Steinzeit befanden, hatte ich nicht mal einen Gedanken daran verschwendet, einen Computer zum Musik machen zu verwenden. Klar, ich habe ein wenig mit Music 2000 rumgespielt, aber auch nur, um die White Stripes zu samplen und eine Computerstimme so klingen zu lassen, als würde sie einen Orgasmus haben. Ein paar Jahre später versuchte ich mich dann hier und da mal an Fruity Loops, bevor ich das Programm frustriert von meiner Festplatte löschte. Ich würde nie der nächste Aphex Twin werden. Ich würde noch nicht einmal der nächste Squarepusher werden.

Ich dachte eigentlich, ich hätte diese Idee für immer mit all meinen anderen unerfüllten Hoffnungen und Träumen begraben; ich dachte, die Vorstellung von mir als Musiker hätte sich ein für alle mal zu meinen Ambitionen, ein Innenverteidiger oder Ladenbesitzer zu werden, gesellt. Gestern aber stellte ich mich dieser Herausforderung. Ich würde mir ein rigides Zeitfenster geben. Ich würde in eng abgesteckten Grenzen arbeiten. Ich würde in nur 30 Minuten einen Track machen.

Das Internet ist voll von Seiten, die dich in etwa genau das tun lassen—und unterschiedlich gut darin sind. Ich entschied mich für Soundtrap. Die Seite sah ganz ansprechend aus. Hinter meiner Entscheidung steckte wirklich keine rationale Überlegung. Die Seite sah einfach nett aus. Mit 30 Minuten, einer Packung Frosties und einem Glas Wasser gewappnet, begab ich mich also auf diese transformative Reise, die mein komplettes Leben vielleicht für immer verändert hat. Vielleicht.

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§

Das war es! Ich war bereit! Ich würde einen Track machen. Alles hier sah so frisch, so jungfräulich, so rein und einfach perfekt aus, dass ein Teil von mir hier bloß nichts beschmutzen wollte. Wie könnte ich die Fähigkeiten des Geistes verbessern, fragte ich mich. Wie transportiere ich diese unendliche Schönheit, die in uns allen existiert, in etwas Greifbares, etwas Reales, etwas Hörbares? Ich war ratlos. Ich steckte fest. Eine kreative Blockade. Das war verwirrend, aber ich hatte keine Zeit, mich damit auseinanderzusetzen. Einfach machen. Ich musste einfach machen. Einfach machen. Also machte ich.

Drei Minuten waren vergangen und es lief gar nicht mal so schlecht. Ich hatte bereits einen soliden Drum-Loop gefunden, auf dem ich meinen Track aufbauen konnte. Wie sich nämlich herausstellte, hatte ich null Rhythmusgefühl und mein kurzer Versuch, die Drums selbst zu programmieren, endete in einem Desaster. Das Resultat war tatsächlich so grauenvoll, dass ich es noch nicht mal als Broken Beat hätte verkaufen können. Also vielen Dank, This Beat is Sick, für deine Hilfe. Ich schulde dir ein Bier. Also, sobald mir hier die Tantiemen ins Haus flattern, versteht sich. Dir wird im Screenshot hier oben vielleicht auch aufgefallen sein, dass Soundtrap bei mir nach dem Rechten schaute, um sicherzugehen, dass ich auch wirklich meinen Spaß hatte. Ja, ich hatte Spaß! Und wie ich den hatte! Dir sind vielleicht auch die interessanten Bookmarks in meinem Browser aufgefallen. Bookmarks können eine ganze Menge über die Persönlichkeit einer Person verraten. In meinem Fall siehst du, dass ich jugendliche Stierkämpfer und Ikea-Decken mag. Ja, ich mag tatsächlich beides.

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Wenn man Spaß hat, vergeht die Zeit wirklich wie im Flug. Ich hatte einen coolen Beat und fand dann auch noch eine schöne, Kompakt-esque Akkordfolge. Ich entschied mich dazu, einen unterkühlt-emotionalen Tech-House-Track zu machen. Das war es doch, wofür ich auf die Welt gekommen war und ich wollte sie nicht verlassen, bevor meine Mission erfüllt war, vorausgesetzt, ich schaff es bis zur Mittagspause.

Ein guter Clubtrack braucht natürlich eine fette Bassline. Man kann sich schließlich nicht nur auf das Schlagen und das Wummern einer saftigen Kickdrum verlassen. Eine auf zwei Noten bestehenden Bassline war also genau mein Ding und alle Zeichen standen auf ACID!!! Bis ich meine Meinung änderte und mich für eine Spur namens Kenny Lravitz entschied. Die nächsten 30 Sekunden versuchte ich mich dann, daran zu erinnern, wie Lenny Kravitz' Schwanz aussieht. Ausgehend davon schweiften meine Gedanken rüber zu allen möglichen anderen Pephähnen. Nur mit Hilfe eines erfrischenden Schlucks Sprudelwasser schaffte ich es, mich aus dem selbstgeschaffenen Reich der Promi-Penisse zu befreien. Für Pimmel war jetzt keine Zeit! Mein selbst auferlegter Auftrag war die Produktion eines weltweit beachteten Musikstückes.

Zehn Minuten waren vergangen und irgendwie stocherte ich noch immer im Dunkeln. Dann traf es mich wie einen Schlag. Eine Akkordfolge ist gut … zwei Akkordfolgen sind besser, oder? Und in der Tat! Das waren sie! Ich spürte, dass hier ein Hit entstehen würde und ging sofort auf Amazon, um mir eine große Toblerone und ein paar Hausschuhe zu kaufen. Ich würde schließlich schon sehr bald sehr viel mehr Geld haben, als ich zwischen all den Gigs ausgeben kann.

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Kurz nachdem die Hälfte der Zeit rum war, bekam ich es mit der Panik zu tun. Das, was ich produziert hatte, war OK, würde aus den richtigen Boxen wahrscheinlich sogar ordentlich klingen und die großen Labels würden Schlange stehen, aber irgendetwas fehlte noch, es fehlte noch der Signature-Sound. Eh ich mich versah, stöberte ich in der EDM-Abteilung und ja verdammt, ich konnte die ausrastende Großraumdisco schon klar und deutlich vor meinem inneren Auge sehen.

DIE BASSLINE! DIE DRUMS! AKKORDE! NOCH MEHR AKKORDE! DER SOUND EINES FLUZGEUGS, DAS VON EINEM HANGAR STARTET! OCHESTRALE STABS! DAS IST ES! MAMA, PAPA, ICH KÜNDIGE BEI VICE UND GEHE AUF TOUR … DAS IST ES!

Kurz bevor meine Zeit rum war, verwarf ich in einem Anflug von Feigheit die von mir selbst komponierte Bassline und ersetzte sie durch eine vorgefertigte. Ich würde ja gerne von mir behaupten können, dass ich angesichts meiner eigenen Mimosenhaftigkeit so etwas wie künstlerische Scham verspürte, aber nein. Ich wollte ein Meisterwerk erschaffen und dafür war mir jedes Mittel recht. Die neue Bassline passte einfach perfekt. Für ein paar Sekunden war ich in Ekstase. Mama, Papa, kommt zurück!

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Und dann war die Zeit rum. Das war's. Aus die Maus. 30 Minuten. Und was ist dabei rausgekommen? Nun, etwas, das in etwa so aussieht:

In diesem Moment hatte ich das Gefühl, eine neue Identität gefunden zu haben. Das hier war mein neues Ich. Von jetzt an würde ich einer dieser „Musikertypen" sein, die großzügig VIP-Plätze vergeben und nebenbei Remixes und Bootlegs raushauen—und überhaupt, mein soziales Kapital würde durch die Decke gehen. Dann hörte ich mir mein Meisterwerk noch einmal an und auch euch möchte ich es natürlich nicht vorenthalten:

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‚Verdammt, ich bin echt gut', dachte ich mir. Was für ein Monster! Jede einzelne der sechs Minuten und fünfzig Sekunden davon.

§

Seit der Fertigstellung des Songs ist jetzt schon einige Zeit vergangen und ich stehe immer noch zu ihm. Die sieben Plays auf SoundCloud sind ein Beweis für die wachsende Reichweite des Tracks und ich bin mir sicher, dass ich, sobald Michael Mayer ihn gehört hat—was jetzt jeden Tag passieren müsste—den Vertrag bekommen werde, von dem ich schon immer geträumt habe. Dieser Track ist besser, als gute 12% der Sachen, die mich tagtäglich per E-Mail erreichen.

Ich habe in diesen 30 Minuten eine ganze Menge gelernt: Ich habe gelernt, dass Geduld eine Tugend ist, dass gute Dinge denjenigen widerfahren, die vorgefertigte Loops verwenden und, vor allem, dass Musik machen wirklich sehr, sehr einfach ist. Keine Sorge, mein Debütalbum kommt bald.

Um Johns aufregende Producerkarriere weiter zu verfolgen, folgt ihr am besten auf Twitter.

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