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Keine Angst, dein Ausgehleben muss nicht aufhören, sobald du Kinder hast

Es ist ein Mythos, dass deine Zeit in Clubs komplett vorbei ist, wenn du Vater oder Mutter wirst. Wir haben mit drei Menschen gesprochen, die beides in Einklang bringen.
Eltern am Prenzlauer Berg. Ob sie am Tag zuvor in einem Club waren? Foto: imago/PEMAX

Selbst wenn du Kinder für deinen Lebensweg kategorisch ausschließt, werden sie eine Rolle in deinem Leben spielen. Zum Beispiel wenn deine besten Freunde und Freundinnen sich dazu entscheiden, ihre DNA miteinander zu vermischen. Dann ändert sich nicht nur deren Leben, sondern auch deins. Keine spontanen Kneipen-Verabredungen und auch keine Clubnächte mehr. "Maximilian ist erkältet, ich kann leider nicht", heißt es dann. So weit der Mythos, dass das Feierleben vorbei sei, wenn das erste Kind ansteht.

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Doch es geht auch anders. Es lässt sich vereinbaren, in Clubs zu gehen und gleichzeitig ein guter Vater oder eine gute Mutter zu sein. Natürlich ist es nicht mehr so einfach wie vorher, aber es geht. Glaubst du uns nicht? Wir haben mit drei Menschen gesprochen, die ihre Leidenschaft für Clubs und Auflegen nicht aufgegeben haben. Sie haben uns erzählt, wie sich das Leben mit Kind ändert und was es dabei zu beachten gilt.

Nico, 28 Jahre, studiert und arbeitet in einem Café, Tochter (20 Monate)

Wir haben bei uns nicht viele Regeln, was das Feiern angeht, aber eine lautet: Du musst lebend nach Hause kommen. Alleine und lebend, also niemand darf dich tragen. Der Taxi-Fahrer darf dich noch zur Tür bringen, aber die Treppen musst du alleine schaffen. Wenn du das schaffst, ist alles OK.

Meine Freundin und ich wissen einfach, dass es für uns nicht gut wäre, 24/7 nur für das Kind da zu sein. Man wird ja auch unglücklich, wenn man sich keine Zeit mehr für eigene Bedürfnisse nimmt. Und am Ende gibt man das dann ans Kind weiter. Wenn man niemand anderen mehr sieht, wird man irgendwann einfach irre.

Techno ist nicht mein Leben, von daher wäre es auch nicht schlimm, wenn meine Tochter das nicht gut fände.

Insgesamt geht man aber natürlich weniger weg, wenn das Kind da ist. Das Weggehen reduziert sich auf einmal im Monat oder alle zwei Monate vielleicht. Außerdem plant man mehr, sucht sich gezielt Partys raus. Wobei ich das Glück habe, dass sowohl meine Eltern als auch Schwiegereltern in der Nähe wohnen. Da kann ich die Kleine auch mal spontan abgegeben. Letztens hab ich sie zum Beispiel meinen Eltern gegeben und bin mit meiner Freundin am Sonntagmorgen ins Berghain gegangen und hab sie Nachmittags dann abgeholt. Mir war bis dahin aber auch nicht bewusst, dass das geht.

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Die Umstellung war nicht so schwierig, wie ich befürchtet hatte. Ab dem Zeitpunkt der Schwangerschaft hatte ich ein ganz anderes Gefühl. Immer, wenn sie über die Straße lief, hab ich wie ein Schülerlotse geguckt, dass sie sicher rüberkommt. Es ging gar nicht mehr um mich.

Durch den veränderten Alltag habe ich eher sehr viele Leute aussortiert, die ich dadurch kannte, dass ich früher viel weggegangen bin und aufgelegt habe. Ich hab auch oft an der Kasse bei verschiedenen Clubs gesessen, wenn meine Freunde dort eine Party gefeiert haben. Das ist dann natürlich nicht mehr möglich gewesen, als meine Freundin schwanger wurde. Deshalb hab ich mir einen Job in einem Café gesucht, da kann ich tagsüber arbeiten und meine Tochter nach der Kita sehen.

Wenn ich weggehe, zeige ich vielen Leuten auch ein Bild von meiner Tochter. Auch Leuten, die man grad erst kennengelernt hat.

Was Drogen angeht: Wir haben einen medizinischen Hintergrund in der Familie und man schwitzt einfach alles aus. Und du willst dein Kind nicht anfassen, wenn du am Tag davor was genommen hast. Kinder nehmen sowas ja auch über die Haut auf.

Generell nehme ich bedachter Drogen. Wenn ich zum Beispiel sonntags was nehme, dann bin ich montags raus, dann will ich meine Tochter lieber nicht sehen. Sowas muss man aber natürlich vorher abklären. Ich penn dann bei Freunden und bleib da auch noch am nächsten Tag. Sie fragt aber auch nicht nach mir, weil sie sich sehr früh daran gewöhnt hat, bei den Großeltern zu sein.

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Negative Reaktionen hab ich einmal im Berghain bekommen. Da waren wir um 3 Uhr nachts auf dem Klo, alle total im Arsch, und ich meinte dann, dass ich um 16 Uhr die Kleine abholen muss. Ich hab dann jemanden beauftragt sie abzuholen, was auch alles geklappt hat. Da hat sich dann jemand umgedreht und mich entsetzt angeguckt. Ich habe mich dann schon etwas geschämt, weil es offensichtlich so rüberkam, als wäre ich der schlimmste Vater der Welt. Ein paar Monate später hab ich mit dieser Person geredet und ihr erklärt habe, wie das war.

Techno ist nicht mein Leben, von daher wäre es auch nicht schlimm, wenn sie das nicht gut fände. Vielleicht interessiert es in 20 Jahren schon längst niemanden mehr. Es würde mich mehr treffen, wenn sie gar kein Interesse an Musik hätte, weil mir das schon sehr wichtig ist. Ich höre aber vor allem gerne Disco. Ich hoffe, sie findet das gut!

Wenn ich weggehe, zeige ich vielen Leuten auch ein Bild von meiner Tochter. Auch Leuten, die man grad erst kennengelernt hat. Meine Freunde erwähnen das auch gerne vor anderen Leuten, weil es für sie offenbar eine Sensation ist, dass man als Vater auch weggehen kann.

Markus, 39 Jahre, DJ, Produzent und Partner beim Oye Recordstore, Sohn (17 Monate)

"What I really do after my gigs." Markus alias Delfonic nach einem langen Tag. Geschafft aber glücklich. Foto: Scarlett Werth

Ich kann mich noch genau daran erinnern wie ich vor zwei Jahren auf der Fusion war und dort im Backstage Modeselektor traf. Ich sagte: "Gernot, wir sind schwanger!" Er legte mir dann die Hand auf die Schulter und sagte: "Markus, es wird sich alles ändern."

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Und im Endeffekt ändert sich wirklich alles. Nach der Geburt hab ich erst mal ausgesetzt, für drei bis vier Wochen. Es ist einfach eine sehr intensive und schöne Zeit, da willst du einfach zu Hause sein. Ich hab auch nicht im OYE gearbeitet. So ein Baby hat ja seinen ganz eigenen Rhythmus. Anfangs hatten wir Glück, da hat er immer bis neun Uhr geschlafen. Mittlerweile so bis acht. Aber ihn interessiert es natürlich nicht, wenn ich erst um vier Uhr nach einem Gig nach Hause komme.

Dadurch hat sich schon einiges geändert, weil man sich eben kümmern muss. Man wird disziplinierter, was das Auflegen angeht. Vielleicht sogar professioneller. Wenn ich zum Beispiel in Berlin spiele, komme ich eine halbe Stunde vor meinem Set an und danach bleibe ich vielleicht noch für ein Höflichkeitsbier oder unterhalte mich mit dem Promoter. Aber dann ist man so schnell wie möglich raus.

Wenn ich in den Club gehe, ist in meiner Jackentasche häufig noch ein Schnuller oder ein Bauklotz von ihm.

Ich trinke generell viel weniger während des Auflegens, nur noch Wodka auf Eis, keine Mischen mehr, nichts durcheinander. Das ist sonst tödlich am nächsten Tag, wenn du das Kind hast. Sowas machst du auf Dauer nicht mehr mit. Dann heißt es: Wohnung putzen, Einkaufen und Kind wickeln, egal was ist. Dann bereut man den Vorabend schon, wenn man verkatert ist. Man verliert mit der Zeit aber ohnehin die Lust, über die Stränge zu schlagen.

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Es gibt auch nur noch wenige Veranstaltungen, zu denen ich gehen will. Und dann auch am liebsten zu denen, die früh losgehen, damit ich rechtzeitig die Biege machen kann. Ich bin ja auch kein Vollzeit-DJ, hab noch den OYE usw. Da bleibt einfach wenig Zeit übrig. Manchmal gehen die Wochenenden auch komplett flöten, weil ich Gigs außerhalb von Berlin habe.

Das Baby ist unter der Woche in der Kita von 9-16 Uhr, sonst ginge das alles nicht. Und meine Frau unterstützt mich da auch total und nimmt dann auch das Kind das ganze Wochenende, wenn ich reise. Manchmal, wenn ich los muss, aber eigentlich schon mit dem Kleinen im Bett liege, denke ich: "Jetzt in einen verrauchten Club?! Eigentlich hab ich darauf keinen Bock." Wenn ich in den Club gehe, ist in meiner Jackentasche häufig noch ein Schnuller oder ein Bauklotz von ihm. Und wenn ich zum Beispiel nach dem Gig im Hotelbett liege, ist es hart. Ich schlaf mittlerweile auch schlecht in Hotels, weil ich es gewohnt bin, dass er auch im Bett liegt. Das fehlt dann krass.

Aber ab dem ersten Song ist es für mich wie Urlaub. Dann konzentriere ich mich nur auf die Musik. Das ist ein guter Ausgleich für mich. Im Moment ist es keine Option für mich, aufzuhören. Im Endeffekt brauch ich auch das Geld, eine Familie ist teuer.

Wenn man weggehen will, können die Eltern wenig machen. Da hilft es nur, offen über die Risiken, Nachteile und eben auch Vorteile zu reden.

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Ich hab meinem Sohn auch schon relativ früh meine Turntable gezeigt. Er weiß zum Beispiel, wo die Start-/Stopptaste ist beim Turntable. Oder der Fader und das Effektgerät. Einmal hat er eine Platte aus dem Regal gezogen und auf den Plattenspieler gelegt. Es hat aber nicht funktioniert, weil der Deckel drauf war. Ich hab in den letzten Jahren auch Kinderplatten für ihn gesammelt. Räuber Hotzenplotz und Grimms Märchen zum Beispiel. Die kriegt er dann natürlich, wenn es passt.

Wenn er später Bock hat und ich dann noch auflege, würde ich ihn auch mitnehmen, um ihm auch zu zeigen, was es für mich bedeutet. Aber ich kenn das auch von mir früher: Wenn man weggehen will, können die Eltern wenig machen. Da hilft es nur, offen über die Risiken, Nachteile und eben auch Vorteile zu reden. Noch sehe ich das entspannt, mal gucken, wie es mit der Pubertät ist. Vielleicht wird er auch total der Sesselpupser und Spießer …

Claudia, 53 Jahre, arbeitet in einer Agentur, Tochter (26 Jahre)

Ich bin schon zu Zeiten weggegangen, als man Clubs noch Diskotheken nannte, Anfang der 80er Jahre. In Berlin, wo ich geboren bin, bin ich immer in den Dschungel, das Super-Tramp und Cha-Cha gegangen. Aber immer ohne Drogen, bis heute.

1990 wurde dann meine Tochter geboren. Den Anfang der Techno-Szene hab ich dadurch verpasst, weil ich dann einfach den Bezug verloren hatte. Ich hatte zu der Zeit einen Freund, mit dem ich die Welt der Konzerte entdeckt habe: Mercury Rev, Paul Weller, Sonic Youth, Metallica, U2, Beastie Boys, Calexico, Lambchop. Das ist alles zeitlich überschaubarer und besser einzuplanen als ein Clubbesuch. Ab und zu bin ich aber auch Tanzen gegangen.

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1996 hab ich angefangen beim Flyer zu arbeiten, später bei der Groove. Da hat sich dann wieder so eine Welt geöffnet, denn es ging ja nur um Clubkultur. Da hab ich mein Kind viel zu meinen Eltern oder meiner Schwester gegeben. Und ich hab sie manchmal auch alleine gelassen, was ich mir im Nachhinein vorwerfe. Aber ich konnte nicht anders, war auch zum Großteil alleinerziehend und brauchte das einfach. Das kam auch durch meinen Job, da bekam ich so viel Input. Neue Platten und DJs, die man dann auch unbedingt sehen will. Ich hab das Weggehen dann auch legitimiert, weil ich dachte: "Das ist Teil meines Jobs, das muss ich machen, damit ich weiß, wovon die Leute reden." Um das Gefühl nachzuvollziehen, muss man auch drin und dabei sein. Das macht die Clubkultur ja auch aus.

Es gab eine Phase, in der ich dann auch Sonntags viel im Berghain war. Meine Tochter war dann auch immer da, das war eine super schöne Zeit.

Mit dem Weggehen hab ich mein Kind total überfordert. Das hat sich später in der Pubertät gezeigt. Als Kleinkind hat sie das akzeptiert, wie das ja viele machen. In der Pubertät hat sie dann total Drogenkarriere gemacht. Da dachte ich, dass ich dafür verantwortlich bin und bin auch ein ganzes Jahr gar nicht mehr weggegangen, um die Dinge neu zu ordnen, was auch geklappt hat.

Ich hab sie dann auch mit in Clubs genommen. Einmal, da war sie 16, kam sie mit ins Watergate. Da hab ich meinen Geburtstag gefeiert, bevor der Laden aufgemacht hat. Ich hatte das extra abgeklärt, dass meine Tochter und ihre Freundin mitkommen dürfen. Ich glaube, das hat sie beeindruckt, so dass sie dachte: Das ist eine schöne Welt. Dadurch, dass ich so viele Clubbesitzer kannte, hab ich ihr auch relativ früh ermöglicht, in Clubs zu gehen. Das mit den Drogen war aber schon vorher, das ist nicht durch die Clubs gekommen. Jetzt ist zum Glück alles im Lot, sie ist erwachsen und studiert.

Es gab eine Phase, in der ich dann auch sonntags viel im Berghain war. Meine Tochter war dann auch immer da, das war eine super schöne Zeit. Sie hat ihr Zeug gemacht, kam aber immer wieder zwischendurch zu mir und hat mich ihren Freunden vorgestellt. Das waren immer sehr nette und höfliche Menschen.

Ob ich ihr was von meiner Begeisterung für die Clubkultur mitgegeben habe, lässt sich schwer beantworten. Als sie klein war und ich eine neue CD gehört habe, hat sie immer gesagt: "Das ist ja, als ob man neben einer Diskothek leben würde." Wenn ich ein Stück schön fand, hab ich ihr das vorgespielt, aber ich hab sie nicht besonders aktiv hingeführt.

Es gab Leute, die mich als "Rabenmutter" bezeichnet haben und totales Unverständnis hatten. "Willst du ewig jung bleiben?", wurde ich zum Beispiel gefragt. Aber warum soll man mit dem Ausgehen aufhören, nur weil man älter wird?

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