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"Die EDM-Kultur pisst mich richtig an" – ein Kommentar von Seth Troxler

Einer der größten DJs der Welt geigt uns seine persönliche Meinung über EDM-DJs und ihre Festivalkultur.
Foto: Promo / Purple PR

Als einer der weltweit bekanntesten DJs hat Seth Troxler einen verdammt guten Blick auf die Clubkultur. Hinter den Plattenspielern ist er härter als die meisten anderen, aber abseits der Decks legt er erst richtig los. Er nimmt kein Blatt vor den Mund, und da die nächste Festivalsaison vor der Tür steht, ließen wir Seth sagen, was er von Dance-Musik dieser Tage hält—und er hat sich wirklich nicht zurückgehalten.

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Der aktuelle Zustand elektronischer Musik ist einfach nur verrückt: Die Szene ist komplett überflutet. Egal, wo du hinschaust, siehst du neue Festivals und neue Partys. Ich lebte vor kurzem für vier Monate in New York City und an einem Wochenende waren um die 50 Veranstaltungen bei Resident Advisor gelistet. Echt mal, was zur Hölle? Das gleiche passiert auch gerade mit Festivals. Irgendwie versucht momentan jeder in das lukrative Geschäft mit den Festivals einzusteigen und obwohl ich es wirklich cool finde, dass die Leute ausgehen und Spaß haben, bleibt doch die Frage, wo man die Qualitätsgrenzen verlaufen lässt.

Angesichts dieses Wahnsinns findet ihr im Folgenden meine Sicht auf Festivals, Clubbing und wie man kein Arschloch ist.

Zu Allererst:

Vor kurzem war ich in der Schweiz und ein Promoter beschwerte sich bei mir darüber, dass es in der Clubszene des Landes ein riesiges Problem gibt, da eine Menge Festivals um die Schweiz herum stattfinden. Er sagte, dass es im Sommer verdammt schwierig sei, Leute in einen Club zu bekommen. Die Menschen gäben ihr Geld lieber für Festivals im Ausland aus, statt in die Clubs ihrer Heimatstädte zu gehen.

Der Typ lag aber in einen Punkt komplett daneben: Dance-Festivals und Clubs sind einfach nicht das Gleiche. Überhaupt nicht. Für die neue Generation ist die Festivalerfahrung viel wichtiger als die Cluberfahrung. Die Leute, die heute Tanzmusik hören, sind nicht mit der alten Clubkultur großgeworden—also Techno, House oder meinetwegen auch Rave in den 90ern. Festivals bilden jetzt ihre ‚Dance-Music Erfahrung'. Festivals sind bekackte Ferienlager.

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EDM-Festivals füttern uns mit Scheiße—und wir bekommen nicht genug davon

Wenn mich diese gigantischen Festivals in den USA buchen, laufe ich dort oft durch die Gegend, um zu sehen, was so abgeht—und in 90% der Fälle ist es einfach nur grauenvoll. Wir züchten hier eine Generation ungeduldiger und nervtötender Festivalkids heran. Ich sage ungeduldig, weil die Geduld eines Clubbers anders ist als die Geduld eines Festivalbesuchers.

Auf diesen Festivals bekommst du alles auf einem silbernen Tablett serviert: Laser! LED-Leinwände! Pyrotechnik! DROPS! TORTE IN DIE FRESSE! Moment mal, nein: Das ist kein Clubbing, das ist ein Konzert mit Arschlöchern. Geht einfach mal eine Nacht in einem dunklen Raum feiern. Seid cool.

Ich habe mich mit einem guten Freund, Craig Richards, unterhalten und er erzählte mir, dass die Leute damals, als er anfing, in die Clubs zu gehen, dort noch viel geduldiger waren: Du hast dich für Stunden auf der Tanzfläche zu der Musik bewegt und es gab genug Platz für deinen Körper und den eines jeden Anderen. Jetzt verstehen die Leute unter einem ‚guten Event' eine Veranstaltung, die brechend voll ist und die ‚Energie' hat: superenegetische-Megaextreme. Nein, das hat nichts mit Clubbing zu tun. Clubbing ist eine Kultur, aber EDM hat davon nichts übernommen. Wenn du Suzie bist, die gerade ihren Abschluss auf einer Highschool in Florida gemacht hat, dann gehst du zum Ultra-Festival und denkst: „Scheiße, Avicii ballert mir gleich das Höschen weg."

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Seien wir mal ehrlich: EDM-DJs sind die größten Wichser überhaupt

Wo wir schon bei Avicii sind: Avicii ist ein blödes Arschloch. Als er während des Ultra-Festivals in Miami ins Krankenhaus musste, hatte mein Tourmanager Alex etwas mit der Krankenschwester, die Avicii betreute. Und der blöde Wichser hat sich geweigert, mit ihr zu reden. Sie musste Aviciis Manager sagen, was er ihm sagen soll, und sie saßen dabei direkt nebeneinander. Jetzt mal ehrlich, du bist in einem beschissenen Krankenhaus und kannst noch nicht mal mit der Krankenschwester sprechen, die versucht, sich um dich zu kümmern? Das affektierte Stargehabe dieser großen EDM-DJs pisst mich richtig an.

Und es ist nicht nur eine persönliche Sache. Ihre Musik ist einfach beschissen. Ich habe Steve Aoki schon öfter bei diesen Festivals spielen gesehen. Er unterbricht immer wieder die Musik, titscht dann über die Bühne und macht Ankündigungen à la „Das ist meine neue Single! Kommt nächste Woche raus!", und spielt den nächsten Song. Du bist kein verdammter DJ. Du bist ein überbezahlter, untalentierter, Torte-werfender Wichser. Mein bester Highschoolkumpel Frank ist jetzt mein PA und er ist in der Hall of Fame der Little League, weil er ein verdammt guter Pitcher ist. Ich werde ihm mal eine Torte besorgen. Wir kommen, Aoki.

EDM ist keine Kultur, sie bereichert uns nicht

Ich freue mich wirklich für alle. Ich versuche, im Angesicht des ganzen Irrsinns immer positiv zu bleiben. Wenn du aber gegenüber der Kultur, in der du lebst und die du liebst, unkritisch bist, dann tust du dir selber und allen um dich herum einen Bärendienst. EDM ist die Bühne für den tiefgreifenden Irrtum darüber, was elektronische Musik und Tanzkultur eigentlich sind. EDM ist einfach beschissene Musik, gemacht von beschissenen Menschen ohne jede Credibility.

Um ehrlich zu sein, finde ich das zutiefst traurig. Wir versuchen, progressiv zu sein und eine richtige Stimme in Kultur und Diskurs zu haben—ein weitgefächertes Genre, dem eine wahre kulturelle Bedeutung anerkannt wird—, aber EDM tritt diesen Anspruch mit Füßen. Wenn man selber musikalisch ernstgenommen werden will, ist das extrem frustrierend. Viele meine Arbeiten—vor allem das, was ich mit meinem Label Tuskegee mache—sind dagegen wahre Rebellion. Es ist meine Leidenschaft, meine Passion. Rave hat mich verändert und ich will, dass auch meine Kinder die gleiche Erfahrung machen können.

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Wir brauchen mehr PLUR—ernsthaft

In den USA gibt es den Begriff ‚PLUR' (Peace, Love, Unity, Respect). Mittlerweile hat das Wort einen beschissenen Ruf, aber der Begriff stammt noch aus der alten Clubkultur: Respekt, eine positive Einstellung, Zusammenhalt. Wenn du diese Werte einmal verinnerlicht hast, spiegeln sie sich in all deinen Handlungen und in deiner Sicht auf die Welt wider.

Vor kurzem war ich in einem Club und da war dieser Typ, der eins dieser alten Paradise Garage-T-Shirts trug. Wir kamen ins Gespräch und er sagte zu mir, dass der größte Unterschied zwischen Clubmusik damals und heute darin besteht, dass es damals noch echte Vielfalt gab. Sämtliche Schichten, Ethnien, Peergroups und sexuelle Orientierungen kamen zusammen und das war cool so. Das ist es, worum es in der Clubkultur eigentlich geht. Alle vereint unter einem Dach und damit beschäftigt, ihre eigenen und die Identitäten der Anderen zu entdecken. Es war mehr als nur Feiern, es war etwas, das außerhalb der herrschenden Normen stattfand. Mit einem Glowstick durch die Gegend zu rennen und sich abzuschießen, hat damit rein gar nichts zu tun.

Aus diesem Grund war die Red Bull Music Academy-Streetparty für die Paradise Garage und Larry Levan Way letztes Wochenende auch so schön. Es war ein riesiges Straßenfest in einer riesigen Stadt, voll mit weißen, schwarzen und asiatischen Menschen, jung und alt. Niemand sah fertig aus und kaum jemand hing an seinem beschissenen Handy. Sie tanzten und sangen zusammen zu guter Musik, stundenlang. Das ist Clubkultur.

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Die Grenze zwischen Freiheit und Idiotie ist ein schmaler Grat

Ich habe schon extrem abgefahrene Sachen in Clubs gesehen und wirklich traurige Sachen auf Festivals. Die Grenze ist unglaublich schmal. So, wie dieses Foto, das Eric Prydz vom Ultra getweetet [und mittlerweile wieder gelöscht, Anm. d. Red.] hat: Ein Mädchen zieht eine Line Koks von der Vagina eines anderen Mädchens. Auf einem Festival ist das ziemlich ekelhaft. In einem dunklen Club könnte es aber ziemlich heiß sein. Im Berghain stände so etwas für Freiheit. Auf dem Ultra steht es schlicht für Exzess und Trash.

Als ich das erste Mal im Berghain spielte, war da dieser Bär von einem Typen in arschfreier Lederunterhose und einem Lederharnisch auf dem Dancefloor. Ich spielte „Yellow" und als dieser Typ sich nach vorne beugt, kommt ein anderer an und fängt an, ihm die Zunge in den Hintern zu stecken. Alle anderen tanzten einfach weiter und kümmerten sich nicht weiter darum. Ich dachte nur „……… das ist interessant". Das ist eine Revolte gegen die Welt da draußen. Das ist die Freiheit, die dir der Club ermöglicht. Im Matsch rumzuspielen und sich mit Torten bewerfen zu lassen? Das ist keine Freiheit. Du bist nur ein Idiot mit beschissenem Musikgeschmack. Bleibt einfach classy, Kinder.

Bei EDM geht es nicht um Musik, sondern um Kohle

Wenn du in einer Band spielst, DJ bist, oder was auch immer, wird deine Größe nur daran gemessen, wie viele Menschen du zu einem Festival bringen kannst. EDM hat die Formen kommerziellen Musikkonsums nachhaltig verändert. Nimm diese ausschließlich zu diesem Zweck gebauten Clubs in den riesigen Hotelanlagen von Las Vegas: Die Musik ist grottenschlecht, aber trotzdem verkaufen sie jede Nacht tausende Flaschen Alkohol an reiche Arschgeigen. Die Jugendlichen von heute würden eher in einen Club gehen, ganz egal welche Musik dort gespielt wird, und sich abschießen—statt 30 Euro für ein Konzert zu zahlen, das um Mitternacht vorbei ist. Alle wollen mehr, immer und jederzeit.

Man kann aber auch große Festivals aufziehen, die nicht scheiße sind. Wirf mal einen Blick auf das Tomorrowland in Belgien. Es ist ein riesiges Festival mit den gleichen Acts wie auf den großen EDM-Festivals und trotzdem wird extrem viel Sorgfalt in die Qualität des Erlebnisses investiert. Das Electric Daisy Carnival in Las Vegas dagegen? Eine Kommerzkirmes mit jeder Menge nerviger Kids mit Gasmasken auf einem überdimensionierten Parkplatz, die sich wegballern.

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Am liebsten mag ich immer noch das Burning Man oder das Shangri-La in Glastonbury. Dort gibt es Musik, aber es dreht sich nicht ausschließlich darum. Es geht um das Experimentieren mit sich selber und um das ganze Umfeld, in dem du die Musik wahrnimmst.

Wenn die Blase platzt, gibt es eine neue Generation von Dance-Fans

Nicht jeder wird sich lebenslänglich der elektronischen Musik verpflichten, aber was die Spreu vom Weizen trennt, ist der Intellekt. Intellekt ist der wahre Geschmacksindikator. Auf diesen EDM-Festivals stehen auch einige schlaue Kinder im Matsch, in der Hitze und der Kotze und sie denken sich, „Das ist gerade ganz geil, aber auf lange Sicht vielleicht auch nichts." Es gibt Besseres, aber das müssen sie für sich selber entdecken. Genau das ist die neue Generation.

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Seth Troxler ist DJ, Produzent und Provokateur. Folgt ihm auf Twitter: @sethtroxler

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