Ich war auf dem Anti-Fyre Festival und es wurde kein Fiasko
Foto mit freundlicher Genehmigung des SXM Festivals

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Ich war auf dem Anti-Fyre Festival und es wurde kein Fiasko

Oder: Wie man auf einer Karibikinsel ein Festival mit Nina Kraviz, Black Coffee und ohne Probleme organisiert.

Dieser Artikel ist zuerst bei THUMP Canada erschienen

Mein Magen macht kleine Saltos, während unser Strandbuggy durch die hellen Straßen von Jacó heizt – einem verschlafenen Surfernest an der costa-ricanischen Pazifikküste. Es ist ein Sonntagabend Ende Februar und ich befinde mich gerade auf dem Weg zum Bamboo Bass Festival. Neben mir fahren ein weiterer Kanadier, ein paar Costa Ricaner und ein kleiner weiß-brauner Hund Namens Ground Beef mit. Die Straße ist holprig und ich halte verbissen meinen Hut und meinen Rucksack fest, damit sie nicht aus dem Buggy fliegen. Ground Beef trägt einen kleinen Soldatenhelm. Ich habe offensichtlich die falschen Klamotten eingepackt.

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Als wir unser Ziel erreichen, kommt uns schon der kräftige Sound von der La Selva Bühne entgegen, die wie ein pulsierender Bass-Tempel mitten im dichten Blattwerk des Dschungels steht. Es ist der letzte Abend des dreitägigen Festivals und das neuseeländische Dubstep-Duo Truth bringt gerade den Regenwald zum Beben. Etwa 20 Meter über unseren Köpfen, knapp unter dem grünen Dach, baumeln Akrobaten von einer Zip-Line.

Durch ihre Kombination von tropischen Locations wie Regenwäldern oder Karibikstränden mit elektronischer Musik bieten sogenannte Destination Festivals einzigartige Erfahrungen. Und da auf abenteuerlustige Veranstalter überall auf der Welt leben, gibt es neben dem Bamboo Bass auch eine ganze Reihe Events wie das BPM Festival in Mexiko und Portugal, das Electric Festival auf Aruba und das SXM Festival auf St. Martin, die an typischen Urlaubszielen stattfinden. Durch den Zustrom internationaler Touristen anziehen, können solche Festivals den dortigen Gemeinden zusätzliche Einkünfte bescheren. Hotels, Restaurants, Einzelhändler und Taxi-Unternehmen sind nur einige der Profiteure.

Angesichts des kostspieligen und beschämenden Nachspiels des desaströsen Fyre Festivals auf den Bahamas lohnt es sich allerdings, auch die Kehrseite solcher Veranstaltungen für alle Beteiligten unter die Lupe zu nehmen. Wem kommt so ein Event wirklich zugute? Sind die wirtschaftlichen Vorteile auch nachhaltig oder lösen sie sich in Luft auf, sobald die Musik verstummt ist und der letzte verfeierte Gast in den Flieger nach Hause steigt?

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Foto mit freundlicher Genehmigung von SXM Festival

Als der aus dem kanadischen Montreal stammende Julian Prince 2003 zum ersten Mal St. Martin besuchte, war Tourismus der größte Wirtschaftsfaktor des karibischen Inselstaats. Mit der Finanzkrise 2008 brach allerdings das globale Urlaubsgeschäft ein und die Besucherzahlen sanken rapide, auch auf St. Martin.

"St. Martin begann wirtschaftlich richtig zu straucheln", sagt der langjährige Veranstalter, DJ und Produzent. "Das konnte man vor allem an der Infrastruktur sehen. Alle hatten Probleme. Ich habe es gehasst, diesen Ort so zu sehen. Als ich ihn für entdeckte, stand er nämlich in voller Blüte. Überall waren Blumen, frische Farbe und die Restaurants voll mit Menschen. Deswegen war ich auch so gerne dort."

Getrieben von dem Bedürfnis, dem schwächelnden Tourismussektor unter die Arme zu greifen, entwarf er das SXM Festival – eine fünf Tage andauernde House- und Techno-Party, die gerade ihr zweites Jahr absolviert hat. Mit Black Coffee, Lee Burridge, Nina Kraviz und anderen Künstlern kamen etwa 4.000 Besucher zu der diesjährigen Ausgabe – 3.200 davon aus dem Ausland.


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Elektronische Musik ist eine gigantische Industrie, die laut des letzten Berichts des International Music Summit Weltweit 7,1 Milliarden Dollar pro Jahr einfährt. Bei aller Popularität des Genres gibt es allerdings kaum Daten darüber, wie sich solche Veranstaltungen wirtschaftlich auf die lokalen Gemeinden auswirken. Eine Längsschnittstudie der University of Central Florida hat die ökonomischen Auswirkungen eines Jazz Festivals untersucht, das alljährlich auf der Karibikinsel Curaçao stattfindet. Es zeigte sich, dass die Hotelumsätze in der Region im August, dem Monat des Curacao North Sea Jazz Festivals, höher waren als in allen anderen Monaten außerhalb der Hochsaison, die von Januar bis April andauert.

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Mit dem SXM will Prince allerdings mehr, als St. Martin bloß ein paar zusätzliche Touristen für die eine Woche im Jahr zu bescheren, von der er selbst profitiert. Er hofft, bei den Festivalbesuchern genau die gleiche Liebe für die Insel zu entfachen, die auch ihn ergriffen hat. "Wenn wir Glück haben, schafft es das Festival eine neue Touristenwelle zu kreiern, die St. Martin dann die nächsten 30 Jahre besuchen werden", sagt er.

Foto mit freundlicher Genehmigung von Bamboo Bass Festival

Genau wie Prince sagt auch Jordy Grant, Veranstalter des Bamboo Bass, dass die Motivation von seinen zwei großen Leidenschaften herrühre: die Musikfestival-Kultur und die Location, die einen hohen sentimentalen Wert für ihn hat. "Dieser Ort hat einfach etwas Magisches", sagt Grant, der Costa Rica zum ersten Mal bei einem Familienurlaub besucht hat.

Die Organisation solcher Veranstaltungen im Ausland wie das Bamboo Bass in Jacó bringe allerdings auch schier endlose bürokratische Hürden mit sich, die überwunden werden müssten, sagt der aus dem kanadischen Calgary stammende Grant. Und während die entspannte Einstellung in dem zentralamerikanischen Land für Urlauber eine willkommene Entschleunigung darstellt, kann sie die Organisation eines Festivals doch ziemlich erschweren. Lieferungen sind zum Beispiel oft verspätet. Wenn die Materialien dann endlich eintreffen, müssen die Bühnenbauer im Akkord arbeiten.

Der Ticketverkauf ist eine weitere Herausforderung. Es ist nicht gerade leicht, internationale Partygänger dazu zu überreden, sich ein Flugticket zu kaufen und entsprechend viele freie Tage freizuschaufeln, die es für ein solches Unterfangen braucht. Außerdem musst du als Festival einen vertrauenswürdigen Eindruck machen. Die potentiellen Besucher müssen erwarten können, dass sie bei ihrer Ankunft tatsächlich die beworbene Veranstaltung vorfinden. Nach dem Fyre Festival-Desaster ist das bestimmt nicht leichter geworden.

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Kosten sind eine weitere Herausforderung für Veranstalter, die Festivals in fernen Ländern organisieren. Im Fall des SXM erfordert es die schwer zugängliche Location, alle Güter und Dienstleistungen zu importieren. Das macht die Durchführung besonders teuer. "Sie haben die Materialen nicht, die wir brauchen, also bringen wir am Ende alles mit – vom Sound über Licht bis hin zu den Technikern", sagt Prince, der etwa 100.000 US-Dollar im Jahr allein für die Flugtickets seiner Crew bezahlt. Außerdem, fügt er hinzu, sei alles teurer in St. Martin, weil dort in Euro bezahlt wird – "Ein Kopf Romana-Salat kostet umgerechnet sechs US-Dollar."

Foto mit freundlicher Genehmigung von MUTEK Mexico

Auch wenn elektronische Musikfestivals gerne aufgrund ihrer wirtschaftlichen Vorzüge angepriesen werden, kommen sie bei Einwohnern und örtlichen Geschäftsinhabern nicht immer gut an – vor allem aufgrund der Drogen und in manchen Fällen auch Gewalt, die mit ihnen Einzug halten.

In Mexikos Riviera Maya Region fordern die Behörden nach der Schießerei mit fünf Toten beim BPM-Festival in Playa Del Carmen Anfang des Jahres ein generelles Festival-Verbot. Während einer Pressekonferenz nach dem tragischen Vorfall forderte eine Gewerkschaft von Geschäftsinhabern einen Stopp solcher Veranstaltungen wie dem BPM. Natürlich wolle auch der lokale Einzelhandel den Tourismus florieren sehen, aber nicht um jeden Preis, sagte Maria Elena Mata, die Präsidentin der Vereinigung. In Argentiniens Hauptstadt Buenos Aires gab es letztes Jahr ein generelles Verbot von Veranstaltungen elektronischer Musik nachdem sechs Menschen durch Drogen beim argentinischen Ableger des Time Warp Festivals gestorben waren. Im Februar wurden Events mit elektronischer Musik unter neuen Auflagen wieder erlaubt.

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Organisatoren sagen aber auch, dass das Ausmaß des lokalen Gegenwinds in der Regel davon abhängt, wie gut sich die Gäste benehmen. In Mexico City veranstaltet das aus Montreal stammende MUTEK seit 13 Jahren ohne Zwischenfälle ein Festival. Das dürfte auch daran liegen, dass das MUTEK mehr audio-visuelle Erfahrung als hemmungslose Feierei ist. "Auch wenn elektronische Musik eine wichtige Rolle spielt, definieren wir uns selbst mehr als Festival der digitalen Kreativität", sagt Festival Co-Director Pablo Del Bosco.

Natürlich lassen sich nicht alle von solchen Zugeständnissen besänftigen. Auf St. Martin zum Beispiel hat Prince einige Beschwerden von Einheimischen über den plötzlichen Touristenansturm mitbekommen. Er erinnert sich, wie er in einer örtlichen Bar saß und sich ein Mann mittleren Alters darüber ausließ, wie schwer es doch sei, während des SXM einen Parkplatz zu finden. Insgesamt würde das Festival aber sehr gut ankommen, was er auch auf das Durchschnittsalter seiner Besucher von 33 Jahren zurückführt.

Foto mit freundlicher Genehmigung von SXM Festival

Aus einer reinen Kosten-Nutzen-Perspektive heraus lohnt es sich für Veranstalter aber nur selten, Festivals an sonnigen Urlaubsdomizilen zu veranstalten. Selbst in Mexiko, wo der vergleichsweise schwache Peso dem MUTEK in die Hände spielt, macht der Wechselkurs das Unterfangen nicht zu der ökonomischen Wunderwaffe, die man vielleicht erwarten würde. Vieles dort ist natürlich billiger, aber so eben auch die Tickets.

Auch wenn solche Destination Festivals den Organisatoren nicht unbedingt die Taschen füllen, ist die Erfahrung für viele Gäste oft einzigartig und unvergleichlich. Wie häufig bekommt man schon ein paar seiner Lieblings-DJs im Dschungel zu sehen, nachdem man einen Tag im Nebelwalt oder am Strand unter Palmen verbracht hat?

Für Prince liegt die Motivation darin, einen viertägigen Non-Stop-Rave in der malerischen Wildnis einer karibischen Insel zu veranstalten und damit positiv zu einem Ort beizutragen, der für ihn einen besonderen sentimentalen Wert hat. Das ist wahrscheinlich auch der größte Anreiz für andere Promoter, die sich dann mit den ganzen Hürden rumschlagen müssen, die die Organisation eines solchen Festivals im Ausland mit sich bringen. Es ist das Verlangen, etwas an einem Ort zu machen, zu dem sie eine starke emotionale Verbundenheit spüren.

"Solche Projekte machst du nicht wegen des Geldes", sagt Prince. "Du machst sie, weil du Teil dieser Energie sein musst."

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