Kann Schlafentzug dich high machen?

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Ausgehen

Kann Schlafentzug dich high machen?

“Ein Mensch, der 24 Stunden wach ist, ist gleichzusetzen mit einer Person, die einen Blutalkoholwert von 1,0 Promille hat.”

Foto von Flickr/Hannah Alicé/CC BY-ND 2.0. Dieser Artikel ist zuerst bei Noisey Alps erschienen

Gibt es eigentlich einen größeren Spielverderber als die Müdigkeit? Wie oft kommt es vor, dass du ganz motiviert am Vormittag etwas mit Freunden ausmachst und diese Entscheidung ein paar Stunden später schon bereust, weil du dich nach deiner gemütlichen Couch und Fernsehschlafen sehnst? Kaum hast du mit hoffentlich schlechtem Gewissen deine Termine abgesagt, malst du dir auch schon deinen gemütlichen Abend mit frühem Schlaf aus. Nur um Stunden später mit folgender Realität konfrontiert zu werden: Du bleibst schon wieder zu lange wach.

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Ganz gleich, ob Koffein im Spiel war oder nicht, wenn der Mensch funktionieren muss (oder lieber will, wegen Dingen wie: Serien, Internet oder Büchern), funktioniert er – auch übermüdet. Wenn man also trotz gefühlter Müdigkeit zu Hause bleibt, um dann doch wieder ewig munter bleiben zu können, muss ich mich fragen, ob das Müdigkeitsgefühl nicht einfach nur relativ ist.

Letztens auf einer Afterhour hörte ich einen Typen sagen: "Schlafentzug ist auch so eine arge Droge, du bist so freaky wirr im Kopf!" Das erinnerte mich an ein Erlebnis, das ich im Alter von 15 Jahren hatte. Ich besuchte zu dieser Zeit die Modeschule und hatte wieder einmal durchgemacht. (Ich war schon immer eine Nachteule.) Wir hatten einen Werkstätten-Tag, was bedeutete, zehn Stunden vor der Nähmaschine zu sitzen. Es passierte ungefähr in der zweiten Hälfte des Tages und ich war gerade dabei, eine Naht aufzutrennen, da hatte ich irgendwie diesen Sekundenschlaf, der von einem Trip ähnlichen Traum begleitet wurde.

Auf einmal fand ich mich vor einem japanischen Tempel wieder und so ein kleiner sympathischer Buddha kam auf mich zu, um mir zu sagen, dass die wahren Ziele nicht immer die erkennbaren Ziele sind. Danach war ich wieder bei klarem Verstand oder bin zumindest wieder aufgewacht. Mal eine Nacht nicht pennen zu gehen, kann mitunter schon mal ganz lustig sein.

"Ein Mensch, der 24 Stunden wach ist, ist gleichzusetzen mit einer Person die einen Blutalkoholwert von 1,0 Promille hat", sagt mir Dr. Alfred Hubert Wiater, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin. Wenn ich an meine durchzechten Nächte denke und an die Leute, die ich beim Ausgehen studiert habe, stelle auch ich mir folgende Frage: Kann Schlaflosigkeit die Wirkung der Drogen beeinflussen? Oder tatsächlich high machen?

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Auf einer Afterhour habe ich Verena kennengelernt. Verena nahm und nimmt keine Drogen und feiert trotzdem tagelang durch. Zwei bis drei Nächte ohne Schlaf sind bei ihr seit letzten Juni die Regel: "Ich stell mir manchmal die Frage, ob gewisse Drogen überhaupt für Symptome wie wenig Hunger, keine Müdigkeit und Abnehmen verantwortlich sind oder ob es nicht einfach nur der Schlafentzug ist, da ich oft ähnliche Symptome wie kein Hungergefühl, keine Müdigkeit, intensivere Gefühle von Freude, Liebe und so weiter habe", sagt Verena. "Ich hab eigentlich auch selten das Gefühl, dass ich müde bin. Ich glaube, die Musik und die Menschen, die nicht schlafen gehen, lassen mich wach bleiben."

Damit sie dieses Programm durchziehen kann, erlaubt sie sich zwischendurch immer 30 Minuten lange Powernaps. Vier Tage (fast durchgehend) wach zu bleiben, ist momentan auf diesem Wege ihr Höchstrekord. Nach so einem Wochenende geht sie sonntags meistens dann schon um 19:00 Uhr schlafen und am Montag nach der Arbeit gleich wieder. "Am Mittwoch bin ich dann meistens erst wieder richtig gut ausgeschlafen", sagt sie.

Verena, 32 Jahre. Foto von der Autorin.

Wenn du unter Drogeneinfluss dem Gefühl der Müdigkeit entkommst, hat es wahrscheinlich erst recht den Anschein, dass sie relativ ist – vor allem wenn Amphetamine wie Speed im Spiel sind. Die Drogeninformationsstelle CheckIt beschreibt die Wirkung von Speed so: "Objektiv gesehen verbessert sich die Konzentrationsfähigkeit kaum und die erhöhte körperliche Leistungsfähigkeit mündet in großer Erschöpfung, während die Warnsignale des Körpers kaum mehr bemerkt werden." Obwohl der Droge oft "gesteigerte Wachheit, Unbeschwertheit, ein Gefühl erhöhter Leistungsfähigkeit und Konzentration" zugeschrieben wird, hat sie diese Wirkung also nicht wirklich.

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Trotzdem hat "nicht schlafen" natürlich seine Auswirkungen. Man ist gereizter, die eigenen Emotionen können mitunter manipuliert werden, das Immunsystem wird geschwächt und die Konzentration lässt nach. Letzteres ist für Verena allerdings wieder angenehm: "Ich fühle mich eher freier, weil ich weniger nachdenke. Ich habe das Gefühl als würden sich Blockaden lösen. Ich denke, das kommt daher, weil die Kraft fürs Denken fehlt. Gleichzeitig empfinde ich Musik und Gefühle intensiver und bin irgendwie generell sensibler."

Dr. Wiater informiert mich aber auch über die Risiken, die so ein Lebensstil mit sich bringt: "Bei länger anhaltendem Schlafmangel leidet unter anderem das Immunsystem, das Adipositasrisiko steigt, ebenso sind Herz-Kreislaufstörungen zu erwarten. Kopfschmerzen können auftreten, auch Muskelschmerzen. Schließlich entstehen Halluzinationen und weitere psychotische Symptome. Das alles hängt davon ab, ob der Körper den Schlafmangel zum Beispiel durch längeres Schlafen an den folgenden Tagen zum Teil kompensieren kann. Andernfalls ergeben sich Einschränkungen der körperlichen und psycho-mentalen Leistungsfähigkeit."

Halluzinationen hat Verena meistens nicht. Einmal dachte sie, dass sich ein Glas an einer Theke von alleine bewegen würde oder dass sie Musik hört, obwohl keine gespielt wird. Gerade diese Körperzustände machen es für Verena aber so spannend. Sobald sie aber gesundheitlich darunter leidet, würde sie diesen Lebensstil einstellen.

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"Ich fühle mich eher freier, weil ich weniger nachdenke. Ich habe das Gefühl als würden sich Blockaden lösen." – Verena über ihren Gefühl beim Schlafentzug

Wenn du schon länger freiwillig nicht schlafen gehst, solltest also zumindest vor und nach dem Munterbleib-Marathon genug schlafen: "Insbesondere nach dem Wachbleiben", wie der Schlaf-Experte Dr. Wiater betont. Nicht schlafen zu gehen schwächt deinen Körper und verändert auch den Effekt von Drogen. "Die Wirkung der Drogen wird nach Schlafentzug noch unberechenbarer und das Risiko für Nebenwirkungen, sowohl im psychischen als auch im körperlichen Bereich, steigt bedrohlich."

Ich hab mal jemanden sagen gehört, dass er am liebsten LSD nimmt, wenn er schon eine Nacht durchgemacht hat, weil sein Körper der Substanz dann so hilflos ausgeliefert ist. Dieses "freaky-wirre" Gefühl, das du durch Schlafentzug hast, ist lediglich dein Gehirn, das einfach etwas erschöpft ist. Du bist auch mitunter nicht mehr ganz zurechnungsfähig. Eine Studie in den USA hat ergeben, dass Ärzte nach 24 Stunden ohne Schlaf viel riskantere Entscheidungen treffen. Ein müdes Gehirn ist wohl nicht mehr fähig, über Konsequenzen nachzudenken – was für viele eine Menge Spaß bedeuten kann.

Und während die einen nicht zu Bett gehen, weil sie es vielleicht aufgrund des Konsums diverser Substanzen nicht können und die anderen es einfach durch weitere Drogen hinauszögern, bleibt Verena dennoch gerne freiwillig und ohne chemische Hilfe munter: "Da ich gerne auf Techno- und Goapartys unterwegs bin, ergibt sich das von alleine. Entweder die Musik ist so gut und ich will nicht heim und/oder meine Freunde gehen auf eine Afterhour oder Afterafterhour und ich werde motiviert ebenfalls mitzugehen. Da ich generell auf Dinge stehe, die nie enden, bin ich dafür natürlich anfällig."

In diesem Sinne:

*Unbedarfter Drogenkonsum kann schwere körperliche und psychische Schäden verursachen. THUMP will dich nicht zum Konsum animieren, wohl aber dazu, dass du dich, solltest du Drogen nehmen, möglichst gut darüber informierst. Alle unsere Artikel zum Thema "Safer Use" findest du hier.

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